Bibelvers der Woche 38/2018

…der Brief, den ihr uns zugeschickt habt, ist deutlich vor mir gelesen.
Esr 4,18

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017

Drei Könige und zwei Briefwechsel

Das sprichwörtliche Gesetz der Meder und Perser: niemand kann es aufheben, selbst derjenige nicht, von dem es ausgeht. So kann man es bei Daniel 6 nachlesen. Und wenn sich das Gesetz widerspricht? 

Der persische König Kyros hatte das babylonische Reich zerschlagen und erlaubte dann den Juden, aus ihrem Exil heimzukehren und ihren Tempel wieder aufzubauen. Er gab ihnen zu diesem Zweck sogar das von den Babyloniern geraubte Tempelgold zurück. 

Soweit die Überschrift — sozusagen der Vorstandsbeschluss. Aber ein solcher Beschluss allein bewegt noch nichts. Schnell ist zwar ein Brandopferaltar gebaut, doch als die Juden Anstalten machen, tatsächlich einen Tempelbau in Angriff zu nehmen, sieht die Linie Probleme. Ein Tempel ist ein großes Bauwerk, ein zentraler Ort fürs Volk, und er braucht eine Stadtmauer. Beides gemeinsam würde Jerusalem wieder zum Machtfaktor machen und Unruhe schaffen. Als Kyros gestorben ist, schreibt Rehum, der Oberbefehlshaber der Truppen in Samarien im Namen der regionalen Administration einen Brief an Artaxerxes, einen der Nachfolger von Kyros, und erinnerte ihn daran, wie aufsässig die Stadt einst war. In den Chroniken sei es nachzulesen. Der König möge den Bau unterbinden.

Die Antwort kommt prompt. Man habe den Brief genau gelesen (das ist der gezogene Vers), die Angelegenheit geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass das Anliegen berechtigt sei: der Bau müsse gestoppt werden. Bis weitere Befehle folgen.

An dieser Stelle könnte es zu Ende sein. Das ist das Schicksal vieler Projekte, selbst wenn sie grünes Licht von ganz oben haben: sie müssen in der Ebene durchgesetzt werden, und dort kostet ihre Realisierung die aktuell Mächtigen das, was sie nicht aufgeben wollen: Macht. 

Aber die jüdischen Organisatoren des Baus, Serubabbel und Jeschua, haben einen langen Atem. Sie stellen sich gut mit der lokalen Regierung. Für diese ist die Situation unangenehm: es gibt einen Befehl von Kyros, zu bauen, und einen Befehl von Artaxerxes, zu warten. Als die Zeit reif ist, d.h. noch eine Regentschaft später, schreiben Tattenai, der Statthalter Babylons, und seine Beamten ihrerseits einen Brief an Darius, den Nachfolger von Artaxerxes, und erinnern den König an die Erlaubnis, die sein Vorvorgänger gegeben hat. Und fügen ein zweischneidiges Argument hinzu: Kyros habe den Juden ja bereits eine große Menge Goldes gegeben, um die Planungen umzusetzen! Das appelliert an das Bedürfnis der persischen Macht, überzeitliche Konsistenz im Regierungshandeln herzustellen. Der Adressat könnte es aber auch als Einladung verstehen, das erste Edikt zu bekräftigen und das Tempelgold einzuziehen. 

Aber das Gambit gelingt. Auch Darius lässt die Archive prüfen. Auch die Aussage Tettais wird bestätigt. Darius muss sich zwischen zwei Inkonsistenzen entscheiden. Und er befiehlt, dass weitergebaut werden soll. 

Zwei Briefe mit gegenteiligen Anliegen, beide faktisch korrekt begründet, beides jeweils durch die Archive geprüft und belegt. Ganz nebenbei: hier präsentiert sich eine voll ausgebildete Schriftkultur, zu einem Zeitpunkt der uns früh erscheinen mag: Xerxes regierte zwischen 465 und 424 vor Christus. 

Am Ende, nach mehreren Regierungswechseln, wird das Gesetz der Meder und Perser aufgehoben, um dem Gesetz der Meder und Perser Geltung zu verschaffen. Mit Gottes Hilfe und mit sehr langem Atem kann es gelingen, der Bürokratie in die Speichen zu greifen. 

Und am Ende steht der Tempel wieder da!

Ich wünsche uns eine Woche mit langem Atem! 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 37/2018

Und die Kinder Israel sprachen zu Mose: Siehe, wir verderben und kommen um; wir werden alle vertilgt und kommen um.
Num 17,27

Hier ist ein Link für den Kontext, zur Übersetzung von 2017. 

Furcht vor Gott

Für diesen Bibelvers gibt es einen engeren Kontext und einen weiteren. Im engeren geht es um den Konflikt zweier rivalisierender Eliten, die das Priestertum und die Führungsrolle unter den Leviten beanspruchen: die Kohaniter und die Korachiter. Die Kohaniter führen sich auf Aaron zurück, den Bruder Mose, und im Jerusalemer Tempeldienst stellen sie die Priesterkaste — andere Leviten durften nur niedere Dienste verrichten. Die Korachiter — „die Rotte Korach“ — tauchen auch später noch als Lyriker und Musiker auf, im Buch der Psalmen werden sie immer wieder genannt. Der Abschnitt erzählt, wie Gott in den Konflikt zwischen den beiden Gruppen in brutaler Weise eingreift und ihn für die Kohaniter entscheidet. 

