Bibelvers der Woche 15/2024

Und es wurden gefunden unter den Kindern der Priestern, die fremde Weiber genommen hatten, nämlich unter den Kindern Jesuas, des Sohnes Jozadaks, und seinen Brüdern Maaseja, Elieser, Jarib und Gedalja
Esr 10,18

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Unterscheidungen und Unterschiede

Nach dem Ende des babylonischen Exils, als viele Einwohner Jerusalems in ihre Heimat zurückgekehrten, wurde der Aufbau eines zweiten Tempels in Angriff genommen. Schließlich wird er eingeweiht. Ein Gott, ein Volk, ein Tempel — dies ist wieder in greifbarer Nähe. Aber Esra, der Hohepriester, sieht eine große Gefahr. Viele der Zurückgekehrten hatten in der Fremde nichtjüdische Frauen geheiratet und Kinder mit ihnen gezeugt. Esra  setzt durch, dass diese sich von ihren Kindern und ihren Nachkommen trennen. Im Vers der Woche werden die Priesterfamilien genannt, in denen sich ausländische Frauen finden. Vor einigen Jahren, in Woche 02/2018, haben wir Esr 10, 24 gezogen, einen analogen Vers, der sich auf Türhüter bezog.

Es ist eine erbarmungswürdige Szene: im strömenden Regen versammeln sich alle Männer in Jerusalem und müssen geloben, sich von ihren Frauen und Kindern zu trennen, wenn diese nicht dem Volk angehören. Die schwierigen Einzelheiten werden von den Sippenältesten geregelt, getrennt nach Tempeldienern — Priestern, Sängern, Türhütern — und den übrigen Israeliten. 

Es wird uns nicht mitgeteilt, was mit Männern geschieht, die sich weigern. Jedenfalls hatten sie kein Recht, den ihrer Familie zustehenden Platz in der sich neu formierenden Gesellschaft einzunehmen, zum Beispiel als Priester, siehe den BdW 34/2023. Welchen Platz gab es für sie? Auch wird nicht gesagt, was mit den Frauen und Kindern derjenigen geschieht, die Esras Aufruf gehorchen. Die Torah sieht vor, dass geschiedene Frauen einen Scheidebrief erhalten und zu ihrer Familie zurückkehren. Wenn es denn eine gibt, so weit entfernt von Babylon. Die Kinder gehören dem Volk nicht an. Sie können versklavt werden, siehe Lev 25,45, und den BdW 15/2018. Das mutet heute schlicht absurd an. 

Die Bibel gibt Unterscheidungen großes Gewicht. Die Schöpfung Gottes besteht im Kern darin, Dinge zu trennen und damit kenntlich zu machen, die vorher unterschiedslos waren: Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Wasser und Land, Mann und Frau, Gut und Böse. Das war Thema in den Versen der Woche 09/2023. und 29/2020. Unterscheidungen aber führen zu Unterschieden, und Unterschiede sind angreifbar und potentiell ungerecht. Wir ebnen lieber ein. Im Zweifel sagen wir, dass Unterscheidungen keine objektive Realität zukomme, sie vielmehr soziale Konstrukte seien. 

Überraschenderweise ist das immer wahr. Unterscheidungen gibt es nicht in der Natur, nur im Kopf und in der Sprachgemeinschaft, und Sprache ist in der Tat ein soziales Konstrukt. Aber sollten wir deshalb keine Unterscheidungen treffen? Was tun wir ohne Kategorien? Zurück in die Begrifflosigkeit? Was hätten Platon, Aristoteles, Hegel, Marx und Rosa Luxemburg zu den Diskussionen gesagt, die wir über Geschlechtsidentitäten führen? Auch hier gibt es eine Grenze zum Absurden.

Beide Pole lassen frösteln. Der Herr helfe uns, die Unterscheidungen zu treffen, die dem Leben dienen. 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 45/2023

Da sprach der HErr: Die Menschen wollen sich von meinem Geist nicht mehr strafen lassen; denn sie sind Fleisch. Ich will ihnen noch Frist geben hundertundzwanzig Jahre.
Gen 6,3

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Außerirdisch…!

