Bibelvers der Woche 47/2025

Und wenn es kommt, dass ich Wolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken.
Gen 9,14 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984. 

Over the rainbow

Eine der bekanntesten und strahlendsten Stellen in der ganzen Bibel. Die Sintflut ist vorbei, die Wasser laufen ab, Noah und seine Familie sind gerettet, gemeinsam mit einem minimalen Bestand an Pflanzen und Tieren, Grundstock für den Wiederaufbau der Biosphäre. 

Und Gott schwört, dass er die Grundlagen des Lebens auf der Erde nicht wieder antasten will. Unter keinen Umständen. Er könnte es tun, aber er beschränkt seine Macht selbst: 

Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier bei euch auf ewig: Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, dass hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe. Gen 9, 12-15

Das ist gute Nachricht. Wir können sie an zwei Bruchkanten betrachten. Da ist zum einen Gottes Macht, die Welt zu vernichten. Die Sintflutgeschichte hat lokale Vorbilder, aber eine große, weltumspannende Flut hat es in der Geschichte nicht gegeben. Planetare Katastrophen gab es jedoch mehrere. Solare Eruptionen, Supernovas in der stellaren Nachbarschaft, sich aufschaukelnde Bahnunregelmäßigkeiten im Sonnensystem oder der Einschlag eines Kometen können dem höheren Leben auf unserem Planeten ein abruptes Ende setzen. Langfristig gibt es diesbezüglich nicht einmal Unsicherheit. Das Ende unserer Welt ist physikalisch vorprogrammiert. Die Sonne verändert sich im Laufe der Jahrmillionen in einer Weise, die Leben auf der Erde unmöglich macht. 

Aber ‚for the time being‘, für den relevanten Zeithorizont, müssen wir uns keine Sorgen machen, sagt die Bibel. Gott wird die Welt erhalten! 

Aber wovor schützt uns Gott? Auch vor uns selbst? Was ist mit der anderen Bruchkante — unserem eigenen Verhalten? Wir verstehen die Vorgänge rund um die Dynamik des Klimawandels und der ökologischen Folgen wirtschaftlichen Handelns immer besser. Aber die Emissionen wachsen ungebremst weiter. Im Aggregat verhalten wir uns wie die Bakterien im Teich, die so lange von den organischen Schwebstoffen prächtig leben und sich vermehren, bis der Sauerstoffvorrat vollständig aufgebraucht ist. Ein deterministischer, mechanisch anmutender Vorgang. Am Ende steht ein umgekippter Teich. Alles ist tot, auch die Bakterien.

Was ist das für eine Mechanik? Jeder kennt die Wirkung der Klimagase, aber die Folgen treffen nur zu einem verschwindend kleinen Teil den Verursacher selbst. Im wesentlichen trifft es andere. Ökonomen bezeichnen das als Externalität. Warum auf etwas verzichten, das man haben könnte — die anderen tun es ja auch nicht! Die Kohlenstoffwirtschaft macht die Produktion billig und uns künstlich reich. Auf dieser Erkenntnis aufbauend kann man ethisch wohlbegründete Forderungen aufstellen. Aber was tun wir, wenn das Wachstum erlischt, die Reallöhne sinken müssten statt zu steigen, die Renten unbezahlbar werden, etablierte Parteien plötzlich mit neuen und radikalen Konkurrenten zu kämpfen haben? — na? Keine Frage. Und alle anderen machen es genauso.

Eine Höllenmaschine. Sie hat die unbarmherzige Kraft einer Naturgewalt — in uns selbst! Individuelle Rationalität ist irrational im Kollektiv. Denken Sie an die Bakterien im Teich. Wenn Gott uns davor schützen wollte, müsste er uns etwas von seinem Geist geben. Wir könnten uns dann als Teil eines Ganzen erleben, das größer ist und wichtiger als unser Ich. Ich weiß keinen Weg dahin, aber vielleicht kennt Gott ihn? 

Unser Vers enthält ein ungeheures Bild. Gott stellt den Regenbogen in die Welt, als Zeichen seines Versprechens und um sich selbst daran zu erinnern, dass er verzichten will auf Dinge, die er tun könnte und vielleicht auch tun wollte. 

Over the rainbow… Können wir solidarisch sein mit der Welt? Uns beschränken? Was ist unser Regenbogen? Lassen Sie uns in dieser Woche einen Blick darauf wagen, und vielleicht auch einen dahinter, mit Gottes Hilfe. Eine andere sehe ich nicht.  
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 46/2025

Kerze -- zu Rom 16,16, 'heiliger Kuß'

Grüßet euch untereinander mit dem heiligen Kuss. Es grüßen euch die Gemeinden Christi.
Röm 16,16 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984. 

Ein ganz besonderer Gruß

Da habe ich Glück gehabt — der Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom ist gespickt mit schwieriger Theologie, deren Aufarbeitung Bibliotheken füllt. Und gezogen habe ich eine Grußformel, fast ganz am Ende der Schrift. Muß ich hierzu überhaupt etwas schreiben?

Doch, ein wenig schon. Haben Sie bemerkt, wie schön dieser Gruß ist, und wie besonders? Die römische Gemeinde wird von den (anderen) Gemeinden Christi gegrüßt. Und die angesprochenen Menschen sollen sich untereinander grüßen — mit dem heiligen Kuss. 

Was bedeutet das? Kein Bussi wie im heutigen Rom, rechte Backe, linke Backe. Der Kuss ist ‚heilig’. Heilig steht sehr allgemein für Zugehörigkeit zur Sphäre Gottes, im Unterschied zur Sphäre der Welt. Das ist interessant. Wer kann einen heiligen Kuss geben? Doch wohl nur jemand, der selbst geheiligt ist. Und was geschieht mit dem, der ihn empfängt? Kann ein ‚heiliger Kuss‘ denn folgenlos bleiben? 

Für Katholiken ist die Ehe ein Sakrament, und die Eheleute empfangen dies Sakrament nicht etwa vom Pfarrer, sondern sie spenden es sich gegenseitig. Den heiligen Kuss gibt nicht Paulus der Gemeinde. Empfangen haben ihn die Menschen von Gott, und wie ein Feuer erhalten sie das Geschenk lebendig, indem sie es untereinander weitergeben, als Gemeinde Christi.

