Bibelvers der Woche 11/2019

So bessert nun euer Wesen und Wandel und gehorcht der Stimme des HErrn, eures Gottes, so wird den HErrn auch gereuen das Übel, das er wider euch geredet hat.
Jer 26,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Ein Prophet bei der Arbeit

Der Spruch dieser Woche wirkt unauffällig, beinahe langweilig — es ist ja genau das, was „man“ von der Bibel erwartet: Wir mögen uns bessern, damit uns kein Übel widerfahre. 

Spannend, beinahe unerhört, wird der Ausspruch durch den Kontext. Der Sprecher, Jeremia,  ist nämlich des Hochverrats angeklagt: es wird ihm zur Last gelegt, dass er gegen die Stadt geweissagt habe. Er soll sterben. Jeremia antwortet, die Kläger mögen ihr Wesen und Wandel bessern (das ist der gezogene Vers) und im Übrigen mit ihm verfahren, wie ihnen beliebe. Sie sollten dabei aber wissen, dass der HErr es ganz sicher nicht ungestraft ließe, wenn sie ihn töteten, nur weil er den Auftrag des HErrn erfüllt habe. Das war als Argument schwer von der Hand zu weisen. Keiner nämlich hatte Jeremia beschuldigt, sich seine Berufung nur ausgedacht zu haben.

Warum eigentlich nicht? Warum ist das Argument so stark? Ist es denn nicht erstrebenswert, im Namen des HErrn zu sprechen und dabei jedermanns Ohr offen zu finden? Kann die Aussicht auf eine solche herausgehobene Position nicht die innere Bereitschaft stark fördern? 

Wohl kaum. Für die Propheten des AT gibt es meist eine Berufungserzählung, und sie ist oft traumatisch und führt die Berufenen an den Rand ihrer geistigen Gesundheit. Von denjenigen, die über diesen Rand hinausgelangt sind, wissen wir nichts mehr. Fast alle versuchen händeringend, die Berufung abzuwehren. Diese Berufung ist das Ende des Lebens, das sie kennen, mit Familien, mit Freunden — als Propheten müssen sie die Folgen tragen, wenn sie anderen Menschen, sehr mächtigen darunter, Wahrheiten ins Gesicht sagten, um welche diese nicht gebeten haben. Die Klagepsalmen in Jer 11-20 sind sprechend. Jeremia war ein im Wesen zaghafter und zurückhaltender Mann, man nennt ihn den „weinenden Prophet“. Sein Dienst in der Zeit des Zusammenbruchs von Juda führte ihn mehrfach in Todesgefahr und brachte ihn schließlich gar in einer mit Schlamm gefüllten Zisterne im Hof des Königs. 

Aber für diesmal kommt er davon. Es gibt Anwesende, die sich an Micha erinnerten, den König Hiskia in einer vergleichbaren Situation nicht tötete. Der HErr hatte dies seinerzeit zum Anlass genommen, seinen Zorn zu dämpfen. Berichtet wird andererseits auch das Schicksal des Propheten Uria, den König Jojakim bis in das (verbündete) Ägypten hinein verfolgte. Ägypten lieferte ihn aus und der König ließ den Mann mit den unangenehmen Wahrheiten hinrichten. 

Jeder wusste, wie es den Propheten gehen kann. Das machte sie glaubhaft und deshalb für die Autoritäten auch bedrohlich. Kurz gesagt: sie waren gefährlich, weil sie gefährlich lebten. Wie würden wir mit einer solchen Berufung umgehen? Wer nimmt das auf sich? Gibt es darum keine Propheten mehr?

In der Tat: Möge es uns in dieser Woche gelingen, unser Wesen und Wandel ein wenig zu bessern. Und mit unseren Berufungen verantwortlich umzugehen. Was immer diese auch seien, so viele davon gibt es nicht. 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 12/2018

Und als er in den Tempel kam, traten zu ihm, als er lehrte, die Hohenpriester und die Ältesten im Volk und sprachen: Aus was für Macht tust du das? und wer hat dir die Macht gegeben?
Mat 21,23

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Wer bist du?

