Bibelvers der Woche 47/2025

Und wenn es kommt, dass ich Wolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken.
Gen 9,14 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984. 

Over the rainbow

Eine der bekanntesten und strahlendsten Stellen in der ganzen Bibel. Die Sintflut ist vorbei, die Wasser laufen ab, Noah und seine Familie sind gerettet, gemeinsam mit einem minimalen Bestand an Pflanzen und Tieren, Grundstock für den Wiederaufbau der Biosphäre. 

Und Gott schwört, dass er die Grundlagen des Lebens auf der Erde nicht wieder antasten will. Unter keinen Umständen. Er könnte es tun, aber er beschränkt seine Macht selbst: 

Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier bei euch auf ewig: Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, dass hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe. Gen 9, 12-15

Das ist gute Nachricht. Wir können sie an zwei Bruchkanten betrachten. Da ist zum einen Gottes Macht, die Welt zu vernichten. Die Sintflutgeschichte hat lokale Vorbilder, aber eine große, weltumspannende Flut hat es in der Geschichte nicht gegeben. Planetare Katastrophen gab es jedoch mehrere. Solare Eruptionen, Supernovas in der stellaren Nachbarschaft, sich aufschaukelnde Bahnunregelmäßigkeiten im Sonnensystem oder der Einschlag eines Kometen können dem höheren Leben auf unserem Planeten ein abruptes Ende setzen. Langfristig gibt es diesbezüglich nicht einmal Unsicherheit. Das Ende unserer Welt ist physikalisch vorprogrammiert. Die Sonne verändert sich im Laufe der Jahrmillionen in einer Weise, die Leben auf der Erde unmöglich macht. 

Aber ‚for the time being‘, für den relevanten Zeithorizont, müssen wir uns keine Sorgen machen, sagt die Bibel. Gott wird die Welt erhalten! 

Aber wovor schützt uns Gott? Auch vor uns selbst? Was ist mit der anderen Bruchkante — unserem eigenen Verhalten? Wir verstehen die Vorgänge rund um die Dynamik des Klimawandels und der ökologischen Folgen wirtschaftlichen Handelns immer besser. Aber die Emissionen wachsen ungebremst weiter. Im Aggregat verhalten wir uns wie die Bakterien im Teich, die so lange von den organischen Schwebstoffen prächtig leben und sich vermehren, bis der Sauerstoffvorrat vollständig aufgebraucht ist. Ein deterministischer, mechanisch anmutender Vorgang. Am Ende steht ein umgekippter Teich. Alles ist tot, auch die Bakterien.

Was ist das für eine Mechanik? Jeder kennt die Wirkung der Klimagase, aber die Folgen treffen nur zu einem verschwindend kleinen Teil den Verursacher selbst. Im wesentlichen trifft es andere. Ökonomen bezeichnen das als Externalität. Warum auf etwas verzichten, das man haben könnte — die anderen tun es ja auch nicht! Die Kohlenstoffwirtschaft macht die Produktion billig und uns künstlich reich. Auf dieser Erkenntnis aufbauend kann man ethisch wohlbegründete Forderungen aufstellen. Aber was tun wir, wenn das Wachstum erlischt, die Reallöhne sinken müssten statt zu steigen, die Renten unbezahlbar werden, etablierte Parteien plötzlich mit neuen und radikalen Konkurrenten zu kämpfen haben? — na? Keine Frage. Und alle anderen machen es genauso.

Eine Höllenmaschine. Sie hat die unbarmherzige Kraft einer Naturgewalt — in uns selbst! Individuelle Rationalität ist irrational im Kollektiv. Denken Sie an die Bakterien im Teich. Wenn Gott uns davor schützen wollte, müsste er uns etwas von seinem Geist geben. Wir könnten uns dann als Teil eines Ganzen erleben, das größer ist und wichtiger als unser Ich. Ich weiß keinen Weg dahin, aber vielleicht kennt Gott ihn? 

Unser Vers enthält ein ungeheures Bild. Gott stellt den Regenbogen in die Welt, als Zeichen seines Versprechens und um sich selbst daran zu erinnern, dass er verzichten will auf Dinge, die er tun könnte und vielleicht auch tun wollte. 

Over the rainbow… Können wir solidarisch sein mit der Welt? Uns beschränken? Was ist unser Regenbogen? Lassen Sie uns in dieser Woche einen Blick darauf wagen, und vielleicht auch einen dahinter, mit Gottes Hilfe. Eine andere sehe ich nicht.  
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 09/2023

Er hat um das Wasser ein Ziel gesetzt, bis wo Licht und Finsternis sich scheiden
Hiob, 26,10

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Licht und Finsternis

Wir haben aus einer der Stellen gezogen, in denen Hiob in Lobpreis Gottes ausbricht, trotz seines beklagenswerten Zustands und trotz seiner Überzeugung, von Gott schuldlos gemartert zu werden. Die Sprache des Verses ist nicht leicht zu verstehen. Das Wort Ziel konnte früher auch „Begrenzung“oder „Ende“ meinen. In dieser Bedeutung ist es erhalten geblieben in den Wendungen „ohne Maß und Ziel“ oder „Zahlungsziel“. Die anderen großen Übersetzungen aus dem Hebräischen sind leichter verständlich, weichen aber voneinander ab. Mit Unterstützung von Gesenius und der Interlinearübersetzung von Steurer würde ich wörtlich so übersetzen: 

Er zieht auf dem Wasser eine Grenze, bis dort, wo Licht in Finsternis endet. 