Grüßet euch untereinander mit dem heiligen Kuss. Ich bin kein Theologe, aber kann es sein, dass in diesem Gruß eine Kurzfassung des Römerbriefs steckt? 

An dieser Stelle kann ich wohl nicht anders… Also: Lasst uns einander grüßen mit dem heiligen Kuss — in dieser Woche und immer,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 45/2025

Hiob 15,20 -- Baum am Feldrain bei Praunheim

Der Gottlose bebt sein Leben lang, und dem Tyrannen ist die Zahl seiner Jahre verborgen.
Hiob 15,20 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984. 

94 

Hiob erhebt bittere Anklage gegen Gott und ruft ihn gleichzeitig um Beistand an. Gott ist Richter und Staatsanwalt. Hiob macht ihn zu seinem Verteidiger und schließlich auch zum Angeklagten. Seine Freunde finden das unerträglich. Elifas bringt das so zum Ausdruck: Hiobs Anklage ist falsch, weil sie dem Leben nicht dient. Wer sich gegen Gott wendet, bezahlt das. Nicht (nur), weil Gott sich gegen ihn stellen könnte, sondern weil sein Leben den Kurs verliert. 

„Der Gottlose bebt sein Leben lang…“ Wenn wir uns in Gefahr sehen, gibt die Psyche uns drei Möglichkeiten: fight, flight, freeze. In Angst sind es nur noch zwei: Flucht und Erstarrung. Nichts kann aus Angst sich neu bilden oder wachsen. Angst als Haltung ist der große Sperrriegel — sie schließt uns aus von Neugier, Aktivität, Zuwendung, Verständnis, Akzeptanz, dem Erkennen neuer Möglichkeiten, der lustvollen Zuwendung zum Unbekannten, letztlich vom Leben selbst. Manche bezeichnen Furcht deshalb als die achte, vergessene Todsünde. 

Tiefe Bindung zu Gott ermöglicht es uns, angstfrei zu leben und uns dem zu nähern, worum es wirklich geht, da hat Elifas recht. Nicht recht hat er damit, dies dem Hiob zu entgegnen. Der weiss das nämlich gut. Hier ist die Grundfrage des Buchs — wie können wir denn in Vertrauen auf einen Gott leben, der DIESE Welt schafft und erhält? Hiob bürstet den Glauben gegen den Strich: Immer wieder sind im Buch unversöhnliche Positionen gleichermaßen wahr und doch ungenügend. 

Aber was hat es mit dem zweiten Teil des Verses auf sich — der Tyrann kennt nicht die Zahl seiner Jahre? Es ist zunächst, wie oft in zweiteiligen Bibelversen, eine Variante. Unsicherheit erzeugt Furcht, und sie hat elementare Kraft, soweit die Lebensspanne betroffen ist. Der Tyrann, der alles kontrollieren will, wird hilflos. Welchen Sinn hat es, heute einen Apfelbaum zu pflanzen, wenn ich morgen tot bin? Ein Studium zu beginnen, ein Kind in die Welt zu setzen, ein Haus zu bauen? Was letzteres betrifft, kann ich eine eigene, sehr konkrete Erfahrung beisteuern. 

Vor rund achtzehn Jahren begannen meine Frau und ich über den Kauf eines Hauses nachzudenken. Ich war 47 Jahre alt. Da ist es nicht mehr leicht, ein Haus abzuzahlen, wenn man in Frankfurt wohnt, zwei Kinder hat und kaum eigenes Vermögen in die Waagschale werfen kann. Ein Haus ist Kapital aus Stein und Beton — wer nicht viel Zeit vor sich sieht, tut besser daran, in Miete zu wohnen und gut zu leben, statt jeden Cent in die Tilgung zu stecken. 

Ich bin Ökonom. Ich erinnere mich, wie ich beim Joggen darüber nachdachte. Wie lange würde ich wohl leben — kann der Kauf eines Hauses sinnvoll sein? Ich bin auch Statistiker. Die Lebenserwartung eines männlichen Neugeborenen liegt bei 78 Jahren. Mit 47 Jahren und guter allgemeiner Gesundheit ist die fernere Lebenserwartung höher, ich habe in meinem Leben ja schon einige Gelegenheiten verpasst, bei denen ich hätte sterben können. Entscheidend für die Lebensdauer sind die Anlagen, die ich mitbringe, meine Gewohnheiten, jetzt und in der Vergangenheit, medizinische Behandlungsmöglichkeiten, jetzt und in der Zukunft, gänzlich unvorhersehbare Einwirkungen von aussen und dann das Aufeinandertreffen all dieser Faktoren in einem Leben dass es nur einmal gibt — ungeheuer komplex und im Einzelfall nicht zu fassen, schon gar nicht mit Statistiken. Welchen Sinn kann die Frage überhaupt haben?  Wer die Lebensspanne eines Menschen bestimmen wollte, müsste das wissen, was Gott weiß.

Damals war ich gut trainiert. Am Wochenende gingen meine Läufe über 15 bis 20 Kilometer. Ich lief den Weg von Berkersheim hinunter an die Nidda. Links am Ufer steht ein großer Baum, ich glaube, es ist eine Linde. Da brach die Sonne durch die Wolken und brachte den großen Baum zum Leuchten, direkt vor mir. Das sah unglaublich aus. Und gleichzeitig stand in meinem Kopf eine Zahl: 

Hm. Das war ein Wort. Gar so genau wollte ich es eigentlich nicht wissen Aber ich nahm die sonderbare Zahl einfach an — für den Hauskauf und für vieles anderes. Es ist gut und dient dem Leben, einen weiten Horizont zu haben. Mit 59 Jahren begann ich, Klavier zu lernen, und bislang habe ich es nicht bereut. Vor einigen Wochen konnten wir die Schuld abbezahlen.  

