Bibelvers der Woche 22/2022

Nicht, meine Kinder, das ist nicht ein gutes Gerücht, das ich höre. Ihr macht des HErrn Volk übertreten.
1.Sa 2,24

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Verantwortung übernehmen

Der Vers berichtet von der Vorgeschichte des Aufstiges von Samuel zum Richter Israels. Samuel war als kleines Kind schon dazu ausersehen, dem Herrn im Tempel zu dienen. Seine Mutter hatte ein Gelübde getan, ihren Sohn in den Tempeldienst zu stellen, wenn sie ein Kind bekommen könnte. Hoherpriester und Richter in Israel war Eli. Zu seinen Nachfolgern hatte er seine beiden Söhne auserkoren. Diese aber verhielten sich unwürdig: die jungen Männer mißbrauchten ihre Privilegien. Der gezogene Vers gibt die Worte wieder, mit denen Eli ihnen Vorhaltungen macht.

Es bleibt vergeblich. Der Herr flucht den Söhnen und dem ganzen Hause Elis, und Samuel wird Elis Nachfolger. Und eigentümlich: die Geschichte spiegelt sich inSamuels späteren Leben. Als er ein alter Mann ist, geschieht ihm dasselbe wie Eli. Seine beiden Söhne, an die er die Last der Verantwortung abgeben will, benehmen sich selbstherrlich und beugen das Recht; siehe 1.Sa, Kapitel 8 und den BdW 37/2021. Anders als Eli aber erfüllt Samuel seine Aufgabe. Er hört den Warnruf, schiebt seine Söhne beiseite und beginnt, einen König für Israel zu suchen.

Der Unterschied zwischen Samuel und Eli wird im gezogenen Vers sichtbar, wenn man gut hinsieht. Eli sieht durchaus, was vor sich geht. Die Verfehlungen seiner Söhne werden ihm zugetragen, und er erfasst ihre Bedeutung. Aber er lässt geschehen, was er sieht. Ich habe eine Weile gebraucht, um das zu verstehen, denn seine Worte klingen frappierend modern. Elis Beziehung zu seinen marodierenden Söhnen hat aber nicht viel zu tun mit der Stellung heutiger Eltern. Die Stellung des morgenländischen Vaters war absolut — Eli hatte alle Möglichkeiten, Recht und Gesetz gegen den Widerstand seiner Söhne durchzusetzen. Theoretisch hätte ihm sogar die Todesstrafe zu Gebot gestanden, siehe Deut 21,18-21. Er belässt es jedoch bei milden Warnungen in wertschätzender Sprache.

Ein Engel des Herrn sagt Eli das nahende Ende an. Eli bleibt passiv — er sieht zu und lässt sogar geschehen, dass Gott vor seinen Augen den jugendlichen Samuel beruft und auch ihm das Urteil gegen Eli und seine Söhne verkündet. Die Bundeslade wird geraubt, und die drei kommen fast gleichzeitig ums Leben. Als Samuel viel später mit ganz ähnlichen Entwicklungen in seinem eigenen Haus konfrontiert wird, weiss er Bescheid. 

Manchmal kommt es aufs Ergebnis an und nicht darauf, irgendwann und irgendwie das richtige gesagt zu haben. Das gilt allgemein, speziell auch in der Familie.

Eltern haben ihren Kindern gegenüber eine Verantwortung. Nicht nur für Nahrung und Kleidung müssen sie sorgen — sie sollen auch das Verhalten der Kinder formen und diese befähigen, als integre Menschen in der Welt zu bestehen. Dabei müssen Eltern im Rahmen dessen bleiben, was sozial befürwortet und akzeptiert ist. Dieser Rahmen ist in der Zeit starken Veränderungen unterworfen. Unwandelbar bestehen aber bleibt die Verantwortung. Ihr nachzukommen, brauchen wir die Hilfe des Herrn. Auch das steht in dieser alten Geschichte.

Gott schenke uns Weisheit im Umgang mit unseren Kindern, nicht nur in dieser Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 21/2022

Und dieweil er ein göttliches Leben führte, nahm ihn Gott hinweg, und er ward nicht mehr gesehen.
Gen 5,24

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Ein Leben ohne Tod

In der nun kommenden Woche feiern wir Christi Himmelfahrt. Aber in diesem Vers geht es um Henoch, auch Enoch genannt: einem der allerersten Menschen, der siebte Mann, dessen Namen uns in der Bibel überliefert wird, Vater des Methusalem. Methusalem war der Mensch, dessen Leben mit 969 Jahren so lange währte wie das keines anderen Menschen, aber Henoch übertraf ihn noch, denn er starb gar nicht.

Nachdem er 365 Jahre auf Erden gelebt hatte, nahm Gott ihn unmittelbar zu sich auf — auf theologisch: Henoch wurde entrückt. Im Alten Testament wird dies sonst nur von Elia berichtet, im Neuen Testament gibt es als Gegenstück die Himmelfahrt Jesu — nach Tod und Auferstehung allerdings. 

