Bibelvers der Woche 29/2025

Aber den Namen Aarons sollst du schreiben auf den Stecken Levis. Denn je für ein Haupt ihrer Vaterhäuser soll ein Stecken sein.
Num 17,18

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Auftrag

Es ist ein Gottesurteil aus der Zeit der Wüstenwanderung und zunächst einmal geht es darum, welcher Stamm Gott besonders nahe stehen soll. Jeder Stamm der Israeliten gibt Mose einen Stab. Die Stäbe der Stämme werden vor die Stiftshütte gelegt. Am nächsten Morgen geht Mose hin und findet, dass der Stab des Stammes Levi ergrünt ist, blüht, und Mandeln trägt. Ein klares Zeichen Gottes.

Das Zeichen würde gut passen in den Kontext der Berufung der Leviten zum Dienst am Tempel, siehe den BdW 16/2025.  Aber in solch einem Kontext steht die Geschichte nicht, im Gegenteil. Vorher wurde nämlich erzählt, wie sich die Elite der Leviten auflehnt gegen den Anspruch Aarons, des Bruders Mose, das Priestertum allein zu verwalten, er und seine Söhne, so dass den Leviten nur die nichtpriesterlichen Dienste bleiben. Die Revolte einer Gruppe um Korach, eines levitischen Fürsten, wird von Gott persönlich niedergeschlagen, der Boden tut sich auf und verschlingt Korachs Gefolgsleute, die „Rotte Korachs“. Ein furchtbares Feuer tut ein Übriges. Als sich Unmut im ganzen Volk ausbreitet, beginnt eine Epidemie zu wüten, die nur der Eingriff Moses noch aufhalten kann. 

Die Kohaniter, die Nachkommen Aarons, sind Leviten. Aber sie sind besonders: Nur Kohaniter durften Priester und Hohepriester sein. Andere Leviten taten Dienst im Tempel, ohne aber Priester sein zu können. Wie die Frauen in der katholischen Kirche. Im BdW 34/2023 geht es um die Berufung von Leviten zu einem nicht-priesterlichen Dienst. Mit dem Wunder vom grünenden Stab soll die besondere Rolle Aarons und seiner Söhne abgesichert werden, sein Priestertum. Hier ist unser Vers absolut entscheidend — auf den Stab des Stammes Levi nämlich wird der Name Aarons geschrieben, seines obersten Repräsentanten. Der Stab wird daher Aaronsstab genannt, und man kann das Ergebnis so interpretieren, dass Gott das Priestertum Aarons bestätigt. Wenn aber der Stamm Levi mit dem Namen Aarons identifiziert wird —  wie lassen sich durch dieses Gottesurteil die Ansprüche der Leviten im allgemeinen und der Kohaniter im besonderen trennen? 

Ohne unseren Vers würde die Geschichte vom grünenden Stab eine komplett andere Botschaft überbringen! Wenn ich Theologe wäre, würde ich jetzt weiterfragen. Aber das bin ich nicht. Ich fahre in einem Regionalzug durch die Toskana, mit einem Interrail-Ticket in der Tasche, und bewege mich langsam auf Siena zu. Und wie ich nach draussen schaue, interessiert mich etwas anderes. Im Kontext des gezogenen Verses greift Gott selbst an mehreren Stellen massiv ein und tut seinen Willen kund. Im Leben ist das die Ausnahme. Wie äußert sich Berufung, was sind die Zeichen — gibt es welche? Und wenn jemand meint, die Zeichen lesen zu können, wie geht er damit um?

Blick aus dem Zugfenster, in der Toskana

Blick aus dem Zugfenster, in der Toskana

Berufungen haben etwas finales. Typischerweise gibt es nicht einmal Rente oder Pension. Einige Propheten, von denen das erste Testament berichtet, haben sich verzweifelt gegen ihre Berufung gewehrt, aus gutem Grund. Wer berufen wird, ist herausgenommen in ein Leben auf dem Präsentierteller, von der Umwelt ständig in Frage gestellt. Und es geschieht nicht oft, dass die Widersacher von der Erde verschluckt werden. 

