Bibelvers der Woche 10/2024

Die Wege des HErrn sind eitel Güte und Wahrheit denen, die seinen Bund und seine Zeugnisse halten.
Ps 25,10

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Eine Zusammenfassung der Bibel…

Wenn ich eine Zusammenfassung der Bibel in einem einzigen Satz geben müsste — es wäre vielleicht dieser Vers. Wenn wir ihn lesen und nochmals lesen, steht dort folgendes: 

  1. Der Herr und die Seinen haben einen Bund
  2. Gott hält den Bund.
  3. Wer den Bund seinerseits hält, dem ist Gott treu. Er erfährt Güte und Wahrheit — für Wahrheit (‚emet) kann hier auch ‚Treue‘ übersetzt werden. 
  4. Den Bund halten bedeutet Gottes Wort achten. 

Gott ist mit uns, wenn wir uns in ihm bergen. Ja, darauf kann man ein Leben bauen. Was indes geschieht mit jenen, die Gottes Wort nicht achten? Verlieren sie (nur) Gottes Schutz oder werden sie aktiv bestraft? Ist beides ein und dasselbe?

Da ist noch etwas. Die einfache und tröstende Zusicherung, dass Gott denen treu ist, die ihm treu sind, kann man auch umdrehen: wem es schlecht geht, der hat sich ausserhalb Gottes Bund gestellt. Man nennt dies den Zusammenhang von Tun und Ergehen. 

Es ist lieblos, fast grausam, in dieser Weise auf das Leid anderer Menschen zu blicken. Das ganze Buch Hiob setzt sich damit auseinander. Aber selbst das Erlösungswerk Jesu nimmt diese Spannung nicht aus der Welt, denn auch den „neuen Bund“ müssen wir halten, wenn wir darin geborgen sein wollen. 

Was bedeutet Leid? Ich weiß die Antwort nicht. Persönlich bin ich überzeugt, dass die Wege Gottes auch durch Leid führen. Sie führen hindurch, das ist es vielleicht. Was mich selbst betrifft, so sehe ich immer wieder, dass Gott mit mir ist, auf wunderbare Weise manchmal, auch und manchmal sogar gerade wenn meine eigene Treue recht eingeschränkt ist. Das Leid anderer kann ich mit dieser Brille nicht lesen. Es steht mir nicht zu. Meine Aufgabe ist, in Liebe zu tun, was ich tue.

Lesen Sie den Vers noch einmal. Gott ist mit uns, wenn wir uns in ihm bergen.

Der Herr segne und behüte uns
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 36/2020

…, der niemand beschädigt, der dem Schuldner sein Pfand wiedergibt, der niemand etwas mit Gewalt nimmt, der dem Hungrigen sein Brot mitteilt und den Nackten kleidet,…
Hes 18,7

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Umkehr und rechtes Leben

Wieder Ezechiel/Hesekiel. Der Vers liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Vers der Woche 7/2018 — so nahe, dass die Betrachtung dazu gut auf den Vers dieser Woche passt, ich erlaube mir daher einen Verweis. 

Dem Propheten geht es um den Zusammenhang von Tun und Ergehen. Die überkommene Auffassung, gestützt durch Ex 34, 6+7 sieht diesen Zusammenhang eher locker: Sünden werden bestraft und gutes Verhalten belohnt, aber nicht notwendigerweise im Leben des Individuums selbst, sondern erst bei den Kindern und Kindeskindern. Großes Unglück ist immer die Folge von Sünde, aber es können auch die Sünden der Vorväter sein. Das kann zu Fatalismus führen — das von den Vorvätern verschuldete Unglück lässt sich ja nicht wenden und die Früchte einer möglichen Umkehr wird nicht der Umkehrende ernten, sondern vielleicht erst die Kindeskinder. 

