Bibelvers der Woche 36/2018

Und er suchte und hob am Ältesten an bis auf den Jüngsten; da fand sich der Becher in Benjamins Sack.
Gen 44,12

Und hier ist ein Link für den Kontext, zur Lutherbibel 2017

Vergeben

Den „Bibelvers der Woche“ gibt es nun seit etwa anderthalb Jahren. Anfangs standen die zufällig gezogenen Verse gänzlich zusammenhanglos nebeneinander. Nun scheinen sie gelegentlich miteinander zu sprechen. Ein Beispiel gab es in der vergangenen Woche, ein anderes waren die beiden Verse aus unterschiedlichen Paulusbriefen, die mit derselben Reise nach Jerusalem zu tun hatten. Und der heute gezogene Vers „spricht“ direkt mit dem Vers aus Woche 26/2018, Ende Juni, aus der Jakobsgeschichte: Laban und Jakob stehen sich in einem dramatischen Finale gegenüber — Laban hat Jakobs Zelt nach Diebesgut durchsucht und nichts gefunden.

Der für heute gezogene Vers ist aus der Josefsgeschichte. Diese erstreckt sich über 10 Kapitel, für Thomas Mann bot sie Stoff für einen vierbändigen Roman. Josef ist Wahrträumer, er versteht sich aber auch auf die Deutung der Träume anderer. Mit dem Bewusstsein der eigenen Herausgehobenheit und weil sein Vater Jakob ihm besonders zugeneigt ist, erregt er den Neid seiner Brüder. Sie werfen ihn in eine Zisterne und verkaufen ihn als Sklaven nach Ägypten. Seine Kunst als Traumdeuter bringt ihn nach einiger Zeit vor den Pharao. Josef deutet dessen Traum (sieben Kühe, sieben Ähren…) und bekommt den Auftrag, die Folgen der kommenden Hungersnot zu lindern. Damit wird er in Ägypten zum mächtigen Vizekönig.

Die Hungersnot führt seine Brüder aus Kanaan nach Ägypten. Sie wollen dort von dem unter Josef eingelagerten Getreide kaufen. Josef gibt sich nicht zu erkennen und schickt die Brüder mit Getreide wieder nach Haus, behält aber Simeon als Geisel. Er verlangt, dass bei der zweiten Reise auch Benjamin mitkomme. Dieser ist der Lieblingssohn des Vaters, wie Josef selbst ein Sohn Jakobs mit Rahel, der Liebe seines Lebens. Auch beim zweiten Mal erhalten die Brüder Getreide, aber wieder werden sie nach Hause geschickt. 

Im Sack von Benjamin lässt Josef einen silbernen Becher verstecken. Als die Brüder sich mit ihren Eseln auf den Rückweg gemacht hatten, schickt Josef seinen Majordomus hinter ihnen her und lässt sie bezichtigen: ein silberner Becher fehlt! Die Brüder schwören, dass derjenige sterben soll, bei dem er gefunden werde, und alle anderen sollen Josefs Sklaven sein. Der Haushälter sagt, es genüge, wenn derjenige Sklave wird, der den Becher genommen hat, die anderen sind frei. Nun kommt der gezogene Vers: der Becher wird bei Benjamin gefunden!

Wie bei Jakob und Laban ist die Suche nach Diebesgut hier Ausdruck und gleichzeitig Wendepunkt einer völligen Zerrüttung. Beide Male schwören die Beschuldigten, dass derjenige sterben soll, bei dem das Diebesgut gefunden wird. Es gibt auch sprechende Unterschiede: Bei Jakob wurde tatsächlich gestohlen, aber nichts gefunden. Bei Josef hingegen wurde nichts gestohlen, aber es wird etwas gefunden. Vorher verzichtet klug der Majordomus darauf, das tödliche Gelübde der Brüder anzunehmen: die Strafe könnte nicht umgesetzt werden.  