Von dem Streit wird an einer Stelle berichtet, in der es zu einer Krise im Zusammenleben des in der Wüste wandernden Volks mit ihrem Gott gekommen war. Das ist der weitere Kontext. Die „Langfassung“ des Aufschreis des Volks könnte wie folgt lauten:

„Mose, was sollen wir tun? Die Kundschafter sind aus dem Geloben Land zurückgekommen und hatten schreckliche Neuigkeiten: Das Land starrt vor Waffen und seine Einwohner sind unbesiegbar. Wir können nicht sehenden Auges ins Verderben rennen. Und unser Gott, der uns herausgeführt hat aus Ägypten, sagt uns, dass wir alle, jeder einzelne von uns, verrotten sollen in der Wüste, dass keiner das Land sehen wird, erst unsere Nachkommen sollen dorthin gelangen. Wir wurden furchtbar geschlagen, als wir dennoch den Angriff wagten. Und dann tat sich die Erde auf und verschlang die Korachiter, 150 Mann, unsere Vorbeter, Sänger, und Musiker, sie sind in eine glühende Felsspalte gefallen. Und als wir dann schrieen in Zorn und Angst, brachte Gott die schreckliche Pest über uns, die in Windeseile über vierzehntausend von uns hinwegraffte! Wir sind hier in der Steinwüste,  haben alles verloren, wissen nicht wohin, wir sind verurteilt, hier zu sterben. Mose, Gott tötet uns!!“

Da fällt einem vieles ein. Krieg, Vertreibung, Erdbeben, Krankheit, Tod. Die Zerstörung Lissabons im Jahr 1755 hat unauslöschliche Spuren in der europäischen Geistesgeschichte hinterlassen: es fiel vielen schwer, danach noch an einen gütigen Gott zu glauben. 

Und wie kann man denn angstfrei sein vor Gott? Diese Welt ist sein Werk. Sie ist das Interface, über das er mit uns spricht. Man muss man ihm also all dasjenige zutrauen, was diese Welt an Martern zu bieten hat, und das ist eine ganze Menge. Das Alte Testament ist nicht sparsam darin, Gewaltakte des Höchsten zu beschrieben: die Sintflut, die Zerstörung Sodoms, die schreckliche Bestrafung der Ägypter, der Babylonier, immer wieder auch des eigenen auserwählten Volks, der furchtbare Genozid an den Völkern in Kanaan. Und die in den Prophetien des Alten wie des Neuen Testaments manifestierten Erwartungen übersteigern diese Bilder noch!

Mich überfordert dieser Vers. Luther hat der Frage, wie man einen gnädigen Gott bekommt, sein Leben gewidmet. Ich bin kein Theologe, und hier braucht es mehr als Theologie. Aber ich habe diesen Vers gezogen, also will ich mich stellen!

Die Frage, die der Vers stellt, ist so groß, dass es mehrere Antworten gibt, und vielleicht ist keine davon stets und immer gültig. Die erste Antwort folgt in den darauf folgenden Abschnitten. Der Herr gibt dem Volk über Moses seine Regeln (hier: die des Tempeldiensts), und wer sich daran hält, hat nichts befürchten. Das ist eine (!) klassische Antwort des Judentums. Eine zweite Antwort gibt Psalm 91: „Wenn auch tausend fallen zu deiner Seite / und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen.“ Das Grauen wütet in der Welt, aber es trifft nicht die, die unter Gottes besonderem Schutz, die mit ihm im Bund stehen. Eine dritte Antwort gibt Num 14, wo die Israeliten verurteilt werden, Zeit ihres Lebens in der Wüste zu bleiben. Gott hat sich geäußert, wir kennen ihn, er ist keine blinde Naturgewalt. Im Gespräch mit Gott erinnert Mose ihn daran, wie er selbst sich vorgestellt hat: »Der HERR ist geduldig und von großer Barmherzigkeit und vergibt Missetat und Übertretung« Die Christen können auf Jesus vertrauen, der uns in Gott den gütigen Vater zeigt. Eine vierte Antwort steckt im gezogenen Vers selbst: Ja, so ist es. Das Leben ist Verzweiflung, die Entfernung zu Gott ist nicht zu überbrücken, das Ende ist Dunkelheit und es gibt kein Entrinnen. So sagt es Psalm 88, ein Psalm der Korachiter übrigens, und als Möglichkeit scheint diese Antwort in vielen anderen Stellen der Bibel auf. Diese Antwort ist ernst zu nehmen und wert bedacht zu werden, sie bleibt stets bestehen, und sei es als Referenz.

Eine fünfte Antwort steckt in den Lobpreispsalmen und in Hiob: Die Welt ist, wie sie ist, aber Gott ist so unermesslich groß, dass sie bedeutungslos wird. Liebhaber der Mathematik können an eine Folge denken, die den Nenner gegen unendlich gehen lässt und jeden noch so großen Zähler ins Nichts wirft. In Gottes Größe ist die Welt aufgehoben. Wir verstehen nicht warum, aber in Gott ist die Welt gut. Diese Antwort kenne ich von Juden, es ist aber, so glaube ich, auch die Antwort, die Jesus uns gibt, wenn er im Leiden der Welt auf das Reich Gottes verweist. Das Reich Gottes ist nirgendwo und nirgendwann, es ist in Gott selbst, in dem das Leid der Welt aufgehoben und bedeutungslos ist. Das Reich Gottes anzunehmen, wirft Licht bereits in diese Welt. Eine Christin sagte mir einst, sie denke an Gott, wenn die Sorgen zu groß werden. Das hilft wirklich, und das fast augenblicklich, es hilft immer, wenn ich daran denke, es zu tun!

Ich denke über den Vers und mögliche Antworten nach, während ich schwimme. Es ist ein strahlender Frühherbsttag im Freibad. Ich bin ein guter Schwimmer, eine um die andere Bahn lege ich zurück und denke dabei an Luther, den Tod, der uns alle erwartet, an die Gesetzlichkeit, die Gnade. Mein Kopf ist unter Wasser, ich schaue nach unten, wo auf dem Metall des Beckenbodens die Reflexe der Wellen tanzen und sehe die Blasen aufsteigen, die ich mit meinen Kraulzügen nach unten drücke. Mit jedem vierten Zug drehe ich den ganzen Körper nach rechts, wende mein Gesicht in den blendendblauen Himmel und atme tief. Das Wasser trägt mich und meinen beschädigten Rücken, der Rhythmus, die Kraft und das Licht schaffen eine eigene Welt, der Moment ist unbeschreiblich schön.

