Bibelvers der Woche 37/2021

Siehe, hier bin ich; antwortet wider mich vor dem HErrn und seinem Gesalbten, ob ich jemandes Ochsen oder Esel genommen habe? ob ich jemand habe Gewalt oder Unrecht getan? ob ich von jemandes Hand ein Geschenk genommen habe und mir die Augen blenden lassen? so will ich’s euch wiedergeben.
1 Sam 12,3

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Vom Segen, gehen zu können

Lesen Sie den Vers ruhig zweimal. Auch ohne die näheren Umstände zu kennen merkt man rasch, dass hier jemand spricht, der sich seiner Stellung vergewissert, der um seine Reputation kämpft, der noch etwas sagen will.

Es ist Samuel. Samuel war nicht nur Prophet, sondern auch Richter (1.Sam 7). In der Zeit vor dem israelitischen Königtum standen Richter über den Stämmen und lösten übergreifende Rechts- oder Machtfragen und organisierten Bündnisse, wenn es Kriege zu führen galt. Sie reisten von Richtplatz zu Richtplatz durch das Land. Die Stämme waren autonom, die Richter waren daher auf freiwillige Kooperation angewiesen. Es hing von den politischen Umständen und den persönlichen Fähigkeiten des Richters ab, ob dies gelang und wenn ja, wie gut. Das Buch Richter dokumentiert, wie chaotisch, gar bürgerkriegsähnlich die inneren Beziehungen sein konnten.

Und Samuel war der letzte Richter. Als er hochbetagt war, versuchte er, das Amt in die Hand seiner Söhne zu legen (1.Sam 8). Doch sie erwiesen sich als unwürdig, sie waren parteiisch, bestechlich und auf den eigenen Vorteil bedacht. Das Volk wies die Söhne Samuels zurück und sagte dem Vater, es sei nun genug, man wolle einen König, und Samuel solle einen beschaffen. Er war nun wieder Richter, mit der Aufgabe, das Amt abzuschaffen! 

Samuel empfand diesen Wunsch als widerwärtig. Nicht nur aus tiefer Kränkung: darüber hinaus stand für Samuel fest, dass nur der Herr selbst König von Israel sein könne. Einen menschlichen König zu verlangen, war Mißtrauen gegen Gott!

Dieser Gott aber verlangt nun, dass Samuel den Willen des Volks tue. Er weist auch an, wer König sein solle: Saul. Samuel folgt. Dann hält er eine Abschiedsrede vor dem Volk. Er weist auf die Implikationen des Königtums hin: die Gefährdung der Beziehung zu Gott und die mögliche Versklavung durch den König. Und bittet das Volk inständig, Gott und seinem Wort die Treue zu bewahren. 

Vorher aber muss er sich die Reputation zurückholen, die seine Söhne ihm genommen haben. Samuel will in diesem Moment maximale Glaubwürdigkeit. „Siehe, hier bin ich“, setzt er ein. Er fragt das Volk, ob durch ihn, Samuel, jemand zu Schaden gekommen sei oder ob jemand Grund habe, etwas von ihm zurückzufordern. Er solle es jetzt tun. Und alle sind sich einig, dass Samuels Integrität ausser Zweifel steht. 

Mit seiner Rede gibt er sein Richteramt ein zweites Mal auf. Alles in Komposition und Duktus signalisiert, dass dieser Abschied endgültig sei. König Saul ist installiert und erringt einen glänzenden Erfolg nach dem anderen, der Wille des Volks und der Wille Gottes sind erfüllt.

Das Erstaunliche ist nun, dass er das Amt bald ein drittes Mal haben wird, wenigstens inoffiziell. Auch Saul erweist sich schliesslich als unwürdig und wieder ist Samuel gefragt: er soll das Königtum Davids vorbereiten.

Das ist eigenartig. Man kann sich denken, dass hier zwei Überlieferungsstränge zusammenstoßen: die Geschichte einer erfolgreichen Staatsgründung durch Saul und die eines glänzenden Königtums Davids, und die Figur Samuels muss die beiden Stränge verbinden und darüber hinaus David legitimieren.

So mag es sein. Ich versuche jedoch stets, die Texte so zu lesen, wie sie geschrieben stehen. Und da sehe ich einen alten, einen sehr alten Mann, der endlich gehen will; in Ehren, als einer, der niemandem etwas schuldig geblieben ist. Zu dem aber die Verantwortung ständig zurückkehrt wie ein schrecklicher Bumerang, fast wie ein Fluch. Bis zu seinem Tod — und darüber hinaus. Noch aus dem Totenreich heraus soll er antworten. In einer Szene wie aus Macbeth lässt Saul in höchster Not den Propheten und Richter durch die Hexe von Endor zitieren, in der Hoffnung auf einen rettenden Hinweis. Den aber gibt es nicht. Der Saul berufen hat, lässt ihn am Ende ganz und gar fallen. Die Tür zum Totenreich schließt sich hinter Samuel, und bald muss Saul ihm folgen. 

Glücklich, wer zur rechten Zeit gehen kann! 

Der Herr schenke uns seinen Frieden in dieser Woche, 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 24/2021

Da rief sie Mose; und sie wandten sich zu ihm, Aaron und alle Obersten der Gemeinde; und er redete mit ihnen.
Ex 34,31

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Allein mit Gott

Niemand vermag Gott, den Herrn, ins Angesicht zu sehen, ohne zu sterben. Die Bibel wiederholt das mehrfach. Der Unterschied zwischen der menschlichen und der göttlichen Sphäre ist so abgrundtief, dass Menschen ihn nicht überbrücken können. 

