Bibelvers der Woche 33/2024

Unter den Amramiten, Jizhariten, Hebroniten und Usieliten…
1 Chr 26,23

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Legitimation

Aus der unmittelbaren Nachbarschaft dieses Verses habe ich vor einem Jahr schon gezogen, in BdW 34/2023 — und viel neues kann ich jetzt eigentlich nicht beitragen. Es geht hier darum, wer im ersten Tempel für die Finanzen verantwortlich war, Hüter der Termpelschätze sein durfte. Die Wächterfamilien werden auf die Söhne Levis zurückgeführt. Der Kommentar vor einem Jahr vollzieht die Verwandtschaftsverhältnisse nach und stellt das Erzählte in einen sinnvollen Kontext: Wie werden Lebensaufgaben bestimmt? 

Hier will ich darüber nachdenken, warum eigentlich diese ausführliche Betrachtung in der Chronik zu finden ist. Sie ist ein vergleichsweise junges Buch, vermutlich wurde sie gegen Ende des vierten Jahrhunderts v. Chr. aus älteren Quellen kompiliert. Wichtig sind der Tempel und seine Organisation. Genealogie und Verwandtschaft werden breit dargestellt. In der Chronik treten die Priester zurück gegenüber den Leviten als den eigentlichen Trägern der Tradition. Es wird daher vermutet, dass die Autoren aus der zweiten Reihe der Tempelaristokratie stammen. 

Über dem Text rund um unseren Vers scheint die Überschrift „RESERVIERT“ zu stehen, wie auf dem Tisch eines Restaurants. Es geht um wichtige Aufgaben, die den Leviten zukommen, nicht den Priestern. Wenn ich raten dürfte, würde ich vermuten, dass zur Entstehtungszeit der Chrinok die genannten Familien, die Amramiten, Jitzhariten, Hebroniten und Usieliten, bei der Verwaltung der Finanzen des neugegründeten Tempels eine wichtige Rolle spielten. Und nach der Zerstörung des ersten Tempels, dem Exil und dem tastenden religiösen und sozialen Neubeginn kam Legitimation aus der Vergangenheit, siehe dazu Verse aus Esra und Nehemia in BdW 15/2024, 20/2020, 02/2018 und 47/2022, etwa aus der gleichen Zeit. Die genannten Familien sind geeignet, den Tempelschatz zu hüten, weil sie das schon immer getan haben. Daher führt die Chronik die Verwalter der Tempelfinanzen auf den Stammvater Levi zurück. Der mag vielleicht 1400 Jahre zuvor gelebt haben, in einer schriftlosen Zeit…

Das ist nur Konjektur. Zu jeder Zeit und in jeder Gesellschaft aber gibt es Regeln für die Legitimation herausgehobener Stellen. Unsere Elite legitimiert sich durch Leistung, ersatzweise auch Geschlecht oder Minderheitenstatus. Wie ungeheuer wichtig werden diese Dinge dadurch, wie sehr bestimmen sie die alle Art von Kommunikation. Leistung ist die Währung der Macht! Eine Schwundform sind die Dissertationen einiger deutscher Politiker. 

Frohe Botschaft kann ich in unserem Vers nicht erkennen. Aber unsere Gegenwart finde ich darin durchaus. Gottes Segen sei mit uns, mit dem was wir tun, und in dem, was wir auch ohne Leistung Minderheitenstatus und Vergangenheit sind — seine Kinder!
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 32/2024

…es sagt der Hörer göttlicher Rede, der des Allmächtigen Offenbarung sieht, dem die Augen geöffnet werden, wenn er niederkniet:…
Num 24,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Segen und Fluch

Hier zunächst einmal der ummittelbare Kontext, damit wir einen vollständigen Satz vor uns haben. Der Satz hat es in sich (Num 24, 2b-6): 

Und der Geist Gottes kam auf ihn und er hob an mit seinem Spruch und sprach: Es sagt Bileam, der Sohn Beors, es sagt der Mann, dem die Augen geöffnet sind; es sagt der Hörer göttlicher Rede, der des Allmächtigen Offenbarung sieht, dem die Augen geöffnet werden, wenn er niederkniet: 

Wie fein sind deine Zelte, Jakob, und deine Wohnungen, Israel! 
Wie die Täler, die sich ausbreiten, 
wie die Gärten an den Wassern, 
wie die Aloebäume, die der HERR pflanzt, 
wie die Zedern an den Wassern.

