Bibelvers der Woche 14/2025

Allerlei habe ich gesehen in den Tagen meiner Eitelkeit. Da ist ein Gerechter, und geht unter mit seiner Gerechtigkeit; und ein Gottloser, der lange lebt in seiner Bosheit.
Pred 7,15

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Was erwarten wir? 

Kohelet, der Prediger, ist ein echter Querdenker. Er ist Empiriker, betrachtet alles genau. Er sieht, dass vieles nur in unserem Kopf existiert, das wir für wahr halten, und unsere Ziele, Absichten, Ideale keinen bleibenden Wert haben. Auch solche nicht, die wir als religiös bezeichnen. Für den Prediger gibt es die Unterscheidung zwischen weltlich und ausserweltlich ohnehin nicht. Die Dinge sind vorbestimmt, Gott lenkt wohl — aber er sagt uns nichts über seine Pläne, wir erkennen sie nicht und das Wirken und Weben der Welt bleibt uns verborgen. So werden unsere großen Ideen „eitel“, der Zeit verfallen, und am besten ist’s, man lebt einfach und im Frieden mit der Welt. 

Hier, in unserem Vers, spricht er eine der grundlegenden Wahrheiten an, die vor allem in den Psalmen betont wird. Wer im Bund mit Gott steht, „gerecht“ ist — „Gott liebt und fürchtet“, würde Luther sagen — den beschützt er, dem hilft er gegen seine Feinde, dem gibt er ein langes Leben. Den Gottlosen, Frevlern, Feinden hingegen steht ein schlimmes Schicksal bevor, sie enden in Verzweiflung. Nicht notwendigerweise in der kurzen Frist, so doch aber in der langen. Diesem Grundmuster sind wir im ‚Bibelvers der Woche‘ oft schon begegnet, vor allem in den Psalmen. Es ist dem „Tun-Ergehens-Zusammenhang“ vorgelagert, es beschreibt gewissermaßen das Wesen des Bundes.

Und der Prediger sagt uns hier, so sei es gar nicht, jedenfalls nicht zuverlässig, man beobachte oft genug das Gegenteil. Und er setzt fort:

Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest. Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit. Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt… (V 16-17a).

Auf Neudeutsch nennt man das 360° — wir sollen auf alles schauen und nichts außer acht lassen, die Gebote Gottes nicht, aber auch nicht die der Welt. Bibel für Anfänger ist das nicht, und ich frage mich gelegentlich, wie der Prediger/Kohelet dort hineingelangt ist. Hier ist ein Link zum BdW 37/2019 mit einer Betrachtung zum Ende von Kapitel 7, und da kann es einem die Schuhe ausziehen. 

Aber zurück zum Ausgangspunkt — was erwarte ich, was hoffe ich von Gott? Die Frage mag unziemlich erscheinen, aber die Bibel stellt sie oft genug, und hier liegt sie vor mir, in einem Vers, der kommentiert werden will. „Was er mir gibt, „, könnte die erwachsene Antwort lauten, „er wird’s wohl machen“. Es geht mir eigentlich wie dem Prediger, ich erwarte nicht, dass der Gottesfürchtige allen Lebenskrisen heil entrinnt, und auch nicht, dass denjenigen, der sich Gott nicht verschreibt, immer der Abgrund erwartet. Das entspräche meiner Lebenserfahrung nicht. 

Und doch weiss ich mich getragen. Gott war immer da, wenn ich zu ihm rief. In existenziellen Bedrohungen gab es stets einen Weg, auch in Bedrohungen, die ich erst im Nachhinein erkannte. So war es stets, eigentümlich genug, und seit einiger Zeit schon verlasse ich mich darauf. Auch das ist Lebenserfahrung, und ich finde sie in den Psalmen Davids wieder. Ich kann es eigentlich nicht erklären, es liegt sicherlich nicht an meiner Gottesfurcht, mit meiner „Gerechtigkeit“ ist es nicht weit her. Psalm 91,7 sagt, „Auch wenn tausende fallen zu deiner Seite, es wird dich nicht treffen“. Ja, tausende andere fallen, und es sind auch Gottesfürchtige darunter. Das ist ein Rätsel, und ich sehe die Lösung nicht. 

