Bibelvers der Woche 46/2024

Da aber Jakob sah Rahel, die Tochter Labans, des Bruders seiner Mutter, und die Schafe Labans, des Bruders seiner Mutter, trat er hinzu und wälzte den Stein von dem Loch des Brunnens und tränkte die Schafe Labans, des Bruders seiner Mutter.
Gen 29,10

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Die Frau, die Herde, der Brunnen

Hier kondensiert die ganze Geschichte — in einem einzigen Bild. Jakob, der Flüchtling, sieht Labans Tochter Rahel, und er begehrt sie sofort. Für sie wird er 14 Jahre lang dienen. Und Jakob sieht die Schafe Labans. An ihnen wird er sich abarbeiten müssen während dieser vielen Jahre. Aber Labans Tochter wird seine Frau sein, und sie wird ihm Söhne schenken, und Labans Schafe werden ihn reich machen. So wird es sein. Hier, mit diesem Vers, bricht Jakob in die Szene ein. Er kennt niemanden, und das Drehbuch hat er noch nicht verstanden. Er sieht die Frau und die Herde. Die Herde kommt auf ihn zu, die Frau sieht ihn an. Er bringt beides zusammen und greift ein: gegen die Regel und zu seinem Vorteil. 

Dabei ist die Regel wertvoll,. Das wenige Wasser soll gerecht geteilt werden zwischen allen, die ein Anrecht darauf haben, ohne gewalttätigen Streit, und ohne dass jeder früher dort sein muss als die anderen. Deshalb liegt ein Stein auf dem Brunnen, der erst entfernt wird, wenn alle Herden da sind. Jakob sieht, dass Rahels Schafe bis zum Abend noch einige Zeit weiden könnten, wenn man sie jetzt tränkt. Er will die junge Frau beeindrucken und sich dem Onkel zu empfehlen, den er noch gar nicht kennt. Die Regel drückt er beiseite: Er tritt zum Brunnen und deckt ihn auf. In der Bilderwelt des Alten Testaments hat das eine erotische Konnotation.  

Diese Miniatur charakterisiert Jakob perfekt. Auf dem Weg zu dem, was er will, wird Jakob immer wieder Regeln brechen. Der Showdown mit Laban, viele Jahre später, ist ein zweites Bild, in dem alles zusammenläuft, siehe BdW 15/2921.

Jakob sieht. Er kann gar nicht erkennen, was er sieht. Träume sind mächtig. Sie prägen unser Schicksal. Und sie tragen die Tendenz in sich, Wirklichkeit zu werden. Der Herr lasse uns sehen. Und er gebe uns das Gespür für die rechten Mittel. 
Ulf von Kalckreuth 

P.S. Das Bild steht ja eigentlich schon. Deshalb habe ich mit GhatGPT an einer Illustration gearbeitet. Es hat ein wenig gedauert, aber ich finde, wir haben es recht gut gemacht. 

Bibelvers der Woche 40/2024

Er sprach: Ich will dir einen Ziegenbock von der Herde senden. Sie antwortete: So gib mir ein Pfand, bis dass du mir’s sendest.
Gen 38,17

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Wer es sagt, ist’s selber…!

Eine schmutzige Geschichte, keine, die unmittelbar das Herz erheben könnte. Aber unser Vers steht mitten darin und spielt dort eine Schlüsselrolle, und so muß ich sie ganz erzählen. Bitte bleiben Sie dran, ich glaube, es lohnt sich!

Juda, der Sohn Jakobs und Stammvater Davids, hat drei Söhne. Sein ältester Sohn, Er, heiratet Tamar. Aber bald darauf stirbt er, und Tamar ist Witwe. Juda gibt ihr seinen zweiten Sohn, Onan, zum Mann. Eine sogenannte Leviratsehe zur Sicherung der Witwe, der Erbfolge und der Verbindung zweier Familien: Starb ein verheirateter Mann kinderlos, so mußte sein Bruder die Witwe zur Frau nehmen und an seiner Stelle für Nachwuchs sorgen. Der erste Sohn galt als Kind des Bruders, siehe Dtn 25,5-10. 

Onan aber will seine Pflicht nicht erfüllen. Im ehelichen Verkehr mit Tamar läßt er seinen Samen „auf die Erde fallen und verderben“. Coitus interruptus — wenn wir heute von ‚Onanie‘ sprechen, benutzen wir eigentlich ein falsches Wort. 

Dem Herrn ‚mißfiel dies‘, schreibt die Bibel, und er läßt auch Onan sterben. Nun müsste Juda eigentlich Tamar seinen jüngsten Sohn Schela zum Mann geben. Aber er hat Sorge, dass auch sein dritter Sohn sterben könnte. Er sagt Tamar, sie könne Schela heiraten, wenn er groß geworden sei. Bis dahin möge sie bitte bei ihrem Vater bleiben. Viele Jahre gehen ins Land, Judas Frau stirbt und Tamar versteht, dass dieses Versprechen auf immer ein Versprechen bleiben soll. Juda verweigert Tamar „seinen Samen“, wie in Genesis die Nachkommenschaft eines Mannes genannt wird — im Grunde wie sein Sohn Onan.

Tamar ist in der Ecke, scheinbar ohne Handlungsmöglichkeiten, in völliger Passivität. Im Hause ihres Vaters soll sie warten, bis Schela kommt. Sie ist mit ihm verlobt und die Verpflichtungen aus ihren beiden Ehen gelten fort. Sie kann nicht einmal einen anderen Mann suchen. So geht es viele Jahre. Ihre Uhr tickt, immer lauter. Schließlich bricht sie aus und holt sich Judas Samen auf eigene Art.