Den Brüdern müssen die Ohren geklungen haben, als der Majordomus ihre Habe durchsuchte. Sie alle (und Josef) waren ja dabei, als Laban seinerzeit Jakobs Zelt durchforsten ließ. Und nun müssen sie gedemütigt mit ihren Eseln dem Haushälter zurück in die Stadt folgen, zu dem fremden Machthaber und seinem Gerichtsspruch. Bei der dritten Begegnung in Josefs Palast bittet Juda, dass er selbst anstelle von Benjamin Sklave sein möge. Es wäre sonst zu viel für den Vater. Josef ist zu Tränen gerührt und gibt sich den Brüdern zu erkennen.

Warum nicht gleich? Warum das „retardierende Moment“, mit den zwei Reisen, dem untergeschobenen Becher und der Durchsuchung? Dramaturgisch wird hier ein bereits eingeführtes Motiv genutzt und variiert, wie in Filmen, bei denen einem bestimmten Motiv (Liebe, Kampf, Mord) je eigene musikalische Themen zugeordnet sind. In der Erzählung kann Josef damit seine bereits beträchtliche Überlegenheit noch steigern: er hat die wirtschaftliche Macht, er hat die physische Macht, und der „Diebstahl“ gibt ihm nun auch die moralische Macht, verbunden mit einer Richterrolle. Vergebung setzt voraus, dass man auch anders verfahren kann — aus einer Position der Unterdrückung heraus ist sie nicht möglich. Vielleicht will er sehen, wie die Brüder mit Benjamin verfahren. Dessen Rolle in der Brüderschar ist der von Josef recht ähnlich. Vielleicht aber kennt Josef selbst noch nicht das Ende, als er den Becher verstecken lässt.

Unter Tränen interpretiert Josef das Geschehene als eine Fügung Gottes. Die Brüder sollen sich über ihren Anschlag nicht grämen: zu dem brutalen Zerwürfnis sei es gekommen, damit Josef in Ägypten die Möglichkeit habe, die Folgen der schrecklichen Hungersnot von der Familie in Kanaan abzuwenden. Mit dieser Figur räumt er die Schuld aus der Welt. Welch eine Selbstverleugnung! Josef braucht alle Kraft, derer er habhaft werden kann, um den Abgrund zu überwinden — den zwischen ihm und den Brüdern ebenso wie den Abgrund in sich selbst.

Sich gegenseitig zu durchsuchen, zu filzen, ist die Spitze des Misstrauens. Danach kann eigentlich nichts mehr kommen. Aber in beiden Geschichten steht die entwürdigende Durchsuchung unmittelbar vor einem Akt der radikalen Vergebung durch Verzicht, einseitigem Verzicht. 

Wir beten „…wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Was genau meinen wir damit? Was ist hier gefordert, und was können wir geben? 

Ich wünsche jedem von uns, dass er oder sie in naher Zukunft einem Schuldiger vergeben kann — vielleicht in dieser Woche?
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 26/2018

Wo nicht der Gott meines Vaters, der Gott Abrahams und die Furcht Isaaks, auf meiner Seite gewesen wäre, du hättest mich leer lassen ziehen. Aber Gott hat mein Elend und meine Mühe angesehen und hat dich gestern gestraft. 
Gen 31,42

Hier ist ein Link für den Kontext, zur Lutherbibel 2017 

Schalom

Vom Ende der Bibel zurück an ihren Anfang. Vor nicht allzu langer Zeit, in Woche 11/2018, wurde ein Vers aus der gleichen Geschichte gezogen, und weil ich die Geschichte von Laban und Jakob liebe, bin ich seinerzeit im Kommentar weit nach vorn geeilt, bis hin zu der Stelle, aus der wir nun gezogen haben.

Jakob hatte vor seinem Onkel und Schwiegervater Laban fliehen müssen, mit seinen beiden Frauen, Rahel und Lea, den Töchtern Labans, seinen Knechten sowie einer riesigen Herde, die er sich in der Zeit seiner jahrelangen „Partnerschaft“ mit seinem Schwiegervater erworben hatte. Labans Kinder hatten nicht ohne Grund Betrug gewittert. Vor der Flucht hatte zudem Rahel den Hausgott ihres Vaters gestohlen. Laban hatte mit einer Schar Bewaffneter die Verfolgung aufgenommen und Jakob schließlich gestellt, sein Zelt nach dem Hausgott durchsucht und nichts gefunden. Und nun verhöhnt Jakob seinen Schwiegervater vor allen anderen: was jenem von seiner Hand geschehen ist, sei in Wirklichkeit nichts anderes als die gerechte Strafe Gottes! 