Irgendwann wird es auch mich treffen, werden mein Körper, mein Geist oder beides in seinen Funktionszusammenhängen auseinanderbrechen, werde ich „rufen“, wie es im Judentum heißt. Und ich hoffe, ich erwarte, ich glaube, dass Gott dann antwortet.

Dein Segen sei mit uns allen, Herr! 
Ulf von Kalckreuth

P.S. Noch ein Gedanke, noch einmal Luther. Die 62. der 95 Thesen, die er an das Tor der Schlosskirche in Wittenberg nagelte, lautet: Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes. Vielleicht geht es am Ende gar nicht so sehr um uns. Vielleicht geht es um etwas, das an und für sich unendlich kostbar ist!

Bibelvers der Woche 13/2025

Denn wir kennen den, der da sagte: „Die Rache ist mein, ich will vergelten”, und abermals: „Der Herr wird sein Volk richten.”
Heb 10,30

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Awesome God

Das ist deutlich. Und es ist erst ein paar Wochen her, dass wir mit BdW 06/2025 den unmittelbar vorangegangenen Vers gezogen haben, Heb 10,29. Hier noch einmal die Textstelle im Zusammenhang (28-31), die beiden gezogenen Verse sind gefettet: 

Wenn jemand das Gesetz des Mose bricht, muss er sterben ohne Erbarmen auf zwei oder drei Zeugen hin. Eine wie viel härtere Strafe, meint ihr, wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Bundes für unrein hält, durch das er doch geheiligt wurde, und den Geist der Gnade schmäht? Denn wir kennen den, der gesagt hat »Die Rache ist mein, ich will vergelten«, und wiederum: »Der Herr wird sein Volk richten.« Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.

Meine Betrachtung seinerzeit richtete sich auf das Wesen der Strafe Gottes. Nun soll ich ein weiteres Mal darüber nachdenken. Genügt es nicht, auf die ältere Betrachtung zu verweisen? Habe ich seinerzeit etwas Wichtiges übersehen oder falsch dargestellt? 

Reset! —

Am vergangenen Sonntag sang ich im Gottesdienst mit dem Musikteam ‚Awesome God‘ von Rich Mullins, hier ist ein Link zu dem Lied. Ich hatte den Solopart mit den beiden Strophen:

When He rolls up His sleeves He ain't just puttin' on the ritz
Our God is an awesome God
There is thunder in His footsteps and lightning in His fists      
Our God is an awesome God
The Lord wasn't joking when He kicked 'em out of Eden
It wasn't for no reason that He shed His blood
His return is very close and so you better be believin'
That our God is an awesome God

Our God is an awesome God
He reigns from heaven above
With wisdom, power and love
Our God is an awesome God!

And when the sky was starless in the void of the night
Our God is an awesome God
He spoke into the darknness and created the light
Our God is an awesome God
Judgement and wrath He poured out on Sodom
Mercy and grace He gave us at the cross
I hope that we have not too quickly forgotten 
That our God is an awesome God!

Our God...

Dies Lied ist, woran ich denken mußte, als ich den Vers zog. Schaue ich in Gott, die Welt und mich selbst, dann ist da immer beides: Gnade und Strafe, Liebe und Gewalt. So zieht es sich durch die Bibel, von Genesis über die Psalmen bis zur Offenbarung des Johannes. Das Leben und Sterben Jesu mag als Exempel dienen, und nirgends steht geschrieben, dass Gottes Gewalt — und Gottes Liebe — mit Jesu Foltertod ein Ende hat. Man mag es mögen oder nicht: der Weg mit dem Gott der Bibel ist immer auch ein Weg am Abgrund. 

Dein Segen sei mit uns, Herr! Und lass mich nicht heute noch den letzten Vers des Ausschnitts oben ziehen. 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 12/2025

…und sprachen zu ihnen: Ihr sollt die Gefangenen nicht hereinbringen; denn ihr gedenkt nur, Schuld vor dem HErrn über uns zu bringen, auf dass ihr unsrer Sünden und Schuld desto mehr macht; denn es ist schon der Schuld zu viel und der Zorn über Israel ergrimmt.
2 Chr 28,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Stufen

König Asaf von Juda, dem Südreich, hat den Krieg verloren. Und wie! Im Kampf gegen das Nordreich Israel fielen 120.000 seiner Männer — an einem einzigen Tag! Und die Armee des feindlichen Brudervolks führt 200.000 Frauen, Jugendliche und Kinder aus Juda in die Gefangenschaft nach Samaria fort. So berichtet es der Text.

