Bibelvers der Woche 42/2022

… auf dass ihre Herzen ermahnt und zusammengefasst werden in der Liebe und zu allem Reichtum des gewissen Verständnisses, zu erkennen das Geheimnis Gottes, des Vaters und Christi,…
Kol 2,2

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gottes Geheimnis

Hier ist noch einmal der Vers im Kontext, und zwar im leichter verständlichen Wortlaut der „Gute Nachricht Bibel“:  

Es liegt mir daran, dass ihr wisst, wie sehr es bei diesem meinem Kampf um euch in Kolossä geht und auch um die Gemeinde in Laodizea und überhaupt um alle, die mich persönlich nicht kennengelernt haben. Ich möchte, dass sie alle Mut bekommen und in Liebe zusammenhalten und dass sie zur ganzen reichen Fülle des Verstehens gelangen und Gottes Geheimnis begreifen, nämlich Christus. In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen. (Kol 2,1-3) 

Das ist spannend: hier sagt Paulus knapp, warum er missioniert. Er tut’s für andere, nicht für sich selbst, und es geht ihm darum, bei diesen Mut zu erwirken, Liebe und das Erfassen von Gottes großem Geheimnis, Jesus Christus. Um zu ermessen, was da steht, mag man kurz überlegen, welche anderen Motive es geben könnte.

Ich wünsche uns eine Woche in Gottes Segen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 52/2021

„Du sollst”, sagen sie, „das nicht angreifen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren”
Kol 2,21

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Zumutung

Paulus äfft nach, wie es Kinder manchmal tun, wenn Forderung der Eltern für absolut inakzeptabel halten. Als ich den Vers gezogen habe, rief ich meiner Tochter zu: „Hier ist ein Vers für Dich!“ und habe ihn ihr gelesen, in einem entsprechenden Tonfall — und wie als Echo, fast automatisch, aber im Spiel, kam die Mimik, die Gestik und der Tonfall zurück, den ich von ihr bekomme, wenn ich etwas will, was sie nicht will. Auf dieser Ebene hat sie den Vers sofort verstanden.

Paulus warnt vor Irrlehren in der Gemeinde der Kolosser. Er kennt diese Gemeinde nicht selbst, sie ist eine Gründung seines Gefährten und Sekretärs Epaphras, daher wird vermutet, dass dieser Teil des Briefs auf Epaphras zurückgeht. 

Es ist im einzelnen unklar, welche Gebote und Forderungen Paulus und Epaphras hier karikieren, Vers 16 deutet darauf hin, dass es sich um Speisegebote und Feiertage handelt. Dann stünde der Vers vielleicht in der langen Debatte, ob und in welchen Teilen die Gesetzlichkeit der Torah für Christen verbindlich sei. In ihrer extremen Form ist es die Frage, ob nicht zuerst Jude werden muß, wer Christ sein will — weil das Erlösungswerk Jesu sich an Juden richtet. 

Die Antwort der christlichen Kirchen auf die Frage nach der Verbindlichkeit der Torah habe ich nie ganz verstanden. Für einen Versuch siehe BdW 41/2020. Das Gesetz ist nicht verbindlich. Aber die ethischen Maximen mit den zehn Geboten als Kern haben denselben Stellenwert wie im Judentum, vielleicht weil Jesus selbst sich auf sie beruft. Aber hat er sich nicht wiederholt auf die ganze Torah berufen? In manchen christlichen Traditionen sind im Laufe vieler Jahrhunderte andere rituelle Forderungen an die Stelle der mosaischen getreten. Vielleicht begreift man den christlichen Umgang mit dem alten Gesetz im Kern am besten als Ergebnis einer kulturellen Evolution, dessen genaues Ergebnis zu Paulus‘ Zeit noch nicht feststand. 

Paulus jedenfalls sagt, hier und anderswo, wir seien von allen solchen Forderungen frei: 

Wenn ihr nun mit Christus den Elementen der Welt gestorben seid, was lasst ihr euch dann Satzungen auferlegen, als lebtet ihr noch in der Welt: »Du sollst das nicht anfassen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren« – was doch alles verbraucht und vernichtet werden soll. Es sind menschliche Gebote und Lehren. Diese haben zwar einen Schein von Weisheit durch selbst erwählte Frömmigkeit und Demut und dadurch, dass sie den Leib nicht schonen; sie sind aber nichts wert und befriedigen nur das Fleisch. 

