Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt, und bis hierher verkündige ich deine Wunder.
Ps 71,17
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Kinder, Kindeskinder und ehemalige Kinder
Psalm 71 betet ein Mensch, der alt geworden ist und sich des Bodens versichern will, auf dem er steht, vielleicht neu versichern muss. Der Betende sei für viele wie ein Zeichen, lesen wir. Er ist Tempelmusiker, und diese waren in der ältesten Zeit den Priestern gleichgestellt. Nun ist da die Angst zu fallen, in der zunehmenden Schwäche den Widersachern ein Opfer zu werden. Er will bauen, worauf er immer gebaut hat: auf Gott den Herrn, starker Held.
Der Vers steht in inniger Beziehung zum folgenden, daher hier beide gemeinsam:
Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt,
und noch jetzt verkündige ich deine Wunder.
Auch im Alter, Gott, verlass mich nicht,
und wenn ich grau werde,
bis ich deine Macht verkündige Kindeskindern
und deine Kraft allen, die noch kommen sollen.
Der Psalmist gelobt Treue — er will nicht aufhören, Gottes Wunder zu verkündigen — und er bittet seinerseits um die Treue Gottes, damit er dies Werk noch bei den Kindeskindern fortsetzen kann. Das ist der Bundesgedanke, einfacher kann man ihn nicht ausdrücken.
Da ist ein Lebenszyklus: Der Betende hat in seiner Jugend empfangen, Gott hat ihn gelehrt, und was er gelernt hat, gibt er nun weiter und will dies auch in Zukunft tun. Scheinbar besteht eine Asymmetrie. Er selbst wurde in seiner Jugend von Gott gelehrt, irgendwie, seine Kinder und Kindeskinder aber erhalten ihr Wissen vermittelt durch ihn, den Psalmisten. Das „irgendwie“ ist entscheidend: man kann sich vorstellen, dass auch das Wissen des Psalmisten durch Menschen vermittelt wurde. Aber von Gott mag es dennoch stammen — ist es denn zufällig, wem wir begegnen und wer Einfluß auf uns hat?
Die zehn Gebote stehen in einer gewissen Ordnung. Die ersten drei beziehen sich auf das Verhältnis zwischen Mensch und Gott, die anderen sieben auf das Verhältnis von Menschen untereinander. Das vierte Gebot — Du sollst Vater und Mutter ehren! — ist eine Art Bindeglied. Ein jüdischer Freund erklärte mir, warum. Wir beziehen unser Wissen über Gott und seine Gebote von den Eltern, und sie stehen daher zwischen uns und dem Schöpfer. Ausserdem, so würde ich ergänzen, sind die Eltern sehr unmittelbar Werkzeug der Schöpfung: Der Mensch ist zunächst einmal nach dem Bild der Eltern geschaffen. Biologisch, sprachlich, mental, sozial, materiell, spirituell. Dieser Umstand erlegt den Eltern große Verantwortung auf und Ökonomen wissen, dass er Quelle großer Ungleichheit, vielleicht auch Ungerechtigkeit sein kann.
Wenn das so ist, mag man sich fragen, warum es kein Gebot für die Eltern gibt, sich um ihre Kinder zu kümmern und ihnen Wissen von Gott und der Welt zu vermitteln. Eine solche Weisung könnte im vierten Gebot selbst angelegt sein: Wenn Gott von den Kindern fordert, die Eltern zu ehren, fordert er gleichzeitig von den Eltern, ihren Kindern festen Grund zu geben. Oder setzt Gott voraus, dass sie das tun, weil es in biblischer Zeit Selbstaufgabe bedeutet hätte, sich nicht um seine Kinder zu kümmern? Oder ehren wir Eltern und Gott gerade dadurch, dass wir den manchmal steinigen Weg mit den Kindern bereitwillig gehen? Der Dienst am Kind als Dienst an Gott? Dann gar als Ausprägung des ersten Gebots? In den beiden Versen oben kann ich das deutlich lesen.
Der Psalmist sieht sich als Empfangender und Gebender zugleich. Und wenn wir richtig zuhören, können wir auch selbst von unseren Kindern lernen. Kennen Sie das Lied Teach your children well? Ich wünsche uns, unseren Eltern und unseren Kindern eine Woche in Gottes Segen,
Ulf von Kalckreuth