Bibelvers der Woche 49/2025

Die Samariterin und der Brunnen -- als Quell von Geist und Wahrheit Gottes

Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.
Joh 4,24

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984. 

Geist und Wahrheit

Jesus ist auf der Durchreise, von Judäa in sein Heimatland Galiläa im Norden. Dabei durchquert er Samarien, das Herzland des alten Nordstaats Israel. Dieser Staat wurde vor Zeiten zerstört, die Einwohner großenteils verschleppt. Aber immer noch wird in Samarien Gott der Herr angebetet. Für die Juden ist der Kult der Samariter auf dem Berg Garizim illegitim. Nur der Tempel in Jerusalem ist Anbetungs- und Opferstätte. Siehe hierzu den BdW 14/2021

Am Brunnen trifft Jesus auf eine samaritische Frau. Sie sind allein, die Jünger sind ins Dorf gegangen, Brot zu holen. Sie reden. 

Die Frau spricht an, dass die Juden Glauben und Anbetung der Samariter nicht für rechtens halten. Nicht, etwa, weil Jesus das nicht wüsste, sondern weil es zwischen ihnen steht, mehr noch als der Umstand, dass er Mann ist und sie Frau.

Jesus antwortet: ja, so ist es. Das Heil wird von den Juden kommen, sie kennen Gott, und die Samariter nicht. Aber es kommt die Zeit und sie ist schon da, sagt er, dass die Samariter weder auf dem Garizim noch in Jerusalem den Herrn anbeten werden. Die wahren Anbeter nämlich werden Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten. Und das wird wiederholt, in unserem Vers, weil es so wichtig ist: Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.  

Jesus hält dabei die Schrift hoch, die den Kult der Samariter verdammt. Zwischen den Zeilen sagt er aber, dass auch Samariter wahre Anbeter sein können und sein werden. Der institutionalisierte Opferkult der Juden in Jerusalem ist nicht wahre Anbetung. Wahre Anbetung vollzieht sich im Geist und in der Wahrheit. 

Der Satz ist schön. Ich habe aber Mühe damit, denn ich weiss nicht genau, was er bedeutet. Der Kontext macht deutlich, dass wahre Anbetung nicht an einem bestimmten Ort und durch bestimmte, dazu ausgebildete und legitimierte Personen nach festen Regeln vollzogen wird. Gott ist Geist, und der Geist ist überall. Was aber bedeutet es positiv? 

In der Wahrheit anbeten, im Geist anbeten… Aus unserem Geist heraus, aus unserer Wahrheit? Es gibt acht Milliarden mal den menschlichen Geist und acht Milliarden Wahrheiten, die sich ständig ändern. Die eine Wahrheit, den einen Geist gibt es nur in Gott. Jesus meint, dass wir Gott aus Gottes Geist heraus anbeten sollen. Dazu muß er in uns sein, dazu muß er in uns wirken.  

Wie geht das? Ich bin Lobpreismusiker, und eigentlich sollte ich es ganz genau wissen… In dieser Woche habe ich es immer wieder versucht — Gott aus Gottes Geist heraus anzubeten. Was ich dann finde, ist vor allem mein eigener Geist, meine unerfüllten Bedürfnisse und mein Versagen.

Aber ich habe doch etwas entdeckt. Als ihn seine Jünger bitten, sie das Beten zu lehren, gibt ihnen Jesus das Vaterunser. Gehen Sie es im Kopf einmal durch. Die ersten drei Bitten nach der Anrufung beschreiben Gottes vollkommene Präsenz in der Welt: „Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe“. Man kann das in sich selbst nachvollziehen, ganz langsam. Erst dann wechselt die Perspektive hin zum Betenden und das Gebet kulminiert in der Bitte, dass die Verbindung zu Gott erhalten bleiben möge, trotz aller Sünde, durch Vergebung und Erlösung. Am Ende kehrt das Gebet zurück zu Gott: „Denn dein ist das Reich, und die Kraft, und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Amen“

Das hilft sehr. Vielleicht ist der Vers eine Aufforderung, sich ins Unsagbare vorzutasten und eigene Wege zu finden. Wenn es den einen, allgemeinen Weg gäbe, hätten wir eine Liturgie, und die soll es ja nicht sein.