Sie setzt sich an den Weg, auf dem Juda kommen muss, der einen Freund besuchen will. Tamar trägt einen Schleier und macht sich unkenntlich. Juda hält sie für eine Prostituierte und will sich ihr nähern. Er einigt sich mit ihr über den Preis, den er allerdings nicht an Ort und Stelle bezahlen kann. Sie bittet um ein Pfand — das ist unser Vers! — und er hinterlässt ihr seine Siegelkette, seine Schnur und seinen Stab. Die Insignien seiner Stellung als Patriarch. Es ist fast, als habe er seinen Personalausweis als Pfand gegeben. 

Sie verkehren miteinander und Juda geht seiner Wege. Tamar taucht ab. Als Judas Freund sie sucht, um den verabredeten Preis zu entrichten, weiß niemand von ihr — nie war an diesem Ort eine Prostituierte tätig. Tamar war ins Haus ihres Vaters zurückgekehrt, und sie ist schwanger. Bald sehen es die Leute, und sie hinterbringen es Juda: Deine Schwiegertochter hat gehurt und bekommt ein Kind. Sie soll sterben, sagt Juda, sie soll herausgeführt und hingerichtet werden. 

Tamar läßt ihm die drei Teile des Pfandes bringen: Der Vater des Kinds ist, wem diese Dinge gehören, sagt sie — erkennst du sie? Juda erkennt sie, und er erkennt auch, welchen Fehler er gemacht hat. Tamar bringt Zwillinge zur Welt und Juda akzeptiert sie als seine Söhne und Tamar als seine Frau. „Aber er ging nicht mehr zu ihr ein“, sagt die Bibel.

Wir können die Geschichte aus Genderperspektive betrachten. Das ist einfach, harte Worte wären wohlfeil, aber die Wertungen wären nutzlos, und ich will Ihnen und mir das ersparen. Die Geschichte ist eine Miniatur aus der frühen Eisenzeit. Sie steht isoliert mitten in der Josephsgeschichte, und ich denke, sie steht dort, weil sie eine interessante Botschaft hat. 

Es geht um das Wesen von Schuld. Onan und Juda verweigern sich und berauben damit Tamar der Grundlage ihres Lebens als Frau m alten Orient. Beide geben nicht, aber sie nehmen: Sex. Tamar wird schwanger. Juda sieht die Gelegenheit, die fortwährende Schuld endgültig aus der Welt zu schaffen und fordert ihren Tod. Die Bibel spricht es nicht aus, aber ich vermute, dass er sich auf das mit Todesdrohung bewehrte Verbot des Ehebruchs beruft (Lev 20,10). Wenn aber sie eine Ehebrecherin ist, dann ist er der Ehebrecher — er bricht die fortwirkende Ehe seiner Söhne und verstößt noch dazu gegen das explizite Verbot sexueller Beziehungen zu Schwiegertöchtern (Lev 18,12).

Sein Finger zeigt auf Tamar, aber indem er das tut, weisen drei Finger zurück auf ihn selbst: Bruch zweier Ehen und Sex mit einer nahen Verwandten. Dabei ist seine eigentliche Schuld eine andere. In diesem Augenblick steht er da als vollkommenes Monster — vor uns und wohl auch vor sich selbst. „Sie ist gerechter als ich“, stöhnt er.

Weit mehr als 1000 Jahre später steht ein direkter Nachkomme von Tamar und Juda auf einem Platz im Jerusalemer Tempel. Aufgebrachte Menschen zerren eine Frau zu ihm. Sie ist Ehebrecherin und von ihm, dem Gesetzeslehrer, verlangen die Leute ein Urteil. Es kann nur eines geben. Jesus spricht es nicht aus, sondern malt in den Sand. Schließlich sagt er, dass derjenige den ersten Stein werfen möge, der ohne Schuld sei. Keiner rührt sich, und die Menge verläuft sich schließlich. 

Hat Jesus an Tamar gedacht, als er im Sand malte? 

‚Wer es sagt, ist’s selber‘, sagen unsere Kinder, und es stimmt. Schuld ist Gift und in gewisser Weise wird es geschaffen durch den, der die Beschuldigung ausspricht. Etwas bleibt hängen. Manchmal ist es viel. Vielleicht kann nur Gott Schuld zuweisen, ohne schuldig zu werden? 

Gelobt sei, der unsere Schuld vergibt — so wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…!
Ulf von Kalckreuth


Nachspiel: Richtig vergeben ist gar nicht so einfach. Ich habe diesen Text in den Pausen eines großen Musikfestivals geschrieben. Vielleicht merkt man das. Als ich aufstand, rempelte eine Frau, die rasch in den nächsten Saal wollte, mich hart von hinten. Wir sahen uns an und schließlich sagte sie genervt: „Entschuldigung!“ Ich erwiderte: „Ich habe darüber nachgedacht, wer von uns beiden sich entschuldigen muß, aber wenn Sie es nun tun, will auch ich Sie gern um Verzeihung bitten!“ Ihre etwas rätselhafte Antwort war: „Aber ich habe mich als erste entschuldigt…!!“ Mmh. Besser hätte ich gesagt: „Ist schon ok, ist die Musik nicht großartig? 

Bibelvers der Woche 35/2024

Und also machten sie den Bund zu Beer-Seba. Da machten sich auf Abimelech und Phichol, sein Feldhauptmann, und zogen wieder in der Philister Land.
Gen 21,32

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gaza und Be’er Sheva

Der Vers bezeichnet den Abschluß einer wichtigen Begebenheit in der „ersten“, der friedlichen Erzählung zur Einwanderung ins Gelobte Land. Diese Erzählung lautet kurz gefasst wie folgt: Abraham kommt als halbnomadisch lebender Viehzüchter von Norden aus Haran nach Kanaan. Er erwirbt Güter, Gefolgschaft und Einfluss. In hohem Alter wird er Vater zweier Söhne, die als Stammväter der Araber (Ismael) und der Israeliten (Isaak) gelten. Er schwört dem Philisterkönig Abimelech einen Lehenseid und erwirbt von dem Hethiter Efron ein Erbbegräbnis. Er ordnet er sich in die bestehenden Strukturen des Landes ein, bleibt dabei aber stets eigenständig. Am Ende ihres Lebens gehören seine Frau und er zu den Großen des Landes.  