Da erkenne ich, dass Angst falsch ist. Obwohl es Gründe genug dafür gibt. Wasser kann tödlich sein — vielleicht nicht im Hausener Freibad, aber an vielen anderen Orten, wo ich schon geschwommen bin. Aber sich zu ängstigen, ist dem Leben nicht dienlich. Beim Schwimmen würde ich sofort den Rhythmus verlieren, und wenn die Angst zu Panik wird, kann ich sogar ertrinken.

Angst ist falsch. Obwohl das Urteil steht. Das Leben reibt unsere Leiber auf, unausweichlich, und auf dieser Welt bleibt uns nichts. Das steht so fest, dass es befreiend wirken mag: wenn es keine Alternative gibt, hat die Angst ihren Hebel, ihren Anspruch verloren! Jetzt, in diesem Moment, trägt mich das Wasser, trägt mich der Herr. Nur das zählt. Vielleicht ist es dies, was Jesus uns mit dem Gleichnis von den Lilien auf dem Feld sagen will.

Was könnte ein Israelit sich damals gedacht haben, wenn er nachts aus dem Zelt blickte, in das Sternenmeer im schwarzen Himmel über der Wüste? Was denken Sie?

Ich wünsche uns eine Woche in Gottes Gnade, 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 36/2018

Und er suchte und hob am Ältesten an bis auf den Jüngsten; da fand sich der Becher in Benjamins Sack.
Gen 44,12

Und hier ist ein Link für den Kontext, zur Lutherbibel 2017

Vergeben

Den „Bibelvers der Woche“ gibt es nun seit etwa anderthalb Jahren. Anfangs standen die zufällig gezogenen Verse gänzlich zusammenhanglos nebeneinander. Nun scheinen sie gelegentlich miteinander zu sprechen. Ein Beispiel gab es in der vergangenen Woche, ein anderes waren die beiden Verse aus unterschiedlichen Paulusbriefen, die mit derselben Reise nach Jerusalem zu tun hatten. Und der heute gezogene Vers „spricht“ direkt mit dem Vers aus Woche 26/2018, Ende Juni, aus der Jakobsgeschichte: Laban und Jakob stehen sich in einem dramatischen Finale gegenüber — Laban hat Jakobs Zelt nach Diebesgut durchsucht und nichts gefunden.

Der für heute gezogene Vers ist aus der Josefsgeschichte. Diese erstreckt sich über 10 Kapitel, für Thomas Mann bot sie Stoff für einen vierbändigen Roman. Josef ist Wahrträumer, er versteht sich aber auch auf die Deutung der Träume anderer. Mit dem Bewusstsein der eigenen Herausgehobenheit und weil sein Vater Jakob ihm besonders zugeneigt ist, erregt er den Neid seiner Brüder. Sie werfen ihn in eine Zisterne und verkaufen ihn als Sklaven nach Ägypten. Seine Kunst als Traumdeuter bringt ihn nach einiger Zeit vor den Pharao. Josef deutet dessen Traum (sieben Kühe, sieben Ähren…) und bekommt den Auftrag, die Folgen der kommenden Hungersnot zu lindern. Damit wird er in Ägypten zum mächtigen Vizekönig.

Die Hungersnot führt seine Brüder aus Kanaan nach Ägypten. Sie wollen dort von dem unter Josef eingelagerten Getreide kaufen. Josef gibt sich nicht zu erkennen und schickt die Brüder mit Getreide wieder nach Haus, behält aber Simeon als Geisel. Er verlangt, dass bei der zweiten Reise auch Benjamin mitkomme. Dieser ist der Lieblingssohn des Vaters, wie Josef selbst ein Sohn Jakobs mit Rahel, der Liebe seines Lebens. Auch beim zweiten Mal erhalten die Brüder Getreide, aber wieder werden sie nach Hause geschickt. 

Im Sack von Benjamin lässt Josef einen silbernen Becher verstecken. Als die Brüder sich mit ihren Eseln auf den Rückweg gemacht hatten, schickt Josef seinen Majordomus hinter ihnen her und lässt sie bezichtigen: ein silberner Becher fehlt! Die Brüder schwören, dass derjenige sterben soll, bei dem er gefunden werde, und alle anderen sollen Josefs Sklaven sein. Der Haushälter sagt, es genüge, wenn derjenige Sklave wird, der den Becher genommen hat, die anderen sind frei. Nun kommt der gezogene Vers: der Becher wird bei Benjamin gefunden!

Wie bei Jakob und Laban ist die Suche nach Diebesgut hier Ausdruck und gleichzeitig Wendepunkt einer völligen Zerrüttung. Beide Male schwören die Beschuldigten, dass derjenige sterben soll, bei dem das Diebesgut gefunden wird. Es gibt auch sprechende Unterschiede: Bei Jakob wurde tatsächlich gestohlen, aber nichts gefunden. Bei Josef hingegen wurde nichts gestohlen, aber es wird etwas gefunden. Vorher verzichtet klug der Majordomus darauf, das tödliche Gelübde der Brüder anzunehmen: die Strafe könnte nicht umgesetzt werden.  

Den Brüdern müssen die Ohren geklungen haben, als der Majordomus ihre Habe durchsuchte. Sie alle (und Josef) waren ja dabei, als Laban seinerzeit Jakobs Zelt durchforsten ließ. Und nun müssen sie gedemütigt mit ihren Eseln dem Haushälter zurück in die Stadt folgen, zu dem fremden Machthaber und seinem Gerichtsspruch. Bei der dritten Begegnung in Josefs Palast bittet Juda, dass er selbst anstelle von Benjamin Sklave sein möge. Es wäre sonst zu viel für den Vater. Josef ist zu Tränen gerührt und gibt sich den Brüdern zu erkennen.