Im Geist und in der Wahrheit. Jesu Gespräch mit der Frau am Brunnen steht jenseits von Zeit und Raum. Ich wünsche uns in dieser Woche Berührung: unserer Wahrheit mit Gottes Wahrheit, unseres Geistes mit Gottes Geist. Was wird dann geschehen? 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 16/2021

Darum, welcher mit Zungen redet, der bete also, dass er’s auch auslege.
1.Ko 14,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Vom Zungenreden

Im 14. Abschnitt des ersten Korintherbriefs spricht Paulus über verschiedene Formen der Sprache zu Gott, vor allem über Zungenreden, auch Glossolalie genannt. Im Neuen Testament ist verschiedentlich die Rede davon, auch in der Apostelgeschichte und bei Markus. Es handelt sich um eins von mehreren sogenannten Charismen, Gaben des Heiligen Geistes. Darunter fällt auch das prophetische Reden, die Fähigkeit, die Offenbarung zu verstehen und weiterzugeben, das Heilen und — die Liebe.

Der Zungenredner ist vom heiligen Geist erfüllt und betet in Sprachen, die den Umstehenden unverständlich sind, ebenso wie meist auch ihm selbst. Der Geist spricht alle Sprachen der Menschen und keine, und der Geisterfüllte tut es ebenso. Paulus verfügt selbst über diese Gabe, aber er betrachtet sie mit Vorsicht und wendet sich gegen ihre Überbewertung. Im Gemeindekontext komme es darauf an, dass Menschen mit ihrer Frömmigkeit und ihrem Beten andere mitnehmen. Wenn ihre Sprache unverständlich ist, ist dies unmöglich. In unserem Vers sagt er deshalb, fast ein wenig ironisch, dass derjenige, der in Zungen zu reden vermag, darum beten möge, dass er die Rede auch auslegen könne. Das Auslegen von Zungenrede galt übrigens als ein Charisma eigener Art. 

Paulus spitzt seine Reserven wie folgt zu (1.Ko 14,19):

Ich danke Gott, dass ich mehr in Zungen rede als ihr alle. Aber ich will in der Gemeinde lieber fünf Worte reden mit meinem Verstand, damit ich auch andere unterweise, als zehntausend Worte in Zungen.

In den großen Kirchen wird über Zungenreden nicht viel gesprochen — nicht nur wegen der Vorbehalte von Paulus, sondern auch wegen der Missbrauchsmöglichkeiten. Glossolalie aber gab es nicht nur bei den ersten Christen, sie hat auch heute noch große Bedeutung in Kirchen und Gemeinden der Pfingstbewegung. In solchen Gemeinden ist sie wesentliches Zeichen einer erfolgten Geistestaufe.

Glossolalie gilt als religionsübergreifendes Phänomen, sie kommt in vielen Religionen und Kulturen vor. Ich selbst habe keine Erfahrung, die ich hier weitergeben könnte. Oder doch? In Gottesdiensten ist das Singen der Gemeinde wegen des Ansteckungsrisikos nach wie vor unmöglich. Vielerorts übernehmen ein oder zwei Sänger stellvertretend den Gesang der Gemeinde. So auch in meiner Gemeinde: gemeinsam mit einer Sopranistin und Instrumentalisten stehe ich sonntags vorn und singe für die Gemeinde im Gottesdienst. Vier Lieder sind es meistens. Und gelegentlich geschieht es, dass mich dies verwandelt. Nicht so sehr bei zeitgenössischen Liedern mit modernen Texten. Singe ich Musik meiner Zeit, bleibe ich ich selbst.