Im Vers geht es um den Eid, den er dem Philisterkönig Abimelech schwört. Abraham wohnt zu dieser Zeit in der Halbwüste westlich des Toten Meers, an der Peripherie des Herrschaftsgebiets der Philister. Deren Städte liegen an der Küste. Abraham ist zu einer lokalen Macht herangewachsen, er ist in der Lage, kleinere Kriege zu führen (Gen 14). Das Verhältnis zur politischen Herrschaft ist ungeklärt. Abimelech, ein König der Hethiter, erscheint bei Abraham mit einer bewaffneten Streitmacht und fordert ihn auf, seine Treue zu bekunden — sehr freundlich, unter Lobesbekundungen. Ihm wäre es am liebsten, am unruhigen Rand seines Herrschaftsgebiets einen loyalen Vasallen zu haben. Abraham ist dazu grundsätzlich bereit, fordert aber seinerseits Garantien hinsichtlich der Wasserstellen, die er für sein Vieh braucht. Abimelech und Abraham schwören einander die Treue. Dies geschieht bei Beerscheba, einem Ort, der deshalb „Schwurbrunnen“ heißt. Abimelech gibt den Ort und die Wasserstellen Abraham als Lehen. Die Peripherie ist befriedet. Unser Vers erzählt, wie Abimelech und sein General in seine Stadt zurückkehren.

Be’er Sheva gibt es noch heute, es ist eine größere israelische Stadt am Rand der Negev. Der Name von Abimelechs Stadt wird nicht genant. Ist es Gaza, die nächstgelegene und größte der alten Philisterstädte?

Die Begebenheit habe ich früher bereits kommentiert, siehe den BdW 18/2022. Es ist spannend, heute wieder darauf zu schauen. Die Palästinenser leiten sich und den Namen ihres Volks von den Philistern ab. Die Israelis wiederum sehen sich als Nachkommen Abrahams und Isaaks. Vor zwei Jahren konnte ich hoffnungsvoll schreiben. Heute gibt es einen blutigen Krieg, der nicht aufhören will. In diesen Tagen sind die Vermittlungsbemühungen der USA, Ägyptens und Katars im Krieg um Gaza erneut gescheitert, vielleicht endgültig. Ein größerer Krieg steht nun vor der Tür. Was muss denn noch geschehen? In der frühen Eisenzeit fanden Abimelech und Abraham eine Lösung, die beiden Seiten nutzte. Mit Händen lässt sich greifen, dass dies auch heute möglich wäre.

Guter Wille ist wohl zu viel verlangt. So gebe der Herr, Gott Israels und der Völker, den Menschen wenigstens Einsicht und einen Blick fürs Wesentliche! Lasst uns darum beten.

Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 11/2024

Das Wort gefiel Abraham sehr übel um seines Sohnes willen.
Gen 21,11

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Explosion in Zeitlupe

Hier bahnt sich eine Scheidung an, die beinahe einen tödlichen Verlauf nimmt: Sarah verlangt von Abraham, dass er Hagar und Ismael, seinen Sohn, verstößt und in die Wüste schickt. Die Geschichte wurde beim BdW 20/2020 ausführlich angesprochen. Hier will ich Ihnen von einem Gespräch erzählen, das einen überraschenden Verlauf nimmt.  

Ich wollte für den Blog ein Bild von dieser Szene mit Dall-E erstellen. Man muß dazu ChatGPT erklären, was man haben möchte. Ich habe folgendes probiert: 

ChatGPT, ich benötige wieder eine Illustration für einen Bibelvers. Ich werde dir zuerst die Geschichte erzählen. Abraham hatte zwei Söhne, Ismael und Isaak. Lange Zeit konnte Sarah, seine Frau, selbst keine Kinder bekommen. Sie bat daher Abraham, Kinder mit ihrer Sklavin Hagar zu zeugen, an ihrer Stelle. Abraham folgte ihrem Vorschlag und zeugte seinen ersten Sohn, Ismael, mit Hagar, Sarahs Sklavin. Viele Jahre später bekommt Sarah selbst ein Kind — Isaak. Sie wird eifersüchtig und wütend auf Hagar und fordert von Abraham, Hagar mit ihrem Sohn Ismael zu vertreiben, sie auszustoßen. Der Bibelvers, den ich illustrieren möchte, lautet wie folgt: „Das betrübte Abraham sehr, denn Ismael war sein Sohn.“, Genesis 21,11. Verstehst du die Situation?

ChatGPT verstand gut, gab eine korrekte Zusammenfassung und machte einen Vorschlag für eine visuelle Umsetzung. Ich hatte aber etwas Bestimmtes im Kopf:

Ich dachte eher an Folgendes: Sarah spricht sehr eindringlich zu Abraham, packt seine Kleidung und zeigt auf Hagar und Ismael, die im Hintergrund zu sehen sind. Abraham versucht, sie abzuwehren, und zeigt dabei Abscheu. Bitte lass uns das zuerst versuchen.

ChatGPT machte zwei Entwürfe, die zeichnerisch gelungen, inhaltlich aber falsch waren. Nach weiteren Konkretisierungen weigerte sich die KI und verwies auf Richtlinien:  

Ich kann die spezifische Illustration, die du angefragt hast, aufgrund unserer Richtlinien für Inhalte nicht erstellen. Die Darstellung von emotionalem Leid und Konflikten, insbesondere im Zusammenhang mit familiären Dynamiken, wie beschrieben, ist nicht in Einklang mit diesen Richtlinien zu bringen.