So versteht man es besser. Es ist der erste Schöpfungstag, von dem die Rede ist. Der Vers ist eine Momentaufnahme darin. Himmel und Erde sind geschaffen und Gottes Geist schwebt über den Wassern. Die ganze Erde ist vom Wasser bedeckt, Land und Wasser sind noch nicht voneinander geschieden. Das Urchaos herrscht, tohu wabohu. Da spricht Gott: Es werde Licht! Und er scheidet das Licht von der Finsternis und nennt das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Diese Scheidung von Licht und Finsternis findet auf dem Wasser statt, denn Land gibt es noch keines.

Gott ist unbegrenzt, aber er schöpft und schafft, indem er Grenzen zieht. Zwischen Licht und Finsternis, zwischen Wasser und Land, zwischen Leben und Tod, zwischen Zukunft und Vergangenheit, Heiligem und Nichtheiligem, Frau und Mann. Er selbst steht über diesen Grenzen. Dass wir etwas sind, bedeutet auch, dass wir etwas anderes nicht sind. Das ist Schöpfung. Unsere Welt ist endlich, und ihr Wesen liegt in den Strukturen. Ohne Strukturen wäre sie — tohu wabohu.

Hiob ist ein echter Fachmann für Hell und Dunkel, er hat beides ausgiebig kennengelernt. Die Grenze dazwischen kommt von Gott, sagt er. Das ist Lobpreis. Es weist aber kaum sichtbar auch auf die große Anklage Hiobs voraus, die folgt. Und letztlich auch auf den Frieden mit dem Allmächtigen, mit dem das Buch schließt. 

Ich wünsche uns Gottes Segen!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 39/2022

Und wenn sie durch die Tore des innern Vorhofs gehen wollen, sollen sie leinene Kleider anziehen und nichts Wollenes anhaben, wenn sie in den Toren im innern Vorhofe und im Hause dienen.
Hes 44,17

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Reinheit und Verschiedenheit

Es geht in unserem Vers um Reinheit. Reinheit in der Verschiedenheit ist für Juden sehr wichtig. Gott erschafft die Welt, indem er verlässliche Grenzen dort einzieht, wo Chaos herrscht — er trennt Licht von Finsternis, das Land vom Wasser, den Himmel von der Erde. Schöpfung ist Trennung. Juden feiern die Verschiedenheit: des Heiligen vom Weltlichen, der Juden von den Nichtjuden, der Männer von den Frauen. Ein zentrales Gebet, die Havdalah, dankt dem Herrn so: 

Gelobt seist Du, Herr, unser Gott, König der Welt, 
der du unterscheidest und trennst
zwischen Heiligem und Nichtheiligem,
zwischen Licht und Finsternis,
zwischen Israel und den Völkern,
zwischen dem siebten Tag und den sechs anderen.

Gelobt seist Du, Herr, 
der du unterscheidest und trennst
zwischen Heiligem und Nichtheiligem.

Für Christen und auch Hindus oder Buddhisten ist dies eine gewöhnungsbedürftige Idee — sie tendieren dazu, die in der Verschiedenheit verborgene Einheit zu suchen. In diesem Sinne ist der Vers, den wir gezogen haben, zutiefst jüdisch. Der letzte Teil des Buchs Hesekiel ist eine großartige Vision vom neuen Jerusalem als der Ort der Herrschaft Gottes auf Erden. Der reale Tempel im realen Jerusalem ist vernichtet, da sieht Hesekiel am Ort seiner Verbannung den neuen Tempel im himmlischen Jerusalem. Ein Engel führt ihn, und er kann den Dienst im Tempel Gottes studieren. Hesekiel ist Fachmann, er entstammt einer Priesterfamilie und war vielleicht selbst Priester im Tempel, bevor er nach Babylonien verschleppt wurde. Im himmlischen Tempel sieht er nun Reinheit, wo sie früher nicht war. Hierfür steht unser Vers. Die Priester, die nun wirkliche Leviten sind und Gott wirklich dienen wollen, tragen leinene Kleidung, damit sie nicht schwitzen und mit ihrer Körperlichkeit den Tempel nicht verunreinigen. Diese Kleidung sollen sie nach dem Gottesdienst an einer besonderen Örtlichkeit verwahrt, „damit sie das Volk nicht durch ihre Kleidung mit dem Heiligen in Berührung bringen“ (44,19). 