Warum nicht gleich? Warum das „retardierende Moment“, mit den zwei Reisen, dem untergeschobenen Becher und der Durchsuchung? Dramaturgisch wird hier ein bereits eingeführtes Motiv genutzt und variiert, wie in Filmen, bei denen einem bestimmten Motiv (Liebe, Kampf, Mord) je eigene musikalische Themen zugeordnet sind. In der Erzählung kann Josef damit seine bereits beträchtliche Überlegenheit noch steigern: er hat die wirtschaftliche Macht, er hat die physische Macht, und der „Diebstahl“ gibt ihm nun auch die moralische Macht, verbunden mit einer Richterrolle. Vergebung setzt voraus, dass man auch anders verfahren kann — aus einer Position der Unterdrückung heraus ist sie nicht möglich. Vielleicht will er sehen, wie die Brüder mit Benjamin verfahren. Dessen Rolle in der Brüderschar ist der von Josef recht ähnlich. Vielleicht aber kennt Josef selbst noch nicht das Ende, als er den Becher verstecken lässt.

Unter Tränen interpretiert Josef das Geschehene als eine Fügung Gottes. Die Brüder sollen sich über ihren Anschlag nicht grämen: zu dem brutalen Zerwürfnis sei es gekommen, damit Josef in Ägypten die Möglichkeit habe, die Folgen der schrecklichen Hungersnot von der Familie in Kanaan abzuwenden. Mit dieser Figur räumt er die Schuld aus der Welt. Welch eine Selbstverleugnung! Josef braucht alle Kraft, derer er habhaft werden kann, um den Abgrund zu überwinden — den zwischen ihm und den Brüdern ebenso wie den Abgrund in sich selbst.

Sich gegenseitig zu durchsuchen, zu filzen, ist die Spitze des Misstrauens. Danach kann eigentlich nichts mehr kommen. Aber in beiden Geschichten steht die entwürdigende Durchsuchung unmittelbar vor einem Akt der radikalen Vergebung durch Verzicht, einseitigem Verzicht. 

Wir beten „…wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Was genau meinen wir damit? Was ist hier gefordert, und was können wir geben? 

Ich wünsche jedem von uns, dass er oder sie in naher Zukunft einem Schuldiger vergeben kann — vielleicht in dieser Woche?
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 35/2018

Und Darius aus Medien nahm das Reich ein, da er zweiundsechzig Jahre alt war.
Dan 6,1

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Auch wenn die Löwen brüllen

Der Vers führt uns zurück zum Buch Daniel. Vor vier Wochen, in Woche 31, hatten wir einen Vers zu einem Bewahrungswunder — die „drei Männer im Feuer“. Der gezogene Vers leitet die Erzählung des anderen bekannten Bewahrungswunder im Buch ein: „Daniel in der Löwengrube“. Hier ein Link zum Vers der Woche 31/2018.

Um welches Reich geht es? Das Königreich Juda war vom babylonischen König Nebukadnezar als politisches Gebilde vernichtet worden, und die jüdische Oberschicht und in Babylon angesiedelt worden. Einige Jahrzehnte später unterlag das Neubabylonien seinerseits dem Perserkönig Kyros II. Der König Darius im Vers ist nicht Dareios der Große von Persien, sondern vielleicht ein medischer Satrap von Kyros II.

Der gezogene Vers erzählt also von einem Neubeginn nach einem Untergang. Wie geht es jetzt weiter? Ein neuer König, eine neue Zeit. Für Daniel wohnt diesem Anfang durchaus ein Zauber inne. Darius schätzt ihn ganz außerordentlich und macht ihn zu einem der drei mächtigsten Männer unter ihm. Er steht kurz davor, ihm Verantwortung für das ganze Reich zu geben. Dann führt eine Intrige seiner Konkurrenten dazu, dass beinahe alles vorbei ist: Der Mederkönig muss dem eigenen Gesetz gehorchen und Daniel den Löwen zum Fraß vorwerfen. Aber die ausgehungerten Tiere verweigern sich. Darius erkennt das Zeichen und wirft anstelle Daniels dessen Verleumder den Löwen vor, diesmal mit dem erwarteten Ergebnis. Und wie seinerzeit Nebukadnezar bekennt auch er nun im ganzen Reich die Macht des jüdischen Gottes.

Eine neue Zeit… Wenn sich die Bedingungen grundlegend ändern, entstehen neue Möglichkeiten und neue Gefahren. Beides ist anfangs schwer abzusehen. Das macht die neue Zeit so aufregend. Der Vers und die von ihm eingeleitete Geschichte verweisen uns auf den Schutz des lebendigen Gottes und auf seine Treue. Wir dürfen neue Zeiten als Chance sehen, nicht als Bedrohung — selbst wenn ganz in unserer Nähe die Löwen brüllen…

Eine Woche voller neuer Chancen wünscht uns
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 34/2018

…daß eure Nachkommen wissen, wie ich die Kinder Israel habe lassen in Hütten wohnen, da ich sie aus Ägyptenland führte. Ich bin der HErr, euer Gott.
Lev 23,43

Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017

Ein Fest, das den Christen fehlt…!

Der Vers steht im 3. Buch Mose (Levitikus). Das Buch befasst sich vornehmlich mit den Aufgaben der Priester, den unterschiedlichen Arten von Opfern, Festen, Reinheitsgeboten, sexuelle Verbote sowie Gebote allgemeiner Art für das menschliche Miteinander, im Anklang an die zehn Gebote. Abschnitt 23 führt die großen Feste ein, angefangen beim Schabbat. Der gezogene Vers steht in der Setzung des Laubhüttenfests, genannt Sukkot (Pl. von ‚Hütte‘). Im Christentum ist dieses Fest weitgehend unbekannt. 