Das sind gewaltige Zahlen. Juda war ein kleines, eisenzeitliches Land in den Bergen. Zum Vergleich: In Stalingrad waren rund 200.000 deutsche Soldaten eingekesselt, von denen etwa 30.000 überlebten. Die anderen starben: in Kampfhandlungen, an Hunger, an Krankheiten oder recht bald nach ihrer Gefangennahme. Die Katastrophe zog sich hin über viele Monate. „Stalingrad“ ereignete sich nicht an einem einzigen Tag.

Man muß die biblischen Zahlen nicht wörtlich nehmen, gemeint ist wohl eine „Unzahl“. Eine Unzahl Gefangener also hatte der israelische König Pekach in Juda gemacht und nun machte er sich daran, sie nach Samaria zu führen, seiner Hauptstadt. So war es üblich. Die Gefangenen erwartete ein hartes Schicksal als Sklaven.

Aber es geschieht etwas Überraschendes. Oded, ein Prophet, geht dem Heer Pekachs entgegen und sagt den Führern, dass sie sich schuldig machen vor Gott. Bei den Judäern handelte es sich zwar um ein anderes Volk, aber doch um ein verwandtes, und um Glaubensbrüder dazu. Der Prophet appelliert an das Gewissen der Entscheidungsträger im Nordreich Israel — und diese fügen sich! Sie lassen die Gefangenen frei, geben ihnen Kleidung und Nahrung, und wo sie krank sind, werden sie behandelt und gepflegt, damit sie den Heimweg antreten können. 

Ein rundherum erstaunliches, fast wunderbares Ereignis, gerade auch, wenn man an Stalingrad denkt. 

„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Es sind ursprünglich nicht Worte Jesu, der Satz findet sich schon in der Thora. Aber wer ist dein Nächster? Jesus antwortet auf diese Frage mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Gemeint waren ursprünglich die Angehörigen der eigenen Sippe und des eigenen Stammes. Die Stelle lautet vollständig (Lev 19, 17-18) : Du sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volks. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der HERR. Feinde waren jedenfalls nicht gemeint, auch nicht solche verwandter Völker. In Richter 19f wird erzählt, wie elf der Stämme Israels über den zwölften und kleinsten erbarmungslos herfallen, aus Rache über einen Sexualmord. 

Aber hier, in unserem Vers, kippt das Liebesgebot der Thora sichtbar ins Allgemeinere. Auch Feinde sind einbezogen. Die Sieger üben hier nicht nur Verzicht auf ihre Beute, sie wenden gar erhebliche eigene Ressourcen auf, um den Besiegten das Weiterleben zu ermöglichen. Meine Großmutter hat uns immer wieder von den amerikanischen CARE-Paketen erzählt, die ihr und ihrer kleinen Familie nach dem Krieg das Weiterleben in der ausgebombten Stadt Essen ermöglicht haben.

Bis zum verallgemeinerten Gebot der Nächsten- und Feindesliebe ist die Bibel einen weiten Weg gegangen, und man kann ihr „buchstäblich“ dabei zusehen.

Herr, hilf uns dabei, unseren Nächsten zu lieben. Lass uns erkennen, dass manchmal gerade die Feinde uns am allernächsten sind — wenn sie hilflos sind, wenn nur wir noch helfen können. Gib diese Kraft uns allen, auch der Regierung des heutigen Israel.