Eine zeitaufwendige Reihe weiterer Versuche schloß sich an, unter anderem mit kubistischen Formen. Unten sehen Sie eines der Bilder. Ästhetisch beachtlich, aber der Konflikt ist nur angedeutet, und von der Explosion in Zeitlupe, die sich hier vollzieht, ist nichts zu sehen. Ich beendete die Sitzung: „Wenn du keine Konflikte darstellen kannst, dann kannst du die Welt nicht darstellen.“ Die KI pflichtete bei: das sei in der Tat ein grundsätzliches Problem. Sie verwies aber ein weiteres Mal auf die Richtlinien. 

Trotz aller dummen politischen Korrektheit — in der Weigerung der KI ist Wahrheit. Die Richtlinien sollen verhindern, dass Bilder entstehen, die als anstößig empfunden werden können. Und ist das nicht anstößig? Eine Patchwork-Familie löst sich auf, zerfleischt sich geradezu. Hagar hat ein Kind von Abraham empfangen, an der Stelle ihrer Herrin, als Leihmutter eigentlich, und sie wird von dieser mit ihrem Kind vertrieben, in die Wüste geschickt, in den Tod. Und Abraham, dem es leid tut — um den Sohn! — willigt ein, als Gott ihm sagt, er solle seiner Frau gehorchen, auch aus Ismael werde ein großes Volk.  

Vielleicht können Sie ein Bild davon in Ihrem Kopf entstehen lassen, so anstößig wie Sie es wollen und ertragen. Am Ende rettet der Herr selbst Hagar und ihren Sohn Ismael,. Eine andere Rettung gibt es nicht mehr. 

Hagar. Stammutter der Araber. Sarah. Stammutter der Juden. Da fällt mir Gaza ein. Was für ein Gleichnis!

Der Herr rette die Menschen dort,
Ulf von Kalckreuth

Abraham, Sarah und Hagar
Abraham, Sarah und Hagar. Ulf von Kalckreuth mit Dall-E und ChatGPT, 4. März 2024

Bibelvers der Woche 48/2023

Und da sie ihm zu trinken gegeben hatte, sprach sie: Ich will deinen Kamelen auch schöpfen, bis sie alle getrunken haben.
Gen 24,19

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Verborgene Botschaften

Oben sehen Sie das Wappen meiner Familie. Im Schild sind zwei gekreuzte Werkzeuge, Kalkreuten genannt. Vielleicht sind es Kalkofengabeln, genau weiss man es nicht. Zu Wappen und Namen gibt es eine Sage, an die der Vers mich erinnert. Weiter unten will ich sie erzählen.

Zuerst aber der Vers. Abraham war schon hochbetagt, als seine gleichfalls alte Frau Sarah den gemeinsamen Sohn Isaak zur Welt brachte. Nun sollte Isaak verheiratet werden. Ehen wurden in dieser Zeit von den Vätern oder den Clanchefs der Brautleute gestiftet. Abraham war in Kanaan reich und mächtig geworden, aber er hatte sich in den Kopf gesetzt, dass seine Schwiegertochter auf keinen Fall aus Kanaan kommen dürfe, sie solle vielmehr aus dem aramäischen Heimatland stammen. Harran, die Stadt, in die Abrahams Vater gezogen war und wo noch sein Neffe Betuel lebte, lag fast 1000 km nördlich von Machpela in Kanaan — er selbst konnte nicht dort hin. Was also tun? 

Abraham schickt einen Diener in die weit entfernte Stadt mit dem Auftrag, eine Frau für seinen Sohn zu finden. Keinesfalls dürfe der Diener Isaak mitnehmen. Der Diener schwört es und macht sich auf den Weg. Schließlich erreicht er Harran. Nun müsste er eigentlich mit der Verwandtschaft Abrahams Kontakt aufnehmen, um in den Großfamilien nach einer Braut zu suchen oder nach Informationen, bei welchen anderen Clans die Werbung sinnvoll wäre. Aber er hat große Angst, nicht fündig zu werden oder auf eine Braut zu stoßen, die ihm nicht nach Kanaan folgen will.  

Er bittet Gott um Hilfe, und mit großem Gottvertrauen und erstaunlichem Selbstbewusstsein zugleich nennt er Gott ein Zeichen. Die „rechte“ Braut solle mit einem Krug auf ihn zukommen, und wenn er sie um Wasser bitte, so solle sie antworten: Trinke, und deine Kamele will ich auch tränken. Der zweite Teil der Antwort ist so unwahrscheinlich, dass sie in der Tat ein Zeichen ist: Wer würde für einen Fremden solche Mengen Wassers aus der Quelle schöpfen und nach oben tragen? Kamele sind berühmt für ihren ungeheuren Durst! 

Und das Wunder geschieht: kaum hat der Diener sein Gebet gesprochen, sieht er ein zartes und unberührtes junges Mädchen, mit einem gefüllten Krug auf ihrer Schulter, und als er sie um Wasser bittet, gibt sie nicht nur ihm zu trinken, sondern will auch seine Kamele tränken. Sie spricht also die magischen Worte, das ist der gezogene Vers. Der Diener hat Rebekka gefunden, Isaaks künftige Frau, Mutter Jakobs, Stammmutter damit  aller Israeliten und Juden! Der Himmel öffnet sich ein Stück. Die Sippe — nahe Verwandte Abrahams übrigens — nimmt des Dieners Werbung und die Brautgeschenke gern an. Und Rebekka ist ohne weiteres bereit, ins weit entfernte Kanaan zu gehen, um dort einen Mann zu heiraten, den sie nicht kennt. Schließlich aber sind die beiden Brautleute, als sie sich schließlich sehen, einander herzlich zugetan. 

Der Diener bittet, dass Gott ihm die Braut zeige, und er legt fest, wie die Gesuchte sich als rechte Braut ausweisen soll. Wie Soldaten, die sich anhand einer Parole zu erkennen geben: der eine sagt ein Wort, der andere ein anderes. Aber die Verabredung über die Parole besteht mit Gott. Rebekka, als sie spricht, kennt ihre eigentliche Bedeutung ihrer Worte nicht. 