Die Welt ist gefallen und fällt weiter, so verstehe ich es, und die Gebote der Welt führen uns in die Irre, dann jedenfalls, wenn wir sie für wesentlich halten. Worauf es einzig ankomme, ist die Führung Jesu Christi. Paulus selbst fiel es ausgesprochen leicht, sich an die Regeln des Umfeldes zu halten, in dem er sich jeweils bewegte — er wusste, was er tat und warum. Im 1. Korintherbrief (9, 19-23) schreibt Paulus:

Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, auf dass ich möglichst viele gewinne. Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen unter dem Gesetz bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin –, damit ich die unter dem Gesetz gewinne. Denen ohne Gesetz bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin im Gesetz vor Christus –, damit ich die ohne Gesetz gewinne. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise etliche rette. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, auf dass ich an ihm teilhabe. (1. Kor 9,19-23)

Der gelernte Pharisäer scheut nicht einmal davor zurück, Opferfleisch zu essen; ob man das tue oder nicht, solle nur von den Gefühlen desjenigen abhängen, mit dem man Gemeinschaft haben wolle, schreibt er ein paar Abschnitte weiter unten, in 1.Kor 10,23ff. 

Für Paulus steht Jesus an der Stelle der Torah, ich denke, das trifft es recht buchstäblich. Das Befolgen von Regeln mag seinen Wert in der Welt haben, mag helfen, bestimmte Ziele zu erreichen, aber der Jünger Christi soll sich nicht um ihrer selbst willen mühen. Die Regeln und Riten haben keinen Wert an sich. Der Ritus ähnelt darin dem Götzendienst, wie es in Jesaja 44, 9ff beschrieben wird: ein Mann spaltet Holz, verfeuert die eine Hälfte um sich zu wärmen und schnitzt sich aus der anderen Hälfte ein Bild, um es anzubeten.  

In unserem Vers macht Paulus sich über Riten und Gebote lustig. Aber was bedeutet das positiv? Wonach soll man das Handeln denn ausrichten? Im Galaterbrief gibt Paulus zwei Antworten. Sie sind sehr allgemein, der Glaubende muss sie selbst ausfüllen: 

Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt (3. Mose 19,18): »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!« Wenn ihr euch aber untereinander beißt und fresst, so seht zu, dass ihr nicht einer vom andern aufgefressen werdet. (Gal 5,14f), und

Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit; gegen all dies steht kein Gesetz. (Gal 5,22f). 

„Prüft aber alles, und das Gute behaltet!“ (1. Tess 5,21), und auch: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf.“ (1. Kor 10,23). Nicht das Richtige sollen wir tun, sondern das Gute, um den Pastor meiner Gemeinde zu zitieren. 

Ich zitiere so viel, weil ich mir zutiefst unsicher bin. Ich weiß um den Wert von Regeln in meinem eigenen Leben — ohne Regeln bin ich freigiebig nach Kassenlage, freundlich nach Kassenlage, herzlich nach Kassenlage. Und da gibt es meistens Dringendes, das mich vom Wichtigen abhält. Das Wichtige ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit, so steht es oben. Oft aber sind Regeln dasjenige, was mich gerade noch vom Gegenteil abhält, und manchmal helfen auch sie nicht mehr.

Als Kinder des Heiligen Geists sollen wir selbst wissen, was gut sei, sagt Paulus. Eine unglaubliche Zumutung. Ich bin Bundesbeamter, mich überfordert das. Wie kann ich rund 17 Stunden am Tag wissen, was gut ist, ohne das Auffangnetz von Regeln?  Ich kann es nicht! Aber ich soll! Der Taufspruch meiner älteren Tochter lautet: 

Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit (Eph 5,8f). 