Wenn man jahrelang zufällig Verse aus der Bibel zieht, begegnet man auch den merkwürdigen Stellen, und irgendwann auch den GANZ merkwürdigen. Damit Sie wissen, worum es geht, stelle ich hier den Kontext ein: 

Als aber die Menschen sich zu mehren begannen auf Erden und ihnen Töchter geboren wurden, da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren, und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten. Da sprach der HERR: Mein Geist soll nicht immerdar im Menschen walten, denn auch der Mensch ist Fleisch. Ich will ihm als Lebenszeit geben hundertundzwanzig Jahre. Zu der Zeit und auch später noch, als die Gottessöhne zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen Kinder gebaren, wurden daraus die Riesen auf Erden. Das sind die Helden der Vorzeit, die hochberühmten.(Gen 6,1-4, Lutherbibel 1984)

Sie ahnen das Problem: Wer oder was sind diese Gottessöhne, die „Nephilim“? Manche sagen, die Geschichte sei älter als der Monotheismus, es handele sich um eigentlich eigenständige Götter. Andere denken an Engelwesen. Wieder andere denken an Menschen, die in besonderer Weise vom Geist Gottes begabt sind und daher als Söhne Gottes gelten können. Diese Variante ist zwar mit allen religösen Vorstellungen von Christen und Juden vereinbar, doch fehlt der Geschichte dann jeder Sinn. Und schließlich — googeln Sie mal mit den beiden Begriffen „Außerirdische“ und „Genesis 6″. Eine ganze Literatur befasst sich mit der These, Ausserirdische hätten sich mit Menschen gepaart und Genesis 6 enthalte die Erinnerung daran…!

Inmitten dieses merkwürdigen Texts wirkt unser Bibelvers selbst ausgesprochen sperrig, beinahe als gehöre er nicht wirklich dazu. Unsere Lebenszeit wird stark beschränkt. Das erinnert an die Vertreibung aus dem Paradies. Aber wofür die Strafe? Die ungleichen Paarungen verletzen eine Grenze, und hier wird es klassisch. Grenzen sind der Bibel heilig: zwischen Wasser und Land, Licht und Dunkel, Heiligem und Profanem, Gott und den Menschen, Mann und Frau, Israel und den Völkern. Entgrenzung wird mit Begrenzung beantwortet. Der Text oben ist eine Art ‚run-up‘ zur Sintflut, von der als nächstes berichtet wird. 

Unser Vers markiert eine Wasserscheide in der biblischen Geschichte. Davor wurden Menschen viele hundert Jahre alt. Methusalem erreichte laut Gen 5 ein Alter von fast 1000 Jahren. Mit dem Vers wird die menschliche Lebenszeit auf 120 Jahre beschnitten. Mose erreichte dieses Alter, und auch Jojoda, erinnern Sie sich an den BdW 43/2023? In der Tat scheinen 120 Jahre eine Art biologisches Maximum zu sein, die allerältesten Menschen erreichen es, siehe hierzu eine Info des statistischen Landesamts in Baden Württemberg. Im Januar dieses Jahres verstarb die älteste Frau der Welt mit 118 Jahren, die derzeitige Rekordhalterin ist 115 Jahre alt. 

Die Rätsel des Texts kann ich nicht lösen. Aber wie kommen denn Sie mit der Beschränkung der Lebenszeit zurecht — Ihrer eigenen und der Ihrer Lieben? Wäre es für Sie eine Verlockung, 240, 360 oder 480 Jahre alt zu werden? Zum Beispiel vierhundert Jahre Büroalltag und Zeitkorrekturbuchungen, 100 mal Bundestagswahlkampf mit K-Frage und Angst vor Klartext, 20.800 Bibelverse der Woche, 146.000 mal Nachrichten im Deutschlandfunk, aberhundertausend unerfüllte erotische Phantasien… Die Aufzählung ist bewußt nicht böswillig, aber man sieht: es würde in unendliche Gleichgültigkeit münden. Die Helden einer solchen Welt wären Menschen mit Strategien, die es ihnen ermöglichen, die eigene Fortexistenz dennoch zu ertragen. Etlichen würde das nicht gelingen. Altersbedingt gerät für mich ein Ende in Sicht, aber die Vorstellung eines unbegrenzten Lebens ist schreckender als die der Begrenzung, heute jedenfalls noch.