Und nur eine einzige Zeile widmet der Chronist in Genesis diesem unglaublichen Vorgang. Aus der Bibel wissen wir fast nichts über Henoch, sein Name wird nur einige Male noch erwähnt, als Muster eines Lebens mit Gott. In der frühjüdischen Literatur allerdings ist Henoch wichtig. Mehrere apopkryphe Bücher zu Henoch sind überliefert. Eines davon, das erste Henochbuch, ist in der äthiopischen christlichen Kirche kanonisiert, also echter Teil der Bibel. Nur dort allerdings. Das uralte Buch berichtet vom Sündenfall der Engel: sie paaren sich mit Menschenfrauen und zeugen Riesen, die die Welt zerstören, siehe auch Genesis 6. Gottes Gericht soll über sie kommen. Henoch reist durch Himmel und Hölle und berichtet von der apokalyptischen Schau des Schicksals der Welt, die ihm dort zuteil wird. Teilweise ist das Buch in der Ich-Form geschrieben.

Ich habe es mir als E-Buch gekauft, für €0,49 bei Amazon. Wie man sich eben heute Bücher besorgt, die vielen heilig sind und für deren Übersetzung einmal Menschen ihr Berufsleben eingesetzt haben. Aber das Medium ist durchaus von Bedeutung — wer etwas für einen halben Euro auf den Bildschirm seines winzigen iPads bekommt, kann sich damit nicht wirklich auseinandersetzen. So habe ich leider nicht viel mitgenommen aus der Bekanntschaft mit dem ersten Henochbuch. 

Aber der Vers oben, den ich gezogen habe, schwingt in mir. Wörtlich übersetzt heisst es: „Und Henoch ging mit Gott, und dann war er nicht (mehr), denn Gott hatte ihn (zu sich) genommen.“ Umstandslos, einfach so. Ohne Alter, ohne Kampf, ohne Tod, ohne Leichnam, ohne Beerdigung — ins Licht. Ist das nicht schön? Aus dem Mahlstrom menschlicher Existenz genommen, der uns alle anderen zerreibt und schließlich verschlingt. Wer wollte Macht und Reichtum, wenn er dies bekommen könnte? Hätte ich einen Sohn, vielleicht würde ich ihn Enoch nennen. Enoch von Kalckreuth…

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 20/2022

Sie laufen hin und her um Speise und murren, wenn sie nicht satt werden.
Ps 59,16

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Im Angesicht meiner Feinde…

Ein Psalm wie ein Volkslied: Eine Strophe mit sechs Verszeilen, ein Refrain, dann die zweite Strophe, wieder der Refrain, nur leicht variiert. Zum Popsong fehlt nur noch die Bridge. Damit Sie die Versstruktur sehen, gebe ich unten den Psalm formatiert wieder, in der Lutherübersetzung 2017.

Der gezogene Vers stammt aus dem Refrain. Er wendet sich an die Feinde: sie sind wie Hunde, laufen hin und her und geifern mit dem Maul. Aber der Herr spottet ihrer und bietet Schutz. Eine sichere Burg in einer feindlichen Welt.

Zu diesem Psalm und dem Refrain habe ich vor nicht allzu langer Zeit eine Betrachtung unter dem Stichwort „Gottesmodus“ geschrieben — hier ist sie: BdW 38/2021. Der Betende weiss sich geborgen unter Gottes Schutz. Die Feinde sind gegenwärtig und kehren ständig wieder — wie ein Refrain. Aber sie werden unwichtig. 

Das ist jedenfalls eines: ungeheuer realistisch. Ist es auch christlich? Ich finde: ja. Man kann einwenden, dass Erlösung doch anders aussehe, dass die Feinde bitte verschwinden mögen und dass es gelingen solle, ein konfliktfreies Leben zu führen. Dies lässt der Psalm nicht einmal im Ansatz zu. Die Wiederkehr der Feinde ist in der Versstruktur fest verdrahtet. Für viele Menschen manchmal und für manche Menschen immer gehören Aggression und Konflikt zu den Gegebenheiten des Lebens. Sie lassen sich nicht wegwünschen. Die Kunst besteht dann darin, den Feinden zum Trotz ein erfülltes Leben mit Gott zu führen — dennoch! Und das kann für ein ganzes Kollektiv gelten.

Du bereitest vor mir einen Tisch, im Angesicht meiner Feinde.

Ich wünsche uns und der Welt eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

GEBET MITTEN UNTER DEN FEINDEN

Ein güldenes Kleinod Davids, vorzusingen, nach der Weise »Vertilge nicht«, als Saul hinsandte und sein Haus bewachen ließ, um ihn zu töten.

Errette mich, mein Gott, von meinen Feinden
      und schütze mich vor meinen Widersachern.
Errette mich von den Übeltätern
      und hilf mir von den Blutgierigen!
Denn siehe, Herr, sie lauern mir auf;
      Starke rotten sich wider mich zusammen ohne meine Schuld und Missetat.
Ich habe nichts verschuldet; sie aber laufen herzu und machen sich bereit.
      Erwache, komm herbei und sieh darein!
Du, Herr, Gott Zebaoth, Gott Israels,
      wache auf und suche heim alle Völker!
Sei keinem von ihnen gnädig,
      die so verwegene Übeltäter sind. SELA.