Formal fügt sich der Vers vollständig in ein gut bekanntes Muster der jüdischen Bibel: die Feinde sind übermächtig und moralisch minderwertig, und nur der Schutz des Herrn macht das Überleben möglich, indem er die Feinde vernichtet. Viele Psalmen sprechen so. Aber hier geht es um etwas anderes. Was ist, wenn wir für unser Überleben auf den Feind angewiesen sind? 

Der Vers steht unmittelbar vor der Stelle, an der die Handlung „kippt“. Filmisch könnte man die Stelle so inszenieren: Die beiden Patriarchen stehen einander in dem großen Zelt gegenüber, mit blitzenden Augen, beide im Burnus, der Ältere mit der Schar seiner Kämpfer im Rücken, der Jüngere vor seinen beiden Frauen, mit der rechten Hand in der Nähe des Dolchs auf seiner linken Seite, die Reaktion seines Gegenübers auf die gerade ausgesprochene Beleidigung erwartend. Auch die Knechte Jakobs sind anwesend. Alles geschieht öffentlich. Zeitlupe. Laban ist am Zug, er muss handeln. Eigentlich ist völlig klar, was nun folgt. 

Und dann verkündet Laban den Frieden: 

Laban antwortete und sprach zu Jakob: Die Töchter sind meine Töchter und die Kinder sind meine Kinder und die Herden sind meine Herden und alles, was du siehst, ist mein. Was kann ich heute für meine Töchter oder ihre Kinder tun, die sie geboren haben? So komm nun und lass uns einen Bund schließen, ich und du, der ein Zeuge sei zwischen mir und dir.

Im ersten Satz gewinnt er seine Souveränität zurück. Er stellt einfach den Kontext der Handlung um, geht weg vom dyadischen Antagonismus und macht sich zum Diener seiner Nachkommen, die auch zu Jakob gehören. Dann bietet er Jakob einen Bund an. Und im Unterschied zu den anderen Verträgen zwischen den beiden in der Vergangenheit, die alle durch böswillige Auslegung zerstört wurden, gibt es diesmal keine Hintergedanken. Der Bund ist eine Trennung. Die beiden Männer lösen ihre Umklammerung. Nicht gewaltsam, sondern der Zukunft und den Nachkommen zugewandt.

Dieser Moment macht Laban zu einem Heiligen, in meinen Augen. In der jüdischen Tradition hat Laban eine ausgesprochen „schlechte Presse“, wie ich von meiner Hebräischlehrerin weiß. In der Tat ist er ein Schlitzohr, mit allen Wassern gewaschen. Aber nun dieser Mut, mit dem er das feste Geleis der Handlung aufbricht und ihr ein neues gibt! Wieviel Enttäuschung und jahrelange Frustration, wieviel verinnerlichte und selbst geglaubte Rechtfertigung muss er in diesem einen Moment hinter sich lassen — einem Moment extremer Anspannung, in dem Gruppendruck und Adrenalin ihn blind machen sollte? Hierin mag man das göttliche Wunder erkennen, nicht in der „Strafe“, wie Jakob glaubt. Jakob wäre zu einer solchen Handlung nicht in der Lage gewesen. Er wird in diesem Augenblick ohne eigenes Verdienst gerettet, von seinem Schwiegervater und Feind. 

Einmal Laban sein! Damit das Leben weitergeht.

