Und da sie ihm zu trinken gegeben hatte, sprach sie: Ich will deinen Kamelen auch schöpfen, bis sie alle getrunken haben.
Gen 24,19
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Verborgene Botschaften
Oben sehen Sie das Wappen meiner Familie. Im Schild sind zwei gekreuzte Werkzeuge, Kalkreuten genannt. Vielleicht sind es Kalkofengabeln, genau weiss man es nicht. Zu Wappen und Namen gibt es eine Sage, an die der Vers mich erinnert. Weiter unten will ich sie erzählen.
Zuerst aber der Vers. Abraham war schon hochbetagt, als seine gleichfalls alte Frau Sarah den gemeinsamen Sohn Isaak zur Welt brachte. Nun sollte Isaak verheiratet werden. Ehen wurden in dieser Zeit von den Vätern oder den Clanchefs der Brautleute gestiftet. Abraham war in Kanaan reich und mächtig geworden, aber er hatte sich in den Kopf gesetzt, dass seine Schwiegertochter auf keinen Fall aus Kanaan kommen dürfe, sie solle vielmehr aus dem aramäischen Heimatland stammen. Harran, die Stadt, in die Abrahams Vater gezogen war und wo noch sein Neffe Betuel lebte, lag fast 1000 km nördlich von Machpela in Kanaan — er selbst konnte nicht dort hin. Was also tun?
Abraham schickt einen Diener in die weit entfernte Stadt mit dem Auftrag, eine Frau für seinen Sohn zu finden. Keinesfalls dürfe der Diener Isaak mitnehmen. Der Diener schwört es und macht sich auf den Weg. Schließlich erreicht er Harran. Nun müsste er eigentlich mit der Verwandtschaft Abrahams Kontakt aufnehmen, um in den Großfamilien nach einer Braut zu suchen oder nach Informationen, bei welchen anderen Clans die Werbung sinnvoll wäre. Aber er hat große Angst, nicht fündig zu werden oder auf eine Braut zu stoßen, die ihm nicht nach Kanaan folgen will.
Er bittet Gott um Hilfe, und mit großem Gottvertrauen und erstaunlichem Selbstbewusstsein zugleich nennt er Gott ein Zeichen. Die „rechte“ Braut solle mit einem Krug auf ihn zukommen, und wenn er sie um Wasser bitte, so solle sie antworten: Trinke, und deine Kamele will ich auch tränken. Der zweite Teil der Antwort ist so unwahrscheinlich, dass sie in der Tat ein Zeichen ist: Wer würde für einen Fremden solche Mengen Wassers aus der Quelle schöpfen und nach oben tragen? Kamele sind berühmt für ihren ungeheuren Durst!
Und das Wunder geschieht: kaum hat der Diener sein Gebet gesprochen, sieht er ein zartes und unberührtes junges Mädchen, mit einem gefüllten Krug auf ihrer Schulter, und als er sie um Wasser bittet, gibt sie nicht nur ihm zu trinken, sondern will auch seine Kamele tränken. Sie spricht also die magischen Worte, das ist der gezogene Vers. Der Diener hat Rebekka gefunden, Isaaks künftige Frau, Mutter Jakobs, Stammmutter damit aller Israeliten und Juden! Der Himmel öffnet sich ein Stück. Die Sippe — nahe Verwandte Abrahams übrigens — nimmt des Dieners Werbung und die Brautgeschenke gern an. Und Rebekka ist ohne weiteres bereit, ins weit entfernte Kanaan zu gehen, um dort einen Mann zu heiraten, den sie nicht kennt. Schließlich aber sind die beiden Brautleute, als sie sich schließlich sehen, einander herzlich zugetan.
Der Diener bittet, dass Gott ihm die Braut zeige, und er legt fest, wie die Gesuchte sich als rechte Braut ausweisen soll. Wie Soldaten, die sich anhand einer Parole zu erkennen geben: der eine sagt ein Wort, der andere ein anderes. Aber die Verabredung über die Parole besteht mit Gott. Rebekka, als sie spricht, kennt ihre eigentliche Bedeutung ihrer Worte nicht.
In der Einleitung hatte ich Ihnen eine Sage versprochen. Es ist eine richtige Rittersage, ich gebe sie gekürzt wieder. Ein junger Mann zieht fort von seiner Heimat und kommt an den Hof eines fremden Königs. Er bewährt sich und macht sich beliebt, aber nicht bei allen. Es gibt Neider, und einer von ihnen beschließt, für des jungen Mannes vorzeitigen Tod zu sorgen. Er redet dem König ein, dass dessen Frau dem jungen Mann sehr — zu sehr — gewogen sei. Der König glaubt ihm und fragt, was zu tun sei. Der Verleumder sagt, der König solle nicht lang fackeln, sondern den jungen Liebhaber in einem Kalkofen verbrennen lassen. Dazu möge er den Jüngling zu einem Kalkofen schicken und dort fragen lassen, ob des Königs Befehl ausgerichtet sei. Wer immer sich mit diesen Worten an die Arbeiter wende, den sollten die Arbeiter packen und in den Ofen werfen.
So geschieht es. Der Jüngling macht sich auf den Weg zum Kalkofen. Dabei wird er jedoch für einige Zeit aufgehalten. Dann macht auch der Verleumder sich auf den Weg, um zu sehen, ob alles gelungen sei. Er wendet sich an die Arbeiter und fragt, ob des Königs Befehl ausgerichtet sei. Diese packen ihn und wollten keine Ausflüchte und Begründungen hören, dass dies so doch gar nicht gemeint sei — sie werfen ihn in den Kalkofen und dort stirbt er, an des jungen Mannes Stelle.
Als der Jüngling verspätet beim Kalkofen erscheint, und seinerseits fragt, ob der Befehl ausgerichtet sei, kommt alles ans Licht, und der König ist sehr zufrieden, dass es der Verleumder in die selbst gegrabene Grube gefallen ist und nicht sein unschuldiges Opfer. Den jungen Mann aber macht er zu seinem Gefolgsmann und Ritter.
Wie bei der Brautschau im Vers haben die Worte, die der Jüngling an die Arbeiter richten soll, eine ganz eigene schwerwiegende Bedeutung, die der Überbringer selbst nicht kennt. Und in meiner Familie erzählt man sich, der junge Mann habe von den Kalkofengabeln das Wappen und seinen ritterlichen Namen bezogen, und niemand anders sei er als der Stammvater aller Kalckreuths…!
Verborgene Botschaften. Ja, wir überbringen Botschaften, und nicht immer kennen wir ihre Bedeutung für uns und für andere. Gebe der Herr, dass es Botschaften zum Heil sind, wie bei Rebekka, und nicht zum Unheil, wie in der Legende…!
Ulf von Kalckreuth