…wie geschrieben steht: „Der viel sammelte, hatte nicht Überfluss, der wenig sammelte, hatte nicht Mangel.”
2 Kor 8,15
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Die Bibel und Karl Marx
Der Bibelvers der Woche wird zufällig gezogen, aber manchmal arbeitet der Zufallsgenerator in meinem Computer wie ein Herausgeber: Heute geht es noch einmal um die große Sammlung für die Gemeinde in Jerusalem, aber aus einer anderen Perspektive!
In der letzten Woche sind wir Paulus auf seiner letzten Reise begegnet. Die Gemeinde in Jerusalem war in Not geraten, und er wollte den Brüdern eine große Gabe der heidenchristlichen Gemeinden überbringen, als Zeichen der Einheit. Der Vers dieser Woche stammt aus einer Werbeschrift für ebendiese Sammlung. Im armen Makedonien war sie erfolgreich abgeschlossen, und nun wirbt Paulus im reichen Korinth dafür — das ist Kapital 8 und 9 des zweiten Korintherbriefs. Dabei zieht er alle Register. Die Gemeinde sammelte seit dem letzten Jahr, und Paulus will nun gern auch ein Wollen erkennen, sagt er, sie sollen nun aber das Tun vollenden, damit es nicht beim Wollen bleibe.
„Nicht, dass die anderen (in Jerusalem) Ruhe haben und ihr Not leidet, sondern dass es zu einem Ausgleich komme (V. 13). Und dann er gebraucht er ein Bild, aus dem sich eine Ethik der Gleichverteilung ableiten lässt. Unser Vers oben ist ein Zitat aus Exodus, er erinnert an die Erzählung vom Manna, das in der Wüste den hungrigen Israeliten Nahrung brachte. Als das Manna erstmals vom Himmel fiel, hieß Mose die Kinder Israel sammeln, und gab ihnen dazu eine Verteilungsregel:
Das ist’s aber, was der Herr geboten hat: ein jeder sammele, soviel wie er zum Essen braucht, einen Krug voll für jedem nach der Zahl der Leute in seinem Zelte. Und die Israeliten taten’s und sammelten, der eine viel, der andere wenig. Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte. (2. Mo 16,16-18)
Was Mose hier fordert und Paulus mit ihm, ist deckungsgleich mit dem Diktum von Karl Marx: „…, jedem nach seinen Bedürfnissen“. Dieses Diktum hat aber auch den ersten Teil: „Jeder nach seinen Fähigkeiten,…“. Der real existierende Sozialismus ist an der Frage gescheitert, wie diese Forderungen zugleich zu erfüllen seien: wenn alle dasselbe erhalten, unabhängig von ihrem Beitrag, dann fehlen den Leistungsfähigen die nötigen Anreize. Es ist jetzt fast genau vierzig Jahre her, dass ich meine erste volkswirtschaftliche Vorlesung hörte, aber wie die beiden Teile des Marx’schen Diktums zu vereinen seien, weiss ich immer noch nicht.
In der Laborsituation der Wüste Sinai aber funktioniert es! Nichts muss produziert werden — Gott gibt, und alle können nach ihren Bedürfnissen versorgt werden. Manna ist zudem nicht lagerfähig, wer sich also mehr nimmt, als er essen kann, muß zusehen, wie das Ersparte in der Glut des Mittags verdarb. Mose hätte die Verteilungsregel gar nicht verkünden müssen, eine andere ist kaum denkbar — oder vielleicht doch? Jedem nach seiner Kraft und der Länge seines Schwerts, wäre schließlich eine denkbare Alternative. Aber nur für schnelle Esser…
Jedem nach seinen Bedürfnissen — Paulus wirbt dafür, im Verhältnis der christlichen Gemeinschaften ebenso zu verfahren, Und er sieht ausserdem den großen geistlichen Strom, der von Jerusalem aus zu den Heiden gekommen ist, siehe auch den BdW 28/2018. Die große Gabe ist also ausgleichende Gerechtigkeit in einem doppelten Sinne.
In Kapitel 9 setzt er noch anders an: Gott hat einen fröhlichen Geber lieb, und das Gegebene kommt in verwandelter Gestalt an uns zurück.
Das Verhältnis des Apostels zu der von ihm gegründeten Gemeinde in Korinth war ausgesprochen gespannt, fast vergiftet. Der zweite Brief an die Korinther ist voll Polemik und Reaktion auf Polemik. Man sieht manchmal die zwei Hälften eines zerschnittenen Tischtuchs vor sich. Aber hier, in den Kapiteln 8 und 9, ist Paulus bei sich und seinem großen Projekt. Sein Argument ist ruhig, souverän und überzeugend.
Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, in der wir nach unseren Fähigkeiten geben und nach unseren Bedürfnissen erhalten,
Ulf von Kalckreuth