Bibelvers der Woche 44/2023

Denn Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlangt von Herzensgrund in Jesu Christo.
Phi 1,8 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Die Macht der Liebe

Am Anfang der Paulusbriefe steht die Begrüßung, am Ende ein Segen und dazwischen die Botschaft. Hier, im Philipperbrief, liegt wesentliche Botschaft schon in der Begrüßung. 

Das habe ich erst gar nicht gesehen. Als ich den Bibelvers zog, sah ich nur, dass Paulus hervorhebt, wie wichtig ihm die Angesprochenen sind. Ich wollte dann eine kleine Betrachtung schreiben über das Thema „Wish you were here“. Weil ich gerade auf dem Rückweg von einer weiten Reise bin, wäre das nicht schwer gewesen. Aber dann irritierte mich das Wörtchen „Denn“. Denn was dahinter steht, ist eine Begründung oder ein Grund. Wofür? Worum geht es? 

Vorher spricht Paulus davon, dass die Gemeinde in Philippi gesegnet sei: Gott werde in ihr das Werk vollenden, das er begonnen hat. Dabei könnte er es belassen. Statt dessen geht er einen Schritt zurück und fragt sich, wie er selbst zu dieser Einschätzung kommt. Er ist überzeugt, dass er recht hat, sagt er, weil er die Gemeinde in seinem Herzen hat, also liebt. Und dafür ruft er Gott in unserem Vers zum Zeugen auf. 

Das klingt sonderbar, wie verkehrte Logik. Wir würden andersherum fragen — warum liebst du diese Gemeinde? — und nach Gründen suchen. Paulus aber begründet mit seiner Liebe die Einschätzung, dass die Gemeinde gesegnet sei. 

Man kann das auf zwei Arten lesen, und ich denke, beide sind richtig. Zum einen könnte Liebe einen direkten und privilegierten Zugang zur Wirklichkeit vermitteln. Ich sehe richtig, weil ich liebe. Wir würden vielleicht antworten: Nein, Liebe macht blind — wer liebt, dessen Wahrnehmung ist nicht objektiv und spiegelt eher die Wünsche Wünsche und Sehnsüchte des Liebenden als die Wirklichkeit des Geliebten. Paulus dürfte dies nicht fremd sein, aber er mißt der Liebe eine Erkenntniskraft jenseits des Verstandes zu:

Die Liebe höret nimmer auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. (…) Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. (1 Kor 13, 8-10+12).

Weiterhin aber könnte der Liebe eine selbständige, wirklichkeitsverändernde Kraft innewohnen. Wie Fürbitte und Segen. Der Satz hieße dann: Der Segen Gottes wird mit Euch sein, weil ich Euch liebe! Nicht im Sinne von Erklärung, sondern von Ursache und Wirkung. Das hat etwas Grundstürzendes.

Ein Kind würde es vielleicht so sagen: „Warum ist denn dein Papa so großartig? — „Weil ich ihn lieb habe!“ — nicht etwa anders herum. Paulus ist kein Kind, er weiß, was er schreibt. Der Herr wird mit dir sein, dein Leben wird in guten Bahnen verlaufen, du wirst nicht fallen, weil ich dich liebe! Sonderbar. Oder nicht? Welche Rolle spielt die Liebe der Eltern für die Persönlichkeit von Kindern? Hat sie nicht konstitutive Kraft? Und wie steht es um die Liebe zwischen Geliebten und Eheleuten? Kann nicht das Wissen, geliebt zu werden, ein Dasein begründen?

Paulus verallgemeinert dies nur ein kleines bißchen. Durchaus unbescheiden, übrigens. Und er sagt, dass wir die Welt verändern können mit unserer Liebe!

Was bedeutet das? In meinem Lebenskontext, in Ihrem? Können Sie es sehen?

Wie Glaube und Hoffnung hat Liebe Macht, eigenständige Kraft. Sie ist nicht nur das Spiegelbild des geliebten Wesens, sie wirkt auf das Gegenüber zurück. Der Abschnitt aus dem Korintherbrief, aus dem oben schon zitiert wurde, endet wie folgt: Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, die Liebe aber ist die größte unter ihnen (1. Kor 13, 13).

Gott befähige uns zur Liebe,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 24/2020

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viele Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
Joh 15,5

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017

Wer liebt, lebt!