Damit Gaza nicht endet wie Stalingrad…!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 11/2025

Er aber redete noch weiter: Ja, wenn ich mit dir auch sterben müsste, wollte ich dich doch nicht verleugnen. Desgleichen sagten sie alle.
Mk 14,31

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Treue

Erhalte uns Deine Treue, Herr — wie auch wir sie erhalten wollen. Und vergib uns, wo wir untreu werden

So habe ich die Betrachtung zum Bibelvers der vergangenen Woche geendet. Der Vers dieser Woche ist wie ein Echo. Jesus hatte Petrus auf den Kopf hin gesagt, dass dieser ihn noch in derselben Nacht dreimal verleugnen werde. Und genau so geschieht es, Es ist die Nacht vor Jesu Foltertod am Kreuz — er weiß es, aber Petrus weiß es nicht. Er aber redete noch weiter…

Die Szene hat ein anrührendes Gegenstück am Ende des Johannesevangeliums, in Joh 21, 15-17. Der auferstandene Jesus begegnet Petrus in Tiberias, am See Genezareth, wo Petrus zuhause war. Jesus fragt ihn dreimal: Hast du mich lieb? Petrus bejaht dreimal, mit wachsender Verzweiflung, und Jesus antwortet immer „Weide meine Schafe“! 

Am lichten See Genezareth wird mit jedem Ja von Petrus ein Nein in der Todesnacht getilgt. 

So will ich’s wiederholen: Erhalte uns Deine Treue, Herr — wie auch wir sie erhalten wollen. Und vergib uns, wo wir untreu werden.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 10/2025

…und hießen die Stätte Bochim und opferten daselbst dem HErrn.
Ri 2,5

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Siehe, ich sende einen Engel vor dir her…

Heute morgen habe ich sehen können, wie der amerikanische Präsident Donald Trump im Oval Office vor laufenden Fernsehkameras seinen Verbündeten, den Präsidenten der Ukraine, heftig beschimpfte und der Undankbarkeit bezichtigte. Dann brach er den Pressetermin ab und warf wenig später Präsident Selenski aus dem Weißen Haus. 

Das war wie ein sehr unangenehmes Zerrbild der Szene, von der unser Vers berichtet.  

Am Anfang des Buchs Richter ist die Landnahme in Kanaan / Palästina nicht etwa abgeschlossen, sie ist zum Stillstand gekommen. Längst nicht alle Gebiete, die Gott den Israeliten versprochen hatte, konnten eingenommen werden., siehe hierzu den Bibelvers der Woche 03/2020. In der Wüste, während der langen Wanderung des Volks, hatte Gott Mose und Israel ein Beistandsversprechen gegeben: 

Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege und dich bringe an den Ort, den ich bestimmt habe. Hüte dich vor ihm und gehorche seiner Stimme und erbittere ihn nicht, denn er wird euer Übertreten nicht vergeben, weil mein Name in ihm ist. Wirst du aber auf seine Stimme hören und alles tun, was ich dir sage, so will ich deiner Feinde Feind und deiner Widersacher Widersacher sein. Ja, mein Engel wird vor dir hergehen und dich bringen zu den Amoritern, Hetitern, Perisitern, Kanaanitern, Hiwitern und Jebusitern, und ich will sie vertilgen. Du sollst ihre Götter nicht anbeten noch ihnen dienen noch tun, wie sie tun, sondern du sollst sie umreißen und ihre Steinmale zerbrechen. Aber dem HERRN, eurem Gott, sollt ihr dienen, so wird er dein Brot und dein Wasser segnen, und ich will alle Krankheit von dir wenden. (Ex 23,20-33) 

Hierzu gibt es den Bibelvers der Woche 06/2019. Es war kein unbedingtes Versprechen. Treue verlangt Gott und die Bereitschaft, sich von den Bewohnern des Landes und ihren Göttern, ihren Frauen, ihren Bräuchen und Gewohnheiten fernzuhalten. Nun tritt der Engel persönlich auf, als Vertreter Gottes, und nimmt das Versprechen feierlich zurück:

Ich habe euch aus Ägypten heraufgeführt und ins Land gebracht, das ich euren Vätern zu geben geschworen habe, und gesprochen, ich wollte meinen Bund mit euch nicht brechen ewiglich. Ihr aber solltet keinen Bund schließen mit den Bewohnern dieses Landes und ihre Altäre zerbrechen. Aber ihr habt meiner Stimme nicht gehorcht. Warum habt ihr das getan?

