So schwöre mir nun bei Gott, dass du mir und meinen Kindern und meinen Enkeln keine Untreue erzeigen wollest, sondern die Barmherzigkeit, die ich an dir getan habe, an mir auch tust und an dem Lande, darin du ein Fremdling bist.
Gen 21,23
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
So wahr mir Gott helfe…
Im Bibelvers dieser Woche werden wir Zeugen, wie Abraham, der Stammvater des jüdischen Volks, einen Treueeid leistet, und zwar — man muss es zweimal lesen — einem Philisterkönig: Abimelech, dem König von Gerar. Die Bibel lässt uns dies tatsächlich zweimal lesen. Die Geschichte wird nämlich auch von Isaak erzählt, in Gen 26,26ff: derselbe Ort, derselbe König, derselbe Streit um Wasserquellen.
In Gen 26 wird mehr über die Hintergründe erzählt. Abimeleches Knechte machen den halbnomadisch wirtschaftenden Einwanderern das Wasser streitig, das diese für ihr Vieh brauchen. Beerscheba, wo sich Abraham und Isaak niederlassen, liegt in der Wüste Negev, und Wasser ist die kostbarste Ressource dort. Der Widerstand der Eingesessenen gegen die Konkurrenz von aussen ist daher nicht erstaunlich.
Abraham und Isaak gehen anders damit um, als es das Muster der Landnahmeerzählungen nahelegt. Sie fügen sich in die bestehenden Kräfteverhältnisse und bekunden dem lokalen Herrscher ihre Loyalität, gegen ein Schutzversprechen. Sie werden Gefolgsleute von Abimelech und erhalten Beerscheba und sein Wasser als Lehen. Beerscheba heisst daher „Schwurbrunnen“.
Unser Vers enthält den Wortlaut des Treueeids. Er ist bemerkenswert, lesen Sie ihn noch einmal. Es geht um Loyalität, aber nicht nur dem König und seinen Nachfahren gegenüber, sondern auch dem Land. Und es geht um Gegenseitigkeit. Es wird nicht bedingungslose Gefolgschaft gefordert, sondern „chesed“: Barmherzigkeit, oder besser: Wohlwollen, Zugewandtheit.
In diesem Schwur liegt ein Skandal. In den Geschichtserzählungen der Bücher Samuel und Könige sind die Philister in ihren an der Küste gelegenen Städten schlicht die Erzfeinde. Ihr Land war den Israeliten als Erbe versprochen, doch konnten sie es nicht einnehmen. Im Gegenteil: die Philister brachten die Juda immer wieder in existenzielle Bedrängnis — zur Erinnerung: Goliath war Philister. Die Geschichte passt jedoch zu anderen Erzvätergeschichten, die von einer Koexistenz mit der lokalen Bevölkerung berichten: Abrahams Bündnis mit den bedrängten Fürsten in Gen 14, BdW 22/2019, die Ehrung des Priesters von Salem, BdW 8/2019, und der Erwerb des Erbbegräbnisses von den Hethitern in Gen 23.
Mir fällt dazu auch Jeremias Appell an die gewaltsam nach Babylon verschleppte jüdische Gemeinde ein : „Suchet der Stadt Bestes!“ Eigentlich ist das fast absurd, und Jeremia weiss es. Wo immer aber wir sind, kann man hier lesen, sollen wir uns nicht ausschließen, sondern einbringen.
Beerscheba ist heute eine mittelgroße Stadt, gelegen zwischen dem Gaza-Streifen und dem Toten Meer. Die Stadt war im vergangenen Monat Schauplatz eines Anschlags mit fünf Todesopfern, den Attentäter eingeschlossen. Was uns aus solchen Spiralen retten kann, ist letztlich die Bereitschaft beider Seiten, sich mit bestehenden Verhältnissen in positiver Weise auseinanderzusetzen. Manche Palästinenser fühlen sich als direkte Nachfahren der Philister. Der Vers beschwört die gegenseitige Zugewandtheit in fortbestehender Verschiedenheit. So könnte die Zukunft aussehen, nicht wahr?
Gottes Segen sei mit dem jüdischen Volk und den Palästinensern — und mit uns allen!
Ulf von Kalckreuth