Kein Israelit ist es, der da spricht und segnet. Bileam ist Moabiter, Angehöriger eines mit Israel verfeindeten Volks. Dennoch ist er mächtiger Prophet des Herrn. Unser Vers charakterisiert ihn: der Mann, dem die Augen geöffnet sind; der Hörer göttlicher Rede, der des Allmächtigen Offenbarung sieht, dem die Augen geöffnet werden, wenn er niederkniet. 

Ich will eine recht lange Geschichte kurz erzählen. Balak, König der Moabiter, sieht sich einer tödlichen Bedrohung gegenüber. Die zwölf Stämme Israels sind in sein Land eingefallen, zahlenmäßig und militärisch weit überlegen. Er ruft Bileam, den moabitischen Propheten des Herrn. Bileam soll die Israeliten verfluchen und damit entscheidend schwächen, wünscht sich Balak. Vielleicht kann er sie dann schlagen. Wen Bileam segnet, der ist gesegnet, wem er flucht, der ist verflucht, so sagt es der König. 

Gott lässt das nicht zu. Der Prophet will den Willen des Herrn zu tun, und dieser will Segen für Israel. Am Ende dreier Versuche Balaks, den Fluch doch noch zu realisieren, verbunden jeweils mit groß angelegten Opfergaben, segnet Bileam das Volk Israel feierlich. Balak steht ohnmächtig daneben.

Mir springt in dieser Geschichte Bileam ins Auge. Obwohl von einem Menschen gesprochen, haben sein Segen und Fluch eigenständige Kraft, so wie der Segen, der Isaak irrtümlich dem Jakob zuspricht. Der Wille des Herrn ist dem Bileam unmittelbar zugänglich. So sagt es unser Vers. Wie mag Bileam sich gefühlt haben, als er mit diesen Worten von sich selbst sprach? Gott macht die Kraft, die er Bileam gab, nicht wirkungslos. Er bringt er seinen Propheten dazu, sie zum Segen Israels einzusetzen. 

Die Geschichte enthält vielleicht die Erinnerung an eine Zeit, als Gott der Herr nicht selbstverständlich Gott Israels war. Balak, der Moabiterkönig, sucht mit einem Opfer die Hilfe des  Herrn gegen die Isrealiten. Allein das schon ist auffällig. Und Bileam kann den erbetenen Fluch nicht aussprechen, weil er den Willen Gottes tun will. Zuvor hatte Mose Gott den Herrn bei den Midianitern kennengelernt, am Berg Horeb, wo sein Schwiegervater Priester war. 

Bileam ist Moabiter, aber dennoch erinnert mich seine Beziehung zu Gott einige Momente lang an die von Moses. Gott tut was er will und sucht sich dazu, wen er will. Bileams Ende ist tragisch. Er, der zu jedem Zeitpunkt den Willen des Herrn tun wollte, wird beim Genozid an den Midianitern getötet (Num 31,8), Zum Genozid siehe BdW 18/2024 und die Verweise dort).

Bileams Segensworte haben im Judentum große Bedeutung. Mit ihrem Beginn setzt das Ma tovu, ein, eines der großen Gebete im Judentum. Das Ma tovu ist Lobpreis und drückt Ehrfurcht aus vor den Stätten der Anbetung. Hier ist die Vertonung durch Paul Wilbur mit einer bekannten Melodie. 

Am 4. August ist Israelsonntag. In diesem Blog steht am Ende jeder Betrachtung eine Bitte um Segen. Dieses Mal gilt sie dem jüdischen Volk, etwas anderes kann ich gar nicht aufschreiben… Der Herr sei mit seinem Volk und geleite es sicher durch eine dunkle Zeit! 
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 31/2024

…und waren alle vier eines wie das andere, als wäre ein Rad im andern.
Hes 10,10

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Ich bin, der ich sein werde

Jahrhundertelang war seine Wohnung der Tempel, den Salomo ihm gebaut hatte. Ihm, dem eigentlich ort- und zeitlosen Gott, den niemand sehen konnte, ohne zu sterben. So glaubten die Judäer. Alles, was Gott betraf, sollte ausschließlich im Tempel stattfinden, und eine gewaltige Priesterkaste wachte über die Einhaltung der immer komplexer werdenden Regeln. Und — so war die Vermutung — wenn und solange der allmächtige Gott in Jerusalem residierte, könne der Stadt nichts geschehen.  