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche unter dem Schutz des Herrn,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 28/2025

Ich achte es für billig, solange ich in dieser Hütte bin, euch zu erinnern und zu erwecken;…
2 Petr 1,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Bunt und spannend

Simon Petrus fühlt sein Ende nahen und vergleicht sein Leben mit einer Hütte, von der er weiss, das sie bald abgebrochen wird. Das schärft den Blick dafür, was wirklich wichtig ist. Es fordert eine persönliche Antwort. Und es könnte sein, dass es diese Antwort ist, an der wir gemessen werden. Die irdische Existenz als zeitweilige Behausung mit Verfallsdatum: dasselbe Bild verwendet auch Paulus in 2 Kor 5.

Ich habe diesen Vers verstanden, ohne einen einzigen Blick auf den Kontext werfen zu müssen. In diesem Sommer ist mein Vater gestorben. Das bedeutet mir sehr viel. Unter anderem gab es mir ein Bild: eine Klippe ist weggebrochen. Es gibt nun eine neue, vom Meer unterspült, auf der ich stehe. Was bleibt? Und was bleibt zu tun? 

Mein Vater war fast dreißig Jahre älter als ich — das entspricht der Hälfte des Lebens, das ich nun hinter mir habe. Dann lägen zwei Drittel hinter mit, ein Drittel stünde noch bevor. Aber Zeit ist relativ auf dem Lebensweg. Sie vergeht immer schneller. Ein Tag in meiner Jugend fühlt sich an wie drei Tage heute, und das gefühlte Tempo nimmt zu, — wie in ‚Circle Game‘ von Joni Mitchell. In zwanzig Jahren sind es vielleicht sechs? Gefühlte Zeit bemisst sich nach der Information, die man neu aufnimmt und verarbeitet, und die Fähigkeit dazu nimmt immer weiter ab. Ausserdem hat ein älterer Mensch vieles schon gesehen, was für einen jungen Menschen neu und faszinierend ist, ihn fesselt.  

Was also vor mir liegt, ist deutlich weniger als ein Drittel — vielleicht ein Zehntel noch? Unbedeutend jedenfalls im Vergleich zum Ganzen. Wertvoll zu wissen. Es liegen darin zwei unterschiedliche Erkenntnisse. Erstens: Was bleibt, ist kostbar, ich sollte es klug einsetzen. Zweitens aber darf ich endlich absehen von mir selbst. Mit diesem Zehntel ist es nicht mehr sehr wichtig, was mit mir geschieht, wenn es das denn jemals war. Ich kann die Augen öffnen und aufschauen. 

Was ist wichtig? Jedem stellt sich die Frage. Im gezogenen Vers erachtet Petrus es für angezeigt (billig), in der verbleibenden Zeit die Schwestern und Brüder zu erinnern und zu erwecken. Das ist die Antwort eines Apostels, gewiss nicht das, was jeder von uns antworten kann. 

Was ist meine Antwort? Ich kann sie noch nicht charakterisieren, aber ich sehe Umrisse. Es mag merkwürdig klingen, aber das Leben kann bunt und spannend sein mit dieser Perspektive. Am Samstag vor Pfingsten saß ich am Kaisersack in Frankfurt auf einem Klappstuhl und machte mit Gesang und Westerngitarre Lobpreismusik. Nur ein paar hundert Meter entfernt von meinem Arbeitsplatz. In der kommenden Woche beginne ich mit meiner jüngeren Tochter eine Interrail-Tour durch Italien, nach Sizilien und zurück. Durchaus fordernd in meinem Alter. Wichtig ist in beiden Fällen, dass ich hier und heute noch fast alle Möglichkeiten jüngerer Menschen habe und einige andere dazu — aber nicht mehr die Illusion, dass es immer so bliebe.

Was ist Ihre Antwort? Sie mag sich mit den Umständen wandeln, im fortgeschrittenen Alter eine andere sein als im hohen Alter. Gleichwie — der Blick auf die Hütte und die Klippe hilft bei der Orientierung. Er gibt die Perspektive vor: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“, sagt Psalm 91.  

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche unter dem Schutz des Herrn,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 27/2025

Denn die, so irrigen Geist haben, werden Verstand annehmen, und die Schwätzer werden sich lehren lassen.
Jes 29,24

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Unsere Kinder sehen

Lesen Sie den Vers zweimal und atmen Sie tief ein und wieder aus: Die, so irrigen Geist haben, werden Verstand annehmen und die Schwätzer werden sich lehren lassen!