Aber das ist Gift. Hesekiel kommt es auf Umkehr an. Er schreibt in einer Zeit der Krise: Das Volk und die einzelnen Menschen, die dazugehören, haben sich durch Gottesferne und Egoismus in eine verzweifelte Lage gebracht. Sie haben ihre Heimat verloren — sie leben im Exil, von den babylonischen Eroberern an einem fremden Ort angesiedelt. Der Text ist ein Weckruf: Die Folgen eures Verhaltens treffen euch unmittelbar: die positiven wie die negativen. An eurer Lage seid ihr selbst schuld, und ihr könnt es auch selbst wenden. Wenn ihr umkehrt, wird Gott sich euch zuwenden, in eurem eigenen Leben. Das klingt so gar nicht orientalisch, es klingt beinahe amerikanisch. 

Der gezogene Vers steht in der beispielhaften Beschreibung eines gerechten Menschen:

Wenn nun einer gerecht ist und Recht und Gerechtigkeit übt, der von den Höhenopfern nicht isst und seine Augen nicht aufhebt zu den Götzen des Hauses Israel, der seines Nächsten Frau nicht befleckt und nicht liegt bei einer Frau in ihrer Unreinheit, der niemand bedrückt, der dem Schuldner sein Pfand zurückgibt und niemand etwas mit Gewalt nimmt, der mit dem Hungrigen sein Brot teilt und den Nackten kleidet, der nicht auf Zinsen gibt und keinen Aufschlag nimmt, der seine Hand von Unrecht zurückhält und rechtes Urteil fällt unter den Leuten, der nach meinen Gesetzen lebt und meine Gebote hält, dass er treu danach tut: Das ist ein Gerechter, der soll das Leben behalten, spricht Gott der HERR (Hes 18, 5-9).

Und wenn sein Sohn es anders hält, wird er selbst die Folgen tragen und untergehen, und das beispielhafte Verhalten des Vaters wird ihm nicht helfen. Aber wenn der Sohn dieses Sohns lebt wie es recht ist, soll es ihm gut gehen, dem gewalttätigen und gottlosen Vater zum Trotz. Und wenn der gottlose Sohn selbst sich bekehrt, so kann er damit sein Schicksal wenden. Das gilt für den Einzelnen und — so meint es Hesekiel — auch für das Volk als ganzes. 

Unglaublich modern! Das Grundgesetz der westlichen Kultur. Yes, we can! Du selbst verantwortest dein Tun, und damit hast du dein Leben in der Hand. Es ist die Antithese zur orientalischen Auffassung vom Schicksal, und damit selbst ein wenig naiv, wie wir am Ende der Moderne wissen: Unser Ergehen ist (auch) von den Umständen geprägt, in die wir hineinwachsen, und die haben in der Tat einiges mit dem zu tun, wie unsere Väter gelebt haben, und viel auch mit dem, was in unserer unmittelbaren sozialen Umwelt geschieht. Manche Menschen haben manche Alternativen schlicht nicht. Aber das kann uns nicht aus unserer Verantwortung entlassen. 

Der Vers stößt uns noch auf etwas anderes. Hesekiel gibt eine anschauliche Beschreibung dessen, was rechtes (=“gerechtes“) Leben ist. Wenn man die Skizze liest, und auch das dazugehörige Kontrastbild des bösen Sohns im Anschluß, dann kann man es eigentlich recht gut vor sich sehen, das „rechte Leben“. Christen neigen dazu, Gottes Forderungen in einer Weise zu überhöhen, dass sie unerfüllbar scheinen, um sich dann mit dem Gedanken an Gottes Gnade, personifiziert durch Jesus Christus, zu beruhigen. Aber so ist es ganz sicher nicht gemeint. Mose sagt mit unübertroffener Klarheit:

Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust. (Dtn 30,11-14).

Wir bedürfen der Gnade, das ist sicher, aber vielleicht sollten wir auch einfach mal versuchen, ein rechtes Leben zu führen. Die Bibel gibt hierzu lebensnahe und praktischer Beispiele und mit den zehn Geboten klare Regeln. Hesekiels Katalog enthält einen Kern: Gottesfurcht, Rechtschaffenheit und Treue gegenüber den Mitmenschen, den Verzicht darauf, Notlagen anderer auszunutzen und das eigene Interesse über alle und alles zu stellen, sexuelle Integrität, tätige Nächstenliebe, Besonnenheit und eine Orientierung an Gottes Regeln, nicht den eigenen. 

Vieles davon ist sicher nicht unmöglich. Und wir selbst erhalten den Lohn: ein integres Leben, in dem wir selbst uns keine Fallen stellen und in dem der gute Wille, den wir unserer Umwelt entgegenbringen, auf uns zurückstrahlt. Und wo wir fehlen, wird Gottes Gnade uns über den Spalt tragen.  

Eine gesegnete Woche auf rechtem Wege wünsche ich uns allen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 22/2020

So hätte ich nun Trost, und wollte bitten in meiner Krankheit, dass er nur nicht schonte, habe ich doch nicht verleugnet die Reden des Heiligen.
Hiob 6,10

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Behind the blind

Leid und Gottes Schutz 

Vor einigen Wochen gab es zwei Verse aus Hiob hintereinander. Hiob begegnet uns recht häufig — wir hatten Hiob-Verse in den Wochen 12/2020, 11/2020, 15/2019, 45/2018 und 19/2018. Trügt die Hoffnung oder trägt sie: durch zufälliges Ziehen langsam und mit der Zeit, lernend, ein authentisches Bild der Bibel jenseits der ausgetretenen Pfade zu gewinnen? Jedesmal finde ich in diesem Buch eine neue wichtige Facette.

Der gezogene Vers gehört in den ersten Teil des Buchs, wo die Dimensionen der Frage und die Konfliktlinien sichtbar werden. Um seine Gottesfurcht zu erproben, wird Hiob mit Zustimmung Gottes von Satan mit unsäglichem Leiden gequält. Drei Freunde besuchen ihn. Hiob hat nach langem Schweigen ausgiebig den Tag verflucht, an dem er geboren wurde, mit großer Lust am verbalen Detail. Er fragt nach Gottes Gerechtigkeit und danach, warum Gott Wesen in die Welt setzt, nur um sie zu peinigen.

Elifas, einer seiner Freunde, antwortet. Aus der Rede des Elifas gab es früher schon den BdW 2018/45. Im Kern sagt er, dass niemand ohne Sünde ist, das sei Illusion. Individuelles Leid ist Zurechtweisung Gottes und damit Gnade, denn verstockte Sünder gehen unweigerlich unter. Es ist dem Leben dienlich, die Zurechtweisung zu hören und sein Verhalten anzupassen: „Selig ist der Mensch, den Gott zurechtweist; darum widersetze dich der Zucht des Allmächtigen nicht. Denn er verletzt und verbindet, er zerschlägt und seine Hand heilt.“ (Hiob 5, 17f). Dann preist Elifas mit großer poetischer Kraft Heil und Schutz, den Gott den Seinen gibt und schließt: „Siehe, das haben wir erforscht, so ist es; darauf höre und merke du dir’s.“

Wenn man selbst im Dreck liegt, ist es unerträglich, so etwas von jemandem zu hören, dem es selbst gut geht. Hiob reagiert scharf — in der Fahrrinne seiner ersten Rede wünscht er sich nun, der Herr möge endlich ein Ende machen mit ihm und zwar schnell, dann könne er vor Freude hüpfen (so im Original), weil er trotz allem den Worten des Heiligen treu geblieben sei bis zum Schluss. Der gezogene Vers ist das sprachliche Kunstwerk eines Menschen, der am Rand seiner Kräfte steht. Die angekündigte Freude über den raschen Tod, den er hüpfend begrüßen würde (wie mag man sich das vorstellen?) — das ist blanke Ironie. Hiob besteht auf seiner Gerechtigkeit, sagt aber implizit, dass er die Worte des Heiligen unter diesen Umständen vielleicht nicht mehr lang werde achten können. 

Der Gott der Juden und der Christen ist Einer: nichts geschieht ohne seinen Willen. Im ersten Jahrtausend vor Christus war man nicht so schnell bereit wie heute, ganze Wirklichkeitsbereiche aus Gottes Zuständigkeit zu nehmen, etwa unter Verweis auf „die Naturgesetze“, oder „die Folgen des willensfreien menschlichen Handelns“. Gott ist allmächtig, allwissend und damit allverantwortlich: auch für Leid und Qual. Das Buch Hiob ist die Auseinandersetzung damit: Hiobs Anklage gehört ebenso dazu wie der Lobpreis in Elifas erster Rede. Das Buch Hiob beleuchtet seinen Gegenstand, diesen unerträgliche Widerspruch, nach allen Seiten. Eine klare Antwort, die man nach Hause tragen könnte, gibt es am Ende nicht. 

Am Himmelfahrtstag hatte ich Gelegenheit, auf der Trauerfeier für eine in Treue und Zuneigung sehr alt gewordenes Schwester unserer Gemeinde Psalm 91 vorzutragen und ein Lied dazu zu singen. Es war der erste Gottesdienst seit vielen Wochen. Wie ich hier nun schreibe, muß ich an diesen Psalm ständig denken. Hier ist der Text des Lieds, aus den Versen 4b-7 und 11-12 von Ps 91:

Er hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich hüten auf all deinen Wegen,
dass sie dich auf Händen tragen,
dass dein Fuß keinen Stein anstosse.
Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, 
dass du nicht erschrecken mußt, nicht erschrecken mußt:

vor dem Grauen der Nacht,
vor den Pfeilen, die fliegen am hellichten Tag,
vor der Seuche im Finstern,
vor der Pest, die am Mittag Verderben bringt.
Auch wenn Tausende fallen,
so wird’s dich nicht treffen, dich nicht treffen!

Denn er…

Elifas Lobpreis klingt im Psalm genauso an wie Hiobs Qual. Er stellt die beiden Seiten göttlichen Wirkens nebeneinander. Das Verderben in der Welt und Gottes Güte und Schutz sind gleichermaßen wirklich, auch in unserem Leben. Und beides bedingt sich gegenseitig — wie Karfreitag und Ostern ist eines alleine sinnlos. Unser Gott ist Einer, aus seiner Hand empfangen wir beides. Darin ist Trost. Es ist das Geheimnis von Leben, Tod und Auferstehung.  

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 30/2019

Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet.
Mat 7,1

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Us and them

Unser Vers führt ins Zentrum der christlichen Ethik. Jesus gibt Antworten auf die beiden zentralen ethischen Fragen — erstens: Wie sollen wir uns anderen Menschen gegenüber verhalten? und zweitens: wie sollen wir das Verhalten anderer Menschen uns gegenüber bewerten?

Die Antwort auf die erste Frage ist die goldene Regel. Kurz hinter dem gezogenen Vers steht sie in der folgenden Form (Mt 7,12) 

Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten.

Weiter kommt auch Kant mit dem kategorischen Imperativ nicht. Die Goldene Regel ist im Doppelgebot der Liebe (Mk 12, 29) enthalten. In Mt 5,43ff wird sie zur Feindesliebe zugespitzt. Ökonomen können die Goldene Regel übrigens auf ihre eigene Art formulieren: „Wenn du entscheidest, ziehe alle Folgen deiner Handlungen in Betracht, bei dir selbst und bei anderen — es gibt in Wahrheit keine Externalitäten!“ Es ist evident, dass diese Regel „stimmt“, dass sie ein soziales Optimum beschreibt, wenn sich jeder daran hält!

Damit gibt Jesus die Frage, wie wir uns verhalten sollen, in überraschender Weise vollständig an uns selbst zurück. Dasselbe geschieht mit der zweiten Frage, wie wir das Verhalten anderer beurteilen sollen, siehe auch Lk 6, 36 ff. Die Kriterien, die wir selbst an andere anlegen, wird Gott an uns anlegen. Die Gleichsetzung ist sehr prominent im Vaterunser enthalten „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Gott wird hier nicht aufgefordert, Schuld bedingungslos zu vergeben, sondern er wird aufgefordert, sich uns gegenüber als Richter so zu stellen, wie wir es untereinander tun. Im Gleichnis vom „Schalksknecht“ (Mt 18) wird die Analogie von richten und gerichtet werden in ein plastisches Bild gebracht, der Hörer des Gleichnisses wird dabei unversehens in die Rolle Gottes, des obersten Richters versetzt. 

Wir sollen uns also verhalten, als ob alle Folgen unseres Handelns uns selbst träfen. Das ist die Goldene Regel Und auf das Verhalten der anderen sollen wir so antworten, als ob es um unser eigenes Verhalten gehe. Dies sagt der gezogene Vers. Das muß nicht zwangsläufig bedeuten, dass es gar keine Antwort geben soll — auch an unser eigenes Verhalten stellen wir ja Forderungen. Aber die Forderungen sollen, ebenso wie die an unser  eigenes Verhalten, liebevoll sein. Im Ergebnis soll es keine Grenze geben zwischen uns und den anderen.

Wow! Ganz einfach und fast unmöglich. Aber das ist wirklich so gemeint!

Man kann ja mal üben. Im Familienkreis ist es richtig schwer. Aber aus diesem Kontext bezieht Jesus viele Analogien. Unter Kollegen — vielleicht sogar etwas leichter? Und ganz Fremden gegenüber? In der Auseinandersetzung mit echten Gegnern und Feinden? Nicht richten? Beobachten und Hinnehmen? Unsere Antworten werden sehr persönlich und individuell ausfallen. Umgekehrt aber sind es diese Antworten, die uns als Mensch charakterisieren. Das jedenfalls sagt der Vers in unnachahmlicher Kürze.  

Aber dann — zu manchen Zeiten geht es irgendwie, ist es schlicht einfacher als an anderen Tagen. Manchmal ist die Grenze zwischen uns selbst und anderen durchlässiger und das Üben fällt leichter. Auch hierin liegt Gnade. Eine solche Woche wünsche ich uns. 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 13/2019

Denn deine Pfeile stecken in mir, und deine Hand drückt mich.
Ps 38,3

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Zerfall… und Wiederaufbau

Der dritte Bußpsalm. Nicht das, worüber man sich zu Beginn einer neuen Woche freut. Der Betende ist körperlich und seelisch am Ende. Krankheit drückt ihn nieder, der Psalm findet krasse Worte für den Zustand der fortschreitenden Auflösung, in dem Körper und Geist sich befinden. Der Zerfall findet seine Entsprechung im sozialen Bereich: Freunde und Verwandte ziehen sich zurück und die feindlich gesinnten Kräfte werden übermächtig. Der Betende sieht dies als Strafe Gottes für seine Sünden. Das ist die Saite, die der gezogene Vers anschlägt. Er steht an zweiter Stelle im Psalm, der Eingangsvers lautet: „Herr strafe mich nicht in meinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm!“ Der Betende bekennt seine Sünden und bittet um Verschonung.  

Ein Thema, das sich durch die ganze Bibel zieht: unser Unglück kann Strafe Gottes sein, der Ausfluß unserer Verfehlungen. So formuliert klingt es „alttestamentarisch“, und mit Absicht lasse ich den negativen Beiklang mitschwingen: da ist jemand, der keine Sünde ungestraft lässt, bis ins dritte und vierte Glied (2. Mose 34,7).

Hier liegt, Zeitgeist und Beiklang zum Trotz, aber eine tiefe Wahrheit. Sind nicht unser Verhalten und unsere Verfasstheit letztlich eins? Kann denn aus einer kranken inneren Verfasstheit gesundes Verhalten erwachsen, und korrumpieren nicht umgekehrt unsere Verfehlungen die Seele? Mit der mitmenschlichen Umgebung wird ein Dreieck daraus: in einer Umwelt voll Hass und Streit kann nur ein Heiliger friedlich und innerlich gelassen bleiben, und andererseits kehren die Ergebnisse unserer Dysbalancen über die Umwelt schnell zu uns selbst zurück. Das eine bedingt das andere. Krankheit führt zu Verfehlung, Verfehlung zu Krankheit, und beides wird von unserer Umwelt aufgenommen, verstärkt und zurückgegeben. Die Punkte des Dreiecks stützen sich gegenseitig. Eine psychophysische Armutsfalle. Wir machen unsere Hölle und unsere Hölle macht uns. Und dies vielleicht wirklich bis ins dritte und vierte Glied.

Wie kann man aus einer solchen Lage herauskommen? Es geht nicht ohne einen Angelpunkt außerhalb dieses Systems von Rückkopplungen. Wir brauchen Gott. Als „Deus ex Machina“ im Wortsinne, der außerhalb und oberhalb unserer Mechanismen steht. Der uns helfen kann, „trotz allem“ unser Verhalten zu ändern, wenigstens an einigen Stellen, der uns in unserer Umgebung Atemluft schenken kann, der uns zusätzliche Kraft dort verleiht, wo eigentlich alle Reserven aufgebraucht sind. Und dann kann die positive Rückkopplung auch andersherum laufen. Bis am Ende vielleicht eine ausgewogene körperliche und seelische Verfasstheit ein großzügiges und gemeinschaftsorientiertes Verhalten stützt und beides bei den Mitmenschen Ansehen und Wertschätzung bewirkt und Liebe ermöglicht. Aber am Anfang steht das Eingeständnis: der eigenen Korruption, der verzweifelten äußeren Lage, des geistigen und körperlichen Verfalls. Und dann die Bitte. Der Psalm schließt mit den Worten: 

Verlass mich nicht, HERR, mein Gott, sei nicht ferne von mir!
Eile, mir beizustehen, Herr, meine Hilfe!

So sei es für uns in dieser Woche. 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 19/2018

Da hörten die drei Männer auf, Hiob zu antworten, weil er sich für gerecht hielt.
Hiob 32,1 

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Die Bäume und der Wald

Das Buch Hiob handelt vom menschlichen Leid und der Gerechtigkeit vor Gott. In einem Prolog wird eine Laborsituation hergestellt: Hiob ist ein gottesfürchtiger und gerechter Mann, auf dem das Wohlwollen des Herrn ruht. Der Teufel, hier als Angehöriger Gottes Entourage, äußert die Überzeugung, mit Hiobs Gottesfürchtigkeit wäre es nicht weit her, wenn der Herr ihn nicht in allem beschützen und bewahren würde. Der Herr lässt sich auf eine Wette ein: der Teufel darf alles an und um Hiob vernichten, nur sein Leben muss er ihm lassen. So geschieht es — Gott lässt ihn damit in eine unerträgliche und entwürdigende Situation fallen, in Krankheit und Schmach. Er behält nur das nackte Leben. 

Drei Freunde suchen ihn auf, ihn seelisch zu stützen. Zum ihrem großen Verdruss beharrt Hiob darauf, gerecht zu sein. Im Verhältnis zu Gott fordert er seinerseits Gerechtigkeit ein, andererseits und gleichzeitig äußert er aber auch die feste Überzeugung, dass Gott ihm diese Hilfe am Ende geben wird („Ich weiß, dass mein Erlöser lebt…“). Hiob behält seinen Glauben, auch noch in der tiefsten Verwundung. 

Hier ist ein theologisches Problem. Im damaligen Judentum war die Sache klar: wer die Bundeszusage hatte und sich an die Gebote hielt, konnte der Unterstützung des Herrn sicher sein. Wem es schlecht ging, der hatte dies entweder durch Übertretungen selbst verschuldet, oder aber war das Opfer von Übertretungen seiner unmittelbaren Vorfahren (siehe hierzu BdW, KW 7). Insofern können die Freunde nicht anders, sie müssen Hiobs Anspruch zurückweisen. Er solle sich erforschen, er werde Übertretungen finden.

Schließlich, nach langen Diskussionen, ist Hiobs Antwort harsch. In einem kurzen Abschnitt stellt er fest, dass er sein ganzes Leben lang in Gottes Gebot gelebt hat. Er nennt die Gebote und die wichtigsten Regeln einzeln und kann auch darlegen, dass er Gottes Gebote nicht nur dem Buchstaben, sondern auch dem Geiste nach befolgt hat: immer war er für den Nächsten, den Schwachen da. Er ist sogar zur Feindesliebe gelangt, damals beileibe noch keine explizite Forderung.

Und dann kommt ein Satz, der den Freunden Blasphemie sein muss: 

35 O hätte ich einen, der mich anhört – hier meine Unterschrift! Der Allmächtige antworte mir! –, oder die Schrift, die mein Verkläger geschrieben! 36 Wahrlich, dann wollte ich sie auf meine Schulter nehmen und wie eine Krone tragen. 37 Ich wollte alle meine Schritte ihm ansagen und wie ein Fürst ihm nahen.

Hiobs Vertrauen in die eigene Gerechtigkeit ist dergestalt, dass er Gott und seiner Anklage wie ein Fürst gegenübertreten zu können glaubt!

An diese Stelle gehört der gezogene Vers: die drei Männer schweigen, weil Hiob sich für gerecht hält! Auf dieses Schweigen nun folgen die Rede eines vierten Freundes (der bis dahin nicht erwähnt wurde), und dann die Antwort Gottes selbst aus dem Sturm. Durch die Laborsituation weiß der Leser, dass Hiob tatsächlich gerecht ist: in der Rahmenerzählung stellt Gott selbst das unzweideutig fest. Auch seinen Glauben und die Gottesfurcht behält er. Hiobs Beharren auf die eigene Gerechtigkeit aber lässt alle anderen verstummen und es zieht die sehr nachdrückliche Zurechtweisung Gottes nach sich. 

Das Bestehen auf der eigenen Gerechtigkeit wird im Buch Hiob verurteilt. Es isoliert uns von den anderen Menschen — das zeigt der Vers –, es entfremdet uns aber auch von Gott. Seine Gerechtigkeit, das sagt seine Rede aus dem Sturm, ist nicht mit menschlichen Maßstäben zu messen. Wir können uns mit einem Wesen, das so hoch über uns steht, nicht mit Kategorien auseinandersetzen, die für das Verhalten von Menschen gemacht sind. Vor lauter Totholz sehen wir dann den Wald nicht mehr: Gottes Macht und Größe. 

Es ist gut, den Versuch zu machen, Gottes Geboten zu folgen. Soweit der Versuch (mit Gottes Hilfe) gelingt, ist dies noch besser. Und man soll keinen Gedanken an die Position verschwenden, die man sich dadurch möglicherweise erwirbt — der Gedanke selbst führt in die Irre. 

Was aber die anderen Menschen betrifft:  Mit dem Beharren auf die eigene Gerechtigkeit verwandelt man jede fruchtbare Auseinandersetzung in ein Schweigen.

Ich wünsche uns eine gute Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 07/2018

So sprecht ihr: Warum soll denn ein Sohn nicht tragen seines Vaters Missetat? Darum daß er recht und wohl getan und alle meine Rechte gehalten und getan hat, soll er leben.
Hes 18,19 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Schuld und Sühne

Hier geht es um die Gerechtigkeit Gottes. Ezechiel/Hesekiel wendet sich gegen Vorstellungen, nach denen Sünde einerseits  und andererseits Ehre vor Gott über Generationen weitergegeben werden. Das ist ein großes Thema in der Welt des Alten Testaments: Nicht immer wird der Sünder selbst bestraft, sondern die Strafe kann mit langer Verzögerung eintreten, auch für Könige und ganze Völkerschaften. Fest verankert ist die Vorstellung in einer der zentralen Stelle der Alten Schrift, die Gottes wesentliche Eigenschaften nennt: „Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied“ (Ex 34,6f). 

Im Orient, wo die Familie eine Art erweiterte Identität darstellt, machte es im Grunde keinen großen Unterschied, ob der Sünder selbst bestraft wird oder sein Sohn. Wird jemand aber bestraft für die Sünden der Väter, steht diese Strafe in keiner direkten Beziehung zu seinem persönlichen Handeln. Obwohl dieser Gedanke im Einzelfall auch etwas Tröstliches haben mag, gerät man damit doch schnell in ein fatalistisches Fahrwasser. Das, was Christen „Erbsünde“ nennen, wäre für den Mathematiker eine Art Grenzwertbetrachtung dieser Vorstellung: die Strafe erfolgt für dasjenige, was die Menschen schon vor aller historischer Zeit an Bösem mit sich herumtragen…

Hesekiel wischt diese Vorstellung (und damit übrigens auch die Erbsünde!) vom Tisch. Jeder trägt die Last seiner Sünde selbst, jedem kommen die Früchte seiner Gerechtigkeit selbst zugute. Punkt. Für Ezechiel ist Gott in diesem „modernen“ Sinne gerecht. Heute haben wir Mühe, unter Gerechtigkeit etwas anderes zu verstehen. Es ist interessant zu sehen, dass die Zeitgenossen das durchaus nicht so empfunden haben. Warum soll es jemandem gutgehen, dessen Väter sich in gröbster Weise gegen das Gesetz vergangen haben? Und wenn es jemandem wegen seiner Übertretungen schlecht geht — warum sieht Gott die Verdienste der Väter nicht? Beides wird im Abschnitt als ungerecht empfunden. Zweimal kleidet Ezechiel diesen tiefverwurzelten Einwand in Worte, um ihn ausdrücklich als unbeachtlich zu charakterisieren. „Sollte ich unrecht handeln, Haus Israel? Ist es nicht vielmehr so, dass ihr unrecht handelt?“ (Hes 18,25, sowie 18,29). 

Der Vers drückt die Möglichkeit der Befreiung von schicksalhafter Verstrickung aus. Ein gutes und gewissenhaftes Leben, das sich nach zwar anspruchsvollen, letztlich aber einfachen ethischen Forderungen richtet, kann persönliches Glück bedeuten, und dies nicht erst in ferner Zukunft, sondern hier und heute. 

Wenn man etwas verweilt, kann man kann Hesekiels Mut nur bewundern. Seine Aussage steht nicht nur im Widerspruch zur Torah, sie ist auch deshalb „stark“, weil sie (wenigstens im Grundsatz) empirisch falsifizierbar ist. Wie gehen wir denn um mit Ereignissen in unserem Leben oder dem Leben anderer, in denen großes Unglück über einen Menschen hereinbricht – oder auch über viele gleichzeitig? Sind alle schuldig?

Die Frage nach Gottes Gerechtigkeit, nach der Theodizee,  stellt sich im Grunde erst mit Hesekiels Gerechtigkeitsbegriff in aller Schärfe – vorher konnte man stets auf unbekannte Sünden unbekannter Vorväter verweisen. Das Buch Hiob stellt hierzu einige Jahrhunderte nach Hesekiel eine ausführliche und über die Zeit gewachsene Betrachtung an, in einem Laborexperiment gewissermaßen. Und seine Antwort weist letztlich über die Frage hinaus. 

Gottes Segen in dieser Woche!
Ulf von Kalckreuth