Wir werden es sehen — die 94 wird sich vielleicht im Nachhinein als irreal erweisen. Ist sie deshalb „falsch“? Was ist „richtig“? Wer kennt die Spanne seines Lebens? Der Tyrann im Vers kennt sie nicht, aber auch sonst niemand, und wenn es anders ist, dann wegen einer tödlichen Krankheit oder einer Verurteilung. Im Vers, und auch in meiner Vision, geht es nicht wirklich um eine Zahl, sondern um die Gewissheit, in einem tiefgegründeten Zeitgefüge zu leben, wo Ursachen ihre Wirkungen zeitigen und nicht folgenlos bleibt, was wir tun. Dafür steht Gott in unserem Leben. 

Und jetzt gerade hat eine Freundin mir das Foto ihres neugeborenen Kindes geschickt. Er hat viele glückliche Jahre vor sich, und was immer geschieht: es ist richtig, wenn er und seine Familie und seine Umwelt fest davon überzeugt sind!

Ich wünsche uns eine Woche mit Gott und ohne Furcht, dass wir im Unbekannten das Leben und die Möglichkeiten sehen statt einer Bedrohung und Ankündigung des Endes. 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 44/2025

Wo man arbeitet, da ist genug; wo man aber mit Worten umgeht, da ist Mangel.
Spr 14,23

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Vom Schwitzen und Schwatzen

Ein ‚Bibelvers der Woche‘ ist ein Vers ohne Kontext, der erst einmal verständlich werden will. Das ist oft leichter bei Versen aus dem Buch der Sprüche. In der Regel haben sie nämlich keinen Zusammenhang, es sind Merksätze mit Botschaften über das Leben und wie es gelingen kann. Entsprechend achtsam aber muß man mit dem Text des Verses selbst umgehen.

Die allgemeine Stoßrichtung des Spruchs ist klar: wir kommen nur voran, wenn wir Hand anlegen und arbeiten. Vom Reden allein wird nichts besser. 

Das „allein“ ist wichtig. Die jüngeren Fassungen der Lutherbibel von 1984 und 2017 geben „wo man aber nur mit Worten umgeht“. Auch das ist nicht exakt, wörtlich steht geschrieben: „wo aber nur Worte zwischen den Lippen hervorquellen…“ Es geht also ums Schwatzen, nicht um den Umgang mit dem Wort an sich. Das Wort war den Hebräern heilig, Sprache, geschriebene zumal, wurde große Macht zugemessen. 

Ist die Einschränkung aufs leere, gesprochene Wort gerechtfertigt? Was ist relevante Arbeit? Schauen wir auf unser Land. Einige Zahlen fallen mir ein. Mehr als die Hälfte der in den vergangenen drei Jahren neu geschaffenen Stellen dient der Bewältigung zusätzlicher Bürokratie, stellt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung fest. Die Abiturientenquote als Teil eines Jahrgangs liegt bei den Zwanzigjährigen nunmehr bei fast fünfzig Prozent, mit weiter steigender Tendenz. Facharbeiter sind nicht zu finden. Wer soll eigentlich die Häuser bauen, die dem Land fehlen, oder die Autobahnen und Brücken wieder instand setzen, für die wir jetzt endlich Geld ausgeben wollen, die Bahn — ach ja, die Bahn — sanieren? Fünfzehn Kultusministerien gibt es in den Ländern und der Bund hat auch eines, dazu gibt es Oberschulämter und kommunale Schulverwaltungen in Fülle. Der Leistungsstand der Neunklässler in Mathematik und den Naturwissenschaften hat sich laut IQB-Bildungstrend massiv verschlechtert. Mehr als ein Viertel der Schülerinnen und Schüler verfehlt aktuell die Mindestanforderungen. Lehrer fehlen überall. Im Verteidigungsministerium gibt es Ministeriale genug, aber die fragen sich mit zunehmender Verzweiflung, woher die rund fünfzigtausend Soldaten kommen könnten, die gebraucht werden, damit Planung von Verteidigung überhaupt sinnvoll ist.

Okay, auch die Bundeswehr braucht Stabsdienstsoldaten. Ohne Planung auf allen Ebenen sind neue Häuser eine Gefahr für Leib und Leben. Was Schüler und Lehrer gemeinsam erarbeiten oder auch nicht — es muß gesteuert und überwacht werden. Auch das ist Arbeit, die zu Ergebnissen führt. Aber irgendwer muß am Ende TUN, dass die Welt anders aussieht als vorher, die Brücke steht, das Haus gebaut ist, die Kinder etwas gelernt und verstanden haben. Vielleicht ist das die Schlüsselfrage: Wann habe ich das letzte Mal etwas getan, das etwas geändert und bewirkt hat? Einige von uns werden jetzt schnell antworten können, andere, wie ich, werden eine Weile nachdenken müssen. 

So will ich den Spruch lesen: Wo man etwas bewegt, da ist genug. Wo man nur schwatzt, da ist Mangel. 

Der Herr helfe uns, fröhlich und erfolgreich an der Baustelle unseres Lebens zu arbeiten. Ich wünsche uns eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche, 43/2025

Maji-Maji Aufstand -- Wunder, Gottvertrauen und Kugelzauber

Da nun das Volk ganz über den Jordan gegangen war, sprach der HErr zu Josua:…
Jos 4,1

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Maji-Maji

Lassen Sie uns zunächst das Fragment ergänzen. In der Lutherbibel 1984 lautet die Sinneinheit vollständig wie folgt: 

Als nun das Volk ganz über den Jordan gegangen war, sprach der HERR zu Josua: Nehmt euch aus dem Volk zwölf Männer, aus jedem Stamm einen, und gebietet ihnen: Hebt mitten aus dem Jordan zwölf Steine auf von der Stelle, wo die Füße der Priester stillstehen, und bringt sie mit euch hinüber und legt sie in dem Lager nieder, wo ihr diese Nacht bleiben werdet.

Josua hat die Führung im Krieg um die Landnahme in Kanaan übernommen und muss dem Volk beweisen, dass Gott ihm ebenso zur Seite steht wie bis dahin Mose. Als die Lade des Herrn von den Priestern zum Jordan getragen wurde, fließt der Fluß nicht weiter in Richtung des Salzmeers — das Wasser türmt sich auf als große Wand, und das ganze Volk kann trockenen Fußes den Fluß passieren. Wie einst am Schilfmeer. Der Herr zitiert sich selbst, und dies in voller Absicht, es geht ja um den Wiedererkennungseffekt. 

