Bibelvers der Woche 10/2024

Die Wege des HErrn sind eitel Güte und Wahrheit denen, die seinen Bund und seine Zeugnisse halten.
Ps 25,10

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Eine Zusammenfassung der Bibel…

Wenn ich eine Zusammenfassung der Bibel in einem einzigen Satz geben müsste — es wäre vielleicht dieser Vers. Wenn wir ihn lesen und nochmals lesen, steht dort folgendes: 

  1. Der Herr und die Seinen haben einen Bund
  2. Gott hält den Bund.
  3. Wer den Bund seinerseits hält, dem ist Gott treu. Er erfährt Güte und Wahrheit — für Wahrheit (‚emet) kann hier auch ‚Treue‘ übersetzt werden. 
  4. Den Bund halten bedeutet Gottes Wort achten. 

Gott ist mit uns, wenn wir uns in ihm bergen. Ja, darauf kann man ein Leben bauen. Was indes geschieht mit jenen, die Gottes Wort nicht achten? Verlieren sie (nur) Gottes Schutz oder werden sie aktiv bestraft? Ist beides ein und dasselbe?

Da ist noch etwas. Die einfache und tröstende Zusicherung, dass Gott denen treu ist, die ihm treu sind, kann man auch umdrehen: wem es schlecht geht, der hat sich ausserhalb Gottes Bund gestellt. Man nennt dies den Zusammenhang von Tun und Ergehen. 

Es ist lieblos, fast grausam, in dieser Weise auf das Leid anderer Menschen zu blicken. Das ganze Buch Hiob setzt sich damit auseinander. Aber selbst das Erlösungswerk Jesu nimmt diese Spannung nicht aus der Welt, denn auch den „neuen Bund“ müssen wir halten, wenn wir darin geborgen sein wollen. 

Was bedeutet Leid? Ich weiß die Antwort nicht. Persönlich bin ich überzeugt, dass die Wege Gottes auch durch Leid führen. Sie führen hindurch, das ist es vielleicht. Was mich selbst betrifft, so sehe ich immer wieder, dass Gott mit mir ist, auf wunderbare Weise manchmal, auch und manchmal sogar gerade wenn meine eigene Treue recht eingeschränkt ist. Das Leid anderer kann ich mit dieser Brille nicht lesen. Es steht mir nicht zu. Meine Aufgabe ist, in Liebe zu tun, was ich tue.

Lesen Sie den Vers noch einmal. Gott ist mit uns, wenn wir uns in ihm bergen.

Der Herr segne und behüte uns
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 09/2024

Und Saul rief und alles Volk, das mit ihm war, und sie kamen zum Streit; und siehe, da ging eines jeglichen Schwert wider den andern und war ein sehr großes Getümmel.
1 Sam 14,20

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Pflugscharen zu Schwertern

Wenn man Josua liest, bekommt man den Eindruck, die Landnahme sei ein einziger Siegeszug gewesen und am Ende habe Israel das Gelobte Land vollständig eingenommen — bis auf kleine und unbedeutende Taschen, in denen Kanaaniter und Philister sich halten konnten.

Im Buch Samuel sehen wir, dass es eher umgekehrt war. Im judäischen Land, gab es Eigenständigkeit für die Israeliten nur in kleinen Taschen. Im Großen herrschten die Philister. Sie hatten mächtige Städte an der Mittelmeerküste gegründet, trieben Handel mit der bekannten Welt und — das ist sehr wichtig — beherrschten die Gewinnung und Verarbeitung von Eisen. Dieses Metall und die Waffen, die man daraus erstellen konnte, waren die Atombombe des ausgehenden zweiten Jahrtausends. Die Zeit heißt Eisenzeit aus dem selben Grund, warum wir die Zeit nach 1945 als Atomzeitalter bezeichnen. 

Der Text um unseren Vers herum weicht Brüche auf und er ist nicht leicht zu lesen. Wir sehen die folgende Grundsituation. 

  1. Auf Seiten der Israeliten besteht eine große demographische Überlegenheit — sie können potentiell 600000 kriegstaugliche Männer ins Feld schicken.  
  2. Sauls Armee ist völlig unbedeutend und besteht aus 600 Mann. Saul ist zwar König, aber sein Königtum ist noch eher ein Versprechen. 
  3. Lokal dominieren überall die Bereitschaftskräfte der Philister. Im Text sind sie als „Wachen“ bezeichnet, Sie sind stationiert in festungsartigen, strategisch wichtigen Positionen. Ihre Anwesenheit und Bewaffnung verhinderte, dass sich militärisch relevante gegnerische Konzentrationen überhaupt formieren konnten. 

Hier schwebt ein großes und nicht realisiertes Potential. Wie kann — unter den Bedingungen von 2) und 3) — die mit 1) gegebene Überlegenheit zur Geltung kommen? In der Kolonialzeit standen viele Völker vor demselben Problem 

Zu Beginn der Handlung herrscht eine Art Frieden zwischen Philistern und Israeliten, auf der Basis gefestigter Hegemonie. Um ihre Überlegenheit abzusichern, hatten die Philister den Israeliten verboten, selbst Eisen herzustellen oder zu bearbeiten. Selbst Pflugscharen mussten bei den Philistern gekauft werden. Waffen aus Eisen waren verboten. Im ganzen kleinen Heer Sauls verfügte nur sein Sohn, Jonathan, über solche Waffen.

