Bibelvers der Woche 35/2023

Da er aber vom Berg herabging, folgte ihm viel Volks nach.
Mat 8,1

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Jesus Christ Superstar

Während einer nicht allzu langen, aber kritischen Zeit seines Lebens war Jesus eine Art Superstar im jüdischen Land. Wo er hinkam, erregte er Aufsehen. Menschen folgten ihm, anderen gab er Anlass zu Wut und Empörung. Warum eigentlich?

In unserem Vers steckt eine Antwort. Der Vers ist eine Art Bindeglied. Davor steht die Bergpredigt, der Kern dessen, was die Botschaft Jesu ausmacht. Diese Predigt ist eine Kompilation verschiedener Reden Jesu. Dahinter steht ein großer Block mit Heilungsberichten und Wundern, die Jesu praktische Wirkungsmacht belegen — auch dies eine Kompilation, denn es wird eine große Zahl von Wundern bezeugt. 

Durch Predigten einerseits und Wunder andererseits hatte Jesus schnell große Bekanntheit erlangt, und die Öffentlichkeit nahm ihn intensiv wahr, wo immer er auch hinging. 

Der Vers ist nicht als konkrete Beschreibung einer großen Volksmenge zu lesen. Im nachfolgenden Text wird beschrieben, wie Jesus einen Aussätzigen heilt und ihm befiehlt (Vers 4), niemandem etwas davon zu erzählen, sondern zu den Priestern zu gehen, die vorgeschriebene Begutachtung vornehmen zu lassen und das vorgesehene Opfer zu bringen. Diese Begegnung hatte nur wenige Zeugen, sonst wäre der Befehl sinnlos.

Jesus steht im Rampenlicht!

Die Antwort unseres Verses wirft bei mir die nächste Frage auf. Wie wäre es denn heute — könnte man mit Predigten zum rechtem Handeln und zum Reich Gottes ein Superstar werden? Mit Wunderheilungen? Für unsere traditionellen Medien — Fernsehen, Hörfunk, Zeitungen — wäre dieser Stoff no go. Jesus müsste den Weg über die sozialen Medien gehen, sonst fände er keine Beachtung. Und dann? Würde er dort in einer Blase landen?

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 14/2020

Es kam aber die Sage von ihm immer weiter aus, und kam viel Volks zusammen, daß sie ihn hörten und durch ihn gesund würden von ihren Krankheiten.
Luk 5,15

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Take-off

Unser Vers steht am Anfang des Lukas-Evangeliums. Jesus hat sein öffentliches Wirken in Galiläa begonnen. Er ist wortmächtig — in Kapernaum wirkt seine Predigt in der Synagoge gewaltig — und vor allem: er ist wunderkräftig. Es gelingt ihm, durch Berührung und Beschwörung Krankheiten zu heilen, an denen alles andere versagt. Jesus schart die ersten Jünger um sich, und die Kunde seiner Kraft breitet sich aus. Wo immer er auftritt, sammeln sich die Menschen. Bald bringt ihn dies in Schwierigkeiten. Noch steht der Höhepunkt der öffentlichen Aufregung bevor (siehe den BdW 48/2018 über die Speisung der 5000), aber die Zuwendung der Menschen und ihr dringendes Bedürfnis nach heilenden Berührungen können unerträglich werden, wenn aus einzelnen Menschen Menschenmassen werden. Alles werden die Menschen tun, im Kollektiv, für die Heilung ihrer Krankheiten. 

Im Neuen Testament wird zweimal erzählt, wie eine Lehre sich ausbreitet. Das erste Mal in den drei Jahren der Wirksamkeit Jesu in Galiläa und Teilen Judäas, und dann nochmals im Zuge der Missionstätigkeit von Paulus und anderen in Kleinasien und Griechenland. Die Ausbreitung von Neuerungen, sogenannten Innovationen, wurde in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit epidemiologischen Modellen beschrieben. Gebrauchs- und Konsummuster, Musikstile, Ideologien können sich verbreiten wie ansteckende Krankheiten: sie übertragen sich von einer wachsenden Zahl von „Trägern“ immer weiter auf die verbliebenen „Nicht-Träger“. Der Anstieg ist anfangs exponentiell. Nach einer Phase, in der die Zahl der Träger noch klein ist, kann es zu einem stürmischen Anstieg kommen, der die Kräfte der Beteiligten überfordert, dem „Take-off“. 

Die Passage rund um den Vers handelt von einem einen Aussätzigen, der Jesus erkennt und ihn flehentlich bittet, ihm zu helfen. Jesus heilt ihn, aber bittet ihn, nichts darüber zu erzählen, sondern nur zum Priester zu gehen und sich die wieder gewonnene Reinheit bestätigen zu lassen, sehe hierzu den BdW 43/2019. Aber die Kunde verbreitet sich wie ein Lauffeuer, immer mehr Menschen kommen, die gesund werden wollen. Jesus wird es zu viel, er flieht in die Einöde. Später wird er Techniken finden, mit der Zuwendung der Massen umzugehen — er predigt von einem Boot aus oder auf einem Berg stehend — aber immer wieder muss er fliehen: in die Wüste, mit dem Boot ans andere Ufer des Sees, über die Grenze ins heidnische Land.

Es wird von drei Versuchungen erzählt, die der Teufel für Jesus bereithielt. Aber war diese hier nicht noch viel gefährlicher? Was macht massenhafte Hinwendung aus ihrem Objekt? Wie geht ein Mensch damit um, Messias zu sein — wundertätig, Sohn Gottes? Wann hat Jesus selbst es eigentlich verstanden? Als er lernte, seine Wunderkräfte zu gebrauchen, oder erst später? Wie konnte er dabei geistig im Gleichgewicht bleiben? Unvorstellbar eigentlich. 

Wir können wohl dankbar sein, wenn wir keine „großen Menschen“ sind. Das hat Jesus selbst in unterschiedlicher Weise immer wieder gesagt. Ich wünsche uns Augenmaß, Realitätssinn und Seelenfrieden in dieser schwierigen Zeit, mit Gottes Hilfe. Und Gesundheit, gerade jetzt!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 10/2019

Denn Gott hat alle beschlossen unter den Unglauben, auf daß er sich aller erbarme.
Röm 11,32     

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Dialektik: …und neun ist eins, und zehn ist keins…

Bei der Abfassung des Römerbriefs hat Paulus allen Grund, sich Gedanken über den Heilsweg seiner Volksgenossen zu machen. Er selbst hatte das Evangelium zu den Nichtjuden getragen. Der Erfolg seiner Mission bei den Heiden stand im deutlichen Gegensatz zur Entwicklung unter den Juden. Nur wenige unter ihnen hatten die Frohe Botschaft angenommen. Aber diese Botschaft war doch eigentlich für die Juden bestimmt? Was wird aus ihnen?

Paulus musste sich gar seinen eigenen Erfolg vorwerfen lassen: quantitativ und qualitativ war das sich herausbildende Christentum durch die „Griechen“ geprägt. Diese hielten — von Paulus unterstützt — die jüdischen Gesetze nicht und das Christentum sah immer weniger aus wie eine jüdische Gemeinschaft und immer mehr wie eine nichtjüdische Religion. Unter diesen Umständen konnte die Mission unter den Juden nur noch begrenzten Erfolg haben. Die Bewegung der messianischen Juden ist heutigen Tags in Israel sehr erfolgreich, gerade weil ihre Mitglieder Juden bleiben und am Schabbat in die Synagoge gehen.

Paulus wiederholt zunächst stoisch das, was er wie alle Pharisäer von den Propheten gehört und angenommen hatten: das ganze jüdische Volk wird erlöst — von einigen individuellen Ausnahmen abgesehen vielleicht — sowie auch eine Auswahl an Nichtjuden. Für ihn als Proto-Christen gibt dabei nur einen Weg für Juden und Heiden: sie werden Jesus gläubig als ihren Erlöser annehmen. 

Was er uns dann vorstellt, als scheinbar in sich widersprüchliche Aussage, ist eine Art hegelianische Dialektik. Der Unglaube der Juden war Voraussetzung dafür, dass in größerem Umfang Heiden des Heils teilhaftig werden konnten. Dies sei Ausdruck der Gnade des Herrn. Nun aber werde diese Gnade auch den Juden selbst zufallen. Nicht aus eigener Kraft, aus eigenem Glauben werden sie nämlich das Heil erlangen, sondern durch die Barmherzigkeit Gottes, der an ihnen das Wunder vollbringen wird, wenn es keinen Ausweg mehr zu geben scheint. „So hat er alle beschlossen unter den Unglauben, auf dass er sich aller erbarme“. In anderen Übersetzungen steht hier „eingeschlossen“ oder „verschlossen“ im Unglauben, wie in einem Gefängnis. 

Sonst ist bei Paulus der Glaube Weg zum Heil, sogar der einzige Weg, hier ist es der Unglaube, der irgendwie den Keim für sein Gegenteil legt. Hätte Paulus dies auch so gesehen, wäre die Mission unter den Juden erfolgreicher verlaufen? Einige Zeit später jedenfalls war im riesigen römischen Reich das Christentum Staatsreligion geworden und die Juden waren zerstreut. Eine Annahme des Christentums bedeutete für die Juden den Verlust der Identität. Es war in der Folge durchaus Dialektik, die zur Entstehung der rabbinischen Theologie und des Talmud führte. 

Ich habe vor einigen Wochen von dem Grab bei Beit Schemesch berichtet, wo Stephanus, Gamaliel und Nikodemus gemeinsam beerdigt liegen. Es ist für mich nicht vorstellbar, dass die drei nicht gemeinsam auch der Gnade Gottes teilhaftig werden können. 

Damals behielt Paulus nicht Recht. Aber man kann auch aus nicht erfüllten Prophezeiungen lernen. Wie ist es denn heute? Wird der Unglaube der einen dazu führen, dass bei anderen die Glaubenskräfte wachsen? Kann dies dann auf die Gesellschaft insgesamt zurückwirken? Es gibt viel Dialektik im Leben. Das Christentum selbst ist voll davon. Der König der Welt kommt zu uns als Säugling im Futtertrog. Im Tod steckt der Keim der Auferstehung. Ein zerschlagenes, geängstigtes Herz ist die Schwelle zur Erlösung. Eine klassische dialektische Bewegung haben wir in Persien erlebt, als ein exilierter Mullah den Schah hinwegfegte und aus einer westlich orientierten Autokratie einen Gottesstaat machte, und vielleicht sehen wir im selben Land eine weitere Kehre. 

Möge uns in dieser Woche ein Weg, der nicht mehr weiterführt, umschlagen in sein positives Gegenteil. In meinem eigenen Leben fällt mir dazu manches ein. 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 28/2018

Sie haben’s willig getan, und sind auch ihre Schuldner. Denn so die Heiden sind ihrer geistlichen Güter teilhaftig geworden, ist’s billig, dass sie ihnen auch in leiblichen Gütern Dienst beweisen. 
Röm 15,27

Hier ist der Link für den Kontext, zur Lutherbibel 2017.

Eine bleibende Schuld

In der letzten Kalenderwoche hatten wir eine Danksagung von Paulus an eine Gemeinde, deren materielle Zuwendung ihm half, mit der Missionsarbeit fortzufahren. Auch der Vers dieser Woche ist von Paulus, und auch er dreht sich um materielle Zuwendungen der Art, die wir heute als Opfergaben bezeichnen würden. Ein erstaunlicher Zufall. Aber die Richtung ist umgekehrt. Hier unterstützt nicht die etablierte Gemeinde die Missionsarbeit „draußen“, sondern die Gemeinden „draußen“ helfen den „Heiligen“ in Jerusalem, der Kerngemeinde also, von der die Missionsarbeit einst ausgegangen war. Makedonien und Achaia — das ist das griechische Kernland, das Paulus missioniert hat. Er selbst hat die Sammlung organisiert, und nun reist er nach Jerusalem, um die Gabe zu überbringen.

Paulus hält die Zuwendung für recht und billig, haben schließlich diese neuen Gemeinden ihre geistlichen Güter aus Jerusalem empfangen. So sagt es der gezogene Vers. Das klingt natürlich und unverfänglich. Aber so einfach ist die Welt nicht mehr. In der Jerusalemer Gemeinde hatte es schwere Zweifel gegeben, wie weit die Heidenmission eigentlich gehen könne. Ob sich das Evangelium nicht in erster Line an die Juden richtete. Und ob Heiden nicht Juden werden müssten, um Christen sein zu können — ob sie also, um „Gott gerecht zu werden“, nicht die Thora befolgen müssen, mit all ihren Mitzvoth, angefangen bei der Beschneidung. Ob Christen nicht ihren Glauben leben müssten wie die Jünger Jesu selbst. Die Forderung leuchtet zunächst einmal ein – mit einem sehr ähnlichen Argument sieht bekanntlich die katholische Kirche für Frauen keine Priesterweihe vor. 

Paulus, von Haus aus Pharisäer, teilt diese Meinung ganz und gar nicht. Für ihn hat die Erlösungstat Christi den „Weg des Gesetzes“ obsolet gemacht. Seine Heidenmission wäre mit einem jüdischen Christentum nicht durchführbar gewesen. Paulus’ Werben für das Christentum war sehr erfolgreich unter den Proselyten in den griechischen Städten. Das waren Nichtjuden, die an Gott zu glauben gelernt hatten und jüdische Gottesdienste besuchten, die allerdings die Wucht der jüdischen Gesetze nicht auf sich nehmen wollten. Viele von ihnen wären wohl bei dieser Grundsatzentscheidung geblieben, wenn sich ihnen das Christentum als eine Spielart des Judentums präsentiert hätte. 

Im „Apostelkonzil“ hat Paulus sich weitgehend durchgesetzt. Die Geschichte des Abendlands wäre sonst anders verlaufen. Die Jerusalemer Autoritäten, geführt von Petrus, sahen ihre Aufgaben unter den Juden, während die Antiochier unter Paulus zur Heidenmission berufen waren. Allerdings wurde den Heidenchristen auferlegt, der „Armen zu gedenken“, d.h. für die Jerusalemer Gemeinde zu sammeln. Und diese Sammlung sollte nun ihre Bestimmung erreichen.

Aber die Schuld besteht weiter, das sieht Paulus durchaus — von Zion aus wird  Weisung an die Völker gehen…, Jes 2,3 . Was machen wir damit?

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 01/2018

… also hatten wir Herzenslust an euch und waren willig, euch mitzuteilen nicht allein das Evangelium Gottes sondern auch unser Leben, darum dass wir euch liebgewonnen haben.
1 Thess 2,8

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Liebe untereinander

Paulus schreibt nach längerer Abwesenheit an die Gemeinde in Thessaloniki, die er selbst gegründet hat. Wegen tumultartiger Auseinandersetzungen konnte er aber seinerzeit nicht lange bleiben. Die gezogene Stelle steht im Einführungsteil, wo er an die Zeit der Gemeindegründung erinnert. Der Vers spricht an, dass in der Gemeinde Liebe zueinander und Offenheit nötig sind —  das Miteinander kann sich nicht auf den Austausch geistlicher Botschaften beschränken.

Vielleicht kann der Vers so auch eine Botschaft für das Neue Jahr sein? 

Zum Tessalonicher-Brief gibt es hier näheres von Wikipedia.

Gute Wünsche uns allen,
Ulf von Kalckreuth

Redaktionelle Anmerkung: An dieser Stelle habe ich eine erste und ursprüngliche Version der Ziehungen eingestellt, als ich nur den Vers selbst mit rudimentären Anmerkungen und Links verschickte. Die seit KW 24/2017 gezogenen Verse habe ich ohne Kommentar ins Netz gestellt. Der darauf folgende Übergang zu größeren und subjektiveren Betrachtungen vollzog sich tastend und allmählich, und für einen sehr kleinen Empfängerkreis. Seit April 2020 stelle ich laufend die Verse und die zugehörigen Betrachtungen ins Netz. Die Bearbeitung und Übernahme der Betrachtungen aus der Zeit seit Anfang 2018 erfolgte sukzessive bis Ende 2020.