Frankfurt, 6. September 2023, Ulf von Kalckreuth

Nicht alle sehen das so. Bei der hessischen Landtagswahl im September kandidierte auch die „Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung„. Die Partei hält ein Alter von tausenden von  Jahren für möglich und erreichbar. Für die Finanzierung der Forschung und der erforderlichen Dauerbehandlung — wiederkehrende Reparatur der Schäden auf molekularer und zellulärer Ebene — soll der Staat sorgen…!

Mit meinem Leben werden auch die vielen Dinge enden und dauerhaft verschwinden, die ich nicht lösen kann — und mit ihnen Ängste, Ungenügen, Schuld. So sei es. Was danach kommt, hat vielleicht nicht viel zu tun mit diesem Leben. Angefangen mit dem Grundlegendsten: Wird da Zeit sein? Raum? Masse? Identität? Überhaupt etwas? Bestimmt jedenfalls keine Zeitkorrekturbuchungen,…!

Gott sei mit uns auf der kurzen Strecke, wie auch auf der langen.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 09/2023

Er hat um das Wasser ein Ziel gesetzt, bis wo Licht und Finsternis sich scheiden
Hiob, 26,10

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Licht und Finsternis

Wir haben aus einer der Stellen gezogen, in denen Hiob in Lobpreis Gottes ausbricht, trotz seines beklagenswerten Zustands und trotz seiner Überzeugung, von Gott schuldlos gemartert zu werden. Die Sprache des Verses ist nicht leicht zu verstehen. Das Wort Ziel konnte früher auch „Begrenzung“oder „Ende“ meinen. In dieser Bedeutung ist es erhalten geblieben in den Wendungen „ohne Maß und Ziel“ oder „Zahlungsziel“. Die anderen großen Übersetzungen aus dem Hebräischen sind leichter verständlich, weichen aber voneinander ab. Mit Unterstützung von Gesenius und der Interlinearübersetzung von Steurer würde ich wörtlich so übersetzen: 

Er zieht auf dem Wasser eine Grenze, bis dort, wo Licht in Finsternis endet. 

So versteht man es besser. Es ist der erste Schöpfungstag, von dem die Rede ist. Der Vers ist eine Momentaufnahme darin. Himmel und Erde sind geschaffen und Gottes Geist schwebt über den Wassern. Die ganze Erde ist vom Wasser bedeckt, Land und Wasser sind noch nicht voneinander geschieden. Das Urchaos herrscht, tohu wabohu. Da spricht Gott: Es werde Licht! Und er scheidet das Licht von der Finsternis und nennt das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Diese Scheidung von Licht und Finsternis findet auf dem Wasser statt, denn Land gibt es noch keines.

Gott ist unbegrenzt, aber er schöpft und schafft, indem er Grenzen zieht. Zwischen Licht und Finsternis, zwischen Wasser und Land, zwischen Leben und Tod, zwischen Zukunft und Vergangenheit, Heiligem und Nichtheiligem, Frau und Mann. Er selbst steht über diesen Grenzen. Dass wir etwas sind, bedeutet auch, dass wir etwas anderes nicht sind. Das ist Schöpfung. Unsere Welt ist endlich, und ihr Wesen liegt in den Strukturen. Ohne Strukturen wäre sie — tohu wabohu.

Hiob ist ein echter Fachmann für Hell und Dunkel, er hat beides ausgiebig kennengelernt. Die Grenze dazwischen kommt von Gott, sagt er. Das ist Lobpreis. Es weist aber kaum sichtbar auch auf die große Anklage Hiobs voraus, die folgt. Und letztlich auch auf den Frieden mit dem Allmächtigen, mit dem das Buch schließt. 

