Bibelvers der Woche 26/2024

…so doch, wo wir bekleidet und nicht bloß erfunden werden.
2 Kor 5,3

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Mittsommerlicht

Mittsommer. Das ganze Jahr lang sehne ich mich nach diesen magischen Tagen mit ihrem übernatürlichen Licht, das die Zeit transzendiert, in dem Ewigkeit aufscheint.

Paulus glaubt an eine leibliche Auferstehung. Darum geht es im Vers, und weil der Text von 1912 recht mißverständlich ist, sind hier die ersten drei Verse des Abschnitts aus der Lutherbibel 1984: 

Denn wir wissen: wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, dass wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden, weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden. 

Paulus war nicht mehr jung und hatte schwerwiegende gesundheitliche Probleme. Er vergleicht seinen irdischen Leib mit einer Hütte, die dem Untergang geweiht ist und demnächst abgebrochen wird. Das Bild verstehe ich (leider) schon sehr gut. Statt der abbruchreifen Hütte wird er von Gott ein himmlisches Haus bekommen. Das ist ein Bild für den neuen Körper, den Auferstehungsleib, aber es steht auch für Geborgenheit im Vater. 

Die Perspektive eines neuen Körpers ist Paulus sehr wichtig. Die Vorstellung erschreckt ihn, nach seinem Tode körperloser Geist zu bleiben, also „nackt“, unbekleidet, ohne Haus. Das bringt unser Vers zum Ausdruck. Mich schreckt eher die Vorstellung einer Ewigkeit in einem materiellen und notwendigerweise auch zeitlichen Körper. Ewigkeit in der Zeit — dann ginge es ja weiter, und weiter, und weiter…

Ich hoffe auf Ewigkeit in einem Licht jenseits der Zeit. 

Einen gesegneten Johannistag wünsche ich uns allen!
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 33/2022

…der ward entzückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, welche kein Mensch sagen kann.
2. Kor 12,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Himmel über dem Feldberg, 14. März 2020, Ulf von Kalckreuth

In den Schwachen mächtig

Vor anderthalb Jahren stand ich auf freiem Feld und weinte. Durch einen Bandscheibenvorfall war der Ischiasnerv dauerhaft eingeklemmt — Schmerzen und Lähmungen waren die Folge. Ich versuchte, jeden Tag eine Stunde zu gehen, aber es wurde schlimmer, nicht besser, und an diesem Tag waren die Schmerzen so stark, dass ich nicht mehr wusste, wie ich nach Hause zurückkommen sollte. Als ich dann vor drei Monaten erstmals wieder einen Volkslauf über 10 km machte, vorsichtig und eigentlich ohne Lauftraining, empfand ich das tief als Geschenk Gottes. Früher, als ich gut trainiert viel bessere Zeiten lief, war mir das nicht eingefallen…

Am Ende des zweiten Briefs an die Korinther ist der Ton gereizt. Paulus muß sich gegen Angriffe fremder „Überapostel“ verteidigen, die in der Gemeinde starken Einfluß gewonnen haben und ihn, seinen Beitrag und seine Begabungen schmälern. 

In Abschnitt 11 und 12 geht es ums Prahlen. Paulus Gegner tun das nachdrücklich. Er selbst lässt sich zum Schein darauf ein, und überlegt, womit denn er prahlen könne. Er hatte, und davon handelt der Vers, mehrere eindrückliche und unmittelbare Gotteserfahrungen. Eine davon führte ihn in den „dritten Himmel“, eine andere — unser Vers — ins Paradies, wo er unaussprechliche Dinge hörte. 

Aber gerade damit will er sich nicht großtun. Paulus will sich seiner Schwachheit rühmen. Denn „meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“, sagt Paulus von Gott. Das ist so sonderbar, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken.

Es gibt eine Tendenz in der Bibel, das Unterste zuoberst zu kehren. Gott erweist seine Macht mit der Fallhöhe. Erringt ein General mit gut ausgebildeten, zahlreichen und hervorragend bewaffneten Truppen einen Sieg, so ist das nicht wirklich wunderbar — ganz anders der Sieg Davids gegen Goliath! Die Schwachen, Witwen, Waisen, Rechtlosen stehen unter Gottes besonderem Schutz. Jesus, der Heiler, kommt zu den Schwachen, nicht zu den Starken, sagt er. Man muß verloren sein, um gefunden zu werden.

Und so stellt Paulus sich vor die Gemeinde und brüstet sich mit seinen Krankheiten, weil sie zeigen, wie sehr Gottes Segen auf ihm ruht! Darin liegt eine Provokation. Der Geist der Zeit nämlich verlangt das gerade Gegenteil. Gottes Wohlwollen entspricht der Menschen Treue zu Seinem Gesetz, so glaubte man. Wem es also schlecht geht, der hat vermutlich den Grund dafür selbst gelegt. Zum Tun-Ergehens-Zusammenhang siehe ausführlich den BdW 50/2021. Niemandem außer Paulus würde es einfallen, sich seiner Schwachheit zu rühmen. 

Er tut das nicht ungeschützt. Das zeigt unser Vers oben. Von seinen beiden großen Gesichten spricht er in der dritten Person, so, als ob es gar nicht um ihn selbst ginge. Aber er lässt keinen Zweifel daran, dass er auch ganz anders könnte, dass er sich auch seiner Stärke rühmen könnte, wenn er wollte, und zwar mit besserem Recht als seine Gegner.