Nun aber hatte Gott den Untergang Jerusalems und des judäischen Staats beschlossen. Und wenn es sie je gegeben hat: jetzt löste sich die räumliche Klammer. Hesekiel war nach Babylon verschleppt worden, und er hatte eine gewaltige Vision.

Er sieht einenThronwagen, begleitet von vier Cherubim. Ein Thron mit vier Rädern. Jedes dieser Räder ist frei drehbar aufgehängt und kann in jede Richtung gestellt werden. Änderungen der Richtung machen die Räder stets gemeinsam, wie bei einem Einkaufswagen. Und die Räder sind geistbegabt: jedem ‚Rad‘ ist ein Cherub beigestellt, der vier Gesichter hat und in jede Richtung schauen kann, ohne den Kopf zu drehen, selbst ganz den Rädern vergleichbar.

Hesekiel sieht diesen Thronwagen zweimal: in Hes 1 bei seiner Berufung am Fluß Keba und noch einmal (Hes 10 und 11), als er aus weiter Ferne geistig sieht, wie Gottes Gegenwart den Tempel und Jerusalem verlässt und der Untergang der Stadt bevorsteht.

Diese beiden Texte haben im Judentum sehr große Bedeutung — sie sind Referenzpunkt einer eigenen Mystik, die nach dem Thronwagen (Merkaba) benannt ist. Anderen sind die detaillierten Beschreibungen Beleg für einen Besuch Außerirdischer. 

Eine tiefgehende Erörterung mute ich mir nicht zu. Aber das Bildelement unseres Verses lässt sich gut deuten. Die Räder des Thronwagens spielen eine überrschend große Rolle in den Beschreibungen. Sie stehen für vollkommene Mobilität — ja, überirdische Mobilität, denn frei aufgehängte und beliebig auszurichtende Räder gab es seinerzeit gar nicht. Der „Thronwagen“ ist eine Art Kreuzung zwischen einem Thron, der Macht in statischer Weise repräsentiert und einem Streitwagen. Auch Streitwagen symbolisieren Macht, mobile Macht, die wie ein Blitz über die feindliche Armee kommt. Nun hatten Streitwagen typischerweise zwei Räder, vierrädrige Gefährte waren schwer zu lenken. Hier liegt der springende Punkt der Vision: Der Prophet sieht den Herrn in einem Gefährt, dass sich aus der Luft auf die Erde senken kann und dort uneingeschränkt frei beweglich ist, dennoch aber der Gegenwart Gottes breiten Raum geben kann.

Gott ist, der er sein wird. Er ist, wo er sein will. Das ist der Hintergrund für Hesekiels Berufung weit im Innern Babyloniens. Und Gottes Geschichte mit den Menschen ist nicht zu Ende, als Jerusalem fällt und vernichtet wird. 

Der Herr sei immer mit uns, auch wenn wir weit reisen!
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 30/2024

Da er aber vierzig Jahre alt ward, gedachte er zu sehen nach seinen Brüdern, den Kindern von Israel.
Apg 7,23

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Metamorphosen

Apg 7 erzählt die Steinigung des Stephanus, und wie es dazu kam. Sie enthält eine der besten Reden die ich kenne: eine Zusammenfassung wesentlicher Teile der biblischen Geschichte auf engstem Raum, mit einer scharfen Pointe, die sich direkt gegen die richtet, die ihn verhören. Ich habe über diesen eigenartigen Text schon einmal geschrieben, und von einer persönlichen Begegnung, die ich damit hatte, siehe BdW 03/20219.  