Ich wünsche uns Gottes Segen!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 39/2022

Und wenn sie durch die Tore des innern Vorhofs gehen wollen, sollen sie leinene Kleider anziehen und nichts Wollenes anhaben, wenn sie in den Toren im innern Vorhofe und im Hause dienen.
Hes 44,17

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Reinheit und Verschiedenheit

Es geht in unserem Vers um Reinheit. Reinheit in der Verschiedenheit ist für Juden sehr wichtig. Gott erschafft die Welt, indem er verlässliche Grenzen dort einzieht, wo Chaos herrscht — er trennt Licht von Finsternis, das Land vom Wasser, den Himmel von der Erde. Schöpfung ist Trennung. Juden feiern die Verschiedenheit: des Heiligen vom Weltlichen, der Juden von den Nichtjuden, der Männer von den Frauen. Ein zentrales Gebet, die Havdalah, dankt dem Herrn so: 

Gelobt seist Du, Herr, unser Gott, König der Welt, 
der du unterscheidest und trennst
zwischen Heiligem und Nichtheiligem,
zwischen Licht und Finsternis,
zwischen Israel und den Völkern,
zwischen dem siebten Tag und den sechs anderen.

Gelobt seist Du, Herr, 
der du unterscheidest und trennst
zwischen Heiligem und Nichtheiligem.

Für Christen und auch Hindus oder Buddhisten ist dies eine gewöhnungsbedürftige Idee — sie tendieren dazu, die in der Verschiedenheit verborgene Einheit zu suchen. In diesem Sinne ist der Vers, den wir gezogen haben, zutiefst jüdisch. Der letzte Teil des Buchs Hesekiel ist eine großartige Vision vom neuen Jerusalem als der Ort der Herrschaft Gottes auf Erden. Der reale Tempel im realen Jerusalem ist vernichtet, da sieht Hesekiel am Ort seiner Verbannung den neuen Tempel im himmlischen Jerusalem. Ein Engel führt ihn, und er kann den Dienst im Tempel Gottes studieren. Hesekiel ist Fachmann, er entstammt einer Priesterfamilie und war vielleicht selbst Priester im Tempel, bevor er nach Babylonien verschleppt wurde. Im himmlischen Tempel sieht er nun Reinheit, wo sie früher nicht war. Hierfür steht unser Vers. Die Priester, die nun wirkliche Leviten sind und Gott wirklich dienen wollen, tragen leinene Kleidung, damit sie nicht schwitzen und mit ihrer Körperlichkeit den Tempel nicht verunreinigen. Diese Kleidung sollen sie nach dem Gottesdienst an einer besonderen Örtlichkeit verwahrt, „damit sie das Volk nicht durch ihre Kleidung mit dem Heiligen in Berührung bringen“ (44,19). 

Lehavdil bein chodesh lechol — das Heilige vom Nichtheiligen scheiden, wie es im Gebet heisst. Beides muss immerzu voreinander geschützt werden, das Heilige und das Nichtheilige. Das Heilige ist immer bedroht und braucht Reinheit. Für normale Sterbliche wiederum war es tödlich, mit der Heiligkeit Gottes in Berührung zu kommen oder sie auch nur zu sehen. 

Ja, auskristallisierte Verschiedenheit ist Schöpfung, und die Strukturen, die sie schafft, machen die Welt aus. Das ist richtig, logisch zwingend geradezu, und wenn wir uns über Unterschiede ärgern, hilft es oft sich zu fragen, ob es denn gut wäre, wenn sie fehlten. Gott aber ist es auch, der die Gegensätze eint und in der Einheit zur Vollkommenheit macht. 

In der vergangenen Woche war Tag- und Nachtgleiche, jetzt ist die Nacht länger als der Tag. In der Woche, die vor uns liegt, feiern Juden ihr Neujahrsfest, das Fest der Schöpfung, Sie gedenken des Tags der Erschaffung der ersten Menschen, als Mann und Frau, aber auch des Tags der ersten Sünde. In der Welt der Verschiedenheit sei der eine Gott uns gnädig und zugewandt!