Sukkot steht, ebenso wie die beiden anderen großen Opferfeste, ursprünglich in einem landwirtschaftlichen Zusammenhang. Es war ein Erntefest. Später wurde es religiös mit der Wüstenwanderung der Israeliten verbunden und sollte an die Zeit erinnern, in der man auf der Flucht in Laubhütten schlief, schutzlos, von Gott getragen. Die Feier dauert eine Woche, und das Fest ist ausdrücklich als „fröhliches Fest“ eingesetzt: „Ihr sollt am ersten Tage Früchte nehmen von schönen Bäumen, Palmwedel und Zweige von Laubbäumen und Bachweiden und sieben Tage fröhlich sein vor dem HERRN, eurem Gott“ (Vers 40). Vorgeschrieben waren Feueropfer; die Rituale zum Fest kreisen aber um Wasser, das lebensspendende Element. Im Johannesevangelium ruft Jesus am letzten Tag des Laubhüttenfests alle, die Durst haben, zu sich. Auch heute noch wollen Juden möglichst viele der sieben Feiertage mit ihren Familien in improvisierten Laubhütten zu verbringen. Es ist eines der Hochfeste im Judentum, in diesem Jahr wird es vom 23. September bis zum 30. September gefeiert.

Die beiden anderen großen Wallfahrtsfeste der Juden, Pessach und Schawu’ot, haben die Christen mit modifizierter Bedeutung als Ostern und Pfingsten in ihren Festkalender übernommen. Das Laubhüttenfest nicht. Gar nicht? 

Sein Charakter als Erntefest ist in unserem Entedank enthalten, und Schutzlosigkeit in Gottes Hand (Flüchtlinge, Krippe…) ist eine der vielen Frequenzen, auf denen unser Weihnachtsfest strahlt. 

Der Prophet Sacharja (Sach 14, 16-19) sagt, dass im messianischen Zeitalter Sukkot das allumfassende Regenfest sein wird, an dem die benachbarten Völker nach Jerusalem pilgern, um dort den HERRN anzubeten. Es wäre dann eine genuin messianische Feier, für Juden und Nichtjuden. 

Vielleicht fehlt uns Christen ja doch noch ein wichtiges Fest…

Ich wünsche uns eine fröhliche Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 33/2018

Joas aber sprach zu allen, die bei ihm standen: Wollt ihr um Baal hadern? Wollt ihr ihm helfen? Wer um ihn hadert, der soll dieses Morgens sterben. Ist er Gott, so rechte er um sich selbst, dass sein Altar zerbrochen ist.
Ri 6,31

Was ist Wahrheit?

Hier ist der Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. Der folgende Vers 32 gehört untrennbar dazu, daher sei er hier angefügt: 

Von dem Tag an nannte man Gideon Jerubbaal, das heißt „Baal streite mit ihm“, weil er seinen Altar niedergerissen hat.

Wenn man lange genug auf einen Vers blickt, geraten manchmal Kategorien ins Wanken. Das Richterbuch erzählt von einer Zeit großer Unbestimmtheit. Das Gelobte Land ist erobert — oder vielleicht doch nicht? Liest man die ersten Seiten des Richterbuchs, so hat es eher den Anschein, als bewohnten die Israeliten in Kanaan einzelne Geländetaschen, und sind ihren jeweiligen Nachbarn mal überlegen, mal unterlegen, mal im Frieden. Das „Volk“ Israels besteht aus zwölf Stämmen, die kaum kooperieren, manchmal sogar Krieg gegeneinander führen und außer ihrem Gott wenig gemein haben. Und oft noch nicht einmal diesen: die Kulte der Kanaaniter um Ba’al und Astarte sind allgegenwärtig und sehr attraktiv für die Stämme. Und warum auch nicht? Die Idee von Gott, seine „Person“, unterscheidet sich noch nicht sehr von der anderer Götter in Kanaan. Aber auch in dieser frühen Zeit ist bereits das Bilderverbot ein hartes Unterscheidungsmerkmal.

Der Abschnitt, in dem der Vers steht, handelt von Gideon, dem Sohn des Joas. Für ihn gibt es in zwei Erzählkreisen zwei Namen. Als junger Mann zerschlägt er die Altare Baals, die seinem Vater gehören, und zerhackt die Statue der Astarte. Er nimmt das Holz der Statue, um dem Gott Israels ein Opfer zu bringen. In diesem Erzählkreis heißt er Gideon, der gezogene Vers steht an seinem Ende. In der folgenden Erzählung schlägt er vernichtend die Midianiter, welche die Israeliten hart bedrücken. Hier heißt er an mehreren Stellen „Jerubbaal“. Der Name lässt aufhorchen. Er bedeutet „Baal streitet“. Es ist ein „theophorischer“ Name, wie Jisra’el (Gott kämpft) und Jisma‘el (Gott hört). Im zweiten Teil dieser Namen steht „El“, eines der Namen Gottes, der erste Teil ist das Imperfekt eines Verbs in der 3. Person Sg. Ähnlich gebildet ist auch Johannes („Gott ist gnädig“), wobei dort die Kurzform „Ja“ des Gottesnamens in der ersten Silbe steht. 

Der Name „Jerubbaal“ bezieht sich deutlich hörbar nicht auf den Gott Israels, sondern auf Baal! Der Kämpfer gegen Baal trägt also einen Namen, der ihn unter den Schutz Baals stellt. Die Verse 31 und 32 adressieren dieses Problem und machen zwei Festlegungen. Zum einen wird der Name politisch korrekt gedeutet — Jerubbaal heißt nicht einfach „Baal streitet“, sondern der Name bedeutet „Baal soll nur streiten (wenn er kann)“. Grammatisch ist das denkbar, das hebräische Imperfekt gibt das her, und mit dieser Interpretation wäre es ein Spottname auf Baal — allerdings einer mit einem enormen Potential für Missverständnisse. Weiterhin stellen die beiden Verse fest, dass Gideon den Namen Jerubbaal als Zweitnamen erhält, wie Jakob den Namen Jisra‘el. Die mit diesen beiden Namen bezeichneten Personen sind also in Wahrheit eine einzige.