Stephanus ist angeklagt, die Ordnung zu verändern, die Mose gegeben hat, deshalb spricht er über — Mose. Er teilt das Leben Mose auf in drei gleiche Abschnitte. Nach drei Monaten im Hause seiner jüdischen Eltern verbringt Mose vierzig Jahre am ägyptischen Hof. Als er einen Ägypter erschlägt, der einen Landsmann drangsaliert hat, flieht er nach Midian, einem von Halbnomaden bewohnten Land in der Wüste. Er heiratet und dient seinem Schwiegervater, einem Priester am Horeb. Nach weiteren vierzig Jahren begegnet er Gott. Gott offenbart sich ihm am brennenden Dornbusch. Mose stellt sich dem Pharao entgegen und führt sein Volk, die Israeliten, aus Ägypten in die Wüste. Die Wanderung schließlich dauert ein drittes Mal vierzig Jahre. Mose stirbt, kurz bevor sein Volk das heilige Land erreicht.  

Aus Numeri wissen wir, dass Mose 120 Jahre alt wurde und dass die Wanderung des Volks durch die Wüste vierzig Jahre dauerte. Die zeitliche Dauer der dritten Spanne ist somit belegt. Hingegen konnte ich in Exodus keinen Anhaltspunkt dafür finden, dass die ersten beiden Phasen seines Lebens ebenfalls je vierzig Jahre dauerten. Aber sei es drum. Stephanus‘ Bild dreier gleich langer Abschnitte leuchtet ein.  

Den Wechsel in die dritte Phase erzwingt Gott selbst und höchstpersönlich — Mose mutiert dabei vom verheirateten und gut situierten Rinderhirten in Midian zum Revolutionsführer in einem weit entfernten Land. Was aber legt den Schalter um zum zweiten Abschnitt? Warum beginnt er im reifen Alter sich für das Volk zu interessieren, dem er entstammt, obwohl er im ägyptischen Soziotop groß geworden ist? Mose hat viel zu verlieren, und sehr schell verliert er tatsächlich alles. 

Die Bibel deutet die Antwort an. Der entscheidende Satz (Ex 2,2) lautet, fast gleichlautend wie in der Rede des Stephanus: „Zu der Zeit, als Mose groß geworden war, ging er hinaus zu seinen Brüdern und sah ihren Frondienst und nahm wahr, dass ein Ägypter einen seiner hebräischen Brüder schlug.“ Mose sah, und er nahm wahr

Warum? Es hätte genügend Möglichkeiten gegeben, im Kokon zu bleiben, nicht zu sehen und nicht wahrzunehmen, nicht wahr? Mose war offen, bereit, anderes wahrzunehmen als das, was er bereits kannte. Gott bleibt hier unsichtbar im Hintergrund — es ist Mose, dessen Metamorphose wir erleben, als Ausdruck seiner Persönlichkeit und der ihr innewohnenden Dynamik. Begegnet er Gott in sich selbst?

Ja, der Herr lasse uns erwachsen werden — wann auch immer die Zeit dafür gekommen ist, gern auch mit 61. Und nicht mit einem Mord wie bei Mose, auch darum bitte ich. 
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 29/2024

Und es ist kund geworden allen, die zu Jerusalem wohnen, also dass dieser Acker genannt wird auf ihrer Sprache: Hakeldama (das ist: ein Blutacker)
Apg 1,19

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Von einem Acker und einem Menschen

What’s in a name? Das fragt Julia ihren Romeo, und sie meint damit, dass Namen ohne Belang seien — Romeo ist ein Montague, sie eine Capulet, und die damit verbundene Tragödie sei nur Einbildung, sagt sie — ein soziales Konstrukt, würde man auf neudeutsch sagen. Am Ende aber liegt sie tot neben ihrem Geliebten. 

Unser Vers handelt vom Namen eines Ackers. Er heißt Blutacker, sagt Petrus, weil Judas den Acker gekauft habe und den Jünger dort sein seit ewiger Zeit vorherbestimmtes Schicksal ereilte. Judas stürzte und barst entzwei, und seine Eingeweide quollen aus dem Leib, erzählt Petrus. Er zitiert dabei einen Psalm, den er als Prophezeiung sieht. Jesus war zum Himmel aufgefahren, und nun muss der Platz neu besetzt werden, den Judas freigemacht hat. Die Welt dreht sich weiter, die Apostelgeschichte beginnt.

