Bibelvers der Woche 34/2019

Zu der Zeit ward Hiskia todkrank. Und der Prophet Jesaja, der Sohn des Amoz, kam zu ihm und sprach zu ihm: So spricht der HErr: Bestelle dein Haus; denn du wirst sterben und nicht lebendig bleiben!
Jes 38,1

Hier ist der Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Sterben und Leben

König Hiskia von Juda erkrankt zum Tode, und zwar gerade, als er und sein Volk durch ein Wunder von einer anderen tödlichen Bedrohung errettet wurde, dem Angriff der Assyrer unter Sanherib. Jesaja, der Prophet des Herrn, sagt ihm, er möge sich keine Illusionen machen. „Bestelle dein Haus, denn Du wirst sterben und nicht lebendig bleiben.“

Hiskias Krankheit und seine Errettung hat uns zu Beginn des Jahres bereits einmal beschäftigt. Anfang März zog ich ein Vers aus demselben Abschnitt, meine Ausführungen dazu könnten für den Vers von heute geschrieben sein.

Nun gibt es aber eine Möglichkeit, weiter darüber nachzudenken. Der gezogene Vers ist wie ein rotes Stop-Schild: bei Ihnen stößt er vielleicht ganz andere Gedanken und Assoziationen an. Mir fallen zwei Dinge ein.

Erstens. Vor zweieinhalb Wochen, auf unserem Camping-Urlaub, wohnten meine Frau und ich dem Gottesdienst einer freien evangelischen Gemeinde bei. Nach der Begrüßung durch den Leiter trat eine Frau mitteren Alters nach vorn und erklärte der Gemeinde, sie habe ein Gespräch mit ihrem Arzt gehabt, und es handele sich bei Ihren Beschwerden um einen bösartigen Hirntumor. Wenn die verbliebenen Behandlungsmöglichkeiten gut anschlügen, könne sie vielleicht noch ein Jahr leben. Ziemlich genau das also, was Hiskia von Jesaja hören mußte. Die Frau war kämpferisch. Sie betete laut zu Jesus, sie sang, mit einer Fahne in der Hand, und sie bat die Gemeinde, mit ihr zu beten. Nach diesem Gebet blieb während des ganzen Gottesdienstes eine Frau bei ihr und flehte Rettung herab. 

Ich fühlte damals, dass ich mich anders verhalten hätte. In den Urlaubswochen hatte ich viel Jeremia gelesen, und es schien mir wichtig, den richtigen Umgang mit dem Unabwendbaren zu lernen. Ich sagte Antje, dass ich wohl hätte versuchen wollen, die verbliebene Zeit so gut und sinnvoll wie möglich zu nutzen. Auch Hiskia hätte so reagieren können — es war sogar buchstäblich das, was Jesaja im Namen des Herrn von ihm verlangte. Aber Hiskia betet. Und er wird gerettet, „against all odds“ und sogar entgegen der Ankündigung des Propheten. „Denn ich werde wandeln vor dem Herrn im Lande der Lebendigen“ singt in Psalm 116 ein anderer, der vom Tode errettet wurde. Ich werde versuchen, über die Gemeinde der Frau das Gebet des Hiskia zukommen zu lassen — vielleicht habe ich den Vers deshalb gezogen. 

Zweitens. Liest man die Worte Jesajas in Ruhe, so sind sie schlicht wahr, und zwar für jeden von uns und zu jeder Zeit. Wir alle werden sterben und nicht lebendig bleiben, und wir müssen daher unser Haus bestellen. Memento mori — „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“, Ps 90,12. Wenn ich dies schreibe, sitze ich gerade in der Business Class eines Flugzeugs der Etihad Air auf dem Weg nach Abu Dhabi zum Weiterflug nach Kuala Lumpur. Ich bin 11.277 Meter über dem Boden, bald überqueren wir die türkische Ostgrenze, phantastische Wolkengebirge unter mir. Alles genau wie in den Werbevideos, der viele Platz, das Essen, die gutaussehende orientalische Stewardess. Es ist gut, daran erinnert zu werden, dass wir sterben müssen, dass wir keine Götter sind, allem Anschein zum Trotz. Es ist ja so leicht geworden, unseren Anfang und unser Ende zu vergessen. 