Damit die Lektion sich einprägt, lässt Josua zwölf große Steine aus dem Flussbett holen und am ersten Lagerplatz aufstellen. Das ist unser Vers. Darüber hinaus werden zwölf andere Steine im Flussbett aufgestellt, so dass sie das Wasser überragen und die Stelle des Übergangs markieren. 

Die Begebenheit, die hier erzählt wird, wurde bereits in zwei anderen Betrachtungen thematisiert, BdW 06/2018 und BdW 24/2023. Ich will hier auf einen Aspekt eingehen, der noch nicht beleuchtet wurde — die Psychologie des Wunders. 

Kriegführung in der Bibel ist immer wieder auch ein Management der Furcht. Es ging darum, Furcht in den Reihen der Feinde zu erzeugen, und andererseits Furcht in den eigenen Reihen zu verhindern. Die eigenen Kämpfer sollen unüberwindlichen Mut empfinden. Daran hängt alles. 

Die Bibel berichtet, dass das Volk unter Josua sehr recht daran tat, mit radikalem Gottvertrauen die Furcht beiseite zu legen. So war möglich, was sonst undenkbar gewesen wäre. Wer Wunder vollbringen will, muss an Wunder glauben. Sonst geht es nicht. Auch im täglichen Leben hat das seine Gültigkeit. Jüdische und christliche Prediger werden nicht müde zu beteuern, dass dem alles möglich ist, der Gott an seiner Seite weiß. 

Das kann ein Ritt über den Bodensee sein. Wer kann wissen, ob er wirklich Gott an seiner Seite hat oder eine Chimäre? In der kurzen Kolonialgeschichte Deutschlands gab es eine schreckliche Episode. Im Jahr 1905 erhob sich im Süden der Kolonie Deutsch-Ostafrika, im heutigen Tansania, die Bevölkerung gegen ihre Kolonialherren — der sogenannte Maji-Maji-Aufstand.

Die Angriffe der Aufständischen wurden mit unglaublicher Wucht vorgetragen, ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Heiler und Magier hatten die Kämpfer mit einem wunderbaren Wasser geweiht, Maji-Maji. Durch seine Kraft sollten die feindlichen Kugeln an ihrer Haut abperlen. Die Maschinengewehre der Deutschen aber taten unbeeindruckt ihre Arbeit. Die Aufständischen erlitten furchtbare Verluste. Nach mehreren Angriffswellen gaben sie den offenen Kampf auf und wechselten in den Guerillakrieg. Die Deutschen antworteten mit einer Taktik der verbrannten Erde. Der Krieg endete als Katastrophe für die ostafrikanische Bevölkerung. Hier gibt es einen Überblick vom Deutschlandfunk, und zusätzlich ein Radiofeature des BR — ich hoffe, beides bleibt eine Weile im Netz. 

Man muß nicht viel googeln, um Parallelen zu finden. Im Jahr 2012 wiederholte sich die Geschichte im Kleinen, bei einem blutig eskalierten Streik unter Minenarbeitern in Südafrika, Und auch in der Simba-Rebellion der Jahre 1964-67 im Osten der Demokratischen Republik Kongo spielte Kugelzauber eine große Rolle — erst sehr erfolgreich, dann als Desaster. 

Ich verstehe den Mechanismus. Und ich frage mich, ob und wie die Kämpfer in Ostafrika hätten wissen können, dass ihr Wunderglaube keine Grundlage hat, anders als bei der Glaube der Israeliten? Gibt es auf diese Frage eine Antwort? Wenn sie noch stärker und noch unbedingter geglaubt hätten — wären sie vielleicht doch erfolgreich gewesen? Heutigentags ziehen die israelischen Soldaten mit Psalm 91 in den Kampf. Ein wunderbarer Psalm, ich liebe ihn — und man kann ihn als Kugelzauber lesen: 

Er wird dich mit seinen Fittichen decken, 
und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln.
Seine Wahrheit ist Schirm und Schild,
dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht,
vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,
vor der Pest, die im Finstern schleicht,
vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt.

Wenn auch tausend fallen zu deiner Seite 
und zehntausend zu deiner Rechten,
so wird es doch dich nicht treffen.
Ja, du wirst es mit eigenen Augen sehen
und schauen, wie den Gottlosen vergolten wird.
Ps 91,4-8

Wo ist der Herr, wo ist er nicht? 

Etwas ratlos will ich mit den ersten Zeilen von Psalm 91 enden: Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem HERRN: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.

Gott sei mit uns, in der kommenden Woche und immer. Er behüte und bewahre uns. 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 42/2025

…die ihr Zion mit Blut baut und Jerusalem mit Unrecht:…
Micha 3,10

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Nawalnys Gespenst

Der Vers ist vorn und hinten unvollständig, ein echtes Fragment. Daher hier erst einmal der vollständige Satz, Micha 3,9-11, aus der Lutherbibel von 1984: 

So hört doch dies, ihr Häupter im Hause Jakob und ihr Herren im Hause Israel, die ihr das Recht verabscheut und alles, was gerade ist, krumm macht; die ihr Zion mit Blut baut und Jerusalem mit Unrecht – seine Häupter richten für Geschenke, seine Priester lehren für Lohn und seine Propheten wahrsagen für Geld – und euch dennoch auf den HERRN verlasst und sprecht: »Ist nicht der HERR unter uns? Es kann kein Unglück über uns kommen«.

Micha geht in die biblische Geschichte ein als Prophet, der Korruption und Verderbnis der Eliten in den beiden hebräischen Staaten ohne Rücksicht auf eigene Verluste anprangerte. Was er sagt, ist folgendes: niemand von ihnen erfüllt die Aufgabe, die ihnen von Gott gegeben wurde — die Regierung nicht und auch die Priester und Propheten nicht. Ihr Amt nutzen sie, um sich persönlich zu bereichern, zum Schaden derer, für die sie Verantwortung tragen.