Die im gezogenen Vers gestellte Frage an Jesus ist völlig berechtigt. Die Hohenpriester und Ältesten, Mitglieder des Sanhedrin, trugen Verantwortung für den Tempel, das kultische Zentrum des Judentums, und Jesus hatte dort am Tag zuvor Aufruhr verursacht: Er hatte die Händler mit Gewalt vertrieben und Wunderheilungen vollbracht, Kinder waren schreiend im Tempel herumgelaufen und hatten gerufen „Hosiannah, dem Sohn Davids“. Nun war er wiederum im Tempel und lehrte das Volk. Woher, also, in wessen Auftrag dies?

Die Antwort konnte für den so Befragten sehr gefährlich werden, wie die spätere Entwicklung zeigt. Handelte er im Auftrag von Menschen, oder gar im eigenen Auftrag, so lag ein Rechtsbruch vor. Wer lehrte und wer nicht, bestimmte der Ältestenrat, deren Mitglieder gerade Rechenschaft forderten — sie würden Jesus ohne weiteres vor die Tür werfen können. Sagte er, er handle im Auftrag Gottes, so war er womöglich weitaus Schlimmeres, ein Aufwiegler, ein Usurpator. 

In einem weiteren Sinne handelt das ganze Neue Testament von dieser Frage: aus welcher Vollmacht tut Jesus das und wer hat ihm die Macht gegeben? Auch die Jünger kannten die Antwort nicht — immer wieder fragen sie. Die Antwort aber ist es, die Christentum und Judentum im Kern voneinander scheidet, das meiste andere ist akzidentell. 

Jesus antwortet nicht direkt, sondern mit einer Gegenfrage: von wem ist die Taufe des Johannes: von Gott oder den Menschen? Das hatte zunächst unmittelbare Relevanz für die zuerst gestellte Frage der Hohenpriester: Jesus Autorität kam ja von Johannes, und damit hängt ihre Natur nun entscheidend davon ab, ob Johannes im Auftrag von Gott oder von anderen Menschen handelte. Gleichzeitig bringt aber Jesus seine Gegenüber mit der Gegenfrage in eine sehr ähnliche Lage wie diejenige, in die sie ihn bringen wollen. Das Volk hielt Johannes für einen großen Propheten — wenn also die Hohenpriester sagten, seine Taufe sei die eines Menschen, dann würde dies Unmut zur Folge haben, vielleicht gar gewalttätigen. Und sagten sie, seine Taufe käme von Gott, müsste Jesus dem nichts mehr hinzufügen. 

Die Hohenpriester und Ältesten denken lange nach und verweigern sich schließlich der Alternative: sie antworten, dass sie es nicht wüssten. Und Jesus verweigert nun die Antwort seinerseits. 

Ein Punktsieg. Ja. Aber was wäre denn die richtige Antwort gewesen? Für einen protestantischen Christen hat das Ausweichmanöver etwas Unbefriedigendes — Martin Luther hat auf dem Reichstag zu Worms in einer sehr vergleichbaren Lage ganz anders geantwortet. Und auch Jan Hus verzichtete auf dem Reichstag zu Konstanz auf Ausflüchte. Es brachte ihm den Tod. Christen glauben, Jesus handelte im Auftrag und als Sohn Gottes und verkündigte Gottes Reich, ein Reich, das mit der Predigt und dem Wirken Jesu seinen Anfang nimmt. Das hätte er hier bekennen können. Aber wäre das die richtige Antwort von Jesus gewesen, an diesem Ort, zu diesem Zeitpunkt?

Später, vor Pilatus, betritt er keine der goldenen Brücken, die dieser ihm baut. Der meisterhaften Parade vor den Hohepriestern lässt sich sicherlich entnehmen, dass er nicht jede Gelegenheit beim Schopf ergreifen wollte, schnell zu Tode zu kommen. Darüber hinaus ist es aber möglich, dass er die Antwort auf die Frage der Hohepriester selbst nicht kannte, wenigstens zu diesem Zeitpunkt nicht — dass die Gegenfrage nicht nur rhetorisch war. Dag Hamarskjöld vertritt in seinem geistlichen Testament die Vorstellung, dass Jesus noch in der Abendmahlsszene als wahrer Mensch die Antwort auf die Frage nach seiner Berufung nicht kannte, nicht kennen konnte, und spürte, dass er sie erst im Tode würde finden können. Ein Tod im Zweifel also…

Ein echter Passionsvers.

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche.
Ulf von Kalckreuth