Das vierzehnte Kapitel im ersten Samuelbuch beschreibt etwas, das man heute als Kaskade bezeichnet. Mit einem eigentlich unmöglichen Ereignis hebt Jonathan die durch 3) gegebene Überlegenheit lokal auf. Nur von einem Schwertträger begleitet klettert Jonathan eine Felswand hoch, mit Händen und Füßen, unter Hohn und Spott der Bereitschaftskräfte der Philister. Sie erwarten ihn oben, um ihn dort niederzumachen,. Sie wollen einen Schaukampf zum Vergnügen. Aber es kommt anders. Jonathan und sein Schwertträger greifen die Garnison an und machen viele der Soldaten nieder. Die kleine Streitmacht von Saul wird dieses Vorgangs gewahr — sehr spät, aber noch rechtzeitig genug, um in das Getümmel einzugreifen und den Kampf in einen Sieg für die Israeliten zu verwandeln.

Diesen Augenblick greift unser der Vers der Woche ab. Fast aus dem Nichts heraus nimmt von hier aus die Geschichte einen neuen Lauf. Denn nun sind auf einmal viele Israeliten da, die sich Saul und seiner kleinen Kerntruppe anschließen, darunter auch solche, die es vorher mit den Philistern gehalten haben. Saul nutzt die Gelegenheit, fordert von seinen Männern das Letzte und bringt schnell ein großes Gebiet unter seine Kontrolle. Auf dieser Basis kann er nun für sein Volk einen richtigen Krieg gegen die Philister führen.

Eine Kaskade, fast wie der Urknall. Nach Auffassung von Kosmologen könnte der Ausgangspunkt dieses Urknalls eine Quantenfluktuation im Nichts gewesen sein. In einem Nichts freilich, das nicht wirklich „nichts“ war, sondern ein unermesslich großes Potential. 

Wie passt das in unsere Welt? Die ukrainischen Männer fallen mir ein, die sich vor zwei Jahren ohne jede erkennbare Erfolgsaussichten Putins hochgerüsteten Invasionstruppen entgegenstellten. Und es weiterhin tun. Und Nawalnyj! Vielleicht war dies Nawalnyjs Traum, der Grund, warum er sich freiwillig in die Gewalt seiner mörderischen Häscher begab. Kristallisationskern wollte er sein, wie Jonathan. Wir werden sehen, ob es gelingt. 

Ich schreibe dies im Zug von Frankfurt nach Hamburg. Und da fällt mir plötzlich etwas drittes ein: die Konferenz, zu der ich fahre, und die ich mit anderen gemeinsam organisiert habe. Eine Konferenz, die Menschen aus ganz verschiedenen Umfeldern dazu bringen soll, eine gemeinsame Sprache zu sprechen und ein wichtiges gemeinsames Ziel zu erreichen. 

Ob wir nun religiös sind oder nicht, eins wissen wir ja alle: Schöpfung aus dem Nichts ist möglich!

Der Herr segne und behüte uns
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 08/2024

Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser wird gesetzt zu einem Fall und Auferstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird…
Luk 2,34

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Ecce homo

Ich mußte meine Betrachtung zu diesem Vers heute neu schreiben. Während des Tags erreichte mich gestern die Nachricht, dass Alexej Nawalnyj in einem russischen Straflager gestorben ist. Alexej Nawalnyj, der fest an ein besseres Russland glaubte und die Menschen seines Landes aufrief, gegen Putins Terror aufzustehen und an diesem Russland zu arbeiten, ist tot.  

So weit sollte es eigentlich schon vor dreieinhalb Jahren sein. Im August 2020 brach er auf einem Flug von Sibirien nach Moskau zusammen. Nach einer Notlandung und einer ersten Behandlung in Omsk gelangte er in die Berliner Charité. Dort wurde eine Vergiftung mit einem Nervenkampfstoff der Nowitschok-Gruppe diagnostiziert. Statt im einigermaßen sicheren Westen zu bleiben — wirklich sicher war er nicht, der FSB mordet auch im Ausland — kehrte er nach Russland zurück, nach Moskau. Am Flughafen schon wurde er verhaftet. Seither, bis zu seinem Tod gestern, lebte er in Gefängnissen und Straflagern, oft in Isolation und Folter. Aber vergessen ist er nicht, und auch nach seinem Tod noch weckt er Mut.

Dabei war er sicherlich kein Mann nach dem Bild des bundesdeutschen Zeitgeists. Sich selbst bezeichnete er als „nationalistischen Demokraten“, und das trifft es, in beiden Teilen des Ausdrucks. 

Was hat dies mit dem Bibelvers der Woche zu tun?