Und wenn die Verse nicht im Buch stünden? Dann gäbe es einerseits Jerubbaal, einen genialen und furchtlosen, dem Baal zugewandten israelitischen Heerführer, der die Midianiter vernichtend schlägt und dessen Sippe ins Unglück gerät, weil er Gold aus der Beute einschmelzen lässt, um ein Standbild zu erstellen und zu verehren — sowie andererseits Gideon, einen zornigen jungen Anhänger des Gottes Israels, der sich im Kampf gegen den Baalskult gegen den eigenen Vater wendet, von diesem schließlich aber vor der aufgebrachten Menge gerettet werden muss. 

Sehr unbestimmte Zeiten waren das! 

Für diese Woche wünsche ich uns Klarheit in den Kategorien. Wir selbst müssen sie schaffen, die Welt schenkt sie uns nicht…
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 32/2018

Wie einem Krüppel das Tanzen, also steht den Narren an, von Weisheit zu reden. 
Spr 26, 7

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Der Spruch handelt von Weisheit und Torheit und macht Aussagen über Menschen, die darüber zu reden wagen. Man kann diesen Spruch nicht kommentieren, ohne sich selbst in Gefahr zu begeben… 🙂

Eine Woche in Weisheit wünscht uns
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 31/2018

Und Nebukadnezar trat hinzu vor das Loch des glühenden Ofens und sprach: Sadrach, Mesach, Abed-Nego, ihr Knechte Gottes des Höchsten, geht heraus und kommt her! Da gingen Sadrach, Mesach und Abed-Nego heraus aus dem Feuer.
Dan 3, 26

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Drei Männer im Feuerofen

Ein Bewahrungswunder. Das sieht man sofort. Aber warum geht es? Das Buch Daniel ist eines der jüngsten Schriften des AT. Es stammt aus dem zweiten Jhd. v. Chr. und besteht aus zwei Teilen. Die Abschnitte 7-12 enthalten apokalyptische Visionen des Propheten, die für die Religionsgeschichte der Juden wie der Christen sehr wichtig sind. Man findet dort konkrete Ankündigungen des Messias, an denen später Jesus gemessen wird. Auch die Vorstellung eines Lebens nach dem Tode, wie sie heute für Juden und Christen so selbstverständlich und  charakteristisch ist, findet man dort klar formuliert. Die Abschnitte 1-6 behandeln die Jugend des Propheten. Er kam als Heranwachsender an den Hof des Königs Nebukadnzar, der Angehörige der Elite des jüdischen Volks hatte wegführen lassen, um sie babylonisch akkulturieren zu lassen. Für Juden war dies eine Horrorvorstellung, für Nebukadnezar war es ein wohl ein mehr oder weniger gut gemeinter Versuch, den er anstellte, wenige Jahre bevor er die unruhige und aufsässige jüdische Eigenstaatlichkeit beendete, den Tempel zerstörte und die gesamte Elite des Landes verschleppen ließ.

Daniel verstand es, seine kulturelle und religiöse Identität zu bewahren. In den Geschichten um ihn gibt es Anklänge an ältere und sehr alte Schriften. Wie Moses wächst Daniel an einem fremden Hof auf, wird dort ausgebildet und erlernt die fremde Sprache und Schrift. Wie Joseph ist Daniel ein begnadeter Traumdeuter. Er löst das Rätsel eines königlichen Traums, an dem alle anderen Weisen des Reichs scheitern. Mit seiner Deutungskunst wird er wichtiger politischer Führer unmittelbar unter dem König. Wie Mordechai im Buch Esther weigern Daniel und seine Freunde sich, die Standbilder fremder Götter anzubeten. Aus dieser letzteren Geschichte stammt der gezogene Vers — er ist der Höhe- und Wendepunkt der Erzählung von den drei Männern im Feuer. 

Daniel war unter Nebukadnezar politischer Führer in Babylon geworden, vergleichbar einem Premierminister, und hat das Reich neu geordnet. Seine Freunde aus dem Heimatland, mit denen er an den Hof gekommen war, hat er in wichtige politische Positionen gebracht. Als der König jedoch ein großes Standbild aufstellen lässt, das jedermann unter Todesstrafe anzubeten hatte, weigern sich die Freunde, dem Gebot nachzukommen. Ihre Neider sorgten dafür, dass die Sache vor den König gebracht wird. Auch auf wiederholte Aufforderung bleiben die drei standhaft und Nebukadnezar muss seine Strafandrohung wahrmachen. Er lässt die drei ins Feuer werfen. Das Feuer lässt er so heiß anfachen, dass die Wächter ums Leben kommen, die die drei Freunde in den Ofen stoßen sollen. Aber den dreien selbst geschieht im Ofen nichts — sie wandeln frei in den Flammen umher. Man sieht zwischendurch gar einen vierten Mann, der aussieht wie ein Engel Gottes. Auf Befehl des Königs treten schließlich die drei heraus, unversehrt, und der König ist geläutert, er erkennt die Macht Gottes an. 

Im Buch Daniel muss Nebukadnezar diese Erfahrung einige Male machen. Warum war nicht auch Daniel im Ofen? Er wird wenig später aus einem ähnlichen Grund in die Löwengrube geworfen. Wieder gibt es ein Bewahrungswunder, wieder erkennt der König schließlich das Zeichen. Erst der Sohn Nebukadnezars, Belsazar, fällt tatsächlich der Rache Gottes anheim. Daniel vermag zwar noch die rätselhafte Schrift an der Wand zu deuten, aber das kann nichts mehr ändern.