Es geschieht bei den großen alten Chorälen. Wenn ich vor der Gemeinde stehe und „Lobet den Herren“ oder „Schönster Herr Jesus“ für alle singe, bin ich nicht mehr der Ulf des Alltags. Jemand oder etwas anderes spricht aus mir, aus einer anderen Zeit und in einer Sprache, die nicht die meine ist. Ich selbst trete zurück und bin erfüllt. Singen ist eine besondere religiöse Sprache, die Musik geht über den Inhalt des Texts hinaus. Bei Wikipedia steht zu lesen, dass die Aktivitätsmuster im Gehirn bei Glossolalie und beim Singen von Spirituals dieselben sind. Das verstehe ich gut. Und Paulus‘ Vorbehalt greift hier nicht: Der Singende teilt seine Erfahrung und seine Botschaft mit, die Sprache der Musik wird unmittelbar verstanden. 

Für diese Woche wünsche ich uns ein Lied!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 21/2019

Liebe Brüder, so ein Mensch etwa von einem Fehler übereilt würde, so helfet ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist ihr, die ihr geistlich seid; und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest.
Gal 6,1

Hier ist der Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Gesetz und Geist

Noch einmal Paulus. Der Vers kann für sich selbst stehen, ich muss nicht viel schreiben. Er steht am Ende des Galaterbriefs, einer sehr engagierten, streckenweise enttäuschten Diskussion über den Wert der Gesetzlichkeit bei den Christen, speziell denen „aus den Völkern“. Bei den Galatern gibt es Bestrebungen, nun doch den ganzen Weg zu gehen, sich beschneiden zu lassen, die jüdischen Feiertage und Speisegebote einzuhalten, im Ergebnis: Juden zu werden, um so Jesus von Nazareth besser nachfolgen zu können. Zur Zeit Jesu und danach war dies möglich und üblich. Nun war Paulus Mission vor allem unter Proselyten erfolgreich, Nichtjuden also, die in der Nähe jüdischer Gesetzlichkeit lebten. Paulus ist von der Vorstellung regelrecht entsetzt. Nicht die Gesetzlichkeit macht gerecht, sondern der Glaube allein. 

Nun bleibt der Glaube aber nicht folgenlos. Paulus stellt das „Fleisch“ gegen den „Geist“. Die Werke des Fleisches sind „Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Zank, Zwietracht, Spaltungen, Neid, Saufen, Fressen, und dergleichen“, und weiter: „Die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben“. Die Frucht des Geistes* aber ist „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit“. Ohne den Geist bedarf es des Gesetzes zum Schutz vor den Werken des Fleisches. Mit dem Geist aber ist das Gesetz nicht nötig — eine Krücke, die man wegwerfen kann. 

Das ist eine schöne Vorstellung, an die ich gern denke. Aber wir sind (noch) keine Lichtwesen, und die genannten Werke des Fleisches sind auch unter Christen nicht unbekannt. Dann also doch: Verfehlung — gegen ein Gesetz, das zwar weniger spezifisch ist, aber nichtsdestotrotz unbedingte Beachtung verlangt? Ja. Aber. An diese Stelle gehört der Vers. Der Fallende braucht Hilfe von außen, und zwar von Leuten, die um ihre eigene Gefährdung wissen und nicht eifern. Es folgt der bekannten Spruch: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi (!) erfüllen“. Hier ist nicht materielle Bedürftigkeit gemeint, sondern moralische Last.

Ich habe diesen Vers sofort „vorab“ einem Pastor geschickt, dem ein Kollege gesagt hatte, er müsse in der Gemeinde nun endlich einmal mit eisernem Besen auskehren. Ich glaube, darüber hat Paulus gesprochen.

Eine Woche mit Geduld, sine ira et studio, wünscht uns
Ulf von Kalckreuth

*Siehe auch Eph 5,8-9: „Wandelt als Kinder des Lichts, die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit“ — der Taufspruch meiner älteren Tochter.