Jesu Eltern brachten ihr Kind kurz nach der Geburt in den Tempel. Nach jüdischer Vorstellung waren erstgeborene Knaben in besonderer Weise Eigentum des Herrn. Das Leben dieser Kinder gehörte Gott und wurde mit einem Opfer im Tempel ausgelöst. Simeon, ein frommer Mann, wird an der Schwelle des Todes Seher: er erkennt Jesus, dankt Gott, dass er ihn diese Stunde erleben läßt, und gibt eine eigentümliche, visionäre Zusammenfassung von Jesu Leben. Dabei spricht er Maria an. Hier ist der Vers im Zusammenhang: 

Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wirdauch durch deine Seele wird ein Schwert dringen –, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.

An Jesus werden sich die Geister scheiden — er ist ein Zeichen, dem widersprochen wird. Die einen fallen, andere stehen auf, ein Schwert wird ins Herz Mariens dringen. Und am Streit um Jesus wird das Innere der Menschen offenbar. Wie eine Art Lackmustest für das, was sonst unsichtbar bliebe. 

Was Lukas damit meint, wird elf Kapitel weiter hinten im Text klarer. Jesus spricht harte Worte (Luk 12,49-53): 

Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen; was wollte ich lieber, als dass es schon brennte! Aber ich muss mich taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis sie vollbracht ist! Meint ihr, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht. Denn von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein, drei gegen zwei und zwei gegen drei. Es wird der Vater gegen den Sohn sein und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.

Man muss das zweimal lesen. Das ist nicht das herze Jesulein, das wir so gern sehen und gut zu kennen meinen. Hier geht es um elementare Wahrheiten, und da bleibt Streit nicht aus. Sie ist eben nicht zu haben, die Wahrheit, ohne Streit, und die letzte Wahrheit schon gar nicht. 

Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um ihn und seine Lehre ging Jesus vom einigermaßen sicheren Norden des jüdischen Landes schutzlos nach Jerusalem, dem Zentrum der Macht seiner Gegner, geradewegs in den Tempel, um dort zu predigen. Nawalnyj war gläubiger Christ. Einen Vergleich mit Jesus hätte er abgelehnt. Aber auch er hat sich für seine Welt, seine Gemeinschaft und das Gute darin freiwillig in die Gewalt seiner Feinde gegeben. ‚If they decide to kill me, it means that we are incredibly strong‘ sagte er. Er wusste, was er tat, und er tat es, weil er es wusste.  

Ecce homo. 

Der Herr behüte uns in dieser Woche
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 07/2024

…und die Leviten und die Sänger alle, Asaph, Heman und Jedithun und ihre Kinder und Brüder, angezogen mit feiner Leinwand, standen gegen Morgen des Altars mit Zimbeln, Psaltern und Harfen, und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Drommeten bliesen;
2 Chr 5,12

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gottesdienst

Der Tempel wird eröffnet. Jahrzehntelang wurde gebaut, und viel länger noch, schon unter David, wurde der Bau vorbereitet. Alles treibt seit langem auf diesen Höhepunkt zu. 

Zu mir spricht dieser Vers sehr direkt, fast wie eine Antwort. In der letzten Woche endete ich mit der Vorstellung, dass die vom Volk erbetene und von Gott gewährte Mittlerrolle Mose geteilte und kollektive Gotteserfahrungen nicht mehr vorsieht — der Austausch mit der Gottheit vollziehe sich nun über berufene Mittelsmänner. Große theokratische Strukturen sind die Folge. Als Beispiel für eine Wende, einen Ausbruch habe ich das Pfingstereignis erwähnt. 

Aber etwas anderes noch vermittelt seit viertausend Jahre Glaubenden geteilte Erfahrung mit Gott: der Gottesdienst, mit Gebeten und Gesängen. Auch dafür steht ja die Einweihung des Tempels: für regelmäßigen, d.h. Regeln folgenden Gottesdienst einer großen Vielzahl von Menschen. Jeder Mann sollte dreimal im Jahr zu den hohen Festen den Tempel besuchen und dort seinen Dienst an Gott verrichten. Dieser Dienst war vor allem Opfer, und es gab keine Predigten im heutigen Sinne. Aber da war schon vieles, was es heute noch gibt: Psalmgesänge, Gebete, Lobpreis. 

Und wie heute waren Gottesdienste Raumzeiten gemeinsamen Erlebens. Für mich selbst ist dies sehr oft mit Musik verbunden, Musik der verschiedensten Art. Und als ich las, wie Asaf, Heman, Jeditun und alle Tempelsänger zur Eröffnung des Tempels ihre Stimme erhoben, unterstützt von 120 Priestern, die Trompete bliesen wie ein Mann, alle angetan in feinstes Leinen — da sah ich es nicht nur vor mir, sondern ich hörte es auch ein wenig, und ich wusste, woran ich in der vergangenen Woche nicht gedacht hatte. 

Hier Psalm 150, der den Psalter beschließt: 

Hallelujah! Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Macht! 
Lobet ihn für seine Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit! 
Lobet ihn mit Posaunen, lobet ihn mit Psalter und Harfen! 
Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Pfeifen! 
Lobet ihn mit hellen Zimbeln, lobet ihn mit klingenden Zimbeln! 
Alles, was Odem hat, lobe den HERRN! Hallelujah!