Das Buch Jesaja speist sich aus mindestens drei verschiedenen Quellen und unterlag einem Redaktionsprozess, der sich über viele Jahrhunderte hinzog. Aber in allen seinen Teilen ist es gekennzeichnet durch einen Wechsel von Gericht, Untergang und Errettung — ein Wechsel, der manchmal so schnell geschnitten ist, dass eine Art Gleichzeitigkeit entsteht: die drei werden eins. Unser Abschnitt entstammt den ältesten und ursprünglichsten Teilen. Er richtet sich an Jerusalem, von Jesaja hier „Ariel“ genannt. Ariel bedeutet „Löwe Gottes“, ist also eigentlich ein Kampfname. Aber schnell zeigt sich, dass Jesaja üblen Spott im Sinn hat: Der Held ist hohl und leer und bar aller Kraft und wird am Ende wahrhaftig zu „Ariel“ — das Wort kann nämlich auch Opferschale bedeuten (V.2).

Aber auch hier: wenn die Ränke und Ausflüchte versagt haben, wenn die Lage militärisch unhaltbar geworden ist und gleichzeitig alle inneren Strukturen zerbrechen, wenn die trübe Wahrheit offenkundig ist — dann wird Gott retten. Und die Rettung gipfelt in unserem Bibelvers. 

Spannend und ein wenig geheimnisvoll ist der unmittelbar vorangehende Vers: Geschehen wird dies alles, wenn wir — gemeinsam, als Volk Gottes — unsere Kinder betrachten, die Gott geschaffen hat als Werk seiner Hände, und wenn wir daraufhin seinen Namen heiligen und ihn fürchten. 

Ich habe manchmal Angst, was aus unseren Kindern wird, welche Chancen sie haben, und wie wichtig Menschen überhaupt noch sind in einer Welt, die verzahnt ist durch KI und nicht mehr durch Beziehungen lebender Menschen. Die uralte Vision Jesajas ist überraschend und zutiefst hoffnungsvoll: Wir betrachten unsere Kinder, sehen sie, erkennen sie als großartige Schöpfung Gottes, wir loben Gott und die Welt wird neu, klar und hell, durch uns, aber mit seiner Kraft. Und das Geschwätz verstummt! 

Es ist eine Frage der Perspektive. Was wir sehen, hängt davon ab, wie wir schauen. Aber wie geschieht, was uns Jesaja verspricht? Hat es mit den Kindern selbst zu tun? Was ändert es, wenn sie erfahren, dass sie Gottes großartiges Werk sind und von uns so gesehen werden?

Gern will ich meine Kinder so betrachten, in der kommenden Woche und immer. Auch wenn es nicht immer leicht ist.

Gottes Segen sei mit uns allen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 26/2025

Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist obgelegen.
Gen 32,29

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Namen

Halbzeit, Sommersonnenwende. Willkommen auf dem Gipfel, von hier führen alle Wege bergab.

Gestern dachte ich, dass ich die Betrachtung zum Vers eigentlich schon geschrieben habe, vor gut zwei Jahren nämlich. Der Bibelvers 33/2023 geht dem Vers dieser Woche unmittelbar voran, und eigentlich ist alles gesagt, dachte ich. Gucken Sie bitte rein, wollte ich Ihnen deshalb einfach zurufen.

Aber jetzt sitze ich in einem Zug. Er fährt in meine Heimatstadt. Ich will ein Grab besuchen, und die Landschaft zieht vorüber. In ein paar Tagen habe ich Geburtstag. Und vielleicht lässt sich doch noch etwas sagen. 

Da erhält jemand einen neuen Namen — von Gott. Nachdem er gekämpft hat, mit Gott, mit den Menschen und mit sich selbst. Die meisten von uns behalten ihren Namen ein Leben lang, zumindest den Vornamen. Ulf ist Ulf ist Ulf — aber ist das so? Bin ich derselbe wie vor einem Jahr, vor zehn, vierzig, sechzig? Sicher nicht. Mit diesen früheren Verkörperungen teile ich Erinnerungen. Sie können auf Ereignisse zurückgreifen, die mir auch zugänglich sind. Mehr oder weniger — ich erinnere mich anders, als sie das tun, und die Menge der gemeinsamen Erfahrungen wird mit zunehmendem Abstand schnell kleiner. Immerhin: wir, ich heute und meine Verkörperungen in der Zeit, wir tragen denselben genetischen Code mit uns herum, er konstituiert und limitiert unsere Entwicklungsmöglichkeiten. Und es gibt Konventionen: wir haben dieselben biographischen Daten, dieselben Eltern — wirklich dieselben? — und Geschwister, die denselben Namen tragen.