שנה טובה ומתוקה 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 28/2022

…und sprach weiter: Gelobt sei der HErr, der Gott Sems; und Kanaan sei sein Knecht!
Gen 9,26

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Ex unum, pluribus!

Ein schwieriger Vers, Sie werden gleich sehen, warum. Nur vier Männer gab es noch auf der Welt: Noah, und seine Söhne Sem, Ham und Japhet. Von diesen drei Söhnen und ihren Frauen stammen wir alle ab, sagt die Bibel. Ham vergeht sich gegen seinen Vater Noah und wird in seinem Segen nicht berücksichtigt. Hams Sohn Kanaan, Stammvater der nichtisraelitischen Ureinwohner des gelobten Landes, wird verflucht und zum Sklaven Sems erklärt, dem Stammvater Abrahams und der Israeliten! Dabei wird Gott der Herr explizit als „Gott Sems“ bezeichnet. Aber auch der Sklave Japhets soll Kanaan sein.

In der Bibel wird die Identität von Völkern und ihre Verwandtschaften untereinander konsequent auf die Identität von Gründervätern und ihre Verwandtschaften zurückgeführt. Völker werden mit den Namen ihrer Stammväter belegt, z.B. Israel, Edom, Ammon, ganz so, als handele es sich um Personen. Gelegentlich wird der Unterschied von Person und Volk durch die Beifügung des Worts „Kinder“ bezeichnet — Kinder Israel, Kinder Edom, Kinder Ammon. Konsequent werden in Gen 9 und 10 Völker und Völkergruppen als Nachkommen dieser drei Söhne Noahs identifiziert. Diesen Zusammenhang bezeichnet man als „Völkertafel“, hier ist ein Link zum Wikipedia-Artikel.

Bis heute hat dieser Wurf als Anregung zur Bildung großer Kategorien gebildet. Im Mittelalter gruppierte man so die Bewohner der drei klassischen Kontinente: die Asiaten als Nachkommen Sems, die Europäer als Nachkommen Japhets und die Afrikaner als Nachkommen Hams. So habe ich es selbst von meiner Großmutter gelernt, und auch im Religionsunterricht der katholischen Konfessionsschule, die ich als Kind besuchte. Mit der Völkertafel in der Bibel stimmt diese Charakterisierung der Kontinente im einzelnen nicht überein, ebensowenig wie die Bezeichnungen großer Sprachfamilien (semitische, hamitische Sprachen), die man im neunzehnten Jahrhundert fand, als man begann, die Bildungsgesetze hinter den Sprachen zu verstehen.

Auch Rassisten nutzten die Kategorien, die die Bibel hier anbot. In Nordamerika half die Geschichte rund um den gezogenen Vers, die Sklaverei zu begründen: sie schafft eine Unterordnung Hams (der Afrikaner) unter die hellhäutigen Nachkommen Sems und Japhets. Und nationalsozialistische Rassenideologen und ihre Vorgänger sprachen dann von „Semiten“ als einer real existierenden biologischen Einheit, der sie spezifische Attribute beilegten. 

Diese Rezeptionsgeschichte ist durchaus häßlich. Und man muß wohl feststellen, dass eine solche Nutzung im biblischen Text angelegt ist. Er begründet zwar keine biologische Überlegenheit — diese Vorstellung ist der Bibel fremd — aber ein göttliches Recht hinter der Landnahme der Israeliten. Die Verheissung an Abraham, Isaak und Jakob (Israel) konkretisiert dies Recht. Es erlaubt den Kindern Israel, die Kinder Kanaan im Gelobten Land zu vernichten und zu unterdrücken. 

