Bibelvers der Woche 16/2020

Und wenn ihr schon schlüget das ganze Heer der Chaldäer, so wider euch streiten, und blieben ihrer etliche verwundet übrig, so würden sie doch, ein jeglicher in seinem Gezelt, sich aufmachen und diese Stadt mit Feuer verbrennen.
Jer 37,10

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Ruhe vor dem Sturm

Die Auseinandersetzung des judäischen Reichs mit der babylonischen Supermacht nähert sich dem Höhepunkt. Nebukadnezar hatte zuvor den widerspenstigen Vasallen bereits einmal zur Raison gebracht — er war in Jerusalem einmarschiert, hatte viele Bewohner als Gefangene weggeführt, einen Teil des Tempelschatzes geplündert und einen neuen König eingesetzt, Zedekia. Zum Amtsantritt schwor er Nebukadnezar einen Treueeid. Aber nach einigen Jahren schon will sich Zedekia sich selbständig machen — er baut auf die Unterstützung Ägyptens, des strategischen Gegners von Babylon und stellt die Tributzahlungen an Babylon ein. Nebukadnezar reagiert schnell und eilt mit einem Heer nach Judäa, besetzt das Umland und belagert Jerusalem.

Der Prophet Jeremia warnt schon lange Zeit vor dem Ränkespiel Zedekias, mit Visionen, die immer dringlicher und katastrophaler werden. Er zieht damit den Hass des Königs und der politischen Elite auf sich. Immer stärker gerät er unter Druck. Am Ende muß er in einer mit Schlamm gefüllten Zisterne um sein Leben kämpfen, so wie im Großen die eingeschlossene, untergehende Stadt.

Aber vor diesem Endspiel gibt es eine eigenartige Entspannung, ein retardierendes Moment. Die Ägypter nämlich halten ihre Zusage ein und schicken dem babylonischen König ein großes Heer entgegen. Nebukadnezar vermeidet die offene Schlacht, zieht sich ins Umland zurück und wartet einfach ab. Jerusalem ist scheinbar wieder frei.

Zedekia schickt Emissäre zu Jeremia. Vielleicht haben sich die schrecklichen Visionen Jeremias der neuen Situation angepasst? Vielleicht lässt sich der Bruch mit dem wortmächtigen und bekannten Propheten nun heilen?

Nein, sagt Jeremia, nichts da, der Untergang ist beschlossen, das Schicksal Jerusalems steht fest. Selbst wenn es den Truppen Judäas gelänge, die Babylonier in der Feldschlacht zu schlagen — ein Ding der Unmöglichkeit angesichts der Kräfteverhältnisse –, so würden die verwundeten Feinde aus ihren Zelten sich erheben wie Zombies und die Stadt dennoch niederbrennen!

Das klingt endzeitlich, und so ist es auch gemeint. In Jer 32-38 lassen sich die Bilder, die Jeremia in sich trägt, in der Auseinandersetzung mit Gott nachvollziehen. Die Prophezeiungen zum Untergang der Stadt ist unbedingt geworden, nicht wie früher an das Verhalten der Bewohner geknüpft. Aber genauso unbedingt mischt sich nun ein zweiter Klang in den ersten: die Stadt wird neu gebaut, wird wieder aufstehen, man wird (Jer 33,11) darin wieder hören den Jubel der Freude und der Wonne, die Stimme des Bräutigams und der Braut und „Und ich will einen ewigen Bund schließen, dass ich nicht ablassen will, ihnen Gutes zu tun, und will ihnen Furcht vor mir ins Herz geben, dass sie nicht von mir weichen“ (Jer 32,40).

Dieser Zweiklang eigentlich unvereinbarer Töne ist die bleibende Botschaft Jeremias — beide Teile dieser Botschaft haben sich erfüllt und erfüllen sich immer wieder neu, auch in unserem persönlichen Leben. Sie sind wie Karfreitag und Ostern, unvereinbar und doch untrennbar.

Ich wünsche uns eine gesegnete Osterwoche in unserer belagerten Zeit, 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 08/2020

Und er kam gen Jerusalem im fünften Monat, nämlich des siebenten Jahres des Königs.
Esr 7,8

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 1987.

Jahr und Tag

Manchmal ist ein Ereignis so wichtig, dass Menschen sich seiner versichern müssen. Jahr und Tag oder auch der Ort eines Sieges, einer Gründung oder einer Katastrophe werden dokumentiert, mit Urkunden, Feiertagen, Denkmälern. 

In Abschnitt 7 des Buchs Esra geschieht das nicht weniger als dreimal hintereinander. Der Schriftgelehrte Esra ist auf seiner Reise von Babylon nach Jerusalem dort angekommen. Vers 7 gibt das Jahr der Reise an, Vers 8 — unser Bibelvers der Woche — gibt Jahr und Monat an, und Vers 9 noch einmal Jahr, Monat und Tag der Ankunft. Die Tatsache dieser Reise wird in den Versen vorher bereits zweimal bekräftigt, in Zusammenhang mit dem Stammbaum Esras und seinem königlichen Auftrag.

Ganz gewiss ist es geschehen: Wir kennen Name, Stammbaum und Auftrag des Mannes, und Jahr, Monat und Tag seiner Ankunft in Jerusalem! Es ist eigentümlich: unser Vers ist, auch formal, das Gegenstück eines anderen BdW vor zwei Jahren, 2018 KW 11, erinnern Sie sich?

Am zehnten Tage des fünften Monats, welches ist das neunzehnte Jahr Nebukadnezars, des Königs zu Babel, kam Nebusaradan, der Hauptmann der Trabanten, der stets um den König zu Babel war, gen Jerusalem…
Jer 52,12, wortgleich in 2. Kö 25,8

Nebusadaran kam aus Babylon, um den Tempel zu zerstören. Nun kommt Esra auf demselben Weg, um den Dienst im zweiten Tempel einzurichten und den Glauben neu zu institutionalisieren. Das Rad der Mühle dreht sich wieder. Aber es ist eine neue Mühle, mit anderen Müllern darin.