Vielleicht sagt uns der Vers auf etwas sonderbare Weise auch, dass wir nicht verzweifeln sollen. Im Angesicht des sicheren Todes können wir noch unser Haus bestellen. Und wir können beten. Beides ist richtig und beides kann die Welt ändern.

Der Herr behüte uns in dieser Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 09/2019

Meine Zeit ist dahin und von mir weggetan wie eines Hirten Hütte. Ich reiße mein Leben ab wie ein Weber; er bricht mich ab wie einen dünnen Faden; du machst’s mit mir ein Ende den Tag vor Abend.
Jes 38,12

Hier ist der Link für den Kontext des Verses, in der Lutherbibel 2017.

Und sie dreht sich doch… rückwärts!

Als ich ihn zog, hat der Vers mich sofort beeindruckt und erschreckt, ohne dass ich schon etwas über seinen Kontext wusste. Das ist sehr expressive Sprache: hier schreit jemand in höchster Todesnot. Ich glaubte zunächst, es sei Jesaja selbst. 

Aber es ist Hiskia, der hier schreit, König des Südreichs, großer Reformer, der viel dazu beigetragen hat, aus dem JHWH-Kult ein Judentum zu formen. Hiskia ist todkrank. Er weiß, dass er stirbt, und auch Jesaja weiß es. Der Prophet kommt, dem König auszurichten, dass er seine Dinge ordnen möge, er werde sterben, es sei vorbei. Hiskia wendet sein Angesicht zur Wand und betet. Da lässt der Herr Jesaja sagen, er habe sein Gebet erhört, er werde ihn retten, seinen Tagen noch fünfzehn Jahre zulegen und ihm außerdem gegen die Assyrer beistehen. Als Zeichen werde er den Schatten, der bereits die Stufen des Palasts heruntergegangen ist, wieder hinaufgehen lassen. „Da ging die Sonne die zehn Stufen zurück, die sie hinabgestiegen war“.

Unser Vers ist aus dem sog. Lied des Hiskia, Hiskias Gebet. Es ist ein Psalm, die nicht Psalter steht. Hier stirbt jemand, und stirbt am Ende doch nicht. Die Sonne, die Zeit, läuft rückwärts. Im Buch Josua lässt Gott die Sonne stillstehen, um Josua mehr Zeit in einer Schlacht zu geben. Hier ist es Hiskia, der mehr Zeit bekommt, ganze fünfzehn Jahre. 

Ein Wunder ist geschehen. War also mein Erschrecken unberechtigt? Ein Wunder ist die große Ausnahme, sonst ist es keines, die Regel war und ist eine ganz andere. „Wenn auch tausend fallen zu deiner Seite, …  so wird es doch dich nicht treffen“ — die Zusage aus Psalm 91, wem gilt sie denn? Den tausenden offenbar nicht. Die Antwort in Psalm 91 ist hermetisch: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,…“ Das erinnert sehr an Exodus 33,19: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich“. Sind dies wenige, viele, alle? Das unterliegt Gottes unverfügbarem Ratschluss. Wie Hiob hätten wir lieber einen Rechtsanspruch, am besten einklagbar. Aber den gibt es nicht. Es gibt Gnade. So brutal es klingt: wir sind Gott schutzlos ausgeliefert. 

Das Lied des Hiskia ist Bestandteil der Laudes im Totenoffizium der katholischen Kirche und damit in jedem Stundenbuch enthalten. Vielleicht sollte man es beten, bevor es zu spät ist, so wie Hiskia es tat. Es ist ein sehr eindrücklicher Text, ich füge das Lied in voller Länge an. 

