Bibelvers der Woche 04/2020

Und wie er uns deutete, so ist’s ergangen; denn ich bin wieder in mein Amt gesetzt, und jener ist gehenkt.
Gen 41,13

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Rot und Schwarz

Josef war ein Visionär, ein Träumer, den seine Träume in Sklaverei und Gefängnis gebracht haben, aber auch ins höchste Staatsamt der Supermacht Ägypten. Unser Vers berichtet davon, wie dieser Wechsel gelingt, wie Josef eine Reputation als Traumdeuter erlangt. Er sitzt im Gefängnis des Pharao, zusammen mit zwei anderen Gefangenen, dem Mundschenk und den Bäcker des Pharao. Die beiden hatten in derselben Nacht zwei unterschiedliche, aber strukturähnliche Träume. Josef deutet sie: der Mundschenk wird in drei Tagen vom Pharao wieder in sein Amt eingesetzt, und den Bäcker wird der Pharao in drei Tagen hinrichten lassen. Und so geschieht es auch, auf einem Fest für den Pharao. 

Die beiden Gefangenen, nennen wir sie B und M, sind exakt in derselben Situation, und die Begleitumstände legen nahe, dass der Ausgang entweder Tod oder Befreiung sein würde. Es gab also vier Möglichkeiten: B stirbt, M kommt frei, B kommt frei und M stirbt, beide kommen frei und beide sterben. 

Wenn Josef nichts von Träumen verstünde, wäre klar, wie er sich verhalten müsste. Er würde beiden die Freilassung voraussagen. Ist die Deutung für einen der Gefangenen falsch und wird er hingerichtet, so bliebe dies für Joseph ohne Folgen. Kommt er aber frei, so könnte er sich an die ihm günstige Prophezeiung erinnern und Josef helfen. Und tatsächlich bittet Josef den Mundschenk (nicht aber den Bäcker), nach der Begnadigung seiner zu gedenken.

Spieltheoretisch ist Josefs Vorgehen nur dann sinnvoll, wenn er tatsächlich WEISS, wie die Sache ausgeht. Im Nachhinein belegt dies seine Fähigkeiten. Der freigelassene Mundschenk vergisst ihn dennoch zunächst, erinnert sich seiner aber, als am Hof verzweifelt ein Traumdeuter gesucht wird, und er erzählt die Geschichte dem Pharao. An dieser Stelle steht unser Vers.

In unserem Vers wird der Pharao unvermittelt damit konfrontiert, dass Josef seine eigene Entscheidung (!) vorhersagt, vielleicht noch bevor er sie getroffen hat. B stirbt, M lebt. Warum nicht umgekehrt? Josef bezieht seine Traumdeutung von Gott. Gott kennt den Ausgang und lässt ihn Josef wissen. Wer nun hat den Mundschenk sterben lassen? Der Pharao? Gott? Beide? 

Unser Schicksal ist weitgehend durch das bedingt, was andere Menschen tun — und natürlich durch unser Verhalten ihnen gegenüber. Hier gibt es für mich ein geheimnisvolles Zwischenreich: Handelt Gott durch die Menschen? Oder ist er Notar? Oder beides? Die Bibel lässt die Antwort offen, nicht nur hier, auch anderswo.

Der Pharao jedenfalls, der seine eigene Autonomie in Frage gestellt sieht, ist ungeheuer beeindruckt. Nach der Deutung seines eigenen Traums von den Kühen und den Ähren setzt er den Gefangenen zu seinem Stellvertreter ein. Er beauftragt ihn mit der Planung und Durchführung von Rettungsmaßnahmen, noch bevor es den mindesten Hinweis darauf geben kann, ob Josefs Deutung trägt.

Ich wünsche uns eine Woche, in der wir zu träumen wagen, 
Ulf von Kalckreuth

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