An dieser Stelle mögen wir uns an Waschti erinnern, die unglückliche persische Königin aus der KW 29. Auch sie widersetzt sich, unter Missachtung der realen Kräfteverhältnisse, einem ausdrücklichen Befehl des Königs, aber anders als die drei Freunde geht sie damit unter. Die Bibel ist hier in systematischer Weise parteiisch. Die drei Freunde haben den Befehl eines anderen Königs, des obersten, befolgt und stehen daher unter Seinem Schutz. Waschti folgt nur ihrem eigenen Willen. Im Buch Esther spielt, wie schon erwähnt, Mordechai die Rolle der drei Freunde: auch er weigert sich, ein Standbild zu verehren, auch er setzt sich damit durch.

Im Bild vom Feuerofen ist das Motiv der Reinigung, der Läuterung enthalten. Auch das des Opfers. In meinen Ohren lässt der gezogene Vers auch das Thema Wiederauferstehung anklingen, das im Buch Daniel weiter hinten große Bedeutung erlangt.

Noch etwas ist uns überliefert von den drei Männern im Feuerofen: ein Psalm, ein eindrücklicher und schöner Lobgesang. Formal und in Elementen des Texts ist er dem großen Lobpreispsalm, Ps 136, sehr ähnlich. Er erinnert mich auch an den Sonnengesang des Franz von Assisi. Der Text ist apokryph. In der Lutherübersetzung 2017 ist er enthalten, wie auch früher schon in der Einheitsübersetzung. Mit dem Lied als Zugabe zum BdW wünsche ich uns eine gute Woche, in der uns Gott alle und in allem bewahren möge.
Ulf von Kalckreuth

Der Gesang der drei Männer im Feuerofen

Da sangen die drei wie aus einem Munde, sie priesen und lobten Gott in dem Ofen und sprachen:

Gelobt seist du, Herr, du Gott unsrer Väter,
und sollst gepriesen und hoch gerühmt werden ewiglich!

Gelobt sei dein herrlicher und heiliger Name
und soll gepriesen und hoch gerühmt werden ewiglich!

Gelobt seist du in deinem heiligen, herrlichen Tempel
und sollst gepriesen und verherrlicht werden ewiglich!

Gelobt seist du, der du sitzt über den Cherubim und siehst in die Tiefen,
und sollst gepriesen und hoch gerühmt werden ewiglich!

Gelobt seist du auf deinem königlichen Thron
und sollst gepriesen und hoch gerühmt werden ewiglich!

Gelobt seist du in der Feste des Himmels
und sollst gepriesen und verherrlicht werden ewiglich!

Lobet den Herrn, all ihr Werke des Herrn,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Engel des Herrn,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Himmel,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, all ihr Wasser über dem Himmel,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, all ihr Mächte,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, Sonne und Mond,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Sterne am Himmel,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, Regen und Tau,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, all ihr Winde,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, Feuer und Glut,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, Frost und Hitze,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, Tau und Schnee,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, Eis und Frost,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, Reif und Schnee,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Nächte und Tage,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, Licht und Finsternis,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Blitze und Wolken,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Die Erde lobe den Herrn,
sie preise und rühme ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Berge und Hügel,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Gräser und Kräuter,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Quellen,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Meere und Ströme,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Fische und alles, was sich im Wasser regt,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, all ihr Vögel unter dem Himmel,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, all ihr Tiere, wilde und zahme,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Menschenkinder,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobe den Herrn, Israel,
preise und rühme ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Priester des Herrn,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Knechte des Herrn,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, ihr Geister und Seelen der Gerechten,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, all ihr Frommen und die ihr von Herzen demütig seid,
preist und rühmt ihn ewiglich!

Lobet den Herrn, Hananja, Asarja und Mischaël,
preist und rühmt ihn ewiglich! Denn er hat uns erlöst aus dem Totenreich und errettet vom Tode, er hat uns befreit aus dem glühenden Ofen und mitten aus dem Feuer gerissen.

Danket dem Herrn; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.

Lobet den Gott der Götter, alle, die ihr den Herrn fürchtet,
preist ihn und danket, denn seine Güte währet ewiglich!

Stücke zu Daniel 3, 51-90, Der Gesang der drei Männer im Feuerofen, Lutherübersetzung 2017

Bibelvers der Woche 30/2018

Diese gingen voran und harrten unser zu Troas.
Apg 20,5

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Ungeplant und machtvoll

Wir sind wieder auf einer Missionsreise des Paulus durch die griechisch geprägten Landschaften Europas und Kleinasiens. Es ist die dritte Reise. Sie führt zunächst von Antiochien nach Ephesos. Dort gab es einen großen Tumult, und der Apostel wich nach Korinth aus. Vermutlich wurde dort der Römerbrief geschrieben, aus dessen Schlusskapitel vor zwei Wochen der BdW 28/2018 gezogen wurde. Von seinem Plan, von Korinth aus nach Syrien überzusetzen — vermutlich um die Gabe für Jerusalem zu überbringen, von der die Rede war — musste er wegen konkreter Drohungen Abstand nehmen. Stattdessen begab er sich auf einem langgezogenen Seeweg in Küstennähe zurück nach Kleinasien, unter anderem über Troas, um von dort nach Jerusalem zu gelangen. Er hatte es sehr eilig, weil er rechtzeitig zum Pfingstfest Jerusalem erreichen wollte. Dort wurde er einige Zeit später gefangen genommen.  