Der Herr segne und behüte uns
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 06/2024

Da aber der HErr eure Worte hörte, die ihr mit mir redetet, sprach er zu mir: Ich habe gehört die Worte dieses Volks, die sie dir geredet haben; es ist alles gut, was sie geredet haben.
Dtn 5,28

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Trennung

Noch einmal Deuteronomium — zum vierten Mal hintereinander. Ich spare mir, Ihnen vorzurechnen, wie wahrscheinlich dies Ereignis a priori ist. Geübte Leser dieses Blogs wissen, wie es geht. Die Wahrscheinlichkeit ist ähnlich hoch wie diejenige, dass beim Roulette die Kugel viermal nacheinander auf dieselbe Zahl fällt…!

Diese Wiederkehr fordert mich indes auf, weiterzuerzählen, gibt mir die Gelegenheit dazu. In der vergangenen Woche lasen wir, dass die Israeliten dem Gesetz zwei Stelen bauten. Ich schlug vor, dass es sich dabei um die Zehn Gebote gehandelt haben könnte und stellte die Gebote ins Netz, in Deutsch und Hebräisch. Der hier gezogene Vers nun erzählt, wie es weiterging, unmittelbar nachdem das Volk die Zehn Gebote von Gott empfangen hatte.

Die Israeliten hatten Gottes Worte selbst gehört, er hatte ihnen die Zehn Gebote mit eigener Stimme vom Berg Sinai herab verkündet und erst dann dem Mose Steintafeln gegeben, auf denen sie geschrieben standen. Gottes Wort dröhnte in den Ohren aller, die am Vulkan standen, jeder hatte dasselbe gehört. Epiphanie. Gott tritt in Erscheinung durch sein Gebot. Geteilte Wirklichkeit ist echte Wirklichkeit. Die Ältesten des Volks waren in tiefer Angst — sie wussten, dass sterben muss, wer Gott sieht, und sie meinten, dass auch Gottes furchtbare Stimme sie das Leben kosten könne. Sie verlangten von Mose, er solle stellvertretend für alle mit diesem schrecklichen Gott sprechen, sie würden dann tun, was Gott von ihnen verlange.

Und Gott ist einverstanden.

In dieser logischen Sekunde passiert es. Gerade vorher noch hatte das ganze Volk unmittelbaren Zugang zu Gottes Wort. Nie waren Gott und sein Volk einander näher; so wie Materie und Energie eins waren nach dem Urknall. Jetzt aber sind sie getrennt: nur Mose, der Erzprophet, besitzt den Zugang noch und die anderen sind darauf angewiesen, dass dieser sie unterweist und ihnen Gottes Willen auslegt. Die vom Volk geforderte Mittlerrolle Mose wird gewissermaßen zum Zusatzartikel des Bundes.

Geteilte unmittelbare Erfahrung mit Gott gibt es nun nicht mehr. Der direkte Austausch mit Gott obliegt den Propheten. Seinen Bruder Aaron macht Mose zum Priester — er und nach ihm seine Söhne versehen die Opferhandlungen. Wenig später gibt es die Stiftshütte als beweglicher Tempel, der die Gesetzestafeln beherbergt. Zur Zeit Jesus dann gibt es um den Tempel herum eine mächtige Hierarchie, mit dem Hohepriester und dem Sanhedrin an der Spitze einer streng gegliederten Struktur, und Schriftgelehrte umkreisen diesen Planeten wie Satelliten. Nicht ganz unähnlich der katholischen Kirche.

Im Neuen Testament finden wir einen anderen Moment geteilter, kollektiver Gotteserfahrung mit Gründungscharakter: das erste Pfingstfest, Schawu’ot nach Kreuzigung und Auferstehung. Dort tritt Gott ganz anders in Erscheinung, als Heiliger Geist, nicht als Gesetzgeber. Nicht dem ganzen Volk, aber den Hörern der Predigt.

Wieviel echten Austausch mit Gott verträgt der Mensch, wieviel Vermittlung braucht er, und wie hält man die Macht in Grenzen, die bei den Vermittlern zu liegen kommt? Seit der logischen Sekunde am Sinai sind die Fragen in der Welt.

Der Herr helfe uns zur rechten Mischung,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 05/2024

Und sollst Dankopfer opfern und daselbst essen und fröhlich sein vor dem HErrn, deinem Gott.
Dtn 27,7

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Party für das Gesetz

Noch einmal Deuteronomium, zum dritten Male hintereinander. Meine Tochter sagt, das sei ein Zeichen, ich solle das Buch nun ganz lesen. Das habe ich nicht geschafft in dieser Woche, aber vielleicht können wir ja das Buch als Ganzes ins Auge fassen. Es kreist um das (mosaische) Gesetz. Das Buch ist eine Art Zusammenfassung des zweiten, dritten und vierten Buchs Mose, einheitlich gefasst als drei Reden Mose, die er am Ufer des Jordan hält, kurz bevor das Volk den Sprung ins unbekannte verheissene Land wagt, kurz auch vor seinem eigenen Tod. 