Micha sagt, dass unter diesem Umständen das Schutzversprechen des Herrn hinfällig ist. Es ist eine Illusion zu glauben, der Herr sehe dem allen zu und schütze das Volk und die Elite ungerührt weiter gegen alle Gefahren von außen. Micha sagt den beiden Ländern den Untergang voraus, Zerstreuung ihrer Völker in der Welt, aber auch Heil in der Zukunft, wenn der Herr sein Volk wieder sammelt, unter einem Messias, dessen Geburt Micha ankündigt.

Messers Schneide. In Jeremia 26 wird berichtet, dass der Prophet Urija wegen einer ähnlichen Prophezeiung hingerichtet wurde, Micha aber nicht. Im Gegenteil: seine Prophezeiung wurde zum Ausgangspunkt der Reformen unter Hiskja, die das Südreich Juda wieder aufrichteten. Das viel größere Nordreich Israel fiel einer brutalen Vernichtungsaktion der Assyrer zum Opfer, wie von Micha vorausgesagt. Lange später entging der Prophet Jeremia dem fast schon sicheren Tod wegen der Parallele seiner Predigt zu der Michas.

Wenn ich die Verse oben lese, denke ich an Nawalnys Video über Putins Schlösser am Schwarzen Meer. Was tun mit einer Botschaft, die niemandem passt? Je nachdem, wo man sich befindet, können solche Botschaften sehr gefährlich sein. Nawalny überlebte die freiwillige Rückkehr nach Russland nicht lange. Der Bibelvers der Woche 08/2024 blickt zurück auf ihn. Noch heute kann jede Erwähnung seines Namens in Russland als „Extremismus“ bestraft werden. Anderswo bedeuten unpassende Botschaften „nur“ soziale Ausgrenzung. Uria starb, Micha nicht, Micha hatte Erfolg, Uria nicht. Messers Schneide. Micha, Nawalny und Uria: wie gut, dass es Menschen gibt, die diesen Mut haben. Wäre die Welt sonst nicht dem Untergang geweiht? 

Aber was sagen sie uns? Menschen wirtschaften in die eigene Tasche, statt die Aufgaben zu erfüllen, auf die sie sich verpflichtet haben, und sie kennen dabei keine Grenzen. Wichtige Zweige der Wirtschaftstheorie gehen genau davon aus. Sie unterstellen, dass längerfristig NIEMAND seine Aufgabe erfüllt, soweit dies nicht in seinem eigenen engen Interesse liegt. Arbeitsverträge, Gesellschaftsstrukturen, Gewinnbeteiligungen etc. müssen daher so gestaltet werden, dass Menschen ihre Aufgabe erfüllen tun, WEIL es in ihrem Interesse liegt. 

Micha und Uria erkennen darin todeswürdige Sünde. Ist das naiv? Ich selbst bin altmodisch, Boomer, deutscher Beamter eben. Wer eine Aufgabe übernimmt, leistet eine Art Bürgschaft, er verspricht, das seine zu tun, sie zu erfüllen. Er macht seinen Wert nach außen davon abhängig. Man nennt das Ehre. Vertragstheoretisch macht Ehre die Sache einfach: der Beauftragte internalisiert das Ergebnis gewissermaßen, es ist wie eine Gewinnbeteiligung. Ein Weg zum Glück kann es sein, die Aufgabe als erweiterten Teil seiner selbst zu sehen. Der Aufgabenträger ist dann im Grunde frei: er tut das, was er für richtig und angemessen hält. 

Micha und die Bibel sehen es so: Unser Auftrag in der Welt ist Gottes Auftrag. Wenn wir ihn erfüllen, tun wir das Werk Gottes und unser eigenes zugleich. Recht betrachtet ist das die Welt von König Artus, das Gegenbild der Welt der Kleptokratien gestern und heute. Die eine dieser Welten besteht den Test der Realität nicht dauerhaft, die andere ist so furchtbar, dass ihre Lebensdauer gleichfalls sehr begrenzt ist. Kleptokratien sind Kartenhäuser und brechen schnell zusammen, auch das sagen uns Micha, Uria und Nawalny. Ganz ohne Artus geht es nicht.

Unsere eigenen Realitäten liegen zumeist irgendwo in der Mitte. Nicht jeden Auftrag kann man als Gottes Auftrag sehen. Gott und das Leben fragen jeden von uns: Welche Aufgaben übernehmen wir und wie gehen wir sie an? Haben wir Liebe in uns für die Welt und die Menschen in ihr? Welche Antwort wir auf diese Fragen geben können, hängt auch ab von der Antwort der anderen. Und die Antworten aller gemeinsam MACHEN unsere Welt, for better or worse. So kippen manche Gesellschaften in den Abgrund und andere erblühen. Nawalnys Gespenst möge den russischen Präsidenten verfolgen, bis es ein besseres Russland geben kann. 

Gott lasse uns die Aufgabe erkennen. Er sei mit uns, in der kommenden Woche und immer,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 41/2025

Nun, so ich heimkäme zu deinem Knecht, meinem Vater, und der Knabe wäre nicht mit uns, an des Seele seine Seele hanget,…
Gen 44,30

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Emotionale Intelligenz

Kennen Sie das Buch? Es gibt mehrere großartige Verfilmungen. Ein junger Mann wird von seinen eigenen Freunden ‚abgeräumt‘. Mit guten Kontakten nach ganz oben fingieren diese ein Verbrechen gegen die Krone, dessen er schuldig sei. Der junge Mann wird zu Festungshaft verurteilt, unter Bedingungen, die sein sicherer Tod sein müssten. Aber es kommt anders. Mit ungeheurer Willenskraft und Einfallsreichtum sowie mit der Hilfe eines geheimnisvollen Mitgefangenen gelingt ihm die Flucht. Dieser Mitgefangene hatte ihm vor seinem Tod das Versteck eines großen Schatzes verraten. Diesen macht sich der junge Mann zu eigen und kehrt zurück in die Gesellschaft, als unbekannter Edelmann mit sagenhaftem Vermögen. Niemand erkennt ihn, aber er kennt jeden und weiss alles. Zug um Zug und ohne Skrupel setzt er seine Machtmittel ein, um das Leben seiner Verderber, der Freunde von früher, zu zerstören. 