Das Volk reagiert mit Trauer, die Menschen weinen, und der Ort der Erscheinung wird ‚Bochim‘, genannt, ‚die Weinenden‘. Und in der Tat ist es eine unendlich traurige Szene. Sie ist eine Vergegenständlichung, eine Art vorangestellte Zusammenfassung, für den nachfolgenden Bericht darüber, wie die Israeliten in der Richterzeit den Bund mit ihrem Gott vergaßen.

Ein Bund verlangt Treue von beiden Seiten, das ist die Kernbotschaft des Deuteronomiums und der davon abhängigen Geschichtserzählung. Moderne Theologen sehen großen Grund zur Klage über das Deuteronomium und seine Darstellung der Wirklichkeit Gottes und der Menschen. Diese Kernbotschaft aber steht und trägt weiter. 

Erhalte uns Deine Treue, Herr — wie auch wir sie erhalten wollen. Und vergib uns, wo wir untreu werden.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 09/2025

So wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Untugend.
1 Joh 1,9

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Amazing grace

Hier ist zunächst das textliche Umfeld (Vers 8-10): 

Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit. Wenn wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.

Als ich den Vers las, stand mir sofort das (katholische) Sakrament der Beichte vor Augen. Im Magazin „Vivat“ ist es wie folgt beschrieben:

Die Beichte gehört zu den sieben Sakramenten in der katholischen Kirche. Der Gläubige stellt sich in diesem Sakrament aufrichtig seinen Sünden, bekennt diese vor Gott und sie werden ihm schließlich vergeben, sofern er bereut. Darum wird das Bußsakrament auch als »Feier der Versöhnung« bezeichnet. (…) Die Beichte wirkt durch die Mittlerschaft der Kirche (hier in der Person des Priesters): So geht der Gläubige in den Beichtstuhl, bekennt seine Sünden vor dem Priester (der hierbei in »persona Christi« handelt) und bekommt sie unter Auflage einer Buße erlassen (mittels Lossprechung/Absolution).

Eine Mittlerschaft der Kirche lässt sich aus Johannes‘ Versen wohl nicht ableiten, ihr Grundgedanke aber ist in der Ohrenbeichte deutlich erkennbar: Eine Verfehlung, ein falscher Weg, eine Verstrickung müssen als solche erkannt, benannt und bekannt werden, bevor man sich mit Hilfe Gottes von ihnen befreien kann. 

Das ist fast denknotwendig so. Wer sich falscher Haltungen nicht bewußt wird und sich davon nicht distanziert — wie wollte er davon loskommen? Kann man sich das Rauchen heimlich abgewöhnen? Gar noch ohne sich eingestanden zu haben, dass man Raucher ist und sich damit zugrunde richtet? In meinem Leben waren solche Erfahrungen stets mit Leid verbunden, und auch das ist unausweichlich. In den Gleichnissen vom verlorenen Sohn und vom verlorenen Groschen sagt Jesus, dass jemand verlorengehen muss, bevor er gefunden werden kann. Der Psalmist spitzt es noch weiter zu:

Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist, ein geängstetes, zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten. (Ps 34,19) 

Das bedeutet sicherlich nicht, dass Gott Gefallen daran hat, wenn wir am Boden liegen. Es geht um einen notwendigen Schritt in der Therapie — anthroposophische Mediziner würden es als ‚therapeutische Erstverschlimmerung‘ bezeichnen. 

Fortwährende Bereitschaft zur Bekenntnis der eigenen Sünde und Verlorenheit — das findet man statt der Ohrenbeichte im protestantischen und evangelikalen Spektrum und es wirkt wahrhaftig nicht immer sympathisch. Aber hier liegt die Wurzel. 

Amazing grace. Herr, hilf uns sehen, wo wir in die Irre gehen und hilf uns dann, Deine Hilfe anzunehmen. 

Der Herr sei mit uns in dieser Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 08/2025

Und die Kinder Israel, die aus der Gefangenschaft waren wiedergekommen, und alle, die sich zu ihnen abgesondert hatten von der Unreinigkeit der Heiden im Lande, zu suchen den HErrn, den Gott Israels, aßen…
Esr 6,21

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Zirkuläre Zeit

…und hielten das Fest der ungesäuerten Brote sieben Tage mit Freuden; denn der Herr hatte sie fröhlich gemacht und das Herz des Königs von Assyrien zu ihnen gewandt, daß sie gestärkt würden im Werk am Hause Gottes, der der Gott Israels ist. (Vers 22, Lutherbibel 1912).