„Der HERR hat mir geholfen, darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben, im Hause des HERRN!“ 

Ich wünsche uns eine Woche unter dem Schirm des Höchsten.
Ulf von Kalckreuth

Dies ist das Lied Hiskias, des Königs von Juda, als er krank gewesen und von seiner Krankheit gesund geworden war:

Ich sprach: In der Mitte meines Lebens muss ich dahinfahren,
zu des Totenreichs Pforten bin ich befohlen für den Rest meiner Jahre.
Ich sprach: Nun werde ich nicht mehr sehen den HERRN,
ja, den HERRN im Lande der Lebendigen,
nicht mehr schauen die Menschen,
mit denen, die auf der Welt sind.
Meine Hütte ist abgebrochen
und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt.
Zu Ende gewebt hab ich mein Leben wie ein Weber;
er schneidet mich ab vom Faden.
Tag und Nacht gibst du mich preis;
bis zum Morgen schreie ich um Hilfe;
aber er zerbricht mir alle meine Knochen wie ein Löwe;
Tag und Nacht gibst du mich preis.
Ich zwitschere wie eine Schwalbe
und gurre wie eine Taube.
Meine Augen sehen verlangend nach oben:
Herr, ich leide Not, tritt für mich ein!
Was soll ich reden und was ihm sagen?
Er hat’s getan!
Entflohen ist all mein Schlaf
bei solcher Betrübnis meiner Seele.
Herr, davon lebt man,
und allein darin liegt meines Lebens Kraft:
Du lässt mich genesen
und am Leben bleiben.
Siehe, um Trost war mir sehr bange.
Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen,
dass sie nicht verdürbe;
denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück.
Denn die Toten loben dich nicht,
und der Tod rühmt dich nicht,
und die in die Grube fahren,
warten nicht auf deine Treue;
sondern allein, die da leben, loben dich so wie ich heute.
Der Vater macht den Kindern deine Treue kund.
Der HERR hat mir geholfen,
darum wollen wir singen und spielen,
solange wir leben,
im Hause des HERRN!

Bibelvers der Woche 52/2018

Wer ist unter euch, der den HErrn fürchtet, der seines Knechtes Stimme gehorche? Der im Finstern wandelt und scheint ihm kein Licht, der hoffe auf den HErrn und verlasse sich auf seinen Gott.
Jes 50,10

Hier ist ein Link für den Kontext, zur Übersetzung von 2017:

Wenn es am dunkelsten ist

Es gibt Grund, dies zu betonen: Dieser Vers für die letzte Woche des Jahres ist zufällig gezogen, und zwar vor exakt einer Woche, am 14.12. Der Vers enthält die Essenz der Erlösungshoffnung und des Weihnachtsfests — und in dem Kontext des Buchs Jesaja, in dem er steht, konstituiert er beides geradezu. 

Matthäus erzählt die Geschichte von den drei Weisen, die dem Stern folgen, das Kind suchen und finden. Lukas berichtet von der Geburt im Stall. Aber die Vorstellung, der Erlöser komme in dunkelster Nacht, komme in Kindsgestalt, ist viel älter, sie geht auf die Propheten zurück, vor allem auf Jesaja: siehe Jes 9,1ff und Jes 7,14ff. Matthäus bezieht sich direkt auf diese Bilder, mit denen er selbst aufgewachsen ist. In die Katastrophe hinein, in die tiefe Demütigung, wird ein Reis gepflanzt, aus dem Erlösung erwächst. Man kann sagen, dass Jesaja das Weihnachtsfest erfunden – oder gefunden – hat, viele Jahrhunderte vor Christi Geburt. 

Den zweiten Teil des Jesajabuchs, Jes 40-66, schreibt man heute einem anderen, späteren Autor zu als den ersten. Der „zweite“ Jesaja hat das Ende des Südreichs und die Verbannung nach Babylonien selbst erlebt. Der Text rund um den gezogenen Vers, das „Trostbuch von der Erlösung Israels“, ist daher tatsächlich in tiefster Nacht geschrieben, in einem Biotop der Hoffnungslosigkeit:

Der im Finstern wandelt und scheint ihm kein Licht, der hoffe auf den HErrn und verlasse sich auf seinen Gott. 