Des Abends kommen sie wieder,
      heulen wie die Hunde und laufen in der Stadt umher.
Siehe, sie geifern mit ihrem Maul;
      Schwerter sind auf ihren Lippen: »Wer sollte es hören?«
Aber du, Herr, wirst ihrer lachen
      und aller Völker spotten.
Meine Stärke, zu dir will ich mich halten;
      denn Gott ist mein Schutz.

Gott erzeigt mir reichlich seine Güte,
      Gott lässt mich herabsehen auf meine Feinde.
Bringe sie nicht um,
      dass es mein Volk nicht vergesse;
zerstreue sie aber mit deiner Macht, Herr, unser Schild,
      und stoß sie hinunter!
Das Wort ihrer Lippen ist nichts als Sünde;
      darum sollen sie sich fangen in ihrer Hoffart mit all ihren Flüchen und Lügen.
Vertilge sie ohne alle Gnade, vertilge sie,
      dass sie nicht mehr sind!
Lass sie innewerden, dass Gott Herrscher ist in Jakob,
      bis an die Enden der Erde. SELA.

Des Abends kommen sie wieder,
      heulen wie die Hunde und laufen in der Stadt umher.
Sie laufen hin und her nach Speise
      und murren, wenn sie nicht satt werden.
Ich aber will von deiner Macht singen und des Morgens rühmen deine Güte;
      denn du bist mir Schutz und Zuflucht in meiner Not.
Meine Stärke, dir will ich lobsingen:
denn Gott ist mein Schutz, mein gnädiger Gott.

Bibelvers der Woche 19/2022

Der HErr hat gesagt: „Aus Basan will ich sie wieder holen, aus der Tiefe des Meeres will ich sie holen,…
Ps 68,23

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Noch einmal Baschan…

Erinnern Sie sich an den Bibelvers der vorvergangenen Woche, dem BdW 17/2022 ? Er kam auch aus Psalm 68, und hatte ebenfalls Baschan zum Thema, die gebirgige Grenzregion im Nordosten des heiligen Landes. Es ist schwer, dies als Zufall zu akzeptieren, aber recht betrachtet ist alles, was im Leben geschieht, aus irgendeiner Perspektive heraus unwahrscheinlich. Für den BdW 4/2021 immerhin habe ich seinerzeit die Wahrscheinlichkeit berechnet, zweimal hintereinander aus demselben Kapitel zu ziehen.  

Habe ich eigentlich in der vorvergangenen Woche etwas übersehen? Vielleicht dies: Der Ausdruck har elohim in Ps 68,16 ist mehrdeutig, es könnte auch ‚Berg fremder Götter‘ gemeint sein. So übersetzt es die Basisbibelelohim wäre dann hier nicht die ehrende Bezeichnung für den (einen) Gott, sondern ein echter Plural: ‚Götter‘. Im gezogenen Vers 23 ist dann die Höhe des Baschangebirges — ebenso wie die Tiefe des Meeres — ein Bild für größtmögliche Gottesferne. 

An Not und Gewalt jedenfalls ist gedacht, wie die Fortsetzung des Satzfragments in Vers 24 zeigt: „dass du deinen Fuß im Blut der Feinde badest und deine Hunde es lecken“. Der Vers sagt uns, dass Gott den Seinen treu ist, und zwar auch in extremen, ‚unmöglichen‘ Situationen. Psalm 139, 8-10 singt es so: „Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten“ Gott hält seinen Bund, er hilft den Seinen.

Ein unbedingtes Treueversprechen in der Not also, und die Hoffnung auf Heimkehr. Mir fällt ein Erlebnis ein, das ich vor langer Zeit mit meiner Frau hatte. Während einiger Monate lebten wir damals in London, und wir besuchten die „Speakers‘ Corner“ im Hyde Park. Es gab dort nicht die politischen Querdenker, mit denen wir gerechnet hatten, sondern es waren vor allem religiös motivierte Menschen aus aller Welt, einzelne und kleine Grüppchen, die dort Gehör suchten. Ich weiss nicht mehr, woran es lag, aber wir beide fühlten uns unglücklich, es gab ungelöste Probleme. Man muss uns das angesehen haben. Eine junge Frau löste sich aus ihrer Gruppe, ging auf uns zu und sagte einfach und fröhlich: „Don’t worry, there will be a better tomorrow!“

Ich stotterte und bedankte mich, überrascht und ein wenig glücklich, und wir gingen bald weiter. Dieses unbedingte Versprechen hat auf meine Frau und mich einen großen Eindruck gemacht — nach zwanzig Jahren haben wir beide diese Szene noch vor Augen. Und in wieder zwanzig Jahren, wenn ich noch lebe, werde ich weiter daran denken. Aus Baschan, aus der Tiefe des Meeres…

Gottes Segen sei mit uns allen,
Ulf von Kalckreuth