So die Fortsetzung des begonnenen Satzes. Er hat so viele Bestandteile, dass auch ein deutscher Muttersprachler leicht ins Schleudern kommen kann, aber sein Kern ist die schlichte Aussage: „Und die Kinder Israel aßen.“ Kann man Wohlbefinden gegenständlicher ausdrücken? Was aßen sie? Das Passamahl, das schon so lange nicht mehr regelrecht gefeiert worden war. Es gab jetzt wieder einen (notdürftigen) Tempel, es gab wieder Leviten für die Opferdienste. Das Leben Tür an Tür mit Gott hat wieder begonnen. Mit dabei waren Nichtjuden, die sich zum Gott dem Herrn bekannten, auch das sagt der Vers. Gültiges Recht: Ex 12,48 lässt die Teilnahme von beschnittenen Nichtjuden ausdrücklich zu.

Tür an Tür mit Gott: Der alte Tempel wurde als Seine Wohnstatt betrachtet. Und als immer größere Teile der nach Babylon verschleppten Elite wieder nach Jerusalem zurückkehrte, bauten die Juden einen neuen. 

Wie einst die Stiftshütte, welche die Kinder Israels auf ihrer Wanderung begleitete, noch in der äußersten Entfremdung, als der Herr beschloss, dass die ganze Generation derer, die aus Ägypten geflohen war, in der Wüste sterben sollten. Erst ihre Kinder würden das gelobte Land sehen. Wie einst der salomonische Tempel, den dann die Babylonier in Flammen aufgehen ließen. Wiederum äußerste Entfremdung: die Juden verloren alles, nicht nur Gott und seinen Wohnsitz, sondern auch ihre Freiheit und ihre Heimat. 

Der Vers und sein Umfeld erzählen vom Ende dieser Phase. Gott und sein Volk waren wieder zusammengekommen. Nicht dauerhaft, wieder nicht: Im Jahr 70, auch an einem Passafest, begann Titus seinen Angriff auf Jerusalem. Er endete mit der völligen Zerstörung des Tempels und der Zerstreuung des jüdischen Volks im römischen Reich. Flavius Josephus berichtet, dass sich wegen des Passafests während der Belagerung etwa 3 Millionen Menschen in der Stadt befanden, von denen 1,1 Millionen ums Leben kamen.

Die alte hebräische Sprache kennt keine Zeitformen, nur Aspekte: Handlungen können entweder punktförmig und faktisch sein, oder sich auf einen Zeitraum beziehen, Möglichkeitscharakter haben oder Regelmäßigkeiten beschreiben. Vergangenheit und Zukunft sind dabei keine eigenständigen Kategorien. Im alten Judentum waren sie nicht wesentlich unterschieden: In der Wahrnehmung der Menschen vollzog Zeit sich in Zyklen, die sich nicht exakt wiederholten, sondern spiralförmig verliefen. Vergangenes blieb relevant für die Zukunft, die nahe und ferne Geschichte des Volks hat stets Bedeutung auch für das Leben des Einzelnen. 

Hier also, mit unserem Vers, treffen Gott und sein Volk sich wieder, und eine glückliche Phase der jüdischen Geschichte setzt ein. Wie die Bewegung eines Pendels, der Schlag eines gigantischen Herzens. Diese Bewegung, hin und her, bestimmt die ganze Bibel, bis hin zu den letzten Kapiteln der Offenbarung. Wer oder was treibt das Pendel? Wann kommt es zur Ruhe?

Der Herr sei mit uns in dieser Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 07/2025

Und ich hörte eine Stimme vom Himmel zu mir sagen: Schreibe: Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.
Offb 14,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Seligkeit — und Tantiemen

Ein wenig ist dies wie ein Echo, eine Antwort auf den Vers der letzten Woche. Dort war von der Strafe Gottes die Rede, wobei nicht völlig klar ist, ob sie in diesem Leben trifft oder danach. Im Vers dieser Woche geht es eindeutig ums Jenseits, genauer: um das Leben nach dem Tod, denn ein Jenseits nach heutigem Verständnis kennt das Neue Testament gar nicht. Gott macht die Welt neu, mit allem, was darinnen ist. Ausbuchstabiert wird dies in den letzten vier Kapiteln der Offenbarung. Im Text vorher geht es um den Untergang der alten Welt, und nur gelegentlich blitzt Hoffnung und Heilsankündigung auf, so wie hier in diesem Vers. 

