Bibelvers der Woche 38/2018

…der Brief, den ihr uns zugeschickt habt, ist deutlich vor mir gelesen.
Esr 4,18

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017

Drei Könige und zwei Briefwechsel

Das sprichwörtliche Gesetz der Meder und Perser: niemand kann es aufheben, selbst derjenige nicht, von dem es ausgeht. So kann man es bei Daniel 6 nachlesen. Und wenn sich das Gesetz widerspricht? 

Der persische König Kyros hatte das babylonische Reich zerschlagen und erlaubte dann den Juden, aus ihrem Exil heimzukehren und ihren Tempel wieder aufzubauen. Er gab ihnen zu diesem Zweck sogar das von den Babyloniern geraubte Tempelgold zurück. 

Soweit die Überschrift — sozusagen der Vorstandsbeschluss. Aber ein solcher Beschluss allein bewegt noch nichts. Schnell ist zwar ein Brandopferaltar gebaut, doch als die Juden Anstalten machen, tatsächlich einen Tempelbau in Angriff zu nehmen, sieht die Linie Probleme. Ein Tempel ist ein großes Bauwerk, ein zentraler Ort fürs Volk, und er braucht eine Stadtmauer. Beides gemeinsam würde Jerusalem wieder zum Machtfaktor machen und Unruhe schaffen. Als Kyros gestorben ist, schreibt Rehum, der Oberbefehlshaber der Truppen in Samarien im Namen der regionalen Administration einen Brief an Artaxerxes, einen der Nachfolger von Kyros, und erinnerte ihn daran, wie aufsässig die Stadt einst war. In den Chroniken sei es nachzulesen. Der König möge den Bau unterbinden.

Die Antwort kommt prompt. Man habe den Brief genau gelesen (das ist der gezogene Vers), die Angelegenheit geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass das Anliegen berechtigt sei: der Bau müsse gestoppt werden. Bis weitere Befehle folgen.

An dieser Stelle könnte es zu Ende sein. Das ist das Schicksal vieler Projekte, selbst wenn sie grünes Licht von ganz oben haben: sie müssen in der Ebene durchgesetzt werden, und dort kostet ihre Realisierung die aktuell Mächtigen das, was sie nicht aufgeben wollen: Macht. 

Aber die jüdischen Organisatoren des Baus, Serubabbel und Jeschua, haben einen langen Atem. Sie stellen sich gut mit der lokalen Regierung. Für diese ist die Situation unangenehm: es gibt einen Befehl von Kyros, zu bauen, und einen Befehl von Artaxerxes, zu warten. Als die Zeit reif ist, d.h. noch eine Regentschaft später, schreiben Tattenai, der Statthalter Babylons, und seine Beamten ihrerseits einen Brief an Darius, den Nachfolger von Artaxerxes, und erinnern den König an die Erlaubnis, die sein Vorvorgänger gegeben hat. Und fügen ein zweischneidiges Argument hinzu: Kyros habe den Juden ja bereits eine große Menge Goldes gegeben, um die Planungen umzusetzen! Das appelliert an das Bedürfnis der persischen Macht, überzeitliche Konsistenz im Regierungshandeln herzustellen. Der Adressat könnte es aber auch als Einladung verstehen, das erste Edikt zu bekräftigen und das Tempelgold einzuziehen. 

Aber das Gambit gelingt. Auch Darius lässt die Archive prüfen. Auch die Aussage Tettais wird bestätigt. Darius muss sich zwischen zwei Inkonsistenzen entscheiden. Und er befiehlt, dass weitergebaut werden soll. 

Zwei Briefe mit gegenteiligen Anliegen, beide faktisch korrekt begründet, beides jeweils durch die Archive geprüft und belegt. Ganz nebenbei: hier präsentiert sich eine voll ausgebildete Schriftkultur, zu einem Zeitpunkt der uns früh erscheinen mag: Xerxes regierte zwischen 465 und 424 vor Christus. 

Am Ende, nach mehreren Regierungswechseln, wird das Gesetz der Meder und Perser aufgehoben, um dem Gesetz der Meder und Perser Geltung zu verschaffen. Mit Gottes Hilfe und mit sehr langem Atem kann es gelingen, der Bürokratie in die Speichen zu greifen. 

Und am Ende steht der Tempel wieder da!

Ich wünsche uns eine Woche mit langem Atem! 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 10/2018

Am zehnten Tage des fünften Monats, welches ist das neunzehnte Jahr Nebukadnezars, des Königs zu Babel, kam Nebusaradan, der Hauptmann der Trabanten, der stets um den König zu Babel war gen Jerusalem…
Jer 52, 12

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Over and out

Der gezogen Vers ist ein Fragment, der Satz schließt im nächsten Vers: …und verbrannte des HERRN Haus und des Königs Haus und alle Häuser zu Jerusalem; alle großen Häuser verbrannte er mit Feuer. 