Selbst Mose nicht. Mose bittet den Herrn, ihn schauen zu dürfen und dieser weist die Bitte zurück. Dabei kommt er ihm entgegen, soweit es möglich ist. Er lässt Mose seine Herrlichkeit spüren, indem er an ihm vorbei geht. Dabei ist Mose getragen und geschützt von Gott und er darf hinter ihm herschauen — aber nicht in sein Angesicht, nicht in seine Totalität.

Die Offenbarung am Horeb war in eine Katastrophe gemündet. Nun aber geht Mose auf den Berg, die zehn Gebote erneut zu empfangen und den Bund zwischen seinem Volk und Gott wieder zu schließen. Er wird zum Grenzgänger zwischen Gottes Welt und der Welt der Menschen. Mehr als jeder andere Mensch vor und nach Jesus lebt er in beiden Welten. Gott beruft ein ganzes Volk, aber der Austausch vollzieht sich in einer Zweierbeziehung mit Mose.

Wie kann Mose damit leben? Und Mensch bleiben, Angehöriger des Volks, das er führt? Er gehörte nie richtig dazu, seine ägyptische Erziehung am Hof des Königs hat ihn den Bausklaven früh entfremdet, Schließlich musste er in die Wüste fliehen, wo er Gott kennenlernte. Nun sind beide am Horeb, Gott und sein Volk, Und Mose dazwischen.

Die Bibel findet ein wunderbares Bild für diese Lage. Das Angesicht des Herrn durfte Mose nicht sehen, aber sein eigenes Angesicht verändert sich jetzt: es geht ein goldener Schein von ihm aus. Vierzig Tage war er bei Gott, und von seiner Herrlichkeit, in deren Nähe er weilte, hat Mose Gesicht einen goldenen Glanz gewonnen, der so intensiv ist, dass die Israeliten nicht hinschauen mögen und fürchten, was sie sehen. 

In diesem Augenblick ist Mose völlig isoliert, allein mit Gott, wenn man so will. Der goldene Glanz, die Zweisamkeit mit Gott, trennt ihn von allen anderen. Wirken kann er so nicht mehr. Das hätte das Ende der Geschichte sein können. Und es wäre ein natürliches, ein zu erwartendes Ende gewesen. 

Aber es gelingt. Das ist der gezogene Vers. Mose ruft die Menschen und gewinnt ihre Zuwendung zurück. Er kann weitergeben, was er empfangen hat. Er verhüllt sein Gesicht mit einer Decke, um seine Mitmenschen zu schonen, gerade so, wie es am Anfang des Kapitels der Herr mit ihm selbst getan hat. Die Decke legt er nur ab, wenn er weiter Zwiesprache hält mit dem Herrn. 

Im Grunde ist dies — überspitzt und ins Maßlose gesteigert — die Situation, in der sich jeder befindet, der seinen Auftrag in der Verkündigung sieht. Je ausschließlicher auf Gott gewandt er diesen Auftrag erfüllt, umso schwerer wird es, die Mitmenschen zu erreichen, und er wird einsam. So muß die Lösung wohl irgendwie aussehen — eine Decke, die man überzieht und ablegt, je nachdem, ob es um den Kontakt mit Gott oder mit den Menschen geht. Eine Art Schutzmaske… 

Die Katholiken schließen in ihre Fürbitten stets die Diener der Kirche ein. Das hat gute Gründe. Ich wünsche uns allen und besonders den Dienern der Kirche eine gute Woche in Gottes Segen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 12/2021

Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.
Mat 10,16

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Von Schafen und Wölfen

Wir stellen uns Jesus gern inmitten seines Gefolges von Jüngern vor. Aber die Evangelien berichten von einer Zeit, in der die Jünger ohne ihren Meister unterwegs waren, selbständig predigten und Wunder wirkten, schon vor Ostern. Im Matthäusevangelium steht die Begebenheit etwas isoliert: die Jünger werden mit einer langen Rede ausgesandt, sind aber in den folgenden Kapiteln weiter bei Jesus,. Von ihrer Rückkehr und ihren Erlebnissen erfährt man nichts. Lukas berichtet von zwei Aussendungen, einmal der Zwölf (Lk 9), ein anderes Mal von 72 Jüngern (Lk 10). Bei der zweiten Aussendung fallen viele der Worte, die wir auch bei Matthäus finden. 

Was Jesus seinen Jüngern in der Aussendungsrede sagt, ist harte Kost — Passionskost. Sie werden Verfolgung erleiden, sagt er ihnen, von ihren nächsten Verwandten verraten, und alle Welt wird sie hassen. Wenn sie vor Gericht gestellt würden, sollten sie sich nicht sorgen, der Heilige Geist werde ihnen eingeben, was zu sagen sei. Wie ernst das gemeint war, konnten die Jünger nicht wissen. Ich muss an Stephanus denken, an seine große Rede und an sein Ende, siehe den BdW 3/2019

Unser Vers stellt eine schwer zu erfüllende Forderung. Sie wird in ein Paradoxon gekleidet, ein Bild mit vier Tieren. Jesu Jünger seien wie Schafe, die unter Wölfen leben müssten. Sie sollen daher listig sein wie Schlangen, aber doch wie Tauben, ganz ohne Falsch. Sie sollen sein, was sie sind, dabei aber ihre Fähigkeiten und ihr Wissen um menschliches Verhalten bestmöglich nutzen. 

Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir ein Held meiner Jugend ein, ein bekennender Atheist übrigens: Michail Sergejewitsch Gorbatschow. Nach einer Bilderbuchkarriere in der KPdSU wurde er Generalsekretär des ZK. Nach zwei rasch verstorbenen Interimsführern wollte die Partei Reformen, aber in Maßen — alles sollte sich ändern, damit alles so bleiben könne, wie es war. Gorbatschows Auftrag war, den Repressionsapparat zu stabilisieren und zukunftsfähig zu machen. Er kannte diesen Apparat genau, konnte sich frei darin bewegen, konnte ihn steuern und für seine Ziel nutzen. Mental war er zu gewaltsamen Lösungen durchaus fähig.

Und — oder besser aber — auf fast magische Weise setzte er Jesu Forderung um. Seine Ziele legte er offen, ohne Falsch wie die Tauben, und wie eine Schlange gelang es ihm, das Wichtigste davon umzusetzen und so lange an der Macht und am Leben zu bleiben, bis der Prozess unumkehrbar war. Ein Wunder in Zeitlupe, vor laufenden Kameras. Das Risiko kannte er, auch sein persönliches. Sechs Jahre nach seinem Amtsantritt war die Gewaltherrschaft in Ost- und Mitteleuropa fast gewaltfrei beendet und die Länder konnten ihren Weg selbst wählen. „Fast“ — denn in Litauen und in Aserbaidschan setzte er die Armee tatsächlich ein und hunderte Menschen starben. 

Gorbatschow war nicht wirklich Schaf im Wolfspelz, eher wohl Leitwolf unter Wölfen, der verstanden hatte, dass Schafe besser leben. Ein Wolf mit einer großen Idee. Der Bezug auf ihn aber mag zeigen, wie schwer die Forderung Jesu ist. Fast eine Quadratur des Kreises: in der Welt leben und überleben mit dem Wissen um die Welt, doch aber dem treu, worum es wirklich geht. Und diese Forderung richtet sich an uns alle, jeden Tag neu. In unserem eigenen Leben und dem unserer Nächsten sind wir die Spitzenpolitiker. Die nötige Kraft aber muss der Herr verleihen.

In zwei Wochen ist Ostern. Der Herr geleite uns durch diese Passionszeit!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 43/2020

Dies sind die Könige des Landes, die Josua schlug und die Kinder Israel, diesseit des Jordans gegen Abend, von Baal-Gad an auf der Ebene beim Berge Libanon bis an das kahle Gebirge, das aufsteigt gen Seir (und Josua gab das Land den Stämmen Israels einzunehmen, einem jeglichen sein Teil,…
Jos 12,7

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Einunddreißig Könige

Das ist ein sehr langer Vers, und der Satz ist noch nicht einmal vollständig. Er erstreckt er sich über fast den ganzen Rest des zwölften Kapitels. Zwei Dinge laufen hier zusammen. Zum einen leitet der Vers eine Art Lebensbilanz Josuas ein: es folgt nämlich eine Liste von nicht weniger als einunddreißig Königen, die Josua im Rahmen der Landnahme für das Volk Israel besiegt hat, beginnend mit dem Kampf um Jericho. Die Liste ist eine Art Inhaltsverzeichnis für das Buch Josua bis Kap. 12. Zum anderen wird im Vers vorweggenommen, was im 13. Kapitel folgt: Josua verteilt nämlich das gewonnene Land an die Stämme der Israeliten. 

Die Bilanz ist beindruckend. Einunddreißig Könige!  Ich habe vor kurzem einen Spiritual wiedergefunden, den ich als Kind im Chor gesungen habe: Little David, play on yo‘ harp — hier ist ein Link zur Version von Kenneth Spencer. Die zweite Strophe lautet:

Oh Josua was the son of Nun,
He never would stop till his work was done!

Aber eigentlich stimmt das gar nicht. Am Ende der Eroberungen ist die Arbeit nicht getan. Kap. 13 beginnt damit, dass Gott aufzählt, was noch alles einzunehmen bleibt; die Liste ist ebenso lang wie die Liste der besiegten Könige. Nun sei aber Josua alt und hochbetagt, und er solle daher das Land verteilen. Das tut Josua: er verteilt Land, das den Israeliten in weiten Teilen gar nicht gehört. 

John Steinbeck erzählt in „Of Mice and Men“ die Geschichte zweier sehr unterschiedlicher Männer, die miteinander als Wanderarbeiter umherziehen, weil sie einen großen gemeinsamen Traum haben: einst sich Land mit Haus, Kühen, Schweinen, Hühnern und Kaninchen zu kaufen und „to live off the fat of the land“. Der Hof ist ständig gegenwärtig. Er hält sie zusammen und sichert ihr seelisches Überleben, auch im tragischen Ende noch, als ein Freund den anderen erschießt.