Das ist aber nicht die Geschichte, die wir aus der Erzählung von Matthäus kennen. Der Evangelist schreibt, der Blutacker heiße so, weil er mit Blutgeld bezahlt sei. In seiner Version bringt Judas den Priestern die dreissig Silberlinge zurück, die er für den Verrat an Jesus erhalten hat,. Seine Tat reut ihn tief. Die Priester aber wollen das Geld nicht und sagen ihm, er solle allein klarkommen. Judas wirft das Geld in die Tempelkasse, geht und erhängt sich. Die dreissig Silberlinge seien Blutgeld, sagen die Priester, es dürfe nicht im Tempel bleiben. Und sie kaufen von dem Geld einem Töpferacker, der als Begräbnisort für namen- und mittellose Fremde dienen soll und fortan Blutacker genannt wird.

Zwei sehr unterschiedliche Geschichten, von einem Acker und einem Menschen. Schaut man genauer hin, werden die Unterschiede sehr bedeutsam. 

Was treibt den Verrat? Bei Matthäus ist es Geldgier. Petrus hingegen sagt, die Tat geschah, weil sie geschehen musste. Sie lag im Plan Gottes. Alles war vorherbestimmt, der Verrat des Judas wie auch sein Tod. Für Petrus war der Verräter Judas ein Instrument Gottes und seiner Bestimmung für die Menschen, ein Rad in der Erlösungsmaschine.

Ich habe vor einiger Zeit über die eigentümliche Rolle Judas‘ geschrieben, siehe die BDW 21/2020 und 37/2023. Er tut, was geschehen muss und saugt dabei alle Schuld auf wie ein Staubsauger. Judas stirbt fast gleichzeitig mit Jesus in tiefer Nacht, als sein dunkler Bruder. In der Gründonnerstagsnacht dieses Jahres hatte ich ein Gespräch darüber, und mein Gegenüber machte mich auf die Apostelgeschichte aufmerksam, auf den Text, aus dem wir jetzt gezogen haben.

Ja, was ist in einem Namen? Welche der beiden Geschichten zum Acker ist richtig? Im buchstäblichen Sinne vielleicht keine. ‚Dam‘ heißt Blut, und ‚adom‘ bedeutet rot, lautlich und ethymologisch sehr nah. Es war ein Töpferacker, und seiner Farbe wegen mag er schon immer so geheissen haben. Aber hinter dem Namen steckt eben diese andere Frage — was um aller Welt hat dieser Verrat zu bedeuten? Wenn Petrus recht hat, steht Judas in der Heilsgeschichte in gewisser Weise neben Johannes.

Der Blutacker liegt im Gehinnomtal südlich Jerusalems und gehört seit dem 16. Jahrhundert der armenischen Kirche. Sie nutzte den Ort bis ins 19. Jahrhundert als Begräbnisort für Fremde. Heute steht dort ein Kloster.

Gott segne uns in dieser Woche! 
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 28/2024

Ein Auge, das den Vater verspottet, und verachtet der Mutter zu gehorchen, das müssen die Raben am Bach aushacken und die jungen Adler fressen.
Spr 30,17

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Licht und Schatten

Oh! Wer seine Eltern nicht achtet, den fressen die Raben! Was ist hier gemeint? Wessen Auge die Vögel aushacken, der ist vorher gestorben. Vielleicht wurde er gesteinigt? Dtn 20,18-21 legt die Todesstrafe für mißratene Söhne fest, und im Bundesbuch, Ex 21,15+17, wird der Tod für erwachsene Kinder gefordert, die ihre Eltern schlagen oder verfluchen. 

Aber das Buch der Sprüche ist nicht die Torah, es ist ein Lehrbuch der Weisheit — oder besser: ein Übungsbuch, es sind Vorlagen zum Auswendiglernen. Der Vers sagt, dass die Raben das frevelnde Auge aushacken müssen (=werden), nicht, dass sie es tun sollen. Die Verachtung der Eltern trägt ihre Strafe in sich.

Den Schatten des Urteils im Vers nämlich wirft ein blendend helles Licht. Der familiäre Zusammenhalt ist in der Welt der Bibel elementar wie das Leben selbst. Die Familie erfüllt alle Funktionen der Daseinsvorsorge. Sie ist Alters-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Sie ist Schule und Ausbildungsstätte in einem. In und von seiner Familie erhält ein junger Mensch alles: die Sprache, Kenntnisse und Fertigkeiten, Beziehungen, seinen Patz im Leben, siehe BdW 34/2023, Die Familie stiftet die Ehe und übernimmt die immensen Kosten der Hochzeit. Und sie ist es auch, die das Wissen über die Welt und den Glauben an Gott weitergibt — beides gehört ununterscheidbar zusammen, In den zehn Geboten findet sich kein Aufruf, gesetzestreu zu sein und die Obrigkeit zu achten, sondern das Gebot, die Eltern zu ehren. 

