Da tat ihnen Josua, wie der HErr ihm gesagt hatte, und lähmte ihre Rosse und verbrannte ihre Wagen.
Jos 11,9
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Gesprengte Geschütztürme
Unser Vers enthält eine nützliche Botschaft in einer blutigen Verpackung. Er ist schwer zu ertragen, auch mit einem Abstand von mehr als 3000 Jahren noch. Der Vers erzählt von der massenhaften Verstümmelung von Tieren, und er steht im Kontext eines Eroberungskriegs, in dem die Invasoren keine Gefangenen machen: auch Frauen, Greise und Kinder werden getötet, „mit der Schärfe des Schwerts“.
Unter der Führung Josuas waren die Israeliten über den Jordan in die kanaanitischen Länder, das heutige Palästina, eingefallen, um das von Gott versprochene Land als Heimstatt zu gewinnen. Jericho und Ai waren bereits gefallen, da taten sich die Königreiche des nördlichen Kanaan zusammen. Unter der Führung der Stadt Hazor vereinigen sie ihre Heere und stellen sich gegen Josua. Dieser gewinnt die Schlacht, verfolgt die übrig gebliebenen Kanaaniter und wendet sich dann gegen Hazor selbst, die weitaus größte Stadt der Region. Wie schon in Ai und Jericho lässt er alle Einwohnerinnen und Einwohner töten.
Die Israeliten erbeuten große Mengen von Streitwagen und Pferden. Josua lässt — auf ausdrückliche Weisung des Herrn, seines Gottes — die Pferde durch Zerschneiden der Sehnen verstümmeln und die Wagen verbrennen. Das ist der Inhalt des Verses.
Auch das unterschiedlose Töten aller Bewohner Hazors geschieht auf Anordnung Gottes. Zugrunde liegt das „Kriegsgesetz“ in Deut 20. Die Bewohner der Stadt und ihre Tiere unterliegen der „Vernichtungsweihe“, die in den meisten Bibelübersetzungen als „Bann“ bezeichnet wird. Gott selbst führt den Krieg, die Besiegten fallen Gott zum Opfer. Die israelitischen Krieger sind Werkzeuge, sie dürfen sich an der Beute nicht bereichern — alles gehört Gott, alles unterliegt der Vernichtung. Näheres hierzu liest man unter dem Stichwort „Bann“ in Wikipedia.
Die Israeliten sollen sich mit den Bewohnern des Landes nicht vermischen und ihre Lebensart nicht annehmen. Historiker, Theologen und Archäologen sind sich weitgehend einig, dass sich die Landnahme, also der Aufstieg der Israeliten zur dominierenden Ethnie in großen Teilen Kanaans, nicht in der in Josua beschriebenen Weise ereignet haben kann, durch einen einzigen großen, radikal geführten Vernichtungskrieg also. Die archäologische Evidenz spricht ebenso dagegen wie Widersprüche zu anderen biblischen Texten, hierzu den Wikipedia-Eintrag zur Landnahme, vgl. auch den BdW 33/2019. Das auf Reinheit und unbedingte Gefolgschaft abhebende deuteronomistische Geschichtswerk datiert vielmehr aus der Zeit um das babylonische Exil und dient der Bewahrung einer nationalen Identität im Angesicht einer existenziellen Bedrohung durch Großmächte.
Ich schweife ab, das macht mein Unbehagen deutlich. Auch wenn die Erzählungen zur Landnahme weitgehend konstruiert sein mögen — die Texte beschreiben als Ideal die Auslöschung der Völker Kanaans, physisch und kulturell, und sie sind mit dieser Botschaft wichtige Bestandteile der Bibel. Als ich vor rund fünfundvierzig Jahren die Bibel von Buchdeckel zu Buchdeckel lesen wollte, habe ich den Versuch mitten im Buch Josua abgebrochen, ungefähr an der Stelle, über die wir gerade sprechen. Nun bin ich fast sechzig und suche einen anderen Standpunkt. Die Bibel ist ein Spiegel der Welt und spricht auch von ihren dunkelsten Seiten. Gottes Wort kommt durch Menschen zu uns. Die Texte zur Landnahme haben Menschen geschrieben, die einen verzweifelten Kampf führten, um ihre eigene Identität und die ihres Volks. Es macht mich traurig zu sehen, wie sie sich Ideen verschrieben, die auch von Alfred Rosenberg hätten stammen können.
Aber zurück zum Vers. Die Verstümmelung der Pferde wirkt eigentümlich. auch jenseits von Aspekten des Tierwohls. Die Israeliten befinden sich in einem Krieg, in dem es auch für sie um Sein oder Nichtsein geht. Sie erbeuten Pferde und Wagen der Feinde, und statt diese gegen ihre Feinde zu kehren, vernichten sie beides. Pferde und Kriegswagen waren die Panzer des Altertums, eine Waffe, mit großem Prestige. Man vergleiche etwa die Darstellung einer angreifenden Reiterhorde bei Hiob im BdW 15/2019. Es ist beinahe so, als würden Selenskys Truppen eine Anzahl russischer T 72 erbeuten und ihre Geschütztürme sprengen, statt sie der eigenen Armee zuzuführen.
Aber nur beinahe. Die Ukrainer nutzen Panzer selbst, ihre Kriegführung unterscheidet sich von der russischen nicht grundsätzlich. Die Israeliten hingegen kämpften gegen Feinde, die ganz anders aufgestellt waren als sie selbst, gegen antike städtische Kulturen. Sie selbst waren als Nomaden oder Halbnomaden eingebrochen. Pferdewirtschaft kannten sie nicht, sie hatten nicht die nötige Infrastruktur, keine Reiter, keine Wagenlenker. Pferde und Wagen sind dann eine Last. Der Verzicht Josuas liegt nicht nur in der allgemeinen Logik des Bannkriegs, er ist im engeren Sinne rational.
Das ist die Einsicht des Verses in ihrer schrecklichen Hülle. Mit leichtem Gepäck reisen, sich auf Gott und die eigenen Fähigkeiten verlassen, genau wissen, worauf es ankommt, und worauf nicht, verzichten können. Das ist entscheidend, mit allem anderen verzetteln wir uns. In Israel gibt es eine Redewendung für Situationen, in denen die Ausstattung nicht taugt für die Aufgabe — ein Konzertauftritt zum Beispiel, der mit schlechten Mikrophonen und einem verstimmten Klavier bestritten werden muss: Das haben wir — und damit werden wir siegen! Vielleicht ist das ein fernes Echo unseres Verses?
Der Segen Gottes, der heilt und Leben gibt, sei mit uns,
Ulf von Kalckreuth
2 Antworten auf „Bibelvers der Woche 06/2023“