Beides ist faszinierend und lässt einen nicht schnell los. Die Vorstellung, dass Gottes Kraft gerade in den Schwachen mächtig wird, oder auch in Zeiten besonderer Schwäche. Aber auch die Idee, es möge jemanden zu Lebzeiten vergönnt sein, Gottes Worte im Paradies zu hören. Wie Henoch. Um dann aber zurückzukehren an seinen alten Wirkungskreis. 

Wie sich das wohl anfühlt? Wieder am Rechner zu sitzen, die Augen zu öffnen und statt Gottes Herrlichkeit einen Windows-Bildschirm vor sich zu sehen? Wie kann man das annehmen? Wer es kann, der muss etwas wirklich Wichtiges zu sagen haben!

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 04/2022

…wie geschrieben steht: „Der viel sammelte, hatte nicht Überfluss, der wenig sammelte, hatte nicht Mangel.”
2 Kor 8,15

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Die Bibel und Karl Marx

Der Bibelvers der Woche wird zufällig gezogen, aber manchmal arbeitet der Zufallsgenerator in meinem Computer wie ein Herausgeber: Heute geht es noch einmal um die große Sammlung für die Gemeinde in Jerusalem, aber aus einer anderen Perspektive!

In der letzten Woche sind wir Paulus auf seiner letzten Reise begegnet. Die Gemeinde in Jerusalem war in Not geraten, und er wollte den Brüdern eine große Gabe der heidenchristlichen Gemeinden überbringen, als Zeichen der Einheit. Der Vers dieser Woche stammt aus einer Werbeschrift für ebendiese Sammlung. Im armen Makedonien war sie erfolgreich abgeschlossen, und nun wirbt Paulus im reichen Korinth dafür — das ist Kapital 8 und 9 des zweiten Korintherbriefs. Dabei zieht er alle Register. Die Gemeinde sammelte seit dem letzten Jahr, und Paulus will nun gern auch ein Wollen erkennen, sagt er, sie sollen nun aber das Tun vollenden, damit es nicht beim Wollen bleibe. 

„Nicht, dass die anderen (in Jerusalem) Ruhe haben und ihr Not leidet, sondern dass es zu einem Ausgleich komme (V. 13). Und dann er gebraucht er ein Bild, aus dem sich eine Ethik der Gleichverteilung ableiten lässt. Unser Vers oben ist ein Zitat aus Exodus, er erinnert an die Erzählung vom Manna, das in der Wüste den hungrigen Israeliten Nahrung brachte. Als das Manna erstmals vom Himmel fiel, hieß Mose die Kinder Israel sammeln, und gab ihnen dazu eine Verteilungsregel: 

Das ist’s aber, was der Herr geboten hat: ein jeder sammele, soviel wie er zum Essen braucht, einen Krug voll für jedem nach der Zahl der Leute in seinem Zelte. Und die Israeliten taten’s und sammelten, der eine viel, der andere wenig. Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte. (2. Mo 16,16-18)

Was Mose hier fordert und Paulus mit ihm, ist deckungsgleich mit dem Diktum von Karl Marx: „…, jedem nach seinen Bedürfnissen“. Dieses Diktum hat aber auch den ersten Teil: „Jeder nach seinen Fähigkeiten,…“. Der real existierende Sozialismus ist an der Frage gescheitert, wie diese Forderungen zugleich zu erfüllen seien: wenn alle dasselbe erhalten, unabhängig von ihrem Beitrag, dann fehlen den Leistungsfähigen die nötigen Anreize. Es ist jetzt fast genau vierzig Jahre her, dass ich meine erste volkswirtschaftliche Vorlesung hörte, aber wie die beiden Teile des Marx’schen Diktums zu vereinen seien, weiss ich immer noch nicht. 

In der Laborsituation der Wüste Sinai aber funktioniert es! Nichts muss produziert werden — Gott gibt, und alle können nach ihren Bedürfnissen versorgt werden. Manna ist zudem nicht lagerfähig, wer sich also mehr nimmt, als er essen kann, muß zusehen, wie das Ersparte in der Glut des Mittags verdarb. Mose hätte die Verteilungsregel gar nicht verkünden müssen, eine andere ist kaum denkbar — oder vielleicht doch? Jedem nach seiner Kraft und der Länge seines Schwerts, wäre schließlich eine denkbare Alternative. Aber nur für schnelle Esser…

Jedem nach seinen Bedürfnissen — Paulus wirbt dafür, im Verhältnis der christlichen Gemeinschaften ebenso zu verfahren, Und er sieht ausserdem den großen geistlichen Strom, der von Jerusalem aus zu den Heiden gekommen ist, siehe auch den BdW 28/2018. Die große Gabe ist also ausgleichende Gerechtigkeit in einem doppelten Sinne. 

In Kapitel 9 setzt er noch anders an: Gott hat einen fröhlichen Geber lieb, und das Gegebene kommt in verwandelter Gestalt an uns zurück.

Das Verhältnis des Apostels zu der von ihm gegründeten Gemeinde in Korinth war ausgesprochen gespannt, fast vergiftet. Der zweite Brief an die Korinther ist voll Polemik und Reaktion auf Polemik. Man sieht manchmal die zwei Hälften eines zerschnittenen Tischtuchs vor sich. Aber hier, in den Kapiteln 8 und 9, ist Paulus bei sich und seinem großen Projekt. Sein Argument ist ruhig, souverän und überzeugend.  

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, in der wir nach unseren Fähigkeiten geben und nach unseren Bedürfnissen erhalten,
Ulf von Kalckreuth