Der Diener Abrahams trifft auf Rebekka.
Ulf von Kalckreuth mit Dell-E, November 2023

In der Einleitung hatte ich Ihnen eine Sage versprochen. Es ist eine richtige Rittersage, ich gebe sie gekürzt wieder. Ein junger Mann zieht fort von seiner Heimat und kommt an den Hof eines fremden Königs. Er bewährt sich und macht sich beliebt, aber nicht bei allen. Es gibt Neider, und einer von ihnen beschließt, für des jungen Mannes vorzeitigen Tod zu sorgen. Er redet dem König ein, dass dessen Frau dem jungen Mann sehr — zu sehr — gewogen sei. Der König glaubt ihm und fragt, was zu tun sei. Der Verleumder sagt, der König solle nicht lang fackeln, sondern den jungen Liebhaber in einem Kalkofen verbrennen lassen. Dazu möge er den Jüngling zu einem Kalkofen schicken und dort fragen lassen, ob des Königs Befehl ausgerichtet sei. Wer immer sich mit diesen Worten an die Arbeiter wende, den sollten die Arbeiter packen und in den Ofen werfen. 

So geschieht es. Der Jüngling macht sich auf den Weg zum Kalkofen. Dabei wird er jedoch für einige Zeit aufgehalten. Dann macht auch der Verleumder sich auf den Weg, um zu sehen, ob alles gelungen sei. Er wendet sich an die Arbeiter und fragt, ob des Königs Befehl ausgerichtet sei. Diese packen ihn und wollten keine Ausflüchte und Begründungen hören, dass dies so doch gar nicht gemeint sei — sie werfen ihn in den Kalkofen und dort stirbt er, an des jungen Mannes Stelle. 

Als der Jüngling verspätet beim Kalkofen erscheint, und seinerseits fragt, ob der Befehl ausgerichtet sei, kommt alles ans Licht, und der König ist sehr zufrieden, dass es der Verleumder in die selbst gegrabene Grube gefallen ist und nicht sein unschuldiges Opfer. Den jungen Mann aber macht er zu seinem Gefolgsmann und Ritter. 

Wie bei der Brautschau im Vers haben die Worte, die der Jüngling an die Arbeiter richten soll, eine ganz eigene schwerwiegende Bedeutung, die der Überbringer selbst nicht kennt. Und in meiner Familie erzählt man sich, der junge Mann habe von den Kalkofengabeln das Wappen und seinen ritterlichen Namen bezogen, und niemand anders sei er als der Stammvater aller Kalckreuths…!

Verborgene Botschaften. Ja, wir überbringen Botschaften, und nicht immer kennen wir ihre Bedeutung für uns und für andere. Gebe der Herr, dass es Botschaften zum Heil sind, wie bei Rebekka, und nicht zum Unheil, wie in der Legende…!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 45/2023

Da sprach der HErr: Die Menschen wollen sich von meinem Geist nicht mehr strafen lassen; denn sie sind Fleisch. Ich will ihnen noch Frist geben hundertundzwanzig Jahre.
Gen 6,3

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Außerirdisch…!

Wenn man jahrelang zufällig Verse aus der Bibel zieht, begegnet man auch den merkwürdigen Stellen, und irgendwann auch den GANZ merkwürdigen. Damit Sie wissen, worum es geht, stelle ich hier den Kontext ein: 

Als aber die Menschen sich zu mehren begannen auf Erden und ihnen Töchter geboren wurden, da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren, und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten. Da sprach der HERR: Mein Geist soll nicht immerdar im Menschen walten, denn auch der Mensch ist Fleisch. Ich will ihm als Lebenszeit geben hundertundzwanzig Jahre. Zu der Zeit und auch später noch, als die Gottessöhne zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen Kinder gebaren, wurden daraus die Riesen auf Erden. Das sind die Helden der Vorzeit, die hochberühmten.(Gen 6,1-4, Lutherbibel 1984)

Sie ahnen das Problem: Wer oder was sind diese Gottessöhne, die „Nephilim“? Manche sagen, die Geschichte sei älter als der Monotheismus, es handele sich um eigentlich eigenständige Götter. Andere denken an Engelwesen. Wieder andere denken an Menschen, die in besonderer Weise vom Geist Gottes begabt sind und daher als Söhne Gottes gelten können. Diese Variante ist zwar mit allen religösen Vorstellungen von Christen und Juden vereinbar, doch fehlt der Geschichte dann jeder Sinn. Und schließlich — googeln Sie mal mit den beiden Begriffen „Außerirdische“ und „Genesis 6″. Eine ganze Literatur befasst sich mit der These, Ausserirdische hätten sich mit Menschen gepaart und Genesis 6 enthalte die Erinnerung daran…!

Inmitten dieses merkwürdigen Texts wirkt unser Bibelvers selbst ausgesprochen sperrig, beinahe als gehöre er nicht wirklich dazu. Unsere Lebenszeit wird stark beschränkt. Das erinnert an die Vertreibung aus dem Paradies. Aber wofür die Strafe? Die ungleichen Paarungen verletzen eine Grenze, und hier wird es klassisch. Grenzen sind der Bibel heilig: zwischen Wasser und Land, Licht und Dunkel, Heiligem und Profanem, Gott und den Menschen, Mann und Frau, Israel und den Völkern. Entgrenzung wird mit Begrenzung beantwortet. Der Text oben ist eine Art ‚run-up‘ zur Sintflut, von der als nächstes berichtet wird. 