Der gezogene Vers steht unverbunden inmitten einer Passage, die von der Heraufkunft des Gerichts handelt: drei Engel kündigen es an, und dann geschieht es: die Sichel wird angesetzt und die Kelter getreten. Die Bilder sind durchaus verstörend, wenn man sie an sich heranlässt. 

Über die Seligkeit wird im Vers sehr konkret gesprochen. Die Seligen ruhen — sie müssen nicht mehr arbeiten, denn das, was sie getan haben, folgt ihnen nach, als sei es lebendig. Es steht für sie, die Werke verrichten gewissermaßen die Arbeit der Seligen. Mir fällt ein Vergleich ein: Erfolgreiche Musiker und Autoren können von den Tantiemen ihrer Werke leben. Diese generieren Einkommen für die Künstler, gerade so als stünden die Stars noch auf der Bühne, als hielten sie noch Lesungen. 

Wie mögen sie wohl klingen, die Lieder, die Gedichte, die dies im Reich Gottes vermögen? Können wir sie hören?

Der Herr sei mit uns in dieser Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 06/2025

Wie viel, meint ihr, ärgere Strafe wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Testaments unrein achtet, durch welches er geheiligt ist, und den Geist der Gnade schmäht?
Heb 10,29

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Strafe Gottes

Unser Vers steht im Hebräerbrief und bereitet auf einen Abschnitt vor, der den Wert des Glaubens thematisiert. Ich stelle zunächst den umgebenden Text im Zusammenhang vor (28-31)

Wenn jemand das Gesetz des Mose bricht, muss er sterben ohne Erbarmen auf zwei oder drei Zeugen hin. Eine wie viel härtere Strafe, meint ihr, wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Bundes für unrein hält, durch das er doch geheiligt wurde, und den Geist der Gnade schmäht? Denn wir kennen den, der gesagt hat »Die Rache ist mein, ich will vergelten«, und wiederum: »Der Herr wird sein Volk richten.« Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.

Hier wird die Strafe benannt, die den trifft, der vom Glauben abfällt. Der Brief geht an eine Gemeinde, die auf dem Weg ist, zur Gesetzlichkeit des Judentums zurückzukehren und dabei Jesus Christus zu verlieren — so jedenfalls sieht es der unbekannte Verfasser.

In der jetzt vergangenen Woche war ich im Kino und habe „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ gesehen. Ein Film, der heimlich im Iran gedreht und nach der Flucht des Filmteams in Deutschland fertiggestellt wurde. Es zeigt, wie eine Familie zerbricht unter dem Druck, alles richtig machen zu müssen, alle Forderungen zu erfüllen. Am Ende stehen sich in einer Geisterstadt Vater und Tochter gegenüber, mit Pistolen in den Händen, und ein Schuss setzt der unerträglichen Spannung ein Ende. Es geht im Film nicht nur um Menschen und das Regime, es geht auch um den strafenden Gott — schrecklich ist’s, in die Hände es lebendigen Gottes zu fallen. Solche Worte fallen mehrfach.

Warum wird Abkehr vom Glauben bestraft?

Johannes sagt, dass wir im Glauben mit Jesus Christus eins werden und diese Einheit uns befähigt, wie er den Tod zu besiegen und zum Vater zu kommen. Jemand der diesen Weg ablehnt, und einen anderen Weg geht, muß ihn eben auch gehen.

Aber das ist nicht wirklich Strafe, es hat eher etwas kausal-mechanisches. Man kann nicht die Rettung ablehnen und ihrer dennoch teilhaftig werden. Wer sich mit Steinen beschwert in den See wirft, muß die Kleider ablegen, sonst stirbt er. 