Die Landverteilung an die Stämme ist Angelpunkt im Alten Testament. Mit der Zuweisung des Raums schafft sie Identität. Auf dem Weg durch die Wüste war die Landverteilung ein Versprechen, um das herum das Volk sich scharte. So blieb es auch nachher lange, bis zur Errichtung des Großreichs durch David und Salomo — für diese Wasserscheide der biblischen Geschichte siehe den BdW 02/2019. Die Nachfolgestaaten aber waren bald bedroht und in ihrer Existenz gefährdet und nacheinander wurden sie ausgelöscht. Da war das versprochene Land zum Bezugspunkt in der Vergangenheit geworden, der aber wiederum Identität für die Zukunft stiften sollte. Die Verfassung Hesekiels für das neue Jerusalem, den künftigen Gottesstaat unter der Führung des Messias, enthält eine neue Verteilung des Lands an die Stämme. So ist das Gelobte Land für die Juden bald Zukunft, bald Vergangenheit und wieder Zukunft, dabei aber immer höchst real, ein wenig wie der Gottessohn für die Christen. 

Was ist unser Bild für das Leben, unser Auftrag vielleicht? Und wohin sind wir gelangt? Am Ende von Josuas Leben stößt in diesem Vers das, was ist, gegen das, was sein soll. Einunddreißig Könige, und es reicht nicht, könnte man sagen. Welchen Sinn haben die Siege, wenn das Land nicht verteilt werden kann? Gott aber sagt: Doch! Es ist gut! Verteile alles!

So endet ein gesegnetes Leben. Und uns allen wünsche ich schon einmal eine gesegnete Woche, 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 13/2020

Und ich fiel vor ihn zu seinen Füßen, ihn anzubeten. Und er sprach zu mir: Siehe zu, tu es nicht! Ich bin dein Mitknecht und deiner Brüder, die das Zeugnis Jesu haben. Bete Gott an! (Das Zeugnis aber Jesu ist der Geist der Weissagung.)
Off 19,10

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Vom Geist der Weissagung

Die Offenbarung des Johannes, und darin eines der letzten Kapitel. Die Welt, wie wir sie kennen, und auch die Bibel selbst, endet in diesen Abschnitten. Nach zwei Wochen Hiob, und mitten im take-off einer Pandemie, hatte ich ein wenig Herzklopfen, als ich nun diesen Vers zog. 

Off 19 ist der Höhepunkts der Agonie der alten Welt: die „Hure Babylon“, das Römische Reich, ist untergegangen und der Anbruch von Gottes Reich wird ausgerufen:

Und ich hörte etwas wie eine Stimme einer großen Schar und wie eine Stimme großer Wasser und wie eine Stimme starker Donner, die sprachen: Halleluja! Denn der Herr, unser Gott, der Allmächtige, hat seine Herrschaft angetreten! Lasst uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben; denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und seine Frau hat sich bereitet. Und es wurde ihr gegeben, sich zu kleiden in Seide, glänzend und rein. – Die Seide aber ist das gerechte Tun der Heiligen. (Off 19, 6-8)

Johannes als Zeuge des Geschehens ist so überwältigt, dass er tut, was ein Jude oder Christ auf gar keinen Fall tun darf: er fällt zu den Füßen des Engels nieder und will ihn anbeten. Der Engel hindert ihn und heißt ihn, Gott anzubeten. Er tut dies schonend, trotz des Verstoßes gegen das erste Gebot, und hebt Johannes dabei auf eine Stufe mit sich selbst: er, der Engel, sei doch Johannes‘ Mitknecht und Mitknecht aller anderen, die den Geist der Weissagung haben — das „Zeugnis Jesu“. Kaum hörbar schwingt mit, dass Johannes sich nicht anstellen solle wie ein Kind, er sei doch schon erwachsen. Der Vers wird ganz am Ende der Bibel, in Off 22,8-9, noch einmal fast wörtlich wiederholt, so wird seine Bedeutung nachhaltig unterstrichen. 

Keiner der Propheten, die in der Bibel zu Wort kommen, erlebt den Geist der Weissagung als befreiend oder erhebend, im Gegenteil, es scheint sich um eine ausgesprochene Last zu handeln. Prophetie scheint uns etwas Unglaubliches, aber der ersten Christenheit war sie eins in einer ganzen Reihe von „Charismen“, die Menschen haben können oder auch nicht, siehe 1. Kor 12,1-11. Durch Prophetie spricht Gott zu uns, und in der Anbetung sprechen wir zu Gott. Das ist eine natürliche Entsprechung. Vielleicht haben wir ihn, diesen Geist der Weissagung, wenn wir die Welt unvermittelt klar erkennen und — nur für wenige Sekunden — die wichtigen Zusammenhänge sehen, in der richtigen Gewichtung. 

Wer aber diesen Geist hat, steht in einem besonderen Dienst, das machen die Worte des Engels klar, und in einer besonderen Verantwortung. In der Wiederholung in Off 22,8-9 wird dies noch deutlicher. Johannes hat eine Aufgabe, er darf sich nicht gehen lassen! 