Wie soll mit dem Gesetz umgegangen werden, nachdem es nun vorliegt? Die Abschnitte geben drei konkrete Anweisungen. Erstens: Nach der Landnahme sollen zwei Stelen aufgestellt werden, mit Kalk getüncht, auf denen das Gesetz zu lesen ist, Wort für Wort. Zweitens: Sechs Stämme stellen sich auf dem Berg Ebal (bei Sichem, heute Nablus) und sprechen Verfluchungen. Auf dem benachbarten Garizim stehen sechs andere Stämme und sprechen Segensworte. Ganz wie in Dtn 28: Fluch für das Volk, wenn es die Gebote mißachtet, Segen, wenn es sie einhält. Das Gesetz wird hier konkreter Ausdruck des Bundes zwischen Gott und den Menschen. Das ist die Botschaft des Deuteronomiums. Haltet den Bund fest, so hält Gott an euch fest — und das gelingt, indem ihr das Gesetz haltet, das Gott euch gibt zu diesem Zweck. 

Das ist die Theologie des Deuteronomiums. Dafür wird das Buch geschmäht von liberalen christlichen Theologen, aber ohne diese Theologie — und die vielen Antworten, die es darauf gibt — sind Christentum und Judentum schlicht unverständlich.

Die dritte Anweisung gibt unser Vers: Gottes Volk soll auf dem Ebal einen Altar bauen und Dankopfer bringen und essen und fröhlich sein. Das ist eine sehr merkwürdige Vorstellung für uns. Party für das Gesetz!? Wer empfindet Freude an der Straßenverkehrsordnung, an der Steuergesetzgebung oder am bürgerlichen Recht? 

So ist es aber gemeint. Gottes Gesetz wird Grund zur Freude und zur Feier. Es ist ein Anker, eine Landkarte für den Bund. Im Judentum gibt es ein Fest, Simchat Torah, das Fest der Torahfreude, wo große Freude nicht nur erlaubt ist, sondern den eigentlichen Kern ausmacht. Simchat Torah schließt die Reihe der hohen Feiertage im Herbst ab. 

Zurück zu den Stelen. Was soll darauf geschrieben werden, welches Gesetz ist gemeint? Das Deuterononomium als Ganzes ist gewiss zu voluminös. Die zwei Stelen erinnern sehr an die beiden Steinplatten, auf die Gott selbst die zehn Gebote schrieb, den Kern des mosaischen Gesetzes. Diese Tafeln wurden aufbewahrt in der Bundeslade, die später im Allerheiligsten des Tempels stand, als Ausdruck und physische Manifestation des Bundes zwischen Gott und der Menschen.

Stelen des 21. Jahrhunderts sind die Webseiten im Internet — dort wird geistige Realität geschaffen und auch vernichtet. Vielleicht ist es daher angebracht, wenn der Betreiber eines Blogs zur Bibel den zehn Geboten eine kleine Stele errichtet, oder besser: zwei. Am Ende eines langen Jahres hatte ich die zehn Gebote schon einmal ins Netz gestellt. siehe den BdW 53/2020. Hier sind sie wieder, diesmal gemeinsam mit dem hebräischen Original, in der Fassung Dtn 5,6-21.

Ein Schlüssel für den Bund mit Gott. Grund zur Freude! 