Im Evangelium nach Johannes sind in den Abschnitten 13-17 Abschiedsreden Jesu verzeichnet, die sich in den anderen Evangelien nicht finden. Die Reden sind eigentlich Gespräche mit den Jüngern, in tiefer und inniger Zuwendung, gleichzeitig sind sie Testament, das in ein Gebet mündet. Ein Testament im Neuen Testament. Es gibt Parallelen: das Deuteronomium als Ganzes ist als Abschiedsrede Mose verfasst, und mit seiner Rede am Ende von Genesis verwandelt Jakob seine Söhne in ein Volk. 

Wie das Deuteronomium die Essenz der Thora wiedergibt, enthalten die Abschiedsreden Jesu die Essenz seiner Botschaft und sein Vermächtnis. Im Netz habe ich das Skript einer ganzen Vorlesung zu den Reden gefunden. Unser Bibelvers führt in den Kern dessen, worum es Jesus geht. 

Der Vers ist Kulminationspunkt eines Gleichnisses, das er zuvor aufgespannt hat. Der Vater, Gott, ist wie ein Winzer: er hegt den Weinberg, er pflanzt und pflegt den Weinstock und trägt Sorge um die Frucht. Dabei schneidet er Triebe ab, die keine Frucht bringen. Mit der Verbindung zum Stock verlieren diese Reben das Leben. Die Reben aber, die Frucht bringen, werden gereinigt, ihre Kraft wächst. 

Jesus spricht zuvor (Joh 14) darüber, wie der Vater in ihm ist und er im Vater. Nun geht es um die Jünger Jesu. Sie sind die Reben, also die Triebe, Jesus ist der Weinstock. Wenn sie in ihm bleiben, dem lebensspendenden Weinstock, und er in ihnen, so leben sie und bringen reiche Frucht — neues Leben. Eine Kette: Jesus ist eins mit dem Vater und hat Teil an seinem Wesen. Die Jünger aber sind eins mit Jesus, dadurch haben auch sie Teil am Wesen des Vaters, obwohl sie es nicht tragen oder fassen könnten. Jesus ist Interface, würde man heute sagen.

„Bleibt in mir und ich in Euch“. Die Jünger sind rein durch das Wort, sie sollen sich dies erhalten und darin wachsen. Im Gleichnis entscheidet der Winzer, welche Reben Frucht bringen und welche nicht. Darin liegt gleichzeitig Warnung und Verheissung. Jesus spricht aus, worin die lebensspendende Einheit besteht, die ihn mit dem Vater verbindet und die Jünger mit ihm. Es ist die Liebe: 

Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch liebe. … Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, auf dass, worum ihr den Vater bittet in meinem Namen, er’s euch gebe. Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt. (Joh 15,12-17)

Ich kenne eine Frau, die seit vielen Jahren an das Ende ihrer Emails drei Worte stellt: Wer liebt, lebt! Den Satz will ich hier weitergeben. Er ist eine Zusammenfassung der Abschiedsreden Jesu.

Die Liebe Gottes sei mit uns und wir in ihr
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 01/2018

… also hatten wir Herzenslust an euch und waren willig, euch mitzuteilen nicht allein das Evangelium Gottes sondern auch unser Leben, darum dass wir euch liebgewonnen haben.
1 Thess 2,8

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Liebe untereinander

Paulus schreibt nach längerer Abwesenheit an die Gemeinde in Thessaloniki, die er selbst gegründet hat. Wegen tumultartiger Auseinandersetzungen konnte er aber seinerzeit nicht lange bleiben. Die gezogene Stelle steht im Einführungsteil, wo er an die Zeit der Gemeindegründung erinnert. Der Vers spricht an, dass in der Gemeinde Liebe zueinander und Offenheit nötig sind —  das Miteinander kann sich nicht auf den Austausch geistlicher Botschaften beschränken.

Vielleicht kann der Vers so auch eine Botschaft für das Neue Jahr sein? 

Zum Tessalonicher-Brief gibt es hier näheres von Wikipedia.

Gute Wünsche uns allen,
Ulf von Kalckreuth

Redaktionelle Anmerkung: An dieser Stelle habe ich eine erste und ursprüngliche Version der Ziehungen eingestellt, als ich nur den Vers selbst mit rudimentären Anmerkungen und Links verschickte. Die seit KW 24/2017 gezogenen Verse habe ich ohne Kommentar ins Netz gestellt. Der darauf folgende Übergang zu größeren und subjektiveren Betrachtungen vollzog sich tastend und allmählich, und für einen sehr kleinen Empfängerkreis. Seit April 2020 stelle ich laufend die Verse und die zugehörigen Betrachtungen ins Netz. Die Bearbeitung und Übernahme der Betrachtungen aus der Zeit seit Anfang 2018 erfolgte sukzessive bis Ende 2020.