Ich wünsche uns eine Woche, in der wir die Konturen dessen, was um uns geschieht, klar erkennen und unsere Aufgabe sehen und annehmen. Gottes Segen und sein Geist sei mit uns, 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 07/2020

Denn diese Nacht ist bei mir gestanden der Engel Gottes, des ich bin und dem ich diene,…
Apg 27,23

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017

Orkan, Glaube und Hoffnung

Auf unserer stochastischen Reise durch die Bibel begegnen wir manchen Gestalten immer wieder, so dass sich allmählich ihre Geschichte zusammensetzt. Im BdW 2019 KW 20 haben wir Paulus kurz vor seinem großen Ziel getroffen: Jerusalem. Er wollte dort vermitteln und integrieren, es war aber schon absehbar, dass es böse enden würde. In der Tat: Er wird verklagt und mit dem Tod bedroht. Als es unübersichtlich wird, zieht er den Joker und beruft sich — als römischer Staatsbürger — auf sein Recht, an den Kaiser zu appellieren. Das enthebt ihn der lokalen Justiz: seine Sache muss in Rom verhandelt werden. 

Er ist noch einmal davongekommen. Aber nun beginnt ein weiteres Abenteuer, denn seine Fahrt in Gefangenschaft nach Rom wird mühsam und gefährlich. Schließlich wollen seine Mitreisenden verzweifeln, darunter sowohl Glaubensgenossen wie auch römische Wachleute. Ein tagelang wütender Sturm hat das Schiff steuerlos gemacht. Die Mannschaft wirft alles Schiffsgerät über Bord und versucht dann, sich auf dem Beiboot abzusetzen, was die Soldaten gerade noch verhindern. Mitten im Sturm träumt Paulus – hier ist unser Vers: 

Doch nun ermahne ich euch: Seid unverzagt; denn keiner von euch wird umkommen, nur das Schiff wird untergehen. Denn diese Nacht trat zu mir der Engel des Gottes, dem ich gehöre und dem ich diene, und sprach: Fürchte dich nicht, Paulus, du musst vor den Kaiser gestellt werden; und siehe, Gott hat dir geschenkt alle, die mit dir fahren. 

Und so geschieht es: das Schiff bohrt sich in den Strand der Insel Malta und zerbricht, aber alle Reisenden werden gerettet.

Geradezu tagesaktuell, dieser Vers, angesichts des Orkantiefs gestern Nacht… Viel kann einem da einfallen: die Träumer Josef und Daniel, die ihr Glaube aus Not und Gefangenschaft rettet. Aber auch Jesus auf dem See Genezareth, der den Sturm beinahe verschläft und von seinen Jüngern geweckt wird. Jonas, der Schiffbrüchige im Bauch des Wals. Paulus glaubt an seinen Weg, immer, und an den Schutz des Herrn, dem er gehört, und dem er dient, auch wenn dieser Weg ihn vor ein Gericht führt. Paulus fühlt sich behütet und beschirmt. Auch sehr viel später noch, in seiner Todeszelle: siehe den BdW 49/2018

Noch etwas fällt mir ein: das Engellied von Rabbi Shlomo Carlebach. Er hat es als Nachtlied für seine Tochter geschrieben. Hier ein Link zum Lied, und unten der Text und meine Übersetzung:

Im Namen des Herrn, des Gottes Israels: Michael ist zu meiner Rechten, Gabriel zu meiner Linken, Uriel ist vor mir und Rafael hinter mir, und über meinem Kopf, über meinem Kopf, ist Gottes Gegenwart!בְּשֵׁם הַשֵּׁם אֱלֹהֵי יִשְׂרָאֵל, מִימִינִי מִיכָאֵל, וּמִשְּׂמֹאלִי גַּבְרִיאֵל, וּמִלְּפָנַי אוּרִיאֵל, וּמֵאֲחוֹרַי רְפָאֵל, וְעַל רֹאשִׁי וְעַל רֹאשִׁי שְׁכִינַת אֵל
Bashem Hashem, Shlomo Carlebach

Rundum beschirmt. So wünsche ich es uns für diese Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 01/2020

In der Gegend des Jordans ließ sie der König gießen in dicker Erde, zwischen Sukkoth und Zaredatha.
2.Ch 4,17

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Den Tempel bauen

Die Abschnitte rund um den Vers handeln davon, wie König Salomo den Tempel baut. Er macht es natürlich nicht selbst. Hunderttausende arbeiten zeitweilig daran, wie berichtet wird. Unter anderem werden alle „Fremden“ herangezogen, von mehr als hundertfünfzigtausend wird berichtet, um im Gebirge die Steine für den Tempel zu hauen und nach Jerusalem zu bringen. 

Die Einrichtung des Tempels, Bronzegefäße, Leuchter, der Altar, das „Meer“, in dem die Priester sich wuschen, die Cherubim im Allerheiligsten, und so viel anderes mehr, stand unter der Aufsicht von Hiram aus Tyrus. Diesen Baumeister, Kunsthandwerker und Berater schickte der König von Tyrus seinem Verbündeten Salomo für das große Werk. Der König, gleichfalls Hiram mit Namen, machte das Werk auch durch umfangreiche Lieferungen von kostbaren Hölzern aus dem Libanon möglich. Seine Stellung in der biblischen Erzählung kontrastiert sonderbar stark mit dem, was Jesaja über einen späteren König von Tyrus schreiben wird, siehe den BdW 50/2019. 

Hiram, der Baumeister war nur mütterlicherseits Hebräer, sein Vater kam aus Tyrus. Für die Freimaurer ist Hiram eine Art Heiliger, der besondere Einsichten hatte, und ein besonderer Mensch muss er in der Tat gewesen sein. Das Opfer war Gemeinschaft mit Gott, der Ort dafür war der Jerusalemer Tempel, und um diesen Tempel kreisen die Schriften des Alten Testaments in fast schon obsessiver Weise. Und die Geräte, immer wieder einzeln aufgezählt, wurden geschaffen von einem Ausländer. 