Das wirkt wie ferne Vergangenheit. Aber auch heute ist die Familie für die Chancen eines jungen Menschen von unschätzbarer Bedeutung. Ohne ihren Schutz und Hintergrund ist man schnell bei den Raben…

Wer seine Eltern nicht achtet, aus gutem Grund oder nicht, der steht vor einem schwierigen Leben. Und weil das so ist — was können Eltern tun, damit das nicht geschieht? Darüber denke ich immer wieder mal nach. Gestern gab mir meine Tochter eine Antwort. Als eine Auseinandersetzung fast aussichtslos wurde, hat sie mir geappt: „Heute habe ich gelernt, dass Liebe geduldig ist.“

Unser Vers oben steht in der Sammlung von Sprüchen eines Weisheitslehrers namens Agur. Zu Beginn des Kapitels gesteht er, dass er mit leeren Händen dasteht. Lesen Sie selbst, sein Bekenntnis rührt mich an: 

Ich habe mich gemüht, o Gott, ich habe mich gemüht, o Gott, und muss davon lassen. Denn ich bin der Allertörichtste, und Menschenverstand habe ich nicht. Weisheit hab ich nicht gelernt, und Erkenntnis des Heiligen habe ich nicht. Wer ist hinaufgefahren zum Himmel und wieder herab? Wer hat den Wind in seine Hände gefasst? Wer hat die Wasser in ein Kleid gebunden? Wer hat alle Enden der Welt bestimmt? Wie heißt er? Und wie heißt sein Sohn? Weißt du das?

Das schreibt er etwa zeitgleich mit Sokrates. Unser Vers gehört zu dem wenigen, das er der Nachwelt dennoch hinterlassen will. 

Gott segne unsere Familien! 
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 27/2024

Bewahre mich, HErr, vor der Hand der Gottlosen; behüte mich vor den freveln Leuten, die meinen Gang gedenken umzustoßen.
Ps 140,5

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Die freveln Leute…

Psalm 140, das ist ein ganzer Psalm zu den „Feinden“, diesen üblen Menschen, die ständig auf Verderben sinnen, jede Gelegenheit sofort ergreifen, den Betenden zu zerstören. Wir finden sie überall im Psalter, als Gegenbild zu Vertrauen und Hoffnung in der Beziehung mit Gott. Vor einiger Zeit habe ich zu diesen „Feinden“ einen ausführlichen Kommentar geschrieben, siehe den BdW 12/2023. Deshalb kann ich mich hier auf einen Aspekt beschränken.

Psalm 140 ist in seiner Sprache vergleichsweise gemäßigt, die gewaltsüchtigen Bilder fehlen hier weitgehend, bei den Handlungen der Feinde und auch beim Schicksal, das sie erleiden sollen. Der Haß dieses Psalms ist aufgeklärt, wenn man so will. 

Ich bin im zweiten Teil des gezogenen Verses hängen geblieben, 

... den freveln Leuten, die meinen Gang gedenken umzustoßen.

Ich habe in der hebräischen Bibel nachgeschaut. Statt des altertümlichen „freveln“ könnte man „gewalttätig“ übersetzen, und wo in der Lutherbibel 1912 „meinen Gang umstoßen“ steht, wäre „meine Schritte zu Fall bringen“ wörtlicher. 

Aber die alte Übersetzung hat ein sehr schönes Bild. Der Betende weiß, wo es hingeht. Er weiss es nicht nur, er ist auch schon unterwegs. Und diesen Gang vorwärts stoßen die Feinde um. Wie oft ist es so, genau so! Und ganz ehrlich, schuld sind dann in der Regel keine Menschen aus Fleisch und Blut, sondern die Feinde im Innern. 

Denken Sie an Ihre eigenen inneren Feinde. Ja, der Herr möge feurige Kohlen über sie schütten und sie in eine Grube stürzen, dass sie nicht mehr aufstehen…! 