Der Text aber spricht klar von Strafe. Welchen Sinn hat Strafe? Sie kann den Bestraften an die Norm erinnern und darauf hinwirken, dass sie eingehalten wird. Oder sie kann diese Wirkung bei anderen entfalten. Eine Strafe in der anderen Welt kann nichts dergleichen bewirken. Wenn unser Hund sich daneben benimmt und eine Stunde später schilt ihn jemand, ist das völlig sinnlos, Das versuche ich der Familie zu erklären — der Hund hat die Begebenheit vergessen und weiss nicht, was los ist. 

Ich kann mir einen liebenden Gott vorstellen, der nicht jeden retten kann. Aber einen liebenden Gott, der straft, wenn und wo es sinnlos geworden ist? Nicht aus Jähzorn, sondern aus Prinzip? Aus Gerechtigkeit? Wollen wir das vielleicht gerne so? In den Psalmen ist die Aussicht auf Bestrafung der Gottlosen, Frevler, Feinde oft kaum zu unterscheiden von der Hoffnung auf Erlösung.

Trägt Abkehr vom Glauben die Strafe in sich? Unter welchen Umständen?

Ich denke, Glauben bedeutet in erster Linie Vertrauen. Tröstend ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Aufgehoben zu sein.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 05/2025

Und soll nehmen das Zedernholz, die scharlachfarbene Wolle, den Isop und den lebendigen Vogel, und in des geschlachteten Vogels Blut und in das frische Wasser tauchen, und das Haus siebenmal besprengen.
Lev 14,51

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Krankes Haus

Worum mag es hier gehen? Ein Opfer spielt eine Rolle, als Teil eines offenbar komplexen Ritus, und am Ende wird ein Haus besprengt? 

Es geht um die kultische Reinigung von etwas, das es nicht gibt, jedenfalls nicht in Palästina: dem Aussatz von Häusern. Unser Vers kommt aus einem Text in Leviticus, der sich anschließt an die detaillierten Regeln für den Aussatz bei Menschen. Letztere hatten im Alltag der Hebräer durchaus ihre Bedeutung, wie sich noch den Evangelien entnehmen lässt. Dagegen wird nicht recht deutlich, was mit dem „Aussatz von Häusern“ überhaupt gemeint ist —  der Hausschwamm, den wir in Mitteleuropa so gut kennen, ist es jedenfalls nicht, der Pilz braucht feuchte Luft bei konstanten, niedrigen Temperaturen. Kein Hausschwamm überlebt einen Sommer in Judäa. 

Vor einiger Zeit hatte ich schon einmal einen Vers aus diesem Abschnitt gezogen und mir dann Gedanken dazu gemacht, was es mit dem Aussatz von Häusern auf sich haben könnte —  ich glaube, die Betrachtung ist gut gelungen und ich würde an dieser Stelle gern darauf verweisen, siehe den BdW 48/2021

Kurz gesagt: es geht hier nicht um etwas, dass sich beobachten lässt — der Aussatz von Häusern steht vielmehr gleichnishaft für Verfall und Korruption dessen, was uns umgibt und schützt. Auch vom Aussatz von Kleidern ist im Text die Rede. Die Torah spricht nie abstrakt. Wenn Regeln von etwas Bekanntem auf etwas Unbekanntes übertragen werden, geschieht das per Analogie. Aussatz ist das Gegenteil von Reinheit, Aussatz steht für das, was uns von der Gemeinschaft trennt, Und dabei sollen wir nicht nur auf unseren Körper schauen. 

An dieser Stelle könnte man ausführlich über die Grundlagen unseres Miteinander nachdenken. Ich will mich hier auf Andeutungen beschränken. Was ist „Haus“? Sprache fällt mir ein und auch die Art, sie einzusetzen, die Beziehungen innerhalb der Familie und unter Freunden, wie wir lieben und uns entlieben, Erotik und Sexualität, aber natürlich auch die Art, wie wir unseren Lebensunterhalt sicherstellen. Man mag auch an die Umwelt denken, das gemeinsamen Haus aller Menschen. 

Das alles kann krank werden und darauf müssen wir achthaben. Und der Opfervogel sollte dabei ruhig weiterleben dürfen…

Der Herr helfe uns zu Achtsamkeit mit den Grundlagen unseres Lebens,
Ulf von Kalckreuth