Das Buch Esra und das Buch Nehemia erzählen von der Rückkehr wichtiger Teile des Volks Israel aus dem babylonischen Exil, rund siebzig Jahre nach ihrer Verschleppung. Das entspricht etwa der Zeit, die bis heute seit der Bombardierung Dresdens und der Vertreibung der Deutschen aus Schlesien und Böhmen vergangen sind. Und die Hebräer hatten es in ihrer neuen Umgebung nicht schlecht getroffen, den Klageliedern in den Psalmen zum Trotz. Sie waren von der Peripherie ins Zentrum gekommen, ein wenig so, ob heute jemand aus Mittelamerika oder Südosteuropa nach Palo Alto in Kalifornien kommt. Viele von ihnen stiegen in die Führungsschicht auf, erst des babylonischen Reichs, dann der persischen Macht. Jüdische Gelehrsamkeit blühte, wichtige redaktionelle Arbeiten an den Schriften setzten ein, eine neue Theologie entstand. Viele wanderten nicht zurück. Babylon blieb ein Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit bis weit ins erste Jahrtausend nach Christus. Die wichtigere der beiden Fassungen des Talmuds wurde dort erstellt. 

Warum eigentlich zurückkehren in die Trümmerwelt der Vorfahren? Mit wenigen Ausnahmen waren die Rückkehrer in Babylon geboren, nicht in Palästina. Und keiner dort wartete auf sie. Wie viele Deutsche sind nach Schlesien zurückgekehrt, als dies möglich wurde? In den beiden Büchern wird die erste Zeit aus der Perspektive zweier wichtiger Protagonisten beschrieben, des jüdischen Statthalters Nehemia und des Hohepriesters Esra. Die Rückwanderung verlief in Wellen, und es war anfangs nicht klar, wer eigentlich „dazu“ gehörte und wer nicht. Wichtige äußere Bezugspunkte waren der Neubau des Tempels und der Stadtmauer, in Wahrheit aber musste eine ganze Gesellschaft neu aufgebaut werden. Diesen Vorgang leitet Esra ein. Der BdW sagt uns, dass es wirklich geschehen ist — ab dem fünften Monat im siebten Jahr des Königs. Und zweieinhalbtausend Jahre später sollten die Juden es wiederholen…

Die Rückkehr wird in Esra und Nehemia erzählt wie ein zweiter Exodus. Wenn wir uns auf das besinnen, was eigentlich zu uns gehört und es zurückholen in unser Leben, dann kann das Mut erfordern, als ginge es um Neuland. Einen Grund hat es für die Trennung ja immer gegeben. Den Mut zur Rückkehr kann Gott geben. 

Am Samstag, als ich dies schrieb, kreiste eine Gruppe Kraniche laut rufend in der Thermik über unserer Siedlung in Praunheim und flog dann weiter nach Nordosten. 

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 35/2018

Und Darius aus Medien nahm das Reich ein, da er zweiundsechzig Jahre alt war.
Dan 6,1

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Auch wenn die Löwen brüllen

Der Vers führt uns zurück zum Buch Daniel. Vor vier Wochen, in Woche 31, hatten wir einen Vers zu einem Bewahrungswunder — die „drei Männer im Feuer“. Der gezogene Vers leitet die Erzählung des anderen bekannten Bewahrungswunder im Buch ein: „Daniel in der Löwengrube“. Hier ein Link zum Vers der Woche 31/2018.

Um welches Reich geht es? Das Königreich Juda war vom babylonischen König Nebukadnezar als politisches Gebilde vernichtet worden, und die jüdische Oberschicht und in Babylon angesiedelt worden. Einige Jahrzehnte später unterlag das Neubabylonien seinerseits dem Perserkönig Kyros II. Der König Darius im Vers ist nicht Dareios der Große von Persien, sondern vielleicht ein medischer Satrap von Kyros II.

Der gezogene Vers erzählt also von einem Neubeginn nach einem Untergang. Wie geht es jetzt weiter? Ein neuer König, eine neue Zeit. Für Daniel wohnt diesem Anfang durchaus ein Zauber inne. Darius schätzt ihn ganz außerordentlich und macht ihn zu einem der drei mächtigsten Männer unter ihm. Er steht kurz davor, ihm Verantwortung für das ganze Reich zu geben. Dann führt eine Intrige seiner Konkurrenten dazu, dass beinahe alles vorbei ist: Der Mederkönig muss dem eigenen Gesetz gehorchen und Daniel den Löwen zum Fraß vorwerfen. Aber die ausgehungerten Tiere verweigern sich. Darius erkennt das Zeichen und wirft anstelle Daniels dessen Verleumder den Löwen vor, diesmal mit dem erwarteten Ergebnis. Und wie seinerzeit Nebukadnezar bekennt auch er nun im ganzen Reich die Macht des jüdischen Gottes.

Eine neue Zeit… Wenn sich die Bedingungen grundlegend ändern, entstehen neue Möglichkeiten und neue Gefahren. Beides ist anfangs schwer abzusehen. Das macht die neue Zeit so aufregend. Der Vers und die von ihm eingeleitete Geschichte verweisen uns auf den Schutz des lebendigen Gottes und auf seine Treue. Wir dürfen neue Zeiten als Chance sehen, nicht als Bedrohung — selbst wenn ganz in unserer Nähe die Löwen brüllen…

Eine Woche voller neuer Chancen wünscht uns
Ulf von Kalckreuth