Und noch ein Ausrufezeichen..!

Gottes Segen sei mit uns in dieser Woche,
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 26/2024

…so doch, wo wir bekleidet und nicht bloß erfunden werden.
2 Kor 5,3

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Mittsommerlicht

Mittsommer. Das ganze Jahr lang sehne ich mich nach diesen magischen Tagen mit ihrem übernatürlichen Licht, das die Zeit transzendiert, in dem Ewigkeit aufscheint.

Paulus glaubt an eine leibliche Auferstehung. Darum geht es im Vers, und weil der Text von 1912 recht mißverständlich ist, sind hier die ersten drei Verse des Abschnitts aus der Lutherbibel 1984: 

Denn wir wissen: wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, dass wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden, weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden. 

Paulus war nicht mehr jung und hatte schwerwiegende gesundheitliche Probleme. Er vergleicht seinen irdischen Leib mit einer Hütte, die dem Untergang geweiht ist und demnächst abgebrochen wird. Das Bild verstehe ich (leider) schon sehr gut. Statt der abbruchreifen Hütte wird er von Gott ein himmlisches Haus bekommen. Das ist ein Bild für den neuen Körper, den Auferstehungsleib, aber es steht auch für Geborgenheit im Vater. 

Die Perspektive eines neuen Körpers ist Paulus sehr wichtig. Die Vorstellung erschreckt ihn, nach seinem Tode körperloser Geist zu bleiben, also „nackt“, unbekleidet, ohne Haus. Das bringt unser Vers zum Ausdruck. Mich schreckt eher die Vorstellung einer Ewigkeit in einem materiellen und notwendigerweise auch zeitlichen Körper. Ewigkeit in der Zeit — dann ginge es ja weiter, und weiter, und weiter…

Ich hoffe auf Ewigkeit in einem Licht jenseits der Zeit. 

Einen gesegneten Johannistag wünsche ich uns allen!
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 25/2024

Und Ahab sagte Isebel alles an, was Elia getan hatte und wie er hatte alle Propheten Baals mit dem Schwert erwürgt.
1 Kö 19,1

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Glaube und Unglauben

Das sag ich meiner Mama / meinem großen Bruder / der Frau Neuenberger. Im Kindergarten ist das die ultimative Antwort, wenn man selbst ohnmächtig ist. Die Supermacht soll es richten. 

Ahab „sagt es“ seiner Frau Isebel. Ahab ist der König von Israel. Er hatte gerade mitansehen müssen, wie Elia, der Prophet Gottes, in einem Opferwettstreit mit den Propheten Baals und Ascheras obsiegte und 450 Propheten Baals und 400 Propheten der Aschera eigenhändig tötete. Mit einem weithin sichtbaren Wunder brachte Elia das Volk dazu , sich der Männer Baals und Ascheras zu bemächtigen, und der Prophet selbst vollstreckte das Urteil mit dem Schwert.

Da war Elia unerschrocken, unbesiegbar, von Gott mit unbegrenzter Macht versehen. Wenn er in diesem Moment dazu aufgerufen hätte, Ahab zu töten, wäre dies geschehen. Aber Elia hilft Ahab beim aufkommenden Regensturm und beide ziehen gemeinsam nach Jesreel. 

Dort angekommen, sagte Ahab Isebel alles an, was Elia getan hatte. Isebel war des Königs Frau, eine Phönizierin, die den Baalskult nach Israel gebracht hatte. Sie hatte viele Propheten des Herrn töten lassen. Und nun bekommt sie vom König das Heft in die Hand gelegt. Sie tut nicht viel. Sie wendet sich an Elia und sagt ihm, dass es ihm sehr übel ergehen werde, wenn er morgen noch da sei. 

Und Elia, der eben noch auf dem Karmel den König und achthundertfünfzig Propheten fremder Götter besiegt hatte, fällt in sich zusammen. Er rennt um sein Leben, flieht aus Jesreel, verfällt in eine tiefe Depression und flieht immer weiter, bis zum Berg Horeb im Sinai. Dort hat er eine Begegnung mit Gott. 

Wenn man es liest, versteht man kaum, was hier geschieht. Wie kann das sein? Elia mit Isebel in Jesreel scheint ein anderer Mensch als Elia mit Ahab auf dem Karmel. 