Die Sätze stehen ganz am Ende des Buchs Jeremia. Der Abschnitt ist den Prophetien und der Lebensgeschichte Jeremias nachgeschoben und fast wortgleich mit dem Ende des Buchs der Könige. Er zeigt, wie der erste Teil der Prophetien Jeremias eintrifft. Im gezogenen Vers ist die Hand erhoben, für eine logische Sekunde ist alles in der Schwebe. Im nächsten Vers fällt der Stich. Jerusalem ist von den Truppen Nebukadnezars erobert, bereits am 9. Tag des vierten Monats war die Stadt gefallen. Die militärische Arbeit ist getan. Vier Wochen später nun kommt ein Administrator aus dem inneren Kreis um König Nebukadnezar und führt das Zerstörungswerk planmäßig aus. Im Detail wird dann beschrieben, wie die kostbare Tempelausstattung nach draußen getragen und ökonomisch verwertet wird, beinahe wie eine Rückabwicklung des Tempelbaus in 1. Könige 6 und 7.

Passionszeit. Der Tempel, das Interface zwischen Gott und seinem Volk, ist nicht mehr. Gott hat nicht nur seine Gnade vom Volk genommen, sondern auch den Kontakt abgebrochen. Fast wie bei Harry Mulisch „Die Entdeckung des Himmels“ — in diesem Roman bricht Gott die Beziehung mit der modernen Menschheit ab, indem er die Tafeln mit den zehn Geboten wieder zurücknimmt. Die Elite des Volks wird nach Babylon verschleppt. In der jüdischen Bibel ist dieser Moment herausgehoben traumatisch, er ist die Scheide, um die herum die Schriften sich in ein „Vorher“ und ein „Nachher“ gruppieren. Eine Analogie für den gezogenen Vers im Neuen Testament wäre die Stelle, in der Jesus, der Mittler zwischen Mensch und Gott, die Dornenkrone trägt, aber noch nicht am Kreuz hängt. 

Der Vers erinnert daran, dass Gott uns seine Gnade gibt und er sie wieder von uns nehmen kann. Wem nicht ein Bauwerk, sondern die eigene Person der Ort der Begegnung mit Gott ist, den erinnert er an die Endlichkeit des Lebens. Und ganz entfernt scheint eine neue Perspektive auf: mit der Erfüllung des ersten Teils der Prophetie Jeremias wird nun der zweite Teil relevant, in dem es Sätze gibt wie: „So spricht der Herr: Das Volk, das dem Schwert entronnen ist, hat Gnade gefunden in der Wüste; Israel zieht hin zu seiner Ruhe. Der Herr ist mir erschienen von ferne: ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte. Ich will dich wiederum bauen, dass du gebaut sein sollst, du Jungfrau Israel, du sollst dich wieder schmücken und mit Pauken ausziehen im fröhlichen Tanz.“ (Jer 31, 2-4)

Ich wünsche Euch eine schöne Woche
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 05/2018

Aber den Brandopferaltar setzte er vor die Tür der Wohnung der Hütte des Stifts und opferte darauf Brandopfer und Speisopfer, wie ihm der HErr geboten hatte.
Ex 40,29

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Mobiles Heiligtum

Der gezogene Vers ist aus der Beschreibung der Aufrichtung der Stiftshütte im zweiten Jahr der langen Wanderung der Israeliten durch die Wüste. Die Stiftshütte ist etwas sehr Spannendes: von der Funktion her ein Tempel, und in seiner Portabilität und Mobilität gerade eben kein Tempel. In wichtigen Teilen des AT wird großer Wert darauf gelegt, dass ein gottgefälliger Tempel als Ort des Austauschs mit Gott nur in Jerusalem stehen könne. Aber zur Anfangszeit des Weges mit Gott, in der Wüste, lag Jerusalem in einem mythischen, weit entfernten Land. Der fortdauernde Kontakt mit Gott, bei dem das Opfer einen hohen Stellenwert hatte, musste anders gewährleistet werden. 

Mose erhält den Befehl, eine mobile Anbetungsstätte einzurichten, die jeweils dort aufgebaut werden soll, wo die Israeliten sich temporär niederlassen. Sie beherbergt die Bundeslade, in der die Gebote Gottes vom Sinai enthalten sind. Während der Aufenthalte ruhte die Wolke mit der Herrlichkeit des Herrn auf der Stiftshütte und auf dem Weg zog sie dem Volke voran, nachts erfüllt von Feuerschein. Vor der Stiftshütte kann und soll geopfert werden — im gezogenen Vers geschieht dies zum ersten Male. Nicht der Ort ist dabei entscheidend, sondern die Bestimmung. Dies ist eigentlich eine sehr „moderne“ Vorstellung. Die Juden haben sie erst nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels gezwungenermaßen übernommen. Mystisch orientierte Juden oder Christen haben die Idee weiterentwickelt und weisen darauf hin, dass der eigentliche Tempel des Herrn in der Person des Betenden selbst liegt — wo auch immer dieser gerade sich befindet…

Ich wünsche uns allen eine gute Woche in Gottes Segen,  
Ulf von Kalckreuth