Eine Ähnlichkeit, also, die mit zunehmender zeitlicher Distanz abnimmt. Eigentlich müsste man von Ulf (2025), Ulf (2015), Ulf (1985) und Ulf (1965) sprechen. Das wäre nützlich. Ulf (2025) könnte sich dann mit Ulf (2015) streiten, ohne dass dabei Missverständnisse entstehen… Aber solange die Diskontinuität das normale Maß nicht überschreitet, ignorieren wir sie einfach. Auch ein Toter behält seinen Namen. Name steht für Identität. Identität ist eine nützliche Fiktion. 

Es gibt Brüche, die über das normale Maß hinausgehen. Solche Brüche können mit einem neuen Namen markiert werden. Jemand wird geadelt. Jemand wird zum Papst gewählt. Jemand wird aus der Fremdenlegion entlassen. Konvertiten erhalten oft einen neuen Namen, wenn sie mit der Taufe das Christentum annehmen. In der Bibel wird Abram zu Abraham, Sarai zu Sarah, Simon zu Petrus, Saulus zu Paulus. Und Jakob, der ‚Hinterlistige‘, wird zu Israel, ‚der mit Gott streitet‘ — oder für den Gott streitet?

New game, clean slate. Gibt es das? Im Leben nicht wirklich. Die abnehmende Ähnlichkeit mit den früheren Verkörperungen bleibt, auch wenn jemand zum Papst gewählt wird. Und die gemeinsame Erinnerung an vergangene, prägende Abscheulichkeiten auch. 

„Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind!“. So stand es auf der Traueranzeige für meinen Vater. Im Reich Gottes werden wir vielleicht einen neuen Namen empfangen. Von Gott, wie Jakob. Beunruhigeńd ist diese Vorstellung, und schön. Wie könnte er klingen, dieser Name?

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 25/2025

Des Königs Herz ist in der Hand des HErrn wie Wasserbäche, und er neigt es, wohin er will.
Spr 21,1

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Der Mensch denkt, Gott…

Als Kind hatte ich eine Modelleisenbahn. Es gab einen Bahnhof mit ein paar Häusern daran, einen Berg mit Tunnel, ein Wäldchen, eine Straße. Und man könnte sich auch einen Fluß vorstellen und einen Bach dazu, der ihn speist. Montiert war die Eisenbahn mit Trafo auf einer Spanholzplatte, die man auf einen Tisch stellen konnte

Wenn Konfirmanden fragen, warum Gott das viele Leid der Welt zulässt, bekommen sie heutzutage eine moderne, aufgeklärte Antwort: Weil die Menschen ihren freien Willen nutzen, um die Welt zu einem üblen Ort zu machen. Gott kann nichts dafür. Aber warum zeigt sich Gott nicht deutlicher, fragt der Konfirmand dann weiter. Wenn Gott und seine Macht offen sichtbar wären, könnten die Menschen sich doch gar nicht für das Böse entscheiden. Ja, und weil das so ist, hält Gott sich bedeckt, bekommt der Konfirmand dann zur Antwort. Der freie Wille des Menschen wäre doch sonst zerstört…! 

Dies Argument macht den freien Willen des Meschen zum höchsten Gut der Schöpfung, nicht das Gesetz Gottes, das die Liebe umfasst, das Vertrauen, die Geborgenheit. Gott verschwindet bis zur Selbstverleugnung hinter diesem freien Willen.

Etwas altmodischer könnte man aber meinen, dass Gott doch auch mächtig ist, allmächtig sogar. Wie übt er seine Macht aus, wenn der Wille frei bleiben soll? 