Unser Vers markiert eine Wasserscheide in der biblischen Geschichte. Davor wurden Menschen viele hundert Jahre alt. Methusalem erreichte laut Gen 5 ein Alter von fast 1000 Jahren. Mit dem Vers wird die menschliche Lebenszeit auf 120 Jahre beschnitten. Mose erreichte dieses Alter, und auch Jojoda, erinnern Sie sich an den BdW 43/2023? In der Tat scheinen 120 Jahre eine Art biologisches Maximum zu sein, die allerältesten Menschen erreichen es, siehe hierzu eine Info des statistischen Landesamts in Baden Württemberg. Im Januar dieses Jahres verstarb die älteste Frau der Welt mit 118 Jahren, die derzeitige Rekordhalterin ist 115 Jahre alt. 

Die Rätsel des Texts kann ich nicht lösen. Aber wie kommen denn Sie mit der Beschränkung der Lebenszeit zurecht — Ihrer eigenen und der Ihrer Lieben? Wäre es für Sie eine Verlockung, 240, 360 oder 480 Jahre alt zu werden? Zum Beispiel vierhundert Jahre Büroalltag und Zeitkorrekturbuchungen, 100 mal Bundestagswahlkampf mit K-Frage und Angst vor Klartext, 20.800 Bibelverse der Woche, 146.000 mal Nachrichten im Deutschlandfunk, aberhundertausend unerfüllte erotische Phantasien… Die Aufzählung ist bewußt nicht böswillig, aber man sieht: es würde in unendliche Gleichgültigkeit münden. Die Helden einer solchen Welt wären Menschen mit Strategien, die es ihnen ermöglichen, die eigene Fortexistenz dennoch zu ertragen. Etlichen würde das nicht gelingen. Altersbedingt gerät für mich ein Ende in Sicht, aber die Vorstellung eines unbegrenzten Lebens ist schreckender als die der Begrenzung, heute jedenfalls noch.

Frankfurt, 6. September 2023, Ulf von Kalckreuth

Nicht alle sehen das so. Bei der hessischen Landtagswahl im September kandidierte auch die „Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung„. Die Partei hält ein Alter von tausenden von  Jahren für möglich und erreichbar. Für die Finanzierung der Forschung und der erforderlichen Dauerbehandlung — wiederkehrende Reparatur der Schäden auf molekularer und zellulärer Ebene — soll der Staat sorgen…!

Mit meinem Leben werden auch die vielen Dinge enden und dauerhaft verschwinden, die ich nicht lösen kann — und mit ihnen Ängste, Ungenügen, Schuld. So sei es. Was danach kommt, hat vielleicht nicht viel zu tun mit diesem Leben. Angefangen mit dem Grundlegendsten: Wird da Zeit sein? Raum? Masse? Identität? Überhaupt etwas? Bestimmt jedenfalls keine Zeitkorrekturbuchungen,…!

Gott sei mit uns auf der kurzen Strecke, wie auch auf der langen.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 33/2023

Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst.
Gen 32,20

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Abgrund

Eine dunkle Geschichte. Man könnte ein Buch dazu schreiben… Jakob kämpft mit Gott. Und behält die Oberhand. Wie kann das sein, wie kann er es überleben, wenn schon der Anblick Gottes tötet?

Für Jakob soll sich alles entscheiden. Sein ganzes Leben hat er gekämpft. — mit Esau um die Anerkennung des Vaters, mit Laban, seinem Onkel und Schwiegervater, um Herden, um Kinder, um Anerkennung. Was er gewonnen hat, will er nach Hause bringen, die Herden, die beiden Frauen und ihre Mägde, Mütter seiner Kinder, und die Söhne, aus denen ein Volk werden soll. Und nun steht ihm die Begegnung mit dem Bruder bevor. Der ist mächtig und kann gewalttätig sein, und Grund dazu hätte er allemal.

Jakob hat Angst. Er bleibt nachts allein am Fluß, dem Jabbok. Dort greift jemand ihn an, stumm und bestimmt. Wer? 

Die beiden Gegner sind verräterisch gleichwertig. Sie kämpfen viele Stunden, die ganze Nacht, ohne Entscheidung. Schließlich fügt Jakobs Gegner diesem eine schwere Verletzung zu, und gleichzeitig — gleichzeitig! — gewinnt Jakob die Oberhand. 

Der Angreifer trägt dämonische Züge. Er will fort, weil die Sonne aufgeht. Aber Jakob lässt ihn nicht gehen. Er verlangt zwei Dinge: den Namen seines Gegners und dessen Segen. Das Wissen um den Namen eines anderen verleiht Macht, und der Unbekannte lehnt ab. Die Forderung  nach dem Segen hingegen ist absurd, nach einem viele Stunden lang auf Leben und Tod geführten Kampf. Doch ja: der Fremde segnet Jakob. Und er gibt ihm einen neuen Namen: Israel — „der mit Gott kämpft“, so jedenfalls kann man diesen Namen lesen. Es wird der Name eines Volks.

Hier wird die Bibel deutlich: Der geheimnisvolle Gegner ist Gott oder ein Werkzeug Gottes. Mir will scheinen, dass Jakob ebenso auch mit sich selbst kämpft. Ein Widerspruch ist das nicht — wo wollen wir den mächtigen und unbekannten Gott finden, wenn nicht im Dunkel der Nacht in uns? 

Mich erinnert die Geschichte an den Kampf Ahabs mit dem weissen Wal in Melvilles ‚Moby Dick‘, dem „großen weissen Gott“, wie es an einer Stelle heißt. Ahab kämpft ebenso mit dem Abgrund in sich selbst wie mit der abgründigen Gottheit. Aber statt der gegenseitigen Vernichtung steht bei Jakobs Kampf am Jabbok am Ende ein Segen.

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 27/2023

Da sprach er zu Abram: Das sollst du wissen, dass dein Same wird fremd sein in einem Lande, das nicht sein ist; und da wird man sie zu dienen zwingen und plagen vierhundert Jahr.
Gen 15,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Die ganz lange Frist…!