Der Segen des Herrn sei mit uns,
Ulf von Kalckreuth

Deutsch, Lutherbibel 1984, Dtn 5,6-21Hebräisch
6Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft. ו  אָנֹכִי יְהוָה אֱלֹהֶיךָ, אֲשֶׁר הוֹצֵאתִיךָ מֵאֶרֶץ מִצְרַיִם מִבֵּית עֲבָדִים: 
7Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.לֹא-יִהְיֶה לְךָ אֱלֹהִים אֲחֵרִים, עַל-פָּנָי.
8Du sollst dir kein Bildnis machen in irgendeiner Gestalt, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.ז  לֹא-תַעֲשֶׂה לְךָ פֶסֶל, כָּל-תְּמוּנָה, אֲשֶׁר בַּשָּׁמַיִם מִמַּעַל, וַאֲשֶׁר בָּאָרֶץ מִתָּחַת–וַאֲשֶׁר בַּמַּיִם, מִתַּחַת לָאָרֶץ.
9Du sollst sie nicht anbeten noch ihnen dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, ח  לֹא-תִשְׁתַּחֲוֶה לָהֶם, וְלֹא תָעָבְדֵם:  כִּי אָנֹכִי יְהוָה אֱלֹהֶיךָ, אֵל קַנָּא–פֹּקֵד עֲוֺן אָבוֹת עַל-בָּנִים וְעַל-שִׁלֵּשִׁים וְעַל-רִבֵּעִים, לְשֹׂנְאָי.
10aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.ט  וְעֹשֶׂה חֶסֶד, לַאֲלָפִים–לְאֹהֲבַי, וּלְשֹׁמְרֵי מצותו מִצְוֺתָי.
11Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.י  לֹא תִשָּׂא אֶת-שֵׁם-יְהוָה אֱלֹהֶיךָ, לַשָּׁוְא:  כִּי לֹא יְנַקֶּה יְהוָה, אֵת אֲשֶׁר-יִשָּׂא אֶת-שְׁמוֹ לַשָּׁוְא.
12Den Sabbattag sollst du halten, dass du ihn heiligest, wie dir der Herr, dein Gott, geboten hat. יא  שָׁמוֹר אֶת-יוֹם הַשַּׁבָּת, לְקַדְּשׁוֹ, כַּאֲשֶׁר צִוְּךָ, יְהוָה אֱלֹהֶיךָ.
13Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun.יב  שֵׁשֶׁת יָמִים תַּעֲבֹד, וְעָשִׂיתָ כָּל-מְלַאכְתֶּךָ.
14Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Rind, dein Esel, all dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt, auf dass dein Knecht und deine Magd ruhen gleichwie du. יג  וְיוֹם, הַשְּׁבִיעִי–שַׁבָּת, לַיהוָה אֱלֹהֶיךָ:  לֹא תַעֲשֶׂה כָל-מְלָאכָה אַתָּה וּבִנְךָ-וּבִתֶּךָ וְעַבְדְּךָ-וַאֲמָתֶךָ וְשׁוֹרְךָ וַחֲמֹרְךָ וְכָל-בְּהֶמְתֶּךָ, וְגֵרְךָ אֲשֶׁר בִּשְׁעָרֶיךָ–לְמַעַן יָנוּחַ עַבְדְּךָ וַאֲמָתְךָ, כָּמוֹךָ.
15Denn du sollst daran denken, dass auch du Knecht in Ägyptenland warst und der Herr, dein Gott, dich von dort herausgeführt hat mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm. Darum hat dir der Herr, dein Gott, geboten, dass du den Sabbattag halten sollst.יד  וְזָכַרְתָּ, כִּי עֶבֶד הָיִיתָ בְּאֶרֶץ מִצְרַיִם, וַיֹּצִאֲךָ יְהוָה אֱלֹהֶיךָ מִשָּׁם, בְּיָד חֲזָקָה וּבִזְרֹעַ נְטוּיָה; עַל-כֵּן, צִוְּךָ יְהוָה אֱלֹהֶיךָ, לַעֲשׂוֹת, אֶת-יוֹם הַשַּׁבָּת. 
16Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, wie dir der Herr, dein Gott, geboten hat, auf dass du lange lebest und dir’s wohlgehe in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird.טו  כַּבֵּד אֶת-אָבִיךָ וְאֶת-אִמֶּךָ, כַּאֲשֶׁר צִוְּךָ יְהוָה אֱלֹהֶיךָ–לְמַעַן יַאֲרִיכֻן יָמֶיךָ, וּלְמַעַן יִיטַב לָךְ, עַל הָאֲדָמָה, אֲשֶׁר-יְהוָה אֱלֹהֶיךָ נֹתֵן לָךְ.
17Du sollst nicht töten.טז  לֹא תִרְצָח,
18Du sollst nicht ehebrechen.וְלֹא תִנְאָף; 
19Du sollst nicht stehlen.וְלֹא תִגְנֹב,
20Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.וְלֹא-תַעֲנֶה בְרֵעֲךָ עֵד שָׁוְא. 
21Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, Acker, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was sein ist.וְלֹא תַחְמֹד, אֵשֶׁת רֵעֶךָ; וְלֹא תִתְאַוֶּה בֵּית רֵעֶךָ, שָׂדֵהוּ וְעַבְדּוֹ וַאֲמָתוֹ שׁוֹרוֹ וַחֲמֹרוֹ, וְכֹל, אֲשֶׁר לְרֵעֶךָ.
Der hebräische Text wurde entnommen von der Webseite von Mechon Mamre. Abweichend von der hebräischen Verszählung sind die Zeilen hier der Verszählung in der Lutherbibel angepasst.

Bibelvers der Woche 04/2024

Es ist kein Gott wie der Gott Jesuruns. Der im Himmel sitzt, der sei deine Hilfe, und des Herrlichkeit in Wolken ist.
Dtn 33,26

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Wenn nichts bleibt als ein Segen…

Ein Segensspruch. Mose weiss, dass er sterben muss. Nachdem er Josua als seinen Nachfolger in der militärischen und politischen Führung eingesetzt hat — dazu hatten wir vor wenigen Wochen den BdW 50/2023 gezogen — und mit dem „Lied des Mose“ den Israeliten sein geistliches Testament übergeben hat, ist es nun Zeit, Abschied zu nehmen. Die Söhne Jakobs sind zu Stämmen eines Volks geworden. Und genau wie Jakob am Ende des Buchs Genesis sterbend seine Söhne segnet, ist es nun an Mose, die Stämme Israels zu segnen, jeden einzeln, Stamm für Stamm. Der Segen, den wir gezogen haben, lautet im Ganzen wie folgt (Lutherbibel 1984, Dtn 33,26f):

Es ist kein Gott wie der Gott Jeschuruns, der am Himmel daherfährt dir zur Hilfe und in seiner Hoheit auf den Wolken. Zuflucht ist bei dem alten Gott und unter den ewigen Armen. Er hat vor dir her deinen Feind vertrieben und geboten: Vertilge! 

Wer aber ist Jeschurun, dem dieser Segen gilt? Hier ist der Eintrag im Bibellexikon. Der Name tritt im Alten Testament nur viermal auf. In dreien dieser Fälle verweist er auf das Volk Israel als Ganzes. Hier aber, an dieser Stelle, würde man eigentlich den Namen eines Stammes erwarten. Aber keiner der Söhne Jakobs heißt Jeschurun. Es gibt die Vermutung, dass hier vielleicht ein Segen für eine nicht ursprünglich israelitische Bevölkerungsgruppe eingefügt wurde.