Unser Vers gibt eine interessante Antwort. Der Wille des Menschen — hier: des Königs — ist frei, aber Gott kontrolliert das Bezugssystem. Das Herz ist im Alten Testament nicht der Sitz der Gefühle, sondern des Verstandes. Ich stelle mir Herz und Verstand dieses Königs vor wie die Spanholzplatte meiner Modelleisenbahn. Flüsse, Bäche, und Seen sind darauf montiert. Die Bewegung des Wassers sind seine Gedanken. Wo wird das Wasser das Meer erreichen? Neige die Platte, und du bestimmst den Ausgang. Neige die Platte, und die Prioritäten verschieben sich. Der König sieht, was er sieht, aber je nach Neigung der Platte macht er etwas anderes, etwas neues daraus. 

Stellen wir uns Wladimir Putin vor. Er sieht die Gebiete, die er erobern will. Er muss Erfolg haben, um sein Gesicht nicht zu verlieren, um die Macht zu behalten. Er sieht die hohen Staatsausgaben, die der Krieg kostet, er sieht, wie die Kriegswirtschaft sein Land immer ärmer macht und vom Rest der Welt isoliert. Er sieht die Menschen, die auf beiden Seiten sterben. 

Auf all das kommt es nicht an, kann er denken. Dem Starken gehört die Zukunft, er kann sich die Zukunft formen nach seinem Willen. Dieser Wille entscheidet. Opfer müssen gebracht werden. Ich ziehe das durch bis zum Ende. 

Das ist es nicht wert, kann er denken. Mit der Ukraine leben, Handel treiben, sich ergänzen, macht beide reich. Und weiter: mit den Europäern läßt sich eine Gegenmacht aufbauen zu China und den USA. Rußland ist Teil von Europa. Dort ist unsere Zukunft.

Dieselben Fakten, dieselben Wasserwege, aber anders geneigt. Anders geneigt fließt der Jordan ins Mittelmeer, nicht ins Tote Meer. 

Und ich kann vor mir sehen, wie Gott die Spanholzplatte des Herzens von Benjamin Netanjahu neigt, oder von Donald Trump. Sie sind Könige, sie entscheiden, aber sie tun dies in einem Bezugssystem, das sie selbst nicht kontrollieren, das nicht ihr Werk ist. 

Würden sie dies bemerken? Der biblische Autor vergleicht Informationsverarbeitung und Entscheidung mit einem Flußsystem — hat dies System ein Sensorium für die Neigung im Raum? Wie frei sind wir wirklich?

Geben wir Gott Verantwortung zurück. Beten wir, dass er die Herzen neigt: von Putin, von Netanjahu, von Trump. Und auch von uns.

In dieser Woche noch…! Amen!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 24/2025

Siehe, seine Kraft ist in seinen Lenden und sein Vermögen in den Sehnen seines Bauches.
Hiob 40,16

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Behemoth und Leviathan

Es geht um ein mythisches Tier von enormer Kraft und Gewalt, den „Behemoth„, mit Betonung auf der letzen Silbe. In der Bibel wird es nur hier beschrieben. Der Behemoth ist das „erste der Werke Gottes“ — anders, als es die Schöpfungsgeschichte darlegt — blindwütige Kraft aus einer Zeit vor aller anderen Zeit. Der Behemoth beherrscht Land und Fluß, sein Gegenstück, der Leviathan, ist ein riesiges Meeresungeheuer. Sie beide sind Geschöpfe Gottes und zeugen von seiner Größe. Wer solche Wesen in die Welt setzt, ist selbst noch viel größer. Darum geht es hier. 

Der Behemoth wird gern mit dem Nilpferd in Verbindung gebracht — manche Ausgaben der Bibel setzen „Nilpferd“ an die Stelle des hebräischen Namens des Ungeheuers oder verweisen in einer Fußnote darauf. Die Beschreibung vom Leben des Behemoth im Fluß lassen in der Tat an ein ins Gigantische projiziertes Nilpferd denken. Hier finden Sie einen Link zur Beschreibung des Nilpferds in „Brehms Tierleben„, einem großen Klassiker der deutschen Sprache. Brehm beschreibt darin seine eigenen Erlebnisse mit dem Untier und die Erfahrungen, die andere damit gemacht haben. 