Der Vers dieser Woche ist in gewisser Weise das Gegenstück zu dem der vergangenen Woche. Dort wurde das große Versprechen zurückgenommen — endgültig, wie es schien. Hier hingegen wird das Versprechen gegeben: Abraham soll Stammvater eines großen Volks sein, mit dem Heiligen Land als Heimstatt. Gott und Abraham schließen einen Bund, eine Art Schutz- und Lehensverhältnis. Besiegelt wird der Bund mit einem Opfer, das eindrucksvoll beschrieben wird. 

Es gibt jedoch ein großes „Aber“. Während des Opfers fällt Abraham in einen tiefen Schlaf und wird von Angstgesichten gepeinigt. Die Heimstatt gibt es für seine Nachkommen nicht gleich, so hört er, auch nicht in absehbarer Zeit, sondern erst nach vierhundert Jahren Frondienst in Ägypten, wo sie als heimatlose Fremdlinge leben werden. 

Vielleicht war diese Einschränkung in der ersten Fassung des Texts nicht enthalten, denn sie bricht die Geschlossenheit der Bundes- und Opferszene. Aber sie zeigt etwas Wichtiges. Abraham glaubt der Verheissung und richtet sein Leben danach aus — und er stört sich nicht daran, dass sie erst nach mehr als vierhundert Jahren eintrifft! Da ist mehr als Glaube im Spiel. Abraham hat ein anderes Zeitempfinden als wir.

Vierhundert Jahre Sklaverei, was für eine Verheissung ist das denn? Für uns wäre an dieser Stelle wohl Schluß gewesen. Wenn es die Welt, wie wir sie kennen, in vierhundert Jahren noch geben soll, müssten wir jetzt auf Urlaubsflüge, Benzinmotoren und Gasheizungen zu verzichten. Die Industrie müsste Vergleichbares tun, und die Waren, die wir kaufen vom Lohn unserer Arbeit, wären deutlich teurer. Eigentlich ist das unstrittig, aber dennoch: damit etwas geschieht, brauchen wir Tornados, Hitzewellen und Dürre JETZT. Sonst geht es leider nicht. Vierhundert Jahre sind ausserhalb unseres „scope“, wie es heute heisst. Selbst wenn es um die ganze Welt geht. 

Nicht für Abraham. Mit vollem Recht ist er daher Stammvater der Juden und der Araber und — im geistlichen Sinne — der Christen.

Und uns allen wünsche ich eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 25/2023

Sie aber sprachen: Geh hinweg! und sprachen auch: Du bist der einzige Fremdling hier und willst regieren? Wohlan, wir wollen dich übler plagen denn jene. Und sie drangen hart auf den Mann Lot. Und da sie hinzuliefen und wollten die Tür aufbrechen,…
Gen 19,9

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gut und Böse — und jenseits davon

… griffen die Männer hinaus und zogen Lot hinein zu sich ins Haus und schlossen die Tür zu. Und die Männer vor der Tür am Hause wurden mit Blindheit geschlagen, klein und groß, bis sie müde wurden und die Tür nicht finden konnten.

So geht der angefangene Satz zu Ende. Die Lage ist hochdramatisch. Zwei Engel Gottes kommen nach Sodom, um zu schauen, ob es nicht doch Gerechte gibt in der Stadt, die der Herr zu vernichten gedenkt. Lot, der Neffe Abrahams, lädt die Engel in sein Haus — ohne zu wissen, wen er da beherbergt –, und ALLE Einwohner Sodoms, ohne Ausnahme, kommen, und umringen das Haus. Sie verlangen von Lot die Herausgabe der beiden Gäste, um sie sexuell mißbrauchen zu können. Das verstößt gleichzeitig gegen das Gastrecht und gegen sexuellen Normen zu Homosexualität und Vergewaltigung und verletzt obendrein die Heiligkeit der Boten Gottes. Die Wahrheit, die abgrundtief böse Haltung der Bewohner, liegt glasklar offen. Die Engel brauchen nicht weiter nach Gerechten zu suchen. Sie können zur Tat schreiten: die Rettung Lots und seiner Familie und die Vernichtung der Stadt. 

Ich habe zu den Versen dieses Abschnittes bei früherer Gelegenheit schon geschrieben, siehe den BdW 05/2021. Die Betrachtung zum strafenden Gott brauche ich nicht zu wiederholen. Mir fällt indes auf, das zwar der Angriff der Sodomiten auf die Engel und Lot die Frage nach der Gerechtigkeit der Stadtbewohner eindeutig und letztgültig klärt, was aber Lot betrifft, gilt das nicht. Die Gäste stehen unter Lots Schutz. Die Forderung der Sodomiten ist ihm vollkommen unerträglich, und er bietet den Anwohnern seine beiden Töchter statt der Gäste zur Massenvergewaltigung an. Hier der Text, der unserem Bibelvers unmittelbar vorangeht:

Lot ging heraus zu ihnen vor die Tür und schloss die Tür hinter sich zu und sprach: Ach, liebe Brüder, tut nicht so übel! Siehe, ich habe zwei Töchter, die wissen noch von keinem Manne; die will ich herausgeben unter euch und tut mit ihnen, was euch gefällt; aber diesen Männern tut nichts, denn darum sind sie unter den Schatten meines Dachs gekommen. (Gen 19,6-8)

Mit diesem erstaunlichen Angebot verletzt er seinerseits Schutzpflichten, die noch höher stehen als das Gastrecht. Warum tut er das? Will er recht behalten? 

Lot und seine Töchter werden gerettet. Die Töchter aber haben das Angebot des Vaters nicht vergessen. Sie setzen ihn unter Alkohol und in aufeinanderfolgenden Nächten schänden die beiden Frauen ihren Vater abwechselnd, systematisch und planvoll. Daraus entstehen Lot und seinen Töchtern gar männliche Nachkommen, die Stammväter der verhassten Moabiter und Ammoniter. 