Ich selbst befinde mich gerade laut Google Maps rund 1600 Meter Luftlinie von der goldenen Kuppel des Felsendoms entfernt. Dort stand vermutlich das Allerheiligste des Tempels, mit den zwei großen Cherubim, die Hiram schuf. Der Tempel ist Vergangenheit und doch auch nicht — irgendwie kreist diese Stadt weiter um das Areal. Für Juden ist er als geistiges Objekt höchst präsent, und für Muslime ist der Felsen unter dem Dom der Ort, auf dem die Welt gegründet ist. 

Es ist dies ein schöner Vers für den Beginn des neuen Jahres. Ich habe trotz Internetrecherche nicht verstanden, wozu beim Bronzeguss „dicke Erde“ oder „fester Lehm“ nötig ist. Manche Bibelübersetzungen, so auch die neue Lutherbibel, halten „dicke Erde“ (‚avi ha’adama) gar für einen Ortsnamen. Wie dem auch sei, wer einen Tempel einrichten will, braucht nicht nur Genie und fast unbegrenzte Ressourcen, sondern er muss sein Werk auch gut gründen, in dicker Erde eben. So ungefähr verstehe ich die Wendung.

Ich wünsche uns allen für das kommende Jahr dicke Erde genug, dass wir unsere Aufgaben und unseren Auftrag erfüllen können, was immer diese auch seien, und darin glücklich sind!
Jerusalem, 29. Dezember 2019, Ulf von Kalckreuth

Jerusalem Altstadt, Jahreswende 2019/2920
Jerusalem, Altstadt, Jahreswende 2019/2020

Bibelvers der Woche 52/2019

Ein Knecht aber des Herrn soll nicht zänkisch sein, sondern freundlich gegen jedermann, lehrhaft, der die Bösen tragen kann…
2. Tim 2,24

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Die „Bösen tragen“

Hier ist der letzte BdW in diesem Jahr. Er richtet sich an diejenigen, die Führungsaufgaben in der Gemeinde haben, im weiteren Sinne aber auch an jeden, der geistliche oder weltliche Führung übernimmt: nicht nur Politiker und Manager, auch Eltern, Lehrer und Leiter von Arbeitskreisen.  

Zum besseren Verständnis hier zunächst den vollständigen Satz in der Fassung von 2017: 

Ein Knecht des Herrn aber soll nicht streitsüchtig sein, sondern freundlich gegen jedermann, im Lehren geschickt, einer, der Böses ertragen kann und mit Sanftmut die Widerspenstigen zurechtweist. Vielleicht hilft ihnen Gott zur Umkehr, die Wahrheit zu erkennen und wieder nüchtern zu werden aus der Verstrickung des Teufels, von dem sie gefangen sind, zu tun seinen Willen.

Die Aufforderung enthält drei Elemente: 

  1. Wir sollen das, was wir gelernt und erfahren haben, weitergeben, in Paulus Worten: „lehrhaft“ sein. Unser Wissen und unsere Erfahrungen sind ein Schatz, den Gott uns anvertraut. Wir sollen den rechten Gebrauch davon machen 
  2. Wir sollen freundlich dabei sein, nicht „zänkisch“. Das steht mit Absicht sogar an erster Stelle. Und es ist schwer. Wenn ich von einer Wahrheit überzeugt bin und noch dazu den Auftrag habe, sie weiterzugeben — wie soll ich die Geduld bewahren, wenn andere nicht interessiert sind, nicht zuhören, nicht verstehen, gar spotten? Wie soll ich ruhig bleiben, wenn andere aus guten oder weniger guten Gründen das gerade Gegenteil behaupten?
  3. Das, was uns dennoch an Unwillen entgegenschlägt, sollen wir ertragen und standhaft bleiben. Auch das ist schwer. 

Ein Vers für mich, denke ich. Als ich ihn las, dachte ich nicht zuerst an Führung im Gemeindekontext, sondern an meine Rolle als Vater. „Lehrhaft“ bin ich, sicher, diesen Auftrag habe ich immer ernst genommen. Aber bei den anderen beiden Forderungen sieht es viel schlechter aus. Ich musste auch an meine Arbeit denken. Vor einigen Jahren bin ich an den Forderungen 2 und 3 gescheitert, weil für mich Forderung 1 über allem stand.

Da gibt es Rückkopplungen. Je schlechter es um Forderung 3 bestellt ist, umso schwerer ist Forderung 2 zu erfüllen. Und umgekehrt — je gereizter jemand auftritt, umso eher wird er Reaktionen ernten, die schwer zu verdauen sind. 

Wir müssen unsere Aufgaben ernst nehmen. Und ohne Freundlichkeit, und ohne die Fähigkeit, ungerechte und verletzende Reaktionen anderer zu ertragen, können wir sie nicht erfüllen. Das weiß jeder, der mit Kindern zu tun hat. Warum ist es denn dann so schwer? Wenn wir unfreundlich werden, und wenn wir uns zu leicht verletzen lassen, geht es eigentlich nicht mehr um unsere Aufgabe, sondern um unsere Eigenliebe. Ist sie verletzt, so hindert uns dies an allem anderen. Im Grunde lädt uns also Paulus ein, unsere Eigenliebe zu vergessen und NUR an die Aufgabe zu denken. Denn dann dienen ja die zweite und dritte Forderung der ersten, es gibt keinen Widerspruch und kein Problem! 