Lehavdil bein chodesh lechol — das Heilige vom Nichtheiligen scheiden, wie es im Gebet heisst. Beides muss immerzu voreinander geschützt werden, das Heilige und das Nichtheilige. Das Heilige ist immer bedroht und braucht Reinheit. Für normale Sterbliche wiederum war es tödlich, mit der Heiligkeit Gottes in Berührung zu kommen oder sie auch nur zu sehen. 

Ja, auskristallisierte Verschiedenheit ist Schöpfung, und die Strukturen, die sie schafft, machen die Welt aus. Das ist richtig, logisch zwingend geradezu, und wenn wir uns über Unterschiede ärgern, hilft es oft sich zu fragen, ob es denn gut wäre, wenn sie fehlten. Gott aber ist es auch, der die Gegensätze eint und in der Einheit zur Vollkommenheit macht. 

In der vergangenen Woche war Tag- und Nachtgleiche, jetzt ist die Nacht länger als der Tag. In der Woche, die vor uns liegt, feiern Juden ihr Neujahrsfest, das Fest der Schöpfung, Sie gedenken des Tags der Erschaffung der ersten Menschen, als Mann und Frau, aber auch des Tags der ersten Sünde. In der Welt der Verschiedenheit sei der eine Gott uns gnädig und zugewandt!

שנה טובה ומתוקה 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 29/2020

Denn als Gott der HErr gemacht hatte von der Erde allerlei Tiere auf dem Felde und allerlei Vögel unter dem Himmel, brachte er sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch allerlei lebendige Tiere nennen würde, so sollten sie heißen.
Gen 2,19

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Namen

Der Vers bringt uns zurück an den Anfang. Die Welt taucht auf aus ihrem Urgrund und ihre Konturen, die Unterscheidungen, werden eingezogen. Die Schöpfung wird zweimal erzählt. Die „erste“, jüngere Schöpfungsgeschichte berichtet einen geordneten kosmologischen Vorgang: Durch sein Wort schafft Gott Licht, Himmel, Meer, Pflanzen, Sterne, Mond und Sonne, Fische und Vögel, die Tiere des Feldes und schließlich Menschen, als Mann und Frau. Der zweite Schöpfungsbericht, der ältere, setzt eine Welt bereits voraus. Er berichtet von der Schöpfung erst des Mannes, dann der Tiere und schließlich der Frau. Adam wird nicht durch das Wort erschaffen, sondern in Gottes Händen aus Lehm geformt und durch seinen Atem belebt. 

Im älteren Bericht dient das Wort der Kommunikation mit dem Menschen. Gott schafft sich ein Gegenüber und setzt es in den Garten Eden. Jetzt wird gesprochen, vorher nicht: Gott bestimmt dem Menschen Grenzen für sein Tun. Dann will er dem Menschen ein Gegenüber schaffen, so wie er sich selbst ein Gegenüber geschaffen hat. Es geschieht das, wovon der gezogene Vers spricht: Gott schafft Tiere und bringt sie dem Menschen in den Garten Eden, um zu sehen, wie er sie nennen werde, denn so sollten sie fortan heißen. Dabei ist Gott passiv: er zeigt sie dem Menschen und hört zu, wie dieser Worte für die neuen Mitgeschöpfe seiner Welt findet.

Ein erstaunliches Bild. Der Mensch ist hier Partner im Schöpfungsvorgang, beinahe gleichberechtigt. Der Schöpfungsakt ist erst abgeschlossen, wenn das Geschöpf nicht nur physisch, sondern auch geistig in der Welt verankert ist, und diesen zweiten Teil führt — in Gottes Auftrag — der Mensch aus. 

Namen haben im alten Orient eine große Bedeutung. Durch Namensgebung wird ein Mensch ansprechbar und auch empfänglich für Fluch und Segen. Den Namen eines Menschen zu kennen, bedeutet ein gewisses Maß an Macht. Den Namen geben zu können, ist große, beinahe uneingeschränkte Macht. Der Name steht für den Wesenskern eines Menschen und seinen Platz in der Welt, und er definiert beides. Das Recht zur Namensgebung liegt bei den Eltern — das Buch Genesis berichtet von Namensgebung durch Mütter wie auch durch Väter — und sonst nur bei Königen und bei Gott. Gott und Könige können Namen ändern und den Menschen und seine Beziehung zur Welt dadurch gewissermaßen neu schaffen.

Namensgebung ist Unterscheidung, die Schaffung von Kategorien, die Möglichkeit, zu beschreiben, zu verstehen, zu planen. Der Vers spricht davon, dass wir einen eigenständigen, geistigen Schöpfungsauftrag haben. Das wir ihn, wenn er gelingen soll, als Partner Gottes, in seinem Auftrag ausführen sollen. Dass diese Schöpfung Leben schafft, belebt. 

Vielleicht weiss der Vers davon, was ein junger oder auch ein älterer Mensch mit seinem Leben anfangen kann. Ich will es gar nicht ausbuchstabieren. Es ein großes, schönes, ungeheuer archaisches Bild: Gott bringt dem Menschen seine Tiere und lauscht, wie er sie nennen werde!

Ich wünsche uns eine Woche, in der wir Mitschöpfer sein können,
Ulf von Kalckreuth