Sie sind nicht glasklar „gut“, Lot und seine Familie, alles andere als das. Sie sind ambivalent, wie wirkliche Menschen, und am Ende sind sie moralisch erledigt. Beim Lesen ist man froh, die Szene verlassen zu dürfen. Und doch werden sie gerettet. Hierin liegt vielleicht, im Schmutze hell glänzend, ein Stück Frohe Botschaft?

Es ist kaum zu fassen. Gestern suchte ich in einem alten Notizbuch nach einer Adresse, und fand dabei die Skizze für ein Gedicht über Lot, das ich völlig vergessen hatte. Ich habe nur noch ein wenig daran gefeilt, hier also ist die Erstveröffentlichung:

Lot

Ganz unten:
Verloren sind Herden und Reichtum, 
Verloren sind Heimat und Frau.
Volltrunken im Erbrochnen, auf der Höhle Boden,
von den Töchtern furchtbar mißbraucht!

Doch auch: 
Vater von Völkern,
Vater von Israels König,
Vater des Königs der Welt -- 
Doch auch!

Ulf von Kalckreuth, 16. Juni 2023

Wieder diese Ambivalenz, auch bei der Rettung. So wie Lot möchte man nicht allzu oft gerettet werden. Aber aus dem Schmutz geht er in den Heilsplan ein. Wieviel von ihm steckt in jedem von uns?

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 28/2022

…und sprach weiter: Gelobt sei der HErr, der Gott Sems; und Kanaan sei sein Knecht!
Gen 9,26

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Ex unum, pluribus!

Ein schwieriger Vers, Sie werden gleich sehen, warum. Nur vier Männer gab es noch auf der Welt: Noah, und seine Söhne Sem, Ham und Japhet. Von diesen drei Söhnen und ihren Frauen stammen wir alle ab, sagt die Bibel. Ham vergeht sich gegen seinen Vater Noah und wird in seinem Segen nicht berücksichtigt. Hams Sohn Kanaan, Stammvater der nichtisraelitischen Ureinwohner des gelobten Landes, wird verflucht und zum Sklaven Sems erklärt, dem Stammvater Abrahams und der Israeliten! Dabei wird Gott der Herr explizit als „Gott Sems“ bezeichnet. Aber auch der Sklave Japhets soll Kanaan sein.

In der Bibel wird die Identität von Völkern und ihre Verwandtschaften untereinander konsequent auf die Identität von Gründervätern und ihre Verwandtschaften zurückgeführt. Völker werden mit den Namen ihrer Stammväter belegt, z.B. Israel, Edom, Ammon, ganz so, als handele es sich um Personen. Gelegentlich wird der Unterschied von Person und Volk durch die Beifügung des Worts „Kinder“ bezeichnet — Kinder Israel, Kinder Edom, Kinder Ammon. Konsequent werden in Gen 9 und 10 Völker und Völkergruppen als Nachkommen dieser drei Söhne Noahs identifiziert. Diesen Zusammenhang bezeichnet man als „Völkertafel“, hier ist ein Link zum Wikipedia-Artikel.

Bis heute hat dieser Wurf als Anregung zur Bildung großer Kategorien gebildet. Im Mittelalter gruppierte man so die Bewohner der drei klassischen Kontinente: die Asiaten als Nachkommen Sems, die Europäer als Nachkommen Japhets und die Afrikaner als Nachkommen Hams. So habe ich es selbst von meiner Großmutter gelernt, und auch im Religionsunterricht der katholischen Konfessionsschule, die ich als Kind besuchte. Mit der Völkertafel in der Bibel stimmt diese Charakterisierung der Kontinente im einzelnen nicht überein, ebensowenig wie die Bezeichnungen großer Sprachfamilien (semitische, hamitische Sprachen), die man im neunzehnten Jahrhundert fand, als man begann, die Bildungsgesetze hinter den Sprachen zu verstehen.

Auch Rassisten nutzten die Kategorien, die die Bibel hier anbot. In Nordamerika half die Geschichte rund um den gezogenen Vers, die Sklaverei zu begründen: sie schafft eine Unterordnung Hams (der Afrikaner) unter die hellhäutigen Nachkommen Sems und Japhets. Und nationalsozialistische Rassenideologen und ihre Vorgänger sprachen dann von „Semiten“ als einer real existierenden biologischen Einheit, der sie spezifische Attribute beilegten. 

Diese Rezeptionsgeschichte ist durchaus häßlich. Und man muß wohl feststellen, dass eine solche Nutzung im biblischen Text angelegt ist. Er begründet zwar keine biologische Überlegenheit — diese Vorstellung ist der Bibel fremd — aber ein göttliches Recht hinter der Landnahme der Israeliten. Die Verheissung an Abraham, Isaak und Jakob (Israel) konkretisiert dies Recht. Es erlaubt den Kindern Israel, die Kinder Kanaan im Gelobten Land zu vernichten und zu unterdrücken. 

Was ich dagegen liebe und bewundere, ist die Art und Weise, wie Genesis die Entfaltung der Welt erzählt. Genesis schreitet von der Einheit in die Vielheit vor, und erklärt die Vielheit konsequent mit Brüchen in der ursprünglichen Einheit. Es erinnert mich daran, wie die moderne Kosmologie die „heisse Anfangsphase“ unseres Universums beschreibt. Aus einer unteilbaren und strukturlosen Singularität in Raum und Zeit entstehen zunächst Kernteilchen: Quarks, Protonen und Neutronen, dann leichte Atomkerne. Erst 300.000 Jahre später entkoppeln sich Strahlung und Materie. Hundert Millionen Jahre darauf bilden sich die Kerne erster Galaxien.  Ausdifferenzierung als Prinzip der Schöpfung. 

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
OUlf von Kalckreuth