Aber ist das denn möglich? Ich selbst bin gescheitert, ich darf das fragen. Auch Paulus hatte seine Probleme. Bei Forderung 2 hilft uns, dass wir uns als Erlöste sehen dürfen. Wir müssen nichts beweisen, wir müssen nicht unbedingt recht behalten, wozu? Und Forderung 3 zu erfüllen ist dann nicht schwer, wenn und solange wir uns als Kinder Gottes sehen und den anderen auch. Und wenn es um das Wort Gottes geht, steht Forderung 1 für „Knechte Gottes“ über allem.  

So kann es gehen, aber man muss stark bleiben. 

So kann man die drei Forderungen auch in anderen Situationen erfüllen. Immer dann jedenfalls, wenn wir ehrlich überzeugt sind, dass die Aufgabe wichtiger ist als unsere Eigenliebe. Stellen wir fest, dass es nicht so ist, können wir uns guten Gewissens einer neuen Aufgabe zuwenden — wir müssen uns nicht allem zur Magd machen!

Es freut mich, dass ich das alte Jahr mit diesem Vers abschließen durfte. Ich wünsche uns eine gute Woche, in der wir freundlich sind zu jedermann und von anderen nichts Böses ertragen müssen. Und mitten darin in dieser Woche liege ein fröhliches Weihnachtsfest für alle! 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 20/2019

Als wir aber solches hörten, baten wir und die desselben Ortes waren, daß er nicht hinauf gen Jerusalem zöge.
Apg 21,12

Hier ist der Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Reise nach Jerusalem

Das ist eines unserer Cluster: Paulus auf der Reise nach Jerusalem, siehe auch die BdW 2018 KW 28 und 2018 KW 30. Die Anbindung an den Mutterboden, die judenchristliche Gemeinschaft mit Zentrum in Jerusalem, war schwach geworden. Paulus lässt in den griechischen Gemeinden für die „Heiligen“ in Jerusalem sammeln und will das Geschenk nach Jerusalem bringen, auf Ausgleich bedacht.

Paulus und seine Gefährten haben Griechenland hinter sich gelassen, sind an Zypern vorbeigefahren und über Tyrus ins Heilige Land nach Caesarea gelangt. Im Hause von Philippus, eines Führers der Christengemeinschaft (der übrigens vier Töchter hatte, „Jungfrauen, die alle prophetisch redeten“) begegnet er einem Propheten. Dieser nimmt Paulus Gürtel, bindet sich die Hände und sagt: „Den Mann, dem der Gürtel gehört, werden die Juden binden und den Heiden überantworten“. Und Paulus’ Gefährten sagen ihm: „Tu‘s nicht!“ — das ist der Vers.

Eines Propheten hätte die Warnung freilich nicht bedurft: Paulus selbst sieht in Apg 20,22ff die Katastrophe kommen, und auch seine Anhänger wussten Bescheid. Es war mit Händen zu greifen: schon in Ephesus und auf der weiteren Schiffsreise ging es um sein Leben. Paulus hatte Nichtjuden zu Anhängern des Gottes der Juden gemacht, in großem Stil, und ihnen gesagt, dass die Torah für sie nicht gelte, weil es im Kern nicht auf das Gesetz ankomme, sondern auf seine Überwindung in Jesus Christus. Eine neue Religion war im Entstehen. Das war schon für Judenchristen sehr schwierig. Für die Ultraorthodoxen“ unter den Juden öffnete Paulus die Heilsgemeinschaft der Juden für Menschen, die nicht dazugehören und gleichzeitig wurde das Gesetz diskreditiert. Und dies durch einen pharisäischen Schriftgelehrten — das war unerträglich!

Hier war also die Verabredung — alles ist vorbereitet, er wird erwartet, führt Geld mit sich und ein wichtiges Anliegen. Aber auch die konkrete Vorahnung der Katastrophe. Treffpunkt Jerusalem: dorthin führte auch die letzte Wanderung Jesu, der ebenfalls wusste, was ihn dort erwartete. Auch an Stephanus mag Paulus gedacht haben, dessen Tod er selbst beigewohnt hatte. War Paulus frei? Hätte er sich zu diesem Zeitpunkt, angesichts der Prophezeiung und der Bitte der Gefährten, für einen Abbruch entscheiden können? Mehrmals vorher ist er Situationen ausgewichen, die lebensgefährlich zu werden drohten. 

Paulus setzt seine Reise nach Jerusalem fort, hinein in ein ungewisses Feld aus Dunkel und Licht; er hält seine Verabredung ein. 

Mir hat der Vers ein wenig geholfen, mit dem BdW der letzten Woche umzugehen. Den Vers zu Paulus zog ich nämlich versehentlich beim Abspeichern des Verses zum Genozid an den Midianitern. Ich dachte kurz daran, Apg 21,12 als alternativen BdW für die KW 19 gelten zu lassen. Als ich mir diesen aber näher betrachtete, verstand ich, dass ich das nicht durfte.