Was ich dagegen liebe und bewundere, ist die Art und Weise, wie Genesis die Entfaltung der Welt erzählt. Genesis schreitet von der Einheit in die Vielheit vor, und erklärt die Vielheit konsequent mit Brüchen in der ursprünglichen Einheit. Es erinnert mich daran, wie die moderne Kosmologie die „heisse Anfangsphase“ unseres Universums beschreibt. Aus einer unteilbaren und strukturlosen Singularität in Raum und Zeit entstehen zunächst Kernteilchen: Quarks, Protonen und Neutronen, dann leichte Atomkerne. Erst 300.000 Jahre später entkoppeln sich Strahlung und Materie. Hundert Millionen Jahre darauf bilden sich die Kerne erster Galaxien.  Ausdifferenzierung als Prinzip der Schöpfung. 

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
OUlf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 25/2019

Er sprach: Ja, ich bin gekommen, dem HErrn zu opfern; heiligt euch und kommt zu mir zum Opfer. Und er heiligte Isai und seine Söhne und lud sie zum Opfer.
1.Sa 16,5

Hier ist der Link für den Kontext des Verses, in der Lutherbibel 2017.

Ein König für das Volk Gottes

Die Hebräer brauchen einen König, um Macht konzentrieren und projizieren zu können und die Unsicherheit der Richterzeit hinter sich zu lassen. Aber ein „König für Israel“ ist in gewisser Weise ein Widerspruch in sich — Gott selbst ist ja König. Soll es dennoch einen menschlichen König geben, muss er in besonderer Weise von Gott beauftragt sein. Dies Motiv spielte sehr viel später noch einmal eine große Rolle bei den christlichen Kaisern.

Die erste Wahl des Herrn fällt auf Saul. Doch Saul — so erzählt es das Buch Samuel — wurde ungehorsam, und er verlor den Segen des Herrn. Ein anderer König wurde gesucht, wie beim ersten Mal wird Samuel beauftragt. Dieser erfährt nicht, wer der gesuchte König sei, Gott teilt ihm nur mit, er solle Isai zum Opfer laden. Dort solle der neue König gefunden werden.

Merkwürdig? Nein. Das Opfer steht bei den Hebräern überall in der Bibel für die von den Menschen gesuchte Gemeinschaft mit Gott. In der Opferhandlung und im darauf folgenden Mahl der Feiernden ist Gott selbst präsent, ganz wie in der christlichen Abendmahlsfeier. Dies Mahl ist das perfekte Setting für die Wahl des neuen Königs und seine Salbung.

Der Ort ist Bethlehem, schon damals — dort kam David zur Welt, bei seinem Vater Isai. Samuel geht nach Bethlehem und die Bewohner sind verunsichert. Was bedeutet das Kommen des Propheten, den offenbar jeder dort kennt? Frieden? Und hier steht unser Vers. Ja, sagt Samuel, Frieden. Er lädt Isai und seine Söhne zum Opfer und sagt ihnen, sie mögen sich heiligen, also reinigen und rituell vorbereiten. Und er selbst hilft ihnen dabei.

Zunächst bleibt die Suche erfolglos: Keiner der älteren Söhne ist es. Es geht weiter wie bei Aschenputtel: Samuel fragt, ob es nicht einen weiteren Sohn gebe. Der Vater antwortet, da sei noch der jüngste, dieser hüte aber gerade die Schafe. Samuel lässt David rufen, und Gott sagt dem Propheten, dass dieser der Erwählte sei. Samuel salbt ihn auf der Stelle. 

Es ist richtig, auf wichtigen Wegscheiden die Gemeinschaft mit Gott zu suchen. Und dabei sollte es nicht allzu formlos zugehen — wir brauchen Formen, um Geist und Seele zu konditionieren, aufnahmefähig zu machen. Wenn sich das Heilige, die Gemeinschaft mit Gott, nicht unterscheidet vom täglichen Leben, dann bleiben wir dem Tagesgeschäft verhaftet. Das Heilige und der Sand machen die Welt aus, sagen die Juden. Beides ist wichtig, das Heilige wie der Sand, und ebenso wichtig ist es, sie zu unterscheiden. 

Gemeinschaft mit Gott wünsche ich uns für diese Woche, und vielleicht lernen wir daraus etwas über unsere Bestimmung. 
Ulf von Kalckreuth