Ein ganzes Wochenende lang feiern wir den Geburtstag desjenigen, der uns hierbei leiten kann. Ohne ihn geht es nicht. Der Herr segne uns, an diesem Tag, in dieser Woche und im Jahr, das kommt,
Ulf von Kalckreuth

Weihnachten 2021 im Hausener Wäldchen

Bibelvers der Woche 09/2020

Wandelt weise gegen die, die draußen sind, und kauft die Zeit aus.
Kol 4,5

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Drinnen und draußen

Der Kolosserbrief ist ein Lehrschreiben des Paulus. Er handelt in erster Linie vom „Drinnen“ — wie soll man als Christ die Rettung, die Erlösung annehmen, wie sich stellen zu seinen Mitmenschen. Der Kern ist ein Bild: wir sind mit Christus gestorben und neu geboren. Gestorben der Welt und ihren Prioritäten, ihren Werten, ihren Kämpfen, Eifersüchteleien, ihrer Unreinheit und ihren Affekten; Zorn, Grimm, boshafte Worte. Neu geboren zu Christus hin und damit hin zur Fülle Gottes sind wir nicht mehr Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie. Die alten Unterscheidungen werden unwichtig, und auch die überlieferten kultischen Vorschriften. Der Begriff fällt nicht, aber es geht um das Reich Gottes, das mit Christus und in uns bereits begonnen hat. Die folgende Stelle, Kol 3,12-16, sagt, wie wir uns „drinnen“ verhalten sollen:

So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld; und ertrage einer den anderen und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen und seid dankbar. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. 

Wow! Wem das gelingt, gemeinsam mit anderen, dessen Leben ist gelungen! Auch der letzte Satz spricht mich persönlich sehr an. Aber da ist es doch immer noch, das „Draußen“, das wir eigentlich hinter uns gelassen haben, das doch eigentlich unwichtig ist — „Maya“ hätte Gautama Buddha es vielleicht genannt. Ich denke an mein Büro und all die Menschen, mit denen ich dort zu tun habe, und ich sehe, dass das Draußen fortbesteht mit seinen Forderungen. Es konditioniert unser Leben, auch unser Glaubensleben. Konsistent wäre es vielleicht, sich zurückzuziehen, dem Draußen so wenig Gewicht wie möglich zu geben, etwa Eremit zu werden oder Mitglied einer geistlichen Gemeinschaft, die sich abschottet. Das gibt es in der Tat. Manche Gemeinschaften verbinden es mit Gleichgültigkeit, Geringschätzigkeit und abweisendem Verhalten.

Mit dem Bibelvers dieser Woche weist Paulus uns an, genau dies nicht zu tun. Wir sollen uns weise gegenüber denen verhalten, die draußen sind. Das bedeutet zunächst einmal, dass wir sie wahrnehmen sollen und uns auf sie einlassen. Sicherlich nicht bedingungslos, das wäre nicht weise, aber ebenso wenig sollen uns bedingungslos abgrenzen. Interaktion ist gefordert. Wir sollen die Zeit „auskaufen“, also gut nutzen und nicht teilnahmelos den Dingen ihren Lauf lassen. Der darauffolgende Vers 6 verdeutlicht: Eure Rede sei allezeit wohlklingend und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt

Paulus fordert, dass wir uns ernsthaft um die anderen bemühen sollen, dass wir kommunikativ sind, gewinnend, nicht abweisend, auch dann nicht hochmütig sind, wenn wir uns einbilden, Grund dazu zu haben. Dabei geht es hier gar nicht um Mission. Es geht darum, wie wir uns gegen unsere Mitmenschen stellen, „drinnen“ und „draußen“. 

Der Vers ist aktuell. Vor hundertfünfzig Jahren hätte man darüber nachdenken müssen, wer denn eigentlich gemeint sei mit „denen, die draußen sind“ — die Sozialisten, die Heiden in den Kolonien, Trunkenbolde vielleicht? Heute nicht mehr. Wie zu Paulus‘ Zeit ist der größte Teil unserer Umwelt „draußen“. 

Also: wir sollen eine Welt ernst nehmen, von der wir wissen, dass sie unwichtig ist!? Ja. Das Reich Gottes ist angebrochen und es ist unter uns, aber die alte Welt besteht fort. Wie Jesus im Reich Gottes lebte und zugleich in unserer Welt und endlich die Grenze gegenstandslos machte, so sollen wir es auch tun. Dem Kaiser geben, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist. Das geht nicht — aber anders geht es nicht…!

Lasst uns, in dieser Woche und darüber hinaus, mit Freude und mit Gottes Segen in beiden Welten leben, 
Ulf von Kalckreuth