Es ist spannend, die Segnungen am Ende des ersten und des fünften Buchs Mose zu vergleichen, Gen 49 vs. Dtn 33. Es sind im fast dieselben Namen und es ist derselbe Duktus, oft geheimnisvoll und mit Bezügen, die wir nicht mehr verstehen. Manche Segenssprüche in den beiden Texten entsprechen einander, wie die für Asser und Sebulon, andere sind sehr unterschiedlich, am auffälligsten die Sprüche für Levi. Einige Stämme werden von Mose sehr kursorisch behandelt, als seien sie nurmehr eine ferne Erinnerung. Simeon taucht in Moses Abschied gar nicht mehr auf. Der Stamm scheint nur vorübergehende Existenz besessen zu haben, siehe die etwas schwermütige Betrachtung zu BdW 51/2020

Kann es sein, dass der Segen für Jeschurun ursprünglich dem Stamm Simeon galt und nun in der Bibel fortlebt als Segen für Gottes Volk als Ganzes? Was für eine Vorstellung: wenn von Menschen am Ende nichts bleibt als — ein Segen? 

Und der Gott, der im Himmel sitzt, sei unsere Hilfe!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 03/2024

…so sollst du den Mann oder das Weib ausführen, die solches Übel getan haben, zu deinem Tor und sollst sie zu Tode steinigen.
Dtn 17,5

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Einander vor das Stadttor führen…

Der Vers ist kurz und brutal. Es geht um die kultischen Praktiken Kana’ans, die es im Gelobten Land der Israeliten nicht geben soll. Wird ein Israelit abtrünnig und bei götzendienerischen Praktiken beobachtet, so soll die Angelegenheit gründlich geklärt werden. Verhält es sich so, soll der oder die Schuldige vor den Toren der Stadt gesteinigt werden. Es muss dafür mindestens zwei oder drei Zeugen geben, und diese Zeugen sollen die ersten sein, die den Stein werfen. 

Andersgläubige sollst du steinigen!

Eine Entsprechung für diesen Vers bezieht sich auf ganze Städte, die sich auf götzendienerische Abwege begeben. Ihre Einwohner sollen, wenn ihre Schuld feststeht, dem Bann verfallen, also ohne Ausnahme getötet werden: siehe BdW 07/2023 zu Dtn 13,13ff.  

Die Kulte Kana’ans sind verschwunden, die Weisung besitzt keine unmittelbare Relevanz. Aber das mosaische Gesetz ist im Judentum bindend und den Christen dient es zur Orientierung. Die Ideen von Ausschließlichkeit, Reinheit und Todeswürdigkeit sind es, die im Mittelalter massenhafte Hexenverbrennungen möglich machten. Um die Zeitenwende waren es die Anhänger der neuen christlichen Lehre, die gesteinigt wurden, und Jesus selbst entging diesem Schicksal zweimal nur knapp (Lk 4, Joh 8).  Und das Gebot, Abtrünnige zu töten, gibt es auch im Islam.

Einander vor das Stadttor führen…, Ulf von Kalckreuth mit Dall-E, 06.01.2024

Vor etwas mehr als zwei Jahren hatten wir eine andere tödliche Mitzwah als Bibelvers der Woche, und ich habe seinerzeit versucht darzulegen, wie man konstruktiv damit umgehen kann, siehe den BdW 41/2022. Das fällt mir heute schwerer als damals.

Was tun mit diesem Vers? Wir können ihn sehr bewusst zur Kenntnis nehmen. Er erlaubt uns einen Blick in unser gemeinsames abrahamitisches Genom. Das ist nicht schön oder erhebend, aber wertvoll, auch heute. Gerade heute. Denn wenn wir nicht vorsichtig miteinander sind, führen wir einander schnell vor das Stadttor. 

Der Herr sei mit uns!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 02/2024

Von den Engeln spricht er zwar: „Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen”,…
Heb 1,7

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Botschaft im Wind

Es ist einer dieser Verse, in denen ein anderer steckt, wie in einer Matrioschka. Der Autor des Hebräerbriefs will aufzeigen, um wie vieles der Sohn Gottes höher steht als die Engel, und er zitiert dazu Verse aus dem Alten Testament. Im Vers oben stellt er einen Vergleich mit der Art und Weise an, wie ihrerseits die Engel gepriesen werden. Zitiert wird dabei Psalm 104,4. In der Lutherbibel 1984 lautet dieser Psalmvers: 

…der du machst Winde zu deinen Boten 
und Feuerflammen zu deinen Dienern

„Bote“ und Engel“ werden im Hebräischen durch dasselbe Wort wiedergegeben: mal’ach. Im Psalmvers aber werden Winde zu Boten und Flammen zu Dienern gemacht, nicht umgekehrt, wie im Zitat des Hebräerbriefs. 