Joseph, Mantel und Degen
Joseph alias Edmond Dantés

Wie der „Graf von Monte Christo“ hätte sich auch die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern entfalten können. Edmond Dantés und Joseph haben viel gemeinsam, und wie der vermeintliche Graf nutzt Joseph seine Machtmittel und das Inkognito, um seine Brüder in eine ausweglose Lage zu bringen, die er vollständig kontrolliert. Er stellt seine Brüder auf die Probe. Der Vers, den wir gezogen haben, markiert den Wendepunkt. Es ist nicht der Ort, die komplexe Geschichte im einzelnen wiederzugeben, siehe dazu BdW 21/2021. Benjamin ist scheinbar eines gemeinen Diebstahls unrettbar schuldig, und die Brüder hatten versprochen, dass der Dieb, so er einer der ihren sei, den Ägyptern als Sklave ausgeliefert würde. Benjamin ist der hundertprozentige Bruder Josephs, sie haben nicht nur denselben Vater, sondern auch dieselbe Mutter. Er steht für Joseph. Was tun die Brüder?

Ganz anders verhalten sie sich als früher Joseph gegenüber. Juda weiß um den Schmerz, den der Verlust Josephs seinem Vater zugefügt hat, und er hatte sich verbürgt, dass Benjamin nicht auch verlorengehen würde. Nun, so ich heimkäme zu deinem Knecht, meinem Vater, und der Knabe wäre nicht mit uns, an des Seele seine Seele hanget,.. Und er will dafür einstehen, er bietet sich selbst als Sklave an. 

Joseph und seine Brüder sind in exakt derselben Lage wie Edmond und seine „Freunde“.Aber die Geschichte endet ganz anders. Joseph ist ein genialer Träumer, ein brillanter Organisator und ein Experte der Macht. Und er besitzt etwas seltenes — emotionale Intelligenz nennen wir es heute. Er hat Zugang zu seinen Gefühlen, konstruktiven Zugang. Als er sieht, wie seine Brüder sich entscheiden und warum sie es tun, lässt er zu, dass diese Gefühle ihn überwältigen. Die Auflösung und ein gutes Ende bahnen sich an. 

Trotz aller Ähnlichkeiten: die uralte Josephsgeschichte ist moderner und hoffnungsvoller als die düstere Erzählung von Dumas. Wir alle werden auf die Probe gestellt. Und wenn wir mit dem Kern unserer Persönlichkeit antworten, wie Juda, wird Gott dasselbe tun, so wie Joseph. 

Ich nehme das gern als Hoffnung für uns in die nächste Woche. Der Herr behüte uns alle!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 40/2025

Du wirst alle Völker verzehren, die der HErr, dein Gott, dir geben wird. Du sollst ihrer nicht schonen und ihren Göttern nicht dienen; denn das würde dir ein Strick sein.
Dtn 7,16

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Die Bibel spricht

Gestern (Freitag) verteidigte sich Ministerpräsident Binjamin Netanjahu vor der UN Vollversammlung gegen den Vorwurf des Völkermords. Sehr viele Abgeordnete hatten den Saal vorher demonstrativ verlassen. Es gebe keinen Genozid, sagte er der Welt. Israel werde beschuldigt, die Menschen gezielt hungern zu lassen. Tatsächlich würden sie mit Nahrungsmitteln versorgt. Wenn es an Nahrung fehle, dann weil die Hamas sie stehle, sagte er. 

Seine Rede wurde über große Lautsprecher überall im Gaza-Streifen übertragen, ausserdem war sie nach den Worten des Ministerpräsidenten auf allen Mobiltelefonen des Gebiets zu hören. Eine gespenstische Vorstellung. Am Montag sprechen Netanjahu und Trump in Washington über die Zukunft von Gaza. Nur der amerikanische Präsident — ausgerechnet — kann die Annexion des Westjordanlands wohl noch verhindern. Unser Bibelvers ist schmerzhaft aktuell. 

Am letzten Tag seines Lebens spricht Mose zum Volk. Es steht bereit, den Jordan zu überqueren und in Kanaan einzufallen. Rein soll beides sein, das Volk und das Land. Von Gott kommt der Auftrag, das versprochene Land gänzlich einzunehmen und die früheren Bewohner dabei vollkommen zu vernichten. Israel soll an ihnen den ‚Bann‘ vollstrecken. Über die Vernichtungsweihe wurde in den BdW 06/2023, 07/2023, 23/2023 und 49/2024 gesprochen. So setzt Abschnitt 7 des Deuteronomiums ein:

Wenn dich der HERR, dein Gott, ins Land bringt, in das du kommen wirst, es einzunehmen, und er ausrottet viele Völker vor dir her, die Hetiter, Girgaschiter, Amoriter, Kanaaniter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter, sieben Völker, die größer und stärker sind als du, und wenn sie der HERR, dein Gott, vor dir dahingibt, dass du sie schlägst, so sollst du an ihnen den Bann vollstrecken. Du sollst keinen Bund mit ihnen schließen und keine Gnade gegen sie üben und sollst dich mit ihnen nicht verschwägern; eure Töchter sollt ihr nicht geben ihren Söhnen und ihre Töchter sollt ihr nicht nehmen für eure Söhne. Dtn 7,1-3

Schrift ist Kommunikation. Es gibt einen Sender und einen (intendierten) Empfänger. Wer ist hier Sender? Ist es Gott? Sind es Menschen? Menschen, die auf Gott reagieren und auf ihr eigenes Schicksal und auf die Schriften anderer Menschen? Für die wiederum dasselbe gilt? Wenn die Bibel Ergebnis eines Vorgangs in der Zeit ist — wie ist dieser Prozess beschaffen?  

Die Antwort auf diese Frage kann helfen. Ich habe aber die wissenschaftliche Ausbildung nicht, die Genese eines Textes im Einzelfall zu beleuchten und das Für und Wider unterschiedlicher Deutungen abzuwägen. In diesem Blog arbeite ich mit einer Fiktion. „Die Bibel“ spricht, nicht Menschen oder Gott. Ich höre zu und versuche Zusammenhänge zu finden, innerhalb der Bibel und zur heutigen Zeit. Das ist bescheidener, und es erlaubt mir, sehr nah am Text zu bleiben und gleichzeitig Freiheitsgrade in den Wertungen für die heutige Zeit zu wahren. 

