Darum, welcher mit Zungen redet, der bete also, dass er’s auch auslege.
1.Ko 14,13
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Vom Zungenreden
Im 14. Abschnitt des ersten Korintherbriefs spricht Paulus über verschiedene Formen der Sprache zu Gott, vor allem über Zungenreden, auch Glossolalie genannt. Im Neuen Testament ist verschiedentlich die Rede davon, auch in der Apostelgeschichte und bei Markus. Es handelt sich um eins von mehreren sogenannten Charismen, Gaben des Heiligen Geistes. Darunter fällt auch das prophetische Reden, die Fähigkeit, die Offenbarung zu verstehen und weiterzugeben, das Heilen und — die Liebe.
Der Zungenredner ist vom heiligen Geist erfüllt und betet in Sprachen, die den Umstehenden unverständlich sind, ebenso wie meist auch ihm selbst. Der Geist spricht alle Sprachen der Menschen und keine, und der Geisterfüllte tut es ebenso. Paulus verfügt selbst über diese Gabe, aber er betrachtet sie mit Vorsicht und wendet sich gegen ihre Überbewertung. Im Gemeindekontext komme es darauf an, dass Menschen mit ihrer Frömmigkeit und ihrem Beten andere mitnehmen. Wenn ihre Sprache unverständlich ist, ist dies unmöglich. In unserem Vers sagt er deshalb, fast ein wenig ironisch, dass derjenige, der in Zungen zu reden vermag, darum beten möge, dass er die Rede auch auslegen könne. Das Auslegen von Zungenrede galt übrigens als ein Charisma eigener Art.
Paulus spitzt seine Reserven wie folgt zu (1.Ko 14,19):
Ich danke Gott, dass ich mehr in Zungen rede als ihr alle. Aber ich will in der Gemeinde lieber fünf Worte reden mit meinem Verstand, damit ich auch andere unterweise, als zehntausend Worte in Zungen.
In den großen Kirchen wird über Zungenreden nicht viel gesprochen — nicht nur wegen der Vorbehalte von Paulus, sondern auch wegen der Missbrauchsmöglichkeiten. Glossolalie aber gab es nicht nur bei den ersten Christen, sie hat auch heute noch große Bedeutung in Kirchen und Gemeinden der Pfingstbewegung. In solchen Gemeinden ist sie wesentliches Zeichen einer erfolgten Geistestaufe.
Glossolalie gilt als religionsübergreifendes Phänomen, sie kommt in vielen Religionen und Kulturen vor. Ich selbst habe keine Erfahrung, die ich hier weitergeben könnte. Oder doch? In Gottesdiensten ist das Singen der Gemeinde wegen des Ansteckungsrisikos nach wie vor unmöglich. Vielerorts übernehmen ein oder zwei Sänger stellvertretend den Gesang der Gemeinde. So auch in meiner Gemeinde: gemeinsam mit einer Sopranistin und Instrumentalisten stehe ich sonntags vorn und singe für die Gemeinde im Gottesdienst. Vier Lieder sind es meistens. Und gelegentlich geschieht es, dass mich dies verwandelt. Nicht so sehr bei zeitgenössischen Liedern mit modernen Texten. Singe ich Musik meiner Zeit, bleibe ich ich selbst.
Es geschieht bei den großen alten Chorälen. Wenn ich vor der Gemeinde stehe und „Lobet den Herren“ oder „Schönster Herr Jesus“ für alle singe, bin ich nicht mehr der Ulf des Alltags. Jemand oder etwas anderes spricht aus mir, aus einer anderen Zeit und in einer Sprache, die nicht die meine ist. Ich selbst trete zurück und bin erfüllt. Singen ist eine besondere religiöse Sprache, die Musik geht über den Inhalt des Texts hinaus. Bei Wikipedia steht zu lesen, dass die Aktivitätsmuster im Gehirn bei Glossolalie und beim Singen von Spirituals dieselben sind. Das verstehe ich gut. Und Paulus‘ Vorbehalt greift hier nicht: Der Singende teilt seine Erfahrung und seine Botschaft mit, die Sprache der Musik wird unmittelbar verstanden.
Für diese Woche wünsche ich uns ein Lied!
Ulf von Kalckreuth