Aber vielleicht spricht der Psalmvers ja nicht wirklich über Engel, sondern über die Art und Weise, wie Gott zu uns redet. Manchmal durch Erscheinungen in der Natur, Elemente, wie Feuer und Wind. Aber das muss man verstehen wollen. In meiner Frankfurter Gemeinde berichtete vor einigen Jahren eine Frau, wie sie in ihrer Jugend früh an das Ende ihrer Möglichkeiten gekommen war, sich gescheitert fühlte, auch durch eigenes Verschulden, und sich von Gott und den Menschen verlassen sah. Sie stand an einer Bushaltestelle, in der Dämmerung, und wollte nicht mehr leben. Sie sagte, „Gott, wenn es dich gibt, wenn du mich hörst, dann sprich jetzt zu mir!“ Abwesend blickte sie in Richtung einer dünnen Plastiktüte, die an der Bushaltestelle auf dem Boden lag. Dann nahm sie wahr, wie diese Tüte anfing, sich zu bewegen: sie war in einen Luftwirbel geraten und drehte sich, tanzte hin und her, erhob sich in die Luft und legte sich schließlich wieder nieder. Die junge Frau sah, dass Gott sie gehört hatte und verstand die Antwort. 

Diese Kommunikation hatte mit einer Glaubensentscheidung zu tun — stärker noch; sie war durch eine Glaubensentscheidung bedingt. Die junge Frau hätte die tanzende Tüte ebensogut ignorieren oder gar Spott darin sehen können. 

Gott sprechen hören. Ulf von Kalckreuth mit Dall-E, 01-01-2024

Hier ist noch einmal eine Matrioschka: In dieser Geschichte aus Frankfurt spiegelt sich ein ganz alter Bericht, 1 Kö 19,11-13. Als Elia am Ende war und keine Hoffnung mehr hatte, suchte er den Herrn am Horeb und fand ihn nicht: nicht im Sturmwind, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer. Er fand ihn schließlich im Säuseln des Windes. Und wie die junge Frau hätte Elia in diesem Moment die Freiheit besessen, in dem Säuseln nichts zu sehen und zu hören. 

Aber die Begegnung richtete ihn wieder auf und änderte sein Leben, wie das der jungen Frau, von der ich berichtet habe.

Der Herr, der die Winde zu seinen Boten macht und seinen Engeln befohlen hat, uns zu behüten, sei mit uns!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 01/2024

Ihr Narren, meinet ihr, dass es inwendig rein sei, wenn’s auswendig rein ist?
Luk 11,40

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Sehen, worauf es ankommt

Für manche Menschen hat die Entwicklung ihrer Potentiale allergrößte Bedeutung — self development auf neudeutsch. Unsere Möglichkeiten haben wir mitbekommen, als Grundausstattung, sie gehören uns, unveräußerlich. Was wir daraus machen, ist im wesentlichen unsere Sache, und vielleicht ist es wirklich Sünde, die eigenen Möglichkeiten brachliegen und verkommen zu lassen. Die Hoch-zeit für „Self-Developer“ ist Neujahr und die Tage davor — Zeit, Bilanz zu ziehen und Orientierung für die Zukunft zu suchen.

Dabei gilt es zu sehen, worauf es im Kern ankommt, in der jeweiligen Zeit, der jeweiligen Situation. Unsere Ressourcen an Zeit, Kraft und Geistesgaben sind beschränkt und Erfolg können wir nur haben, wenn wir sie effektiv einsetzen. Womit wir bei Jesus sind. Von ihm stammt das Gleichnis mit den Talenten, und im gezogenen Vers mahnt er uns, auf den springenden Punkt zu schauen. 

Weil der Vers in der Fassung von 1912 ungenau übersetzt ist, gebe ich ihn hier aus der Lutherbibel von 1984 wieder, mitsamt dem Kontext. Die anderen großen Übersetzungen bieten ähnliche Fassungen: 

Als er noch redete, bat ihn ein Pharisäer, mit ihm zu essen. Und er ging hinein und setzte sich zu Tisch. Als das der Pharisäer sah, wunderte er sich, dass er sich nicht vor dem Essen gewaschen hatte. Der Herr aber sprach zu ihm: Ihr Pharisäer, ihr haltet die Becher und Schüsseln außen rein; aber euer Inneres ist voll Raub und Bosheit. Ihr Narren, hat nicht der, der das Äußere geschaffen hat, auch das Innere geschaffen? Doch gebt als Almosen von dem, was da ist; siehe, dann ist euch alles rein.

Jesus wirft dem Pharisäer vor, die Form streng zu achten und den Inhalt zu vernachlässigen. Dabei ist er ausgesprochen unhöflich; mit seinen harten Worten schmäht er den Gastgeber. Der Inhalt ist, worauf es in Wahrheit ankommt — von außen ist er nicht sichtbar. Sein statt Schein. Jesus deutet an, worum es geht: im zitierten Text spricht er von tätiger Nächstenliebe, weiter unten dann vom Recht und der Liebe Gottes. Das sind Umrisse, ausfüllen müssen wir sie selbst, mit unserem Leben. 

Wir alle sind Self-Developer, ob wir es wollen oder nicht. Ich wünsche uns allen ein frohes und gesegnetes Neues Jahr 2024, in dem wir zur Sonne hin wachsen können und nicht aus dem Blick verlieren, worauf es ankommt.

Ulf von Kalckreuth

🥂🍾