Die Bibel spricht hier also, recht unmißverständlich, und ich verstehe, was sie sagt, und ich werte nicht. Ich kann aber werten, was Menschen daraus machen. Welches Gottesbild haben radikale Religiöse, die aus Deuteronomium Kapitel 7 und 20 (Kriegsgesetz) Handlungsanweisungen für ihre lebendige Gegenwart ableiten? Gott hält sich verborgen. Wir sind für unser Gottesbild selbst verantwortlich. Vielleicht werden wir eines Tags für unser Gottesbild gerichtet? Werten kann ich auch das Verhalten von Menschen, die religiöse Überzeugungen anderer gezielt nutzen, um selbst politisch Oberwasser zu behalten — die eigene Stellung zu verteidigen, die Macht, den Reichtum. Ohne jede Rücksicht auf Verluste, für andere und für das eigene Land.

Eine gute Antwort auf den Vers dieser Woche ist der Vers der vergangenen: Es sage nun Israel: Seine Güte währet ewiglich (Ps 118,2). Ich glaube, das kann viel ändern! Herr, hilf deinem Volk und den Palästinensern in ihrer Not, hilf den Geiseln, hilf uns allen. Amen.

Ulf von Kalckreuth

P.S. (01. 10.2025) DasTreffen von Netanjahu und Trump am Montag ergab einen Friedensplan, der unerwartet Anlass zur Hoffnung gibt. Er würde das Überleben der Menschen in Gaza sichern. Herr, sei mit ihnen, sei mit uns!

Bibelvers der Woche 39/2025

Es sage nun Israel: Seine Güte währet ewiglich.
Ps 118,2

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Danket dem Herrn, denn er ist freundlich!

Noch einmal ein Psalm, wie in der vergangenen Woche. Und einer, den ich sehr liebe. Den ersten Vers dieses Psalms hat mein Vater immer vor den Mahlzeiten gebetet: „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich“. 

Der Psalm erzählt dann von der Rettung, die dem Betenden zuteil wurde und singt von der Heilserwartung für die Welt, immer ekstatischer — man meint zu hören, dass Teile davon gerufen, geschrien oder getanzt wurden. Psalm 118 gilt als Messiaspsalm, und in der Erzählung von Matthäus sangen die Menschen ihn, als Jesus in Jerusalem einzog (Mt 21,9). Eine Betrachtung des ganzen Psalms würde mich überfordern, aber ich stelle ihn unten ein. Bitte lesen Sie ihn, vielleicht ändert er Ihren Tag oder Ihr Leben. Am Ende steht wieder der Dank, mit denselben Worten, mit denen der Psalm einsetzt: ‚Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich‘. 

Wer dankt hier Gott? Die Verse 2-4 nehmen das Thema auf und gehen in die Beziehungsebene. Nacheinander treten drei Gruppen von Menschen auf die Bühne und werden mit einer eigenen Beziehung zu Gott erkennbar.  

Es sage nun Israel:
Seine Güte währet ewiglich.
Es sage nun das Haus Aaron:
Seine Güte währet ewiglich.
Es sagen nun, die den HERRN fürchten:
Seine Güte währet ewiglich.

Vielleicht sind sie in der alten Zeit wirklich vorgetreten und haben je gesondert die Güte Gottes bekannt, ich stelle mir das so vor. Vers 2, den wir gezogen haben, thematisiert das Volk Gottes. Israel ist in besonderer Weise „Gottes Eigentum“, wer diesem Volk angehört, hat eine Beziehung zu Gott, die mit der Geburt beginnt. Vers 3 nennt die Söhne Aarons, also die Priester. Sie stammen von Urpriester Aaron ab, dem Bruder Mose. Die Katholiken haben die Vorstellung einer direkten Nachfolge aufgenommen: Römisch-katholische Priester stehen in einer ‚apostolischen Sukzession‘ zu Petrus, durch eine ununterbrochenen Kette von Priesterweihen. Priestertum ist in besonderer Weise Berufung, es gehört eine lange Ausbildung dazu und Ausschließlichkeit. Jüdische Priester durften kein Land besitzen oder bearbeiten, katholische Priester stehen abseits von Ehe und Familie. 

Der Psalm kennt noch eine dritte Beziehung zu Gott  — „Es sagen nun die, die den Herrn fürchten: seine Güte währet ewiglich“. Die „Gottesfürchtigen“, jirei adonai, sind Nichtjuden, die sich dem Herrn zuwenden und ihn anbeten, freiwillig gewissermaßen, ohne dazu per Geburt auserwählt oder verpflichtet zu sein. Ursprünglich waren das im Lande ansässigen Nichtisraeliten. Später gehörten auch Ausländer dazu. Im Tempel gab es nicht nur einen eigenen Vorhof für Frauen, sondern auch für Heiden. Judentum war keine Religion, sondern eine Volkszugehörigkeit, aber in römischer Zeit beteten in den Synagogen neben den Juden auch sogenannte Proselyten, Nichtjuden, die sich Gott dem Herrn verschrieben hatten. Sie werden hier gesondert genannt. 

Als ich den Psalm mit meiner Hebräischlehrerin las, sagte ich ihr, dass dies wohl „meine“ Gruppe sei. Aus jüdischer Perspektive richtig, sie widersprach nicht. Ich weiß, dass sie mich lieber in der ersten Gruppe gesehen hätte. Im Christentum gibt es die drei Gruppen auch. Da sind die ‚geborenen‘ Christen, in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen, als Kind getauft oder, in Freikirchen, als Heranwachsender oder junger Erwachsener. Da sind die Priester und Pfarrer, Diakone, Religionslehrer, Ordensleute, Missionsschwestern und Diakonissen, mit ihrer dezidiert beruflichen und auch ausschließlichen Zuwendung. Und da sind diejenigen, die Gott auf anderem Weg gefunden haben, oder Gott sie. Sagt uns der Psalm, dass die Beziehung dieser Menschen zu Gott etwas Besonderes bleibt? Und zu welcher Gruppe gehöre ich selbst? Kan das im Leben einem Wandel unterliegen?