Schauen Sie auf den Vers. Da steht er, der Behemoth, strotzend vor Kraft und Potenz, wie der Minotaurus auf der anderen Seite des Mittelmeers

Aus Hiob hatten wir zuletzt den BdW 15/2025 gezogen. Hiob wird von Gott und dem Teufel absichtlich ins Unglück gestürzt und er begehrt auf — das habe er nicht verdient, er selbst sei gerecht und Gott daher ungerecht. Der größte Teil der vorangegangenen Diskussion Hiobs mit seinen Freunden wälzt ein einziges Argument: Gott sei vollkommen gerecht, allwissend und allmächtig — wenn es Hiob also schlecht geht, hat er sich das selbst zuzuschreiben.

Die Diskussion hat sich festgefahren, Gott steht unvermittelt unter einer Anklage, die besser begründet ist als die Streitenden wissen können — Gott selbst hat Hiob nämlich dem Teufel gegenüber als gerecht bezeichnet. In dem Abschnitt, der unseren Vers enthält, spricht Gott persönlich. In einem poetischen Monolog, der sich ins rauschhafte steigert, offenbart er seine Größe, indem er auf die empirisch erfahrbare Größe seiner Schöpfung verweist. Diese Größe macht es nicht möglich, in derselben Weise über Gottes Gerechtigkeit zu urteilen wie über die eines Menschen — werden die Regeln eingehalten? Weil Menschen die kosmischen Verzweigungen des Weltzusammenhangs nicht überblicken, in denen Gottes Handeln gerecht sein kann, obwohl es ungerecht scheint. Oder, noch grundsätzlicher, weil es für Gerechtigkeit gar kein Maß gibt, das Menschen an Gott legen könnten. 

Gott ist größer. Und wichtiger noch: Gott ist anders. Kein Mensch eben, eher eine in allen Welten aller Zeiten gleichzeitig wirkende Kraft, die alles zusammenhält und alles bedingt. Behemoth und Leviathan sind Wächter und Sinnbilder dieser unfasslichen Größe. Wir sollen uns kein Bild machen. Ist Gott gerecht oder ungerecht? Das ist wie die Frage, ob Gott ein Mann ist oder eine Frau — oder nichtbinär?

Ich wünsche uns ein frohes Pfingstfest! Der Heilige Geist sei mit uns,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 23/2025

Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen
Tit 2,11

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gnade — für wen?

Paulus schreibt an Titus und setzt ihn als geistlichen Führer in Kreta ein. Dabei gibt er ihm Richtlinien mit, denen seine Führung folgen soll. Hier ist zunächst der ganze Satz, dessen Teil unser Vers ist: 

Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken.

Über die Gnade Gottes sagt dies weniger als der überreiche Vers vom ‚Gnadenstuhl‘ in der letzten Woche — aber auch mehr. Die Gnade impliziert, ja fordert ein gottesfürchtiges Verhalten. Und dann ist da noch etwas. Jesus schafft durch das Erlösungswerk am Kreuz sich selbst ein „Volk zum Eigentum“, gereinigt und eifrig zu guten Werken — so wie es Gott durch Mose getan hat, beim Auszug der Israeliten aus Ägypten, der Gabe der Torah am Sinai und der vierzigjährigen Wanderung in der Wüste. 

Ein neues Volk Gottes? Im Vers selbst ist die Rede von „allen Menschen“. Paulus war intensiv mit seiner doppelten Identität als Jude und Christ beschäftigt, mit den Widersprüchen und wechselseitigen Verstärkungen, die das mit sich brachte. Kann er von einem neuen Volk Gottes schreiben? Aber das ist es doch, was Christen glauben, oder? 

Der Friede Gottes sei mit uns,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 22/2025

…welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut, damit er die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, darbiete in dem, dass er Sünde vergibt, welche bisher geblieben war unter göttlicher Geduld;…
Röm 3,25

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gnadenstuhl

Jede Woche ziehe ich zufällig einen Vers und versuche mich in einer Betrachtung. Nie habe ich versprochen, dass der Versuch immer glückt. Heute kann er nicht glücken, aus zwei Gründen. 