Wir feiern Weihnachten, wenn es am dunkelsten ist. Wann auch sonst? Weihnachten ist nicht die Erfüllung, wie Kinder glauben, sondern die Hoffnung. Kein erwachsener Messias kommt da, sondern ein Säugling aus Fleisch und Blut. Konkretisierte Hoffnung, die Gestalt angenommen hat, ein festes Versprechen, der Nacht zum Trotze — „O komm, o komm, du Morgenstern“. 

Heute ist der dunkelste Tag des Jahres, und ich wünsche uns allen ein gesegnetes Weihnachtsfest, mit einem Licht im Herzen. 
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 08/2018

Denn siehe, ich will ein Neues machen; jetzt soll es aufwachsen, und ihr werdet’s erfahren, dass ich Weg in der Wüste mache und Wasserströme in der Einöde,
Jes 43,19

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Wirklich Neues bleibt lang unsichtbar

Bei diesem wunderbaren Vers kann ich kurz bleiben: Er stammt aus dem zweiten Teil der Jesaja-Schrift, der vermutlich zumindest teilweise einen andere, späteren Autor hat als der erste. Er steht in einem Kontext, in welchem dem versklavten und entführten Volk Israel ein „Gottesknecht“ als Erlöser angekündigt wird (Abschnitt 42) und Gott Gnade und Vergebung, Schutz und Leben zusagt (Abschnitt 43 und 44). 

Ich verbinde eine persönliche Erinnerung an diesen Vers. Im Jahr 2007 war er Jahreslosung. Als meine Frau ihren Dienst an der Landeskirche unterbrechen musste, weil sie mit unserer ersten Tochter schwanger war, hielt ihr Dekan, Pfarrer Schlösser, die Predigt für ihren Verabschiedungsgottesdienst. Und er wählte die Jahreslosung als Predigttext. Er wusste, welchen Grund die Verabschiedung hatte, aber sonst keiner der Anwesenden, meine Frau und ich ausgenommen. Und er hatte eine diebische, sich ständig steigernde Freude daran, im Laufe seiner Predigt immer wieder auf den Vers in seiner neueren Übersetzung zurückzukommen und laut zu rufen: „Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ Am Ende freute sich jeder, ohne genau zu wissen, warum.

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 04/2018

Geschrei geht um in den Grenzen Moabs; sie heulen bis gen Eglaim und heulen bei dem Born Elim.
Jes 15,8

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Trauer

Jesaja  und Jeremia sind die beiden großen Propheten, deren Gottesbegriff die heutige komplexe jüdische und christliche Sicht vorbereiten. Was sie beschreiben, ist eine Zumutung.

Einerseits besteht Gott darauf, dass die mit dem Bund eingegangenen Verpflichtungen erfüllt werden und macht die angekündigten Sanktionen wahr. In dieser Hinsicht ist er berechenbar. Andererseits trauert er um sein Volk und versucht, auf der Grundlage von fast verbrannter Erde die Beziehung neu aufzubauen. Unter Bedingungen, die nicht klar sind, ebensowenig wie die zeitliche Verortung. Vergebung, Erlösung, Neuanfang, Umarmung, Trost, die elterliche Beziehung zu kleinen Kindern beschreiben diesen Aspekt. Und dies vor dem Hintergrund unsäglichen Leids, weitgehender Zerstörung und „Umwertung aller Werte“ in der Lebenszeit Jesajas und der mit ihm assoziierten Autoren. Der unüberbrückbare Spalt, der sich hier auftut, prägt Judentum und Christentum gleichermaßen.  

Auch die umliegenden Völker werden vom Untergang erfasst. Der vorliegende Vers ist aus der Prophezeiung des Untergangs Moabs, ein traditioneller Feind des Südreichs auf der anderen Seite des Jordans. Die beiden genannte Orte liegen im Norden (Elim) und vermutlich im Süden (Eglaim) von Moab, wahrscheinlich sind beides Quellen. Bemerkenswert sind die Verse 15,5 und 16,9-11: hier weint Gott, dessen Wort Jesaja wiedergibt, über die Vernichtung der feindlichen Moabiter, die doch er selbst ins Werk setzt. 

Gott sei mit uns in der kommenden Woche,
Ulf von Kalckreuth