Hier ist nun der ganze Psalm, in der Übersetzung von 1984. Wenn sie ihn lese, denken Sie daran, dass er für alle drei Gruppen spricht, die anfangs hervortreten. Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche. Dies ist der Tag, den der HERR macht, lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein. O HERR, hilf! O HERR, lass wohlgelingen!

Ulf von Kalckreuth

Psalm 118

Danket dem HERRN; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.

Es sage nun Israel:
Seine Güte währet ewiglich.
Es sage nun das Haus Aaron:
Seine Güte währet ewiglich.
Es sagen nun, die den HERRN fürchten:
Seine Güte währet ewiglich.

In der Angst rief ich den HERRN an;
und der HERR erhörte mich und tröstete mich.
Der HERR ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht;
was können mir Menschen tun?
Der HERR ist mit mir, mir zu helfen;
und ich werde herabsehen auf meine Feinde.
Es ist gut, auf den HERRN vertrauen
und nicht sich verlassen auf Menschen.
Es ist gut, auf den HERRN vertrauen
und nicht sich verlassen auf Fürsten.

Alle Heiden umgeben mich;
aber im Namen des HERRN will ich sie abwehren.
Sie umgeben mich von allen Seiten;
aber im Namen des HERRN will ich sie abwehren.
Sie umgeben mich wie Bienen, /
sie entbrennen wie ein Feuer in Dornen;
aber im Namen des HERRN will ich sie abwehren
Man stößt mich, dass ich fallen soll;
aber der HERR hilft mir.
Der HERR ist meine Macht und mein Psalm
und ist mein Heil.

Man singt mit Freuden vom Sieg /
in den Hütten der Gerechten:
Die Rechte des HERRN behält den Sieg!
Die Rechte des HERRN ist erhöht;
die Rechte des HERRN behält den Sieg!
Ich werde nicht sterben, sondern leben
und des HERRN Werke verkündigen.
Der HERR züchtigt mich schwer;
aber er gibt mich dem Tode nicht preis.

Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit,
dass ich durch sie einziehe und dem HERRN danke.
Das ist das Tor des HERRN;
die Gerechten werden dort einziehen.
Ich danke dir, dass du mich erhört hast
und hast mir geholfen.

Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
ist zum Eckstein geworden.
Das ist vom HERRN geschehen
und ist ein Wunder vor unsern Augen.

Dies ist der Tag, den der HERR macht;
lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.
O HERR, hilf!
O HERR, lass wohlgelingen!
Gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN!
Wir segnen euch, die ihr vom Hause des HERRN seid.

Der HERR ist Gott, der uns erleuchtet.
Schmückt das Fest mit Maien bis an die Hörner des Altars!
Du bist mein Gott und ich danke dir;
mein Gott, ich will dich preisen.

Danket dem HERRN; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.

Bibelvers der Woche 38/2025

Ps 4,3: David und die Lüge. Ulf von Kalckreuth mit Dall-E, September 2025

Liebe Herren, wie lange soll meine Ehre geschändet werden? Wie habt ihr das Eitle so lieb und die Lüge so gern! (Sela.)
Ps 4,3

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Lüge und Wahrheit

Als ich in den Vers in der vergangenen Woche zog, glaubte ich, sofort zu verstehen. Hier ruft die gequälte Seele eines Opfers seiner Umgebung und ihrer Hierarchien. In einer großen Organisation bekommt man genügend Anschauungsmaterial: Wer nicht in den Kram passt, wird zur Zielscheibe, viele zerbrechen daran. Ich las den Vers meiner Frau vor und sagte ihr: „Dieser Psalm 4 ist gewiss kein Psalm Davids“. 

Und ich lag falsch. Hier spricht König David. Wer sind denn die „lieben Herren“, von denen er so bitter spricht? Die Granden seines Hofs, die Stammesfürsten, auf deren Wohlwollen er angewiesen war, die Könige und Fürsten anderer Reiche? Von Willy Brandt wird gesagt, dass sein Aufstieg sich auf einer Kette von Demütigungen vollzog — vielleicht hat auch David das so empfunden?

Es geht hier um eine Grunderfahrung, die Könige und Bettler teilen, und auch Angestellte.

Der Psalm spricht vom Vertrauen in Gott, Gott als Bezugspunkt, der alles heilt. Wenn Menschen  zueinander in Konflikt stehen, hat jeder „seine“ Wahrheit und glaubt sie in der Regel selbst. Und die Wahrheit des einen ist dem anderen Lüge. ‚Was ist Wahrheit‘, fragt Pilatus, und nur an der Oberfläche ist das Ironie.  Die eine, intersubjektiv nachprüfbare Wahrheit der Wissenschaftstheoretiker gibt es im sozialen Gegeneinander nicht, es gibt so viele Wahrheiten wie Beteiligte und machmal noch einmal so viel. Schmutzig wird die Welt dabei und — ja, demütigend.  

Gott als Bezugspunkt. Gott als Lokus der Wahrheit — wenn zwei miteinander reden und beide denken an Gott, dann werden sie dieselbe Wahrheit sehen. Davon bin ich überzeugt. Und wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. 

Der Herr behüte uns in dieser Woche und erhalte unsere Wahrhaftigkeit,
Ulf von Kalckreuth

Nachtrag: Über Gott und die Wahrheit lässt sich viel finden in der Bibel. Heute (Samstag) Abend bin ich durch Zufall auf zwei Verse gestoßen, die ich hier weitergeben will:

Doch es kommt die Zeit – ja, sie ist schon da –, in der die Menschen den Vater überall anbeten werden, weil sie von seinem Geist und seiner Wahrheit erfüllt sind. Von solchen Menschen will der Vater angebetet werden. Denn Gott ist Geist. Und wer Gott anbeten will, muss von seinem Geist erfüllt sein und in seiner Wahrheit leben.
Joh 4, 23-24, zitiert nach „Hoffnung für alle“