Ich wünsche uns eine Woche, in der wir die Kraft haben, wichtige Verabredungen einzuhalten.
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 18/2019

Und er gab des Tages ein Wunderzeichen und sprach: Das ist das Wunderzeichen, daß solches der HErr geredet hat: Siehe der Altar wird reißen und die Asche verschüttet werden, die darauf ist.
1. Kö 13,3

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Zwei Könige — und dazwischen ein Prophet

Der Vers führt uns zurück in die Frühzeit der geteilten Königreiche. Das sagenhafte Reich Davids und Salomos ist zerbrochen, in ein Nord- und ein Südreich. Im Norden hat sich Jerobeam als König von zehn der zwölf Stämme Israels durchgesetzt. Jerobeam pflegt religiösen Pluralismus. Er errichtet Heiligtümer in Bet-El und Dan, auf denen nicht (nur) dem Herrn geopfert wird. Der Baalskult wird gefördert, Opferstätten auf den Höhen eingerichtet, auf denen nicht-levitische Priester dienen und alternative Opferfeste werden eingeführt. In der Kultstätte von Bet-El bringt der König selbst Brandopfer dar. 

Ein namenloser Prophet kommt des Wegs nach Bet-El. Während der König am Altar steht, verkündet der Prophet, dass dereinst ein König namens Josia kommen werde, der die Priester der Höhen schlachten und ihr Fleisch auf diesem Altar verbrennen werde. Er kündigt zur Bekräftigung ein Wunderzeichen an — an dieser Stelle hat der gezogene Vers seinen Platz. Der König will den Propheten ergreifen lassen, doch sein Arm erstarrt in ausgestreckter Haltung. Dann geschieht das angekündigte Wunder: der Altar birst und die Asche wird zerstreut. Jerobeam braucht die Hilfe des Propheten, um seinen Arm wieder bewegen zu können. Zum Dank will er dem Propheten ein Geschenk machen, doch dieser lehnt ab — er habe den Auftrag, nicht zu verweilen, kein Wasser zu trinken und kein Brot zu essen. 

Ein alter Prophet kommt herzu und sagt, auch er sei Prophet und er habe vom Herrn den Auftrag, den jungen Propheten zu bewirten. Dieser bleibt und folgt der Einladung. Auf seiner Weiterreise wird er von einem Löwen getötet. Der alte Prophet, der den jungen verführt und ins Unglück gestürzt hat, ist tief traurig, und er stellt seine eigene Grabstätte zur Verfügung. In 2.Kö 23 wird berichtet, wie drei Jahrhunderte später Josia, König des Südreichs, dafür sorgt, dass dies Grab des namenlosen Propheten vor der Vernichtung gerettet wird, als er, ganz wie prophezeit, die Kultstätten zerstören und die illegitimen Priester des Nordens auf dem Altar schlachten lässt.

Harte Kost– nicht nur wegen der robusten Missionierungsstrategie Josias. Der junge Prophet greift König Jerobeam am Altar öffentlich an, im Auftrag des Herrn. Eigentlich verwirkt er damit sein Leben, doch ein Wunder bewahrt ihn. Er verliert sein Leben dennoch, als er entgegen der Weisung einer gut gemeinten Einladung folgt. Der erste Teil der Geschichte erinnert an Elijas Kampf mit den Baalspriestern, der zweite an Moses Strafe für seinen Ungehorsam am Haderwasser. Der Wortlaut der Prophezeiung wirft Fragen auf. Josia war der große religiöse Reformer des Südreichs gegen Ende der Königszeit. Unter ihm fanden umfangreiche Redaktionsarbeiten an den Schriften statt; das Alte Testament, wie wir es kennen, begann damals Gestalt anzunehmen. Wenn nun sein Name am Anfang des 1. Königsbuchs in einer Prophezeiung auftaucht, mag es mit diesen Redaktionsarbeiten zu tun haben. Aber die sperrige Geschichte vom namenlosen Propheten und dem gespaltenen Altar ist alt. Hätten Josias Redakteure die Geschichte erfunden, wie könnten sie den Propheten für seinen Ungehorsam sterben lassen?

So spielt nun diese eigenartige Geschichte gleichermaßen am Anfang der Königszeit und dreihundert Jahre später an ihrem Ende, vermittelt durch einen steinernen Altar und einen namenlosen Propheten, der in beiden Zeiten zugleich lebt. Wie der Altar, so zerbricht auch der Prophet. Oft sehnen gläubige Menschen sich nach klaren Zeichen. Für solche unzweideutige Klarheit mag der sich spaltende Altar im gezogenen Vers exemplarisch sein. Aber allzu klare Zeichen und Anweisungen lassen keine Spielräume. Denn das ist begriffsnotwendig: Wenn der uneingeschränkte Herrscher des Universums eine Anweisung gibt, personalisiert und unmissverständlich, dann kann man sie nicht missachten. Propheten sind, kurz gesagt, Menschen, denen Klartext zugemutet wird. Das tut ihnen durchaus nicht „gut“: Die großen Propheten Jeremia, Hesekiel, Jona, Micha, Elia, Johannes führen ein Leben an der Grenze des Erträglichen, wie am Ende auch Jesus. Mit wieviel Klarheit können wir eigentlich leben? Die Geschichte vom Baum der Erkenntnis — kann denn Unwissen am Ende auch Gnade sein? 

Ich wünsche uns eine gute Woche, mit Wissen und Unwissen an den rechten Stellen,
Ulf von Kalckreuth