Bibelvers der Woche 41/2021

Freuet euch in dem Herrn allewege! Und abermals sage ich: Freuet euch!
Phi 4,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Freude!

Vor etwas mehr als einem Jahr zogen wir einen Vers, der diesem hier unmittelbar folgt: Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen! der Herr ist nahe! (Phi 4,5), und damals betrachtete ich beide gemeinsam: hier ist ein Link zum BdW 34/2020. Das ist nicht lange her, es stimmt noch alles, einschließlich leider auch der Probleme mit dem Rücken und der Erziehung. Der Vers zeigt einfach und unmißverständlich, ob jemand auf dem richtigen Weg ist. Dann nämlich geht Freude von ihm aus — sichtbar, spürbar — dann kann er ein Segen für die Welt sein. Wir dürfen uns freuen, wir sollen es sogar, Gott will es so, will uns so. Die Frohe Botschaft trägt ihren Namen aus gutem Grund. Und umgekehrt: wenn man unfroh ist, läuft etwas, läuft man falsch. 

Da es die Betrachtung zum Bibelvers dieser Woche also schon gibt, darf ich aufschauen und den Blick weiten. Und da sehe ich, dass wir in den vergangenen Wochen Verse gezogen habe, die jeweils eine Essenz des Glaubens auf einen einfachen und lebenspraktischen Nenner bringen — zum Anfassen gewissermaßen:

  • Vor zwei Wochen wurden wir aufgefordert, unseren Nächsten, gar unseren Feind zu lieben. Ihn in seiner Mitgeschöpflichkeit zu sehen und die eigenen Interessen nicht automatisch höher zu bewerten als die Bedürfnisse des Anderen.
  • Vor einer Woche gab es einen Vers, der uns den Schatten der Flügel Gottes als Zufluchtsort bot, in persönlicher Not, bei Verzweiflung, Lebens- und Todesangst.
  • Und der Vers dieser Woche sagt uns, dass der Weg mit Gott in Freude mündet: Freude aus Gott, die wir nicht nur empfangen dürfen, sondern aktiv weitergeben können. 

Mir scheint, die drei Verse und die damit verbundene Haltung charakterisieren den christlichen Glauben, und zwar im Ergebnis. Ein Menschen, der so lebt, folgt Jesus, auch wenn er ihn nicht kennt. Immer wieder habe ich mich in dieser Woche gefragt, welcher dieser drei Verse der richtige sei, wenn ich traurig war oder in Schwierigkeiten steckte. Die Antwort war stets einfach. 

Dabei sind die Verse selbst sehr anspruchsvoll, jeder für sich. Über Nächsten- und Feindesliebe brauche ich nichts zu sagen. Dann aber: wer von uns weiß sich unter den Schatten der Flügel Gottes jederzeit geborgen? Auch das sagt uns Jesus immer wieder: sorgt euch nicht, der Vater sorgt für euch! Aber die Sorge ist ziemlich fest verdrahtet in uns. Und Freude ist wahrhaftig nicht immer leicht — ich will es hier nicht ausbuchstabieren, das würde die Freude verderben, aber gelegentlich grenzt Freude durchaus an Realitätsverweigerung. Das ist mit allen drei Versen so: sie enthalten ein lautes „Trotzdem!“

Was macht den Kern des Glaubens aus? Kanonische Versuche, das Unsagbare in Worte zu fassen, sind die Glaubensbekenntnisse. Sie sind nicht leicht zu lesen und zu verstehen. Wichtiger als Aussagen und ihre logischen Beziehungen zueinander ist das, was daraus folgt, für unser Leben, das der anderen und unser Verhältnis zu Gott. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Wahrheit unerkennbar ist. Paulus fand dafür das Wort vom dunklen Spiegel, durch den wir blicken. Für die eine, unerkennbare Wahrheit können wir Bilder, Vorstellungen und begriffliche Konstrukte suchen. Sie sind dann gut, wenn sie zu richtigem Sein, zu richtigem Handeln führen. Sie sind Stützen, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Was zählt, ist die Haltung, die innere Verfasstheit, die mit diesen Vorstellungen einhergeht und wechselwirkt. Der Rest ist Theologie.

Mein Credo könnte also lauten: In Jesus Christus will ich ein Mensch sein, der das Mitgeschöpf im Anderen sieht, auch wenn er ihm fern steht, der sich geborgen weiß unterm Schatten der Flügel Gottes, und der dem Leben, seinen Mitmenschen und seinem Gott — und schließlich auch seinem Tod — mit Freude begegnet, innerlich und äußerlich. 

Wenn Sie Zeit und Ruhe haben, gehen Sie in sich und versuchen Sie, sie zu spüren, die Freude. Sie ist da, in Ihnen, sie will gefunden werden!

Ich wünsche uns Freude, und die Fähigkeit dazu, in der kommenden Woche und immer!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 34/2020

Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen! der Herr ist nahe!
Phi 4,5

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Good Vibrations

Das schöne, aber nur selten noch gebrauchte Wort „lind“ steht im Duden für sanft, zart, angenehm, mild, nicht rauh oder kalt. „Lindigkeit“ kennt das Wörterbuch nicht. Das ist kein Wunder: Martin Luther hat das Wort eigens für diesen Vers erfunden. Nirgend sonst in seiner Übersetzung taucht es auf, so wie in der Bibel das griechische Wort Epikeinä (Nachsicht, Milde, Sanftmut, Huld) in dieser Form auch nur hier nachgewiesen ist. Dieser Solitär war Luther wichtig genug für eine eigene Wortschöpfung. In der neuen Übersetzung von 2017 steht jetzt „Güte“. Das ist weniger sperrig, aber ein Teil der Bedeutung, vielleicht der wichtigere, geht verloren. Phi 4, 4+5 lauten gemeinsam: 

Freuet euch in dem HERRN allewege! Und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen! der HERR ist nahe!

Als Volk Gottes sind wir zum Herrn befreit, und eine abweisende, lebensverneinende Grundhaltung ist uns NICHT auferlegt, anderslautenden Gerüchten zum Trotz. Sie verdunkelt das Zeugnis — Sieht so Gottes Liebe aus? müssten Aussenstehende sich fragen. Paulus fordert uns also ausdrücklich zu Freude auf, wie auch im Vers der Woche 9/2020.

Und diese Freude soll überspringen, soll sichtbar werden, als augenfälliger Zeichen für Gottes Gnade. Es soll also nicht „Güte“ zur Schau gestellt werden, als Beweis für ein gottgefälliges Leben. Dann ginge es am Ende ja um die eigene Person, nicht den anderen, und solche Erweise können für die Umwelt durchaus deprimierend sein. Nein: vom Glück in uns selbst soll beim anderen etwas ankommen — Lindigkeit eben. Good Vibrations könnte man es heute nennen — die Energie der Erlösung, des Geistes Gottes in uns schafft eine Resonanz, die andere wahrnehmen und erfahren können. Ein klein wenig so, wie die Wunderheilungen Jesu in den Evangelien Evidenz für seine Vollmacht sind!

Ganz einfach und ganz klar, nicht wahr? Wie konnte dann das Christentum in den Ruf einer lust- und lebensfeindlichen Religion kommen? Wer von uns verströmt Lindigkeit, die sich wie Balsam auf die Wunden legt, die die Wirklichkeit anderen schlägt? Einige Menschen fallen mir ein, ich selbst gehöre nicht dazu. Wenn Lindigkeit fehlt — ist dies vielleicht umgekehrt ein Indiz, dass auch Gottes Gegenwart fehlt? 

Ich bin Teil einer nicht immer einfachen Familie. Vergangene Woche wollte ich es mit Lindigkeit probieren. Um sie aus dem Bett zu kriegen, lade ich die jüngste Tochter ein, mit mir Brötchen zu holen. Es ist schon fast Mittag, aber sie braucht Ewigkeiten, besteht dann aber doch lauthals darauf, dabei zu sein. So lange muss ich eben warten. Auf dem Weg hat sie eine Idee nach der anderen, was ich heute für sie tun könnte. Argumente bürstet sie rigoros ab. Plötzlich ist irgendwie der Streit von gestern wieder präsent, der Ton wird gereizter, auf beiden Seiten. Eine Weile versuche ich, mich zu beherrschen. Es ist schon brütend heiss. Mein Rücken und das linke Bein schmerzen beim Gehen, erst leicht, dann immer stärker. Irgendwann beginne ich, ihr Vorwürfe zu machen, die sie prompt zurückgibt. Die Kunden in der Schlange draussen vor dem Bäcker bekommen es mit. Als wir beim Bäcker wieder herauskommen, muss ich pausieren, um den Schmerz wieder loszuwerden, und sie bittet um Erlaubnis, mit ihrem Roller allein nach Hause fahren zu können — immerhin.

Hmm, ich glaube nicht, dass irgendwelche Lindigkeit bei ihr angekommen.ist… Ich habe falsch begonnen. Nicht mit einem Glücksgefühl, das ich mit ihr hätte teilen können, sondern mit dem Wunsch, dass heute alles friedlich bleiben möge. Ich hätte nicht mit einem Wollen anfangen dürfen, sondern mit einem Sein. 

In rauschhaft-extremer Weise hat Schiller das in seiner „Ode an die Freude“ aufgefangen — Freude an der Schöpfung und aneinander transzendiert die Welt! Als meine erste Tochter zur Welt kam, lief ich tagelang wie betrunken mit diesem Schlusssatz im Kopf und auf den Lippen herum. Damals war meine Lindigkeit wohl nicht zu übersehen. Hier ist der Text in der Fassung, die Beethoven dem Schlusssatz der 9. Sinfonie unterlegt hat, und hier ist ein Video zu einer Aufnahme der Berliner Philharmoniker unter Claudio Abbado.

Ich habe Zeit, es weiter zu probieren, diese Woche und noch viel länger, wenn ich will. Was für ein Vers! Brauchen wir eine Anleitung zum Glücklichsein? Kann man Lindigkeit üben, mit Gottes Hilfe? Vielleicht hilft das Lied? 

Eine gesegnete Woche mit soviel Lindigkeit wie eben möglich wünsche ich uns allen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 27/2018

Denn auch gen Thessalonich sandtet ihr zu meiner Notdurft einmal und darnach noch einmal.
Phi 4,16

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Opfer

Am Ende seines Schreibens bedankt sich der große Völkermissionar, Paulus, bei der Gemeinde in Philippi für Spenden, die seine weitere Arbeit in Thessaloniki möglich gemacht haben. Vielleicht ist dies die erste Stelle in der Bibel, an der das Wort „Opfer“ in seinem modernen christlichen Sinne als Geldzuwendung im Gemeindekontext gebraucht wird, hier: für die Mission, unter expliziter Gleichsetzung mit dem antiken hebräischen Wortsinn als Brandopfer „zum lieblichen Geruch“ (Vers 18).

Ein Anlass sich zu fragen: Was will Gott eigentlich von uns? 

In dem kurzen Kapitel, aus dem der Vers gezogen wurde, steht vorher mit Philipper 4, 4-7 ein Segensspruch, den ich sehr liebe: 

Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren. 

Höher als alle Vernunft…
Ulf von Kalckreuth