Die Bibel ist nicht Theologie, Theologie wird „über“ die Bibel gemacht. Das ermöglicht auch Nichttheologen einen vollgültigen Zugang, und nur so kann etwas wie der „Bibelvers der Woche“ gelingen. Es gibt eine Ausnahme — Paulus. Paulus sammelt nicht nur, er reflektiert, ordnet und systematisiert das, was er über Jesus gehört hat, weiss und selbst erfahren hat. Paulus ist Theologe — neben dem, was er sonst ist: Missionar, Kirchenpolitiker, Gründer vieler Gemeinden und bei Licht betrachtet der ganzen Weltkirche. Unser Vers ist reine Theologie, Wissenschaft von Gott. Viele Fäden nimmt er auf und verknüpft sie, sie laufen zusammen in diesem einen Vers. Die Botschaft des neuen Testaments in einer Nussschale. Der Vers und sein zentrales Bild, der Gnadenstuhl, haben eine eigene große Webseite in Wikipedia. Es kann mir nicht gelingen, die zentralen Aspekte leicht fasslich auf einer Seite zu reflektieren. Allein die Sprache ist eine Herausforderung…

Ich selbst stehe unter den Nachwirkungen eines seelischen Schlags und habe nicht die Kraft und Souveränität, einen Aspekt herauszugreifen und darin das Ganze aufscheinen zu lassen, vielleicht mit einem Lied oder einem Bild. Immerhin kann ich die Fäden benennen, die hier zusammenlaufen: 

  • Gottes Gerechtigkeit — sie verlangt Bestrafung von Sünde und Vergehen;
  • Gottes Gnade und Vergebung — sie beinhalten das Gegenteil, nicht wahr?
  • Gottes Geduld — Aufschub der Strafe, aber bis wann? 
  • das Blut Christi und sein Opfertod — wie kann das gerecht sein?
  • Glauben — den Weg gehen;
  • Versöhnung — von Mensch und Gott.

Alles dies kommt zusammen im Bild des „Gnadenstuhls“. Das ist Luthers Übersetzung des hebräischen Worts für eine goldene Platte, welche die Bundeslade im Allerheiligsten des Temples bedeckt, ohne selbst ein Teil von ihr zu sein. Das Wort „Stuhl“ steht hier für „Sitz, Örtlichkeit“, nicht für ein reales Sitzmobiliar. Gott selbst wird über dem Gnadenstuhl als anwesend gedacht. Beim Opfer am Versöhnungstag, Jom Kippur, spritzt der Priester das Blut des Opfertiers in Richtung des Gnadenstuhls. 

Bildlich findet dort die Versöhnung statt. Für Paulus ist Jesus Christus selbst dieser Gnadenstuhl: in ihm laufen die Fäden zusammen, findet die Versöhnung statt. Und nun kann ich ihnen doch eine Gemme geben: Wie dieser Gnadenstuhl ist irgendwie der Vers selbst: er nimmt all diese Fäden auf, in ihrer Widersprüchlichkeit, und verwebt sie zu einer festen Struktur. Der Vers kann also für den Gnadenstuhl stehen, dieser steht für Jesus Christus, und der wiederum steht für die Versöhnung von Mensch und Gott — er ist diese Versöhnung. 

Versöhnung — der Friede Gottes sei mit uns,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 21/2025

Und Salomo opferte auf dem ehernen Altar vor dem HErrn, der vor der Hütte des Stifts stand, tausend Brandopfer.
2 Chr 1,6

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Weisheit und Opfer

Salomo ist König geworden. Brutale Kampfe mit seinen Brüdern waren der Machtübernahme vorangegangen. Sein Weg zum Thron war nicht vorgezeichnet: Salomo war der vierte Sohn Davids mit seiner zweiten Frau Batseba, von den neunzehn Söhnen Davids war er der zehnte (1 Chr 3). Salomo bringt ein großes Opfer. Eintausend Opfertiere, wohl Rinder zumeist, das ist selbst für einen morgenländischen König außergewöhnlich. Der eherne Altar vor der alten Stiftshütte war klein, es war der Altar, den die Israeliten bei ihrer Wanderung durch die Wüste mitgeführt hatten. Einen Tempel gab es noch nicht.