Hier, in Troas, der Landschaft rund um das antike Troja, stößt Lukas hinzu, der Ich-Erzähler der Apostelgeschichte. Paulus hat es eilig und will weiterkommen. Er will aber auch die Gelegenheit nicht versäumen, den Glauben derer zu stärken, die er bei zwei früheren Aufenthalten für Jesus gewonnen hatte. Er hält eine Predigt bis tief in die Nacht hinein. Eutychus, ein junger Mann, sitzt in einem Fenster und schläft ein. Er fällt und wirkt wie tot. Paulus eilt zu ihm und verkündet, es sei noch Leben in ihm. Er setzt den Besuch fort bis der Tag anbricht und verlässt den Ort. Eutychus aber kommt tatsächlich wieder zu sich. 

Was können wir dem gezogenen Vers entnehmen, der so unmittelbar an den vor zwei Wochen gezogenen anschließt? Paulus war unterwegs auf einem chaotisch anmutenden Weg durch den Ostteil des riesigen römischen Reiches. Diesen Pfad entlang blieb fast jede Einzelheit dem Zufall überlassen, anders war es nicht möglich. An mehreren Stellen läuft es völlig anders als geplant. Sein großes Ziel, Jerusalem und das Wiedersehen mit den „Heiligen“ der dortigen Gemeinde, verliert Paulus nicht aus den Augen und schließlich erreicht er es. Man kann sich denken, dass er seine Gabe dort überbringen und helfen kann, Einheit zu stiften. Seine Verhaftung dort und die erzwungene Reise nach Rom sind wiederum ungeplant, aber selbst dieses große Missgeschick kann er in seine Mission integrieren und für sich arbeiten lassen.

Wie frei wären wir, wie machtvoll unsere Arbeit, wenn wir so leben könnten!

Ich wünsche uns eine Woche in Freiheit, im Segen des Herrn,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 29/2018

Und man setzte niemand, was er trinken sollte; denn der König hatte allen Vorstehern befohlen, daß ein jeglicher sollte tun, wie es ihm wohl gefiel.
Est 1,8

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Fahrkarte in den Untergang

Unser Vers steht am Anfang des Buchs Esther. Dies Buch liest sich wie ein orientalisches Märchen. Schon auf der ersten Seite fühlt man sich in 1001 Nacht versetzt. Es lohnt sich, den Abschnitt zu lesen!

Der König Ahasversos von Persien, mächtiger Herr über eine Vielzahl von Reichen und Provinzen von Indien bis Kusch, feiert ein großes Fest. Alle sind eingeladen, Menschen aus dem ganzen Reich kommen. Hier setzt der Vers ein: Es soll an nichts fehlen, der König bestimmt, das jeder tun kann, was er will. Alle feiern mit. Alle? Nein, seine Frau Waschti will auch tun, was sie will und feiert ihr eigenes Fest mit den Frauen im Schloss. Von der Feier ihres Gemahls hält sie sich fern. 

Nach einer Woche erträgt es der König nicht länger. Er schickt sieben hohe Würdenträger zu Waschti, um sie öffentlich und offiziell auf sein Fest zu bitten. Aber ebenso öffentlich und offiziell lehnt sie ab. 

Die Sache kann nicht gutgehen. Das persische Reich ist eine orientalische Despotie, und das Patriarchat hat konstitutionellen Charakter. Zwar scheint sich der König Sache nicht ganz sicher zu sein — er beruft seine Räte ein. Deren Urteil aber ist eindeutig. Wenn das durchgehe, kümmere sich keine Frau im Reich mehr darum, was ihr Mann will! Waschti wird als Ehefrau verstoßen, mit einem eigens erlassenen Gesetz, das im ganzen Reich verlesen wird. Öffentlich und offiziell.

Zunächst einmal ist dies die Vorgeschichte des Auftritts der eigentlichen Heldin. Überall sucht der König schöne Frauen für die Nachfolge der liebreizenden Waschti, und die Jüdin Esther wird auserwählt und kann ihn heiraten. Durch geschicktes Taktieren und mutiges Eingreifen nutzt Esther ihre Position, um ihr Volk vor einer schrecklichen Verschwörung zu retten, einem geplanten Massenmord.

Von Waschti hören wir nichts mehr. Was war in ihr vorgegangen? Durch ihre öffentliche Antwort an die sieben Ministerialen hat sie de facto selbst die Scheidung eingereicht. De lege konnten dies nur Männer. Aber im strengen Angesicht seiner Räte hat der große, öffentlich gedemütigte König keine Wahl mehr. Der Preis ist hoch, Waschti verliert ihre Existenzgrundlage. Man kann sie dafür ein wenig bewundern. Man kann aber auch fragen, ob sie recht bei Sinnen war. Sie war eine starke Frau, die in einem entscheidenden Augenblick die Bedingtheiten ihrer Existenz vergessen hat — vielleicht auch eingeladen von dem gezogenen Vers: jeder sollte tun, was er will und wozu er Lust hatte.

Dieser Satz ist heute, als Forderung an das eigene Leben, nichts Geringeres als herrschende Ideologie: Wer es nachhaltig nicht schafft, zu tun, was er will und wozu er Lust hat, der hat versagt, ist nicht stark genug, macht etwas falsch — ein sichtbares Kriterium also für gelungenes oder mißlungenes Leben. 

Man kann mancherlei darüber denken. Wer dabei aber die Bedingtheiten seines Lebens vergisst, dem wird diese Forderung ohne weiteres zur Fahrkarte in den Untergang. Waschtis Nachfolgerin Esther war eine ebenso willensstarke Frau, die sich dieser Bedingtheiten aber in jedem Moment bewusst blieb und so wirklich Großes erreichen konnte. Vielleicht ist dies eine der Grundbotschaften des ganzen Buchs, und die arme Waschti spielt in Wahrheit eine viel wichtigere Rolle als die einer Komparsin in der Vorgeschichte. 

Ich wünsche uns eine gute Woche, mit Sinn für Möglichkeiten, Grenzen und Proportionen. 
Ulf von Kalckreuth