Es liegt nicht am Gegenüber. Ahab war kein schwacher König — wenig später gewinnt er mit hohem persönlichen Einsatz einen großen und eigentlich aussichtslosen Krieg gegen die Aramäer. Man kann es psychologisch deuten. Dann trägt Elia Merkmale einer bipolaren Störung: Phasen von Hochgefühl und Tatendrang wechseln sich ab mit tiefer Depression. Ähnliches lässt sich auch bei anderen großen Propheten beobachten, Jeremia und Hesekiel. Vielleicht spielt auch die Topographie eine Rolle. Der Karmel ist ein Berg und Jesreel liegt in der Ebene. Der Herr galt in dieser frühen Zeit als Berggott und seine Macht in der Ebene war nicht selbstverständlich, vgl. 1 Kö 20,23-28. 

Für mich ist dieser Kontrast Gelegenheit, die Macht von Unglauben zu betrachten. Wenn Glaube Vertrauen ist und Berge versetzen kann, dann ist Unglauben fehlendes Vertrauen, in sich selbst, in andere und in Gott. Das macht handlungsunfähig, es bedeutet Hilf- und Wehrlosigkeit. 

Mit unserem Glauben schaffen wir die Welt, unsere und die der anderen. Das ist ein Topos der Bibel — im „Bibelvers der Woche“ hat er seinen eigenen Hashtag, #Glauben und Vertrauen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Stellen Sie sich vor, Sie hätten es mit einer schweren Herzerkrankung oder einem Krebs zu tun. Welche Aussichten haben Sie, wenn Sie schon zu wissen glauben, dass alles sinnlos und verloren ist? Welche Chance hat im Krieg ein Kämpfer, der sich schon besiegt glaubt? Glaube kann Berge versetzen. Unglaube lässt sie über uns zusammenstürzen. 

Inmitten eines Bergs, dem Horeb, findet Elia seinen Glauben wieder, als er Gott einfach zuhört. Er trifft Gott in einem Windhauch.

Ich wünsche uns eine Woche in Gottes Segen,
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 24/2024

Da geschah des HErrn Wort zu mir und sprach:…
Hes 14,2

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Kein Wort

Eine auffallende und ungewöhnliche Formulierung. Ich habe nachgeguckt — im hebräischen Originaltext steht es in der Tat fast wörtlich so: „Da war ein Wort des Herrn zu mir und sprach…“. Nicht der Herr spricht, sondern sein Wort. 

Aber was sagt das Wort? Dass es kein Wort geben soll für diejenige, die Götzen anhängen und mit Freuden dasjenige betrachten, womit sie sich besudeln. 

Propheten sind Mittler Gottes zu den Menschen. Zu Ezechiels Zeiten war dies recht umstandslos: Menschen kamen zum Propheten, setzten sich vor ihm nieder und befragten ihn. Sie erwarteten eine von Gott inspirierte Antwort. Ezechiel erfährt nun, dass er gottlosen Menschen nicht antworten soll. Der Herr selbst werde die Antwort geben, indem er diese Menschen aus dem Volk tilgt — wortlos. Antwortet der Prophet den Fragenden, macht er sich mitschuldig und es geschieht ihm das Gleiche. 

Wie zwischen Menschen: solange man miteinander spricht, ist es noch nicht zum Äußersten gekommen. 

Was macht Gott aus? Dass er antwortet! Würde er nicht antworten, wäre eine Welt mit Gott im Grunde nicht anders als eine Welt ohne — sie wäre durchwaltet von Kräften, zu denen wir keinen Kontakt herstellen können, und ob wir diese Kräfte nun Gott nennen, Schicksal oder Chaos, es wäre nicht wirklich wichtig. 

Wer sich Gott entzieht, dem entzieht sich Gott. So einfach ist das. 

Am Sonntag wird meine Tochter konfirmiert. Sie hat sich als Spruch Ps 126,3 ausgesucht: „Der Herr hat Großes an uns getan, des sind wir fröhlich“. Das könnte nicht besser zu ihr passen. In ihrem Leben sieht sie Gott ständig, es war eigentlich immer so.

Und so möge es bleiben, für die Länge ihrer Tage!
Ulf von Kalckreuth