Dies sind die Bilder, die er noch vor Augen hatte, als er sich zum Schlafen legte. In der Nacht erschien Gott ihm, und forderte Salomo auf, einen Wunsch zu äußern,der Wunsch werde erfüllt. Wie im Märchen. Und Salomo wünscht sich nicht Sicherheit vor seinen Rivalen, nicht Geld und Gut, nicht Glück auf dem Schlachtfeld und Macht über die Völker ringsum, sondern er wünscht sich Weisheit. Ein weiser Wunsch, und darin liegt ein Rätsel — muß man nicht weise sein, um sich Weisheit zu wünschen? Ein Regress. Es ist ein wenig wie mit Glauben — man muß glauben, um glauben zu wollen, und man muß glauben wollen, um glauben zu können.

In einem früheren Bibelvers der Woche, BdW 47/2023 habe ich die Erzählung zum Anlass genommen, darüber nachzudenken, worauf es ankommt im Leben. Salomo bekommt Weisheit vom Herrn geschenkt, und auch das, was er sich nicht gewünscht hat. Entscheidend aber war sein Wunsch. Was steht hinter diesem Wunsch? Wo kommt er her?

Unser Vers gibt einen Hinweis: Salomos Opfer. Opfer ist Verzicht und Gemeinschaft mit dem Herrn, diese zwei. Sie können uns zu dem führen, worum es wirklich geht. 

Der Herr segne uns in der Woche, die vor uns liegt. 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 20/2025

Und Ruth, die Moabitin, sprach zu Naemi: Lass mich aufs Feld gehen und Ähren auflesen dem nach, vor dem ich Gnade finde. Sie aber sprach zu ihr: Gehe hin, meine Tochter.
Rut 2,2

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Letzte Ressource: Vertrauen

Rut ist angekommen in einem fremden Land. Dies Land ist ihrer Heimat Moab seit alter Zeit feindlich gesinnt, die heiligen Schriften sind voller Schmähungen. Sie kennt niemanden. Sie ist Witwe. Und sie ist nicht allein — sie sorgt für ihre Schwiegermutter Noomi, auch sie Witwe, eine alte Frau. Immerhin ist Noomi aus der Gegend, und kennt Sitten und Gebräuche. Ruts Sprache ist dem Hebräischen ähnlich genug, dass sie sich verständigen kann, aber mit jedem Wort, das sie redet, weist sie sich als Aussenseiterin aus, als Objekt. 

Für den Rahmen der Erzählung hier ein Link zum Bibelvers der Woche 28/2021

Die beiden Frauen haben Hunger. Rut bleibt eine letzte Ressource: Vertrauen. Sie vertraut auf zwei Dinge. Da ist die sonderbare Sitte des fremden Landes, von der die Schwiegermutter erzählt hat — die Ärmsten haben das Recht, Getreide aufzulesen, das bei der Ernte liegengeblieben ist, siehe den Bibelvers der Woche 48/2019. Und sie vertraut darauf, sie muss darauf vertrauen, dass ihr unter den Knechten und Erntehelfern nichts geschehen wird.

Das ist der Inhalt des Verses: Rut bittet ihre Schwiegermutter um Erlaubnis, dies Vertrauen als Ressource einzusetzen, „dem nach, vor dem ich Gnade finde“. Sie trifft dabei auf Boas, der wegen verwandtschaftlicher Verhältnisse zur Schwiegermutter eine Schutz- und Garantenpflicht für sie hat. Damit konnte sie nicht rechnen. Es gab es eigentlich keine günstige Entwicklung, mit der sie rechnen konnte, als sie hinausging, einige ausgesprochen ungünstige Möglichkeiten dagegen waren klar konturiert.  

Ihr Vertrauen setzt sie in die Lage, sich zu bewegen, mit der Außenwelt zu interagieren, eine Lösung zu suchen, der tödlichen Starre zu entgehen. Aber es gibt keinen „Grund“ für dies Vertrauen. Es gab auch keinen „Grund“, die Schwiegermutter in dies fremde Land zu begleiten. Die andere Schwiegertochter hatte das nicht über sich gebracht und war schließlich umgekehrt, auf Bitten und mit dem Segen Noomis. Beide sind eng verwandt: die grundlose Loyalität Ruts und ihr grundloses Vertrauen ins Getragensein. Das eine aktiv, das andere passiv, aber im Wesen gleich. Denkt man beides zusammen, gibt es ein Wort dafür: Glaube.

Und so wurde Rut Ahnfrau Davids und Jesu.  

Der Herr segne uns in der Woche, die vor uns liegt. 
Ulf von Kalckreuth