Ich wünsche uns eine Woche voll Frieden. 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 11/2018

Da schied Jakob die Lämmer und richtete die Herde mit dem Angesicht gegen die Gefleckten und Schwarzen in der Herde Labans und machte sich eine eigene Herde, die tat er nicht zu der Herde Labans.
Gen 30,40 

Hier ist ein Link für den Kontext, zur Lutherbibel 2017

Zwei Skorpione in einer Flasche

Der Vers bringt uns zu Jakob, einem der Stammväter Israels. Über einen erheblichen Teil seines Lebens kreisen er und sein Onkel Laban umeinander, betrügen sich, machen einander doppelbödige Versprechungen und kommen doch nicht los voneinander. In dem Abschnitt, in dem der Vers steht, wird berichtet, wie Laban und Jakob den Gewinn teilen, den sie durch Labans Herde (Kapital) und Jakobs Know How und seinen Arbeitseinsatz erwirtschaften. Labans Vorschlag ist im Grunde fair: die Gewinne werden nach einem festen Schlüssel geteilt. Konkret soll Jakob die scheckigen, gefleckten und bunten Tiere erhalten, die nach dem Stichtag zur Welt kommen, Laban aber die weißen (Laban heißt auf Hebräisch „weiß“). Laban teilt die Herden vorher und bringt alle gefleckten, scheckigen und bunten Tiere zu seinen Söhnen. Vielleicht will er damit die Gewinnteilung sauber machen — nach diesem Stichtag gehört so klar alles Gefleckte, Scheckige und Bunte dem Jakob. Vielleicht glaubt er aber auch, dass gefleckte Lämmer von gefleckten Mutterschafen kommen, dann wäre es ein Betrugsversuch an Jakob.

Jakob aber hat überlegenes tierzüchterisches Wissen (das sich uns im einzelnen nicht erschließt) und manipuliert die Gewinnteilungsregel. Er sorgt dafür, dass die Schafe und Ziegen bei der Begattung scheckige und gefleckte Hölzer zu sehen bekommen — und daraufhin bringen sie scheckige und gefleckte Lämmer zur Welt. Davon wird im Vers berichtet. Darüber hinaus behandelt er nur die starken Tiere so — die schwachen lässt er weiße Lämmer bekommen. Die gehören dann dem Laban.

Der gezogene Vers berichtet von einer verlockenden Gewinnerzielungsmöglichkeit, die Jakob auch nutzt. Die Bibel verliert explizit kein Wort darüber, ob dies eine gute Idee ist.

Jakob wird mit dieser Technik schnell sehr reich, auf Kosten Labans. Die Kinder Labans verstehen irgendwann, dass eine Manipulation vorliegt, und Jakob muss fliehen. Er flieht in Richtung seiner alten Heimat, die er wegen seines Betrugs an Esau hatte verlassen müssen, mit seinen Herden, die er von Laban hat, und seinen beiden Frauen, die Labans Töchter sind. Rachel, die jüngere, hatte ihrem Vater Laban darüber hinaus seinen Hausgott gestohlen, wohl aus Rache. Laban ist todunglücklich. Er verfolgt Jakob und holt ihn ein, mit einer Schar schwerbewaffneter Kämpfer. Jakob hat ihm alles genommen, Laban ist der betrogene Betrüger, aber nun kann er das Spiel umdrehen und sich alles zurückholen. Die Familie wäre dann restlos zerstört. Jakob hatte geschworen, dass derjenige sterben muss, der in seiner Gruppe den Hausgott gestohlen hat. Alles wird durchsucht, ohne dass das Objekt gefunden wird. Aber es scheint möglich, dass Laban verstanden hat, dass Rachel die Diebin war. 

In einem unglaublichen Akt der Großzügigkeit verzichtet Laban. Er lässt Jakob und die seinen mit den Herden gehen und gibt obendrein seinen Töchtern den Segen mit. Auch dies lässt die Genesis völlig unkommentiert. Aber am Ende ist Laban derjenige, der aus dem jahrelangen Tanz der Familie um den Abgrund gelernt und verstanden hat, worauf es wirklich ankommt — nicht Jakob. Noch nicht.

Ich wünsche Euch eine schöne Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 35/2017

Da aber Jakob sah, dass Getreide in Ägypten feil war, sprach er zu seinen Söhnen: Was sehet ihr euch lange um?
Gen 42,10

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Zu diesem Bibelvers gibt es noch keine Betrachtung. Sie können eine erstellen…!

Bibelvers der Woche 27/2017

Dies ist das Buch von des Menschen Geschlecht. Da Gott den Menschen schuf, machte er ihn nach dem Bilde Gottes;
Gen 5,1

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Zu diesem Bibelvers gibt es noch keine Betrachtung. Sie können eine erstellen…!