Bibelvers der Woche 34/2021

Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile.
Lk 12,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Wenn du nur an eines denken kannst…

If God had a name, what would it be?
And would you call it to his face, 
if you were faced with him?
In all his glory, what would you ask,
if you had just one question?

So beginnt ein Lied, das ich sehr mag, „One of us“ von Joan Osborne. Was wäre die Frage, die wir stellen würden? Sie beträfe sicherlich dasjenige, was uns am allerwichtigsten ist. In dieser kurzen Geschichte geschieht es. Jesus steht vor vielen Menschen und predigt. Ein Mann steht auf. Vor allen anderen bittet er Jesus, ihm gegen seinen Bruder zu helfen, mit dem er wegen des Erbes im Streit liegt (Lk 12, 13-15):

Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile. Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Schlichter über euch gesetzt? Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.

Es ist eine traurige Geschichte. Die Erbsache ist, was diesen Mann von Grund auf bewegt — die Sonne will nicht untergehen über der Bitternis, die diese Ungerechtigkeit in ihm nährt. Und jetzt steht der Messias vor ihm. Er kann diese Welt ändern — und tut es nicht! Macht ihm noch Vorwürfe, vor allen anderen. Ich kann mir vorstellen, mit welchem Gesicht der Mann zurück geht in sein ärmliches Haus. Aufgewachsen war er vielleicht in einem großen Haus, aber das enthält sein Bruder ihm nun vor. 

In meiner Bibel ist die Geschichte überschrieben mit „Warnung vor Habgier“. Das ist leicht gesagt. Wie soll der Mann denn da herausfinden? Gut möglich, dass er im Streit mit seinem Bruder gar „recht“ hat, das macht es noch schwieriger.

Denn die Dinge heilen nicht, sie werden nicht von selbst gut. Man muß sie verlassen, hinter sich lassen können. Sonst läuft man an seinem Messias vorbei. Du sollst nicht begehren… das ist eines der zehn Gebote. Aber ich fürchte, es ist einigermaßen sinnlos, sich diesbezüglich gute Vorsätze zu machen. Man kann es, oder man kann es nicht. Es ist eine Gnade. Es gibt viele Alpträume, aus denen man ohne diese Gnade nicht herausfindet. 

Hier ist ein Link zu „One of us“

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche, 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 11/2018

Da schied Jakob die Lämmer und richtete die Herde mit dem Angesicht gegen die Gefleckten und Schwarzen in der Herde Labans und machte sich eine eigene Herde, die tat er nicht zu der Herde Labans.
Gen 30,40 

Hier ist ein Link für den Kontext, zur Lutherbibel 2017

Zwei Skorpione in einer Flasche

Der Vers bringt uns zu Jakob, einem der Stammväter Israels. Über einen erheblichen Teil seines Lebens kreisen er und sein Onkel Laban umeinander, betrügen sich, machen einander doppelbödige Versprechungen und kommen doch nicht los voneinander. In dem Abschnitt, in dem der Vers steht, wird berichtet, wie Laban und Jakob den Gewinn teilen, den sie durch Labans Herde (Kapital) und Jakobs Know How und seinen Arbeitseinsatz erwirtschaften. Labans Vorschlag ist im Grunde fair: die Gewinne werden nach einem festen Schlüssel geteilt. Konkret soll Jakob die scheckigen, gefleckten und bunten Tiere erhalten, die nach dem Stichtag zur Welt kommen, Laban aber die weißen (Laban heißt auf Hebräisch „weiß“). Laban teilt die Herden vorher und bringt alle gefleckten, scheckigen und bunten Tiere zu seinen Söhnen. Vielleicht will er damit die Gewinnteilung sauber machen — nach diesem Stichtag gehört so klar alles Gefleckte, Scheckige und Bunte dem Jakob. Vielleicht glaubt er aber auch, dass gefleckte Lämmer von gefleckten Mutterschafen kommen, dann wäre es ein Betrugsversuch an Jakob.

Jakob aber hat überlegenes tierzüchterisches Wissen (das sich uns im einzelnen nicht erschließt) und manipuliert die Gewinnteilungsregel. Er sorgt dafür, dass die Schafe und Ziegen bei der Begattung scheckige und gefleckte Hölzer zu sehen bekommen — und daraufhin bringen sie scheckige und gefleckte Lämmer zur Welt. Davon wird im Vers berichtet. Darüber hinaus behandelt er nur die starken Tiere so — die schwachen lässt er weiße Lämmer bekommen. Die gehören dann dem Laban.

Der gezogene Vers berichtet von einer verlockenden Gewinnerzielungsmöglichkeit, die Jakob auch nutzt. Die Bibel verliert explizit kein Wort darüber, ob dies eine gute Idee ist.

Jakob wird mit dieser Technik schnell sehr reich, auf Kosten Labans. Die Kinder Labans verstehen irgendwann, dass eine Manipulation vorliegt, und Jakob muss fliehen. Er flieht in Richtung seiner alten Heimat, die er wegen seines Betrugs an Esau hatte verlassen müssen, mit seinen Herden, die er von Laban hat, und seinen beiden Frauen, die Labans Töchter sind. Rachel, die jüngere, hatte ihrem Vater Laban darüber hinaus seinen Hausgott gestohlen, wohl aus Rache. Laban ist todunglücklich. Er verfolgt Jakob und holt ihn ein, mit einer Schar schwerbewaffneter Kämpfer. Jakob hat ihm alles genommen, Laban ist der betrogene Betrüger, aber nun kann er das Spiel umdrehen und sich alles zurückholen. Die Familie wäre dann restlos zerstört. Jakob hatte geschworen, dass derjenige sterben muss, der in seiner Gruppe den Hausgott gestohlen hat. Alles wird durchsucht, ohne dass das Objekt gefunden wird. Aber es scheint möglich, dass Laban verstanden hat, dass Rachel die Diebin war. 

In einem unglaublichen Akt der Großzügigkeit verzichtet Laban. Er lässt Jakob und die seinen mit den Herden gehen und gibt obendrein seinen Töchtern den Segen mit. Auch dies lässt die Genesis völlig unkommentiert. Aber am Ende ist Laban derjenige, der aus dem jahrelangen Tanz der Familie um den Abgrund gelernt und verstanden hat, worauf es wirklich ankommt — nicht Jakob. Noch nicht.

Ich wünsche